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Das ESOF (EuroScience Open Forum) ist eröffnet. Bei der Registrierung hat mir eine Hostess erzählt, dass etwa 5000 Teilnehmer sich angemeldet haben, und ich bin einer davon. WLAN gibts auch, daher gabs heute auch schon ein Bombardement mit rund 50 Posts mit live Berichterstattung auf Twitter. Werde wohl morgen die Frequenz etwas verringern. Wer Lust hat, kann sich gerne noch dazu schalten.

Heute war ich bei einer Debatte über Stammzellen und es ging um die unterschiedlichen Positionen in Deutschland und Großbritannien zur Forschung an humanen embryonalen Stammzellen. Sprecher waren Urban Wiesing aus Tübungen, ein Historiker und Ethiker, und Stephen Minger aus London, ein Stammzellforscher, der tatsächlich an humanen embryonalen Stammzellen forscht.

Wir erinnern uns: Anfang des Jahres gab es in Deutschland eine intensive Debatte über die Verschiebung des Stichtags zum Import humaner embryonaler Stammzelllinien. Hier im Blog habe ich ausführlich darüber berichtet (links bei “Blog durchsuchen” Stammzellen eintippen). Letzte Meldungen aus Großbritannien waren über die Herstellung von sogenannten Chimären, also Embryonen aus Kuheizelle und menschlicher DNA.

Stephen Minger

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Minger hat angefangen und in einer halben Stunde einen Abriss über die Entwicklung der Forschung an embryonalen Stammzellen geliefert. Er hat Bilder aus dem Labor des Südkoreaners Hwang gezeigt, der ja fälschlicherweise behauptet hatte, menschliche embryonale Stammzellen durch klonieren hergestellt zu haben. Die haben, ähnlich der Arbeit in einer Manufaktur 2200 gespendete menschliche Eizellen entkernt und mit Spender DNA versehen, und letztendlich hat sich kein einziges davon zum Embryon entwickelt. Im Gegensatz zu Behauptungen Hwangs, die ja in Science publiziert wurden, und danach wieder zurück gezogen wurden.

Minger hat noch Details zu den Chimären erzählt. Momentan wird im britischen Parlament darüber debattiert und im Oktober abgestimmt. Er hat einen Vergleich angebracht, den ich mir so bisher auch noch nicht bewusst gemacht habe. Jede transgene Maus trägt ja letztendlich mehr oder weniger menschliches Erbgut (zum Teil das ganze menschliche Immunsystem). Und da macht auch keiner Theater.

Urban Wiesing

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Wiesing hat dann die rechtliche Situation zum ungeborenen Leben in Deutschland erläutert: Die Pille und die Pille danach sind erlaubt. Abtreibungen werden toleriert, die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen aber ist weitgehend verboten. Er sieht klare Widersprüche und Unbeständigkeiten in der aktuellen Gesetzgebung, er hat aber auch darauf hingewiesen, dass es momentan recht wenige Forschungsprojekte sind, die aktiv mit der Regelung in Konflikt kommen können.

Wiesing hat die Fronten bei der Diskussion klar aufgezeigt: Christdemokraten, GRÜNE und die Kirchen auf der einen Seite, als so genannte “Pro-Life” Unterstützer, und die liberale und forschungsfreundliche Position auf der anderen Seite, denen nicht so klar einzelne Gruppen zugeordnet werden können. Er ist sehr skeptisch, was die forschungsfreundliche Rolle des neu berufenen deutschen Ethikrats betrifft. Angeblich sind da 70% der Mitglieder mit christlichen Kirchen assoziiert. Dabei sind in Deutschland wohl gerade mal rund 20% der Menschen gläubig. Das nenne ich gelungene Lobbyarbeit.

Er hat das Stammzelldilemma folgendermaßen in Worte gefasst: “Irresponsible German hypocrisy: Wash me, but don’t make me wet.” Was kann man da noch hinzufügen.

Vielleicht noch, dass ich morgen auf Radioeins vom rbb ab etwa 11:40 Uhr live im Interview zur ESOF zu hören sein werde. Es gibt wohl sogar einen Livestream, wenn es jemanden interessiert.

Kommentare (7)

  1. #1 JLT
    18. Juli 2008

    Jede transgene Maus trägt ja letztendlich mehr oder weniger menschliches Erbgut (zum Teil das ganze menschliche Immunsystem). Und da macht auch keiner Theater.

    Naja, alle auch wieder nicht.
    Aber für die, bei denen es zutrifft: Wie viel menschliche DNA muss es eigentlich sein, damit die ganzen Gegner so richtig dagegen sein können? 2 %? 5 %? 10 %? Sind das dann eigentlich auch alles Gegner von Tierversuchen an Primaten?

    Das ESOF-Programm hört sich sehr jedenfalls sehr interessant an, wäre ich gerne dabei gewesen. Und im Radio, BOAH!

    MfG,
    JLT

  2. #2 Beatrice Lugger
    19. Juli 2008

    “Angeblich sind da 70% der Mitglieder mit christlichen Kirchen assoziiert. Dabei sind in Deutschland wohl gerade mal rund 20% der Menschen gläubig. Das nenne ich gelungene Lobbyarbeit.”

    Umgekehrt gefragt: Wie viele Menschen in Deutschland interessieren sich denn für ethische Fragen und kommt nicht ursächlich das Gros aus christlichem Umfeld? Wir sind nunmal hier aufgewachsen und nicht andernorts. Ich halte es durchaus für legitim, wenn im deutschen Ethikrat sich das Umfeld widerspiegelt. So zeigt das Statistische Bundesamt für die Jahre 2003 bis 2006 immerhin rund 60 Prozent katholisch/evangelisch Gläubige. Das sind nicht 70 Prozent, aber ich habe den Ethikrat jetzt auch nicht so genau durchforstet….

  3. #3 Tobias
    19. Juli 2008

    @Beatrice:
    Ich kann die 70% nicht bestätigen. Das waren die Worte von Urban Wiesing. Im Ethikrat sitzen vier ausgewiesene Theologen von 26 Mitgliedern.
    Wahrscheinlich sind in jeder großen Datenbank Karteileichen. Mich würde mal interessieren, wieviele Karteileichen sich in den Zahlen des statistischen Bundesamtes verbergen.

  4. #4 Beatrice Lugger
    19. Juli 2008

    @Tobias Na, dann hat Wiesing sich vielleicht unklar ausgedrückt. Was wollte er damit eigentlich sagen? Ich glaube weniger, dass die mehrheitlich kritische Einstellung in Deutschland etwas mit christlicher Lehre zu tun hat. Gerade von einem Historiker erwarte ich hier durchaus eine Einordnung aus der deutschen Geschichte heraus und dass wir uns besonders schwer tun, per Gesetz Forschung mit potenziellem menschlichen Leben zu erlauben. Oder liegt das für alle so klar auf der Hand, dass man nicht mehr darüber reden muss?

  5. #5 Tobias
    19. Juli 2008

    @Beatrice:
    richtig, das wurde auch so von ihm erklärt, auf meine Frage hin, warum nicht nur die Gesetzgebung in D un UK Unterschiedlich ist, sondern auch die Wahrnehmung von Wissenschaft in der Gesellschaft.

  6. #6 Chris
    19. Juli 2008

    Das Interview lief doch gut. Danke für den Tipp mit dem Blog, werde wohl weiterlesen…
    Gruß nach Barcelona. Adios

  7. #7 Tobias
    19. Juli 2008

    @Chris:
    Danke, und viel Spaß beim Lesen. Auch die anderen Blogs hier bei Scienceblogs.de sind durchaus lesenswert 😉
    Habe gerade ein mp3 mit dem Interview erhalten und versuche es in einen Blogpost einzubinden. Wenn es denn technisch geht.