Ruth Jesse ist Biologin und forscht an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main unter anderem über Evolutionsbiologie. Im Telefoninterview erklärt sie, wie eine bestimmte Süßwasserkrabbe einst nach Italien kam und warum eine molekulare Uhr dabei half, genau das herauszufinden.

Die Süßwasserkrabbe Potamon fluviatile im Mittelmeerraum – natürliche oder menschliche Ausbreitung?

Auf den ersten Blick lässt sich bei manchen Arten nicht erkennen, ob sie auf natürlichem Wege oder mit Hilfe des Menschen ihr heutiges Verbreitungsgebiet erschlossen haben.

Genau so ein Fall ist die europäische Süßwasserkrabbe Potamon fluviatile, die ein diskontinuierliches Verbreitungsgebiet im Mittelmeerraum hat. Diese Krabbe ist in den Fließgewässern Italiens und Maltas nördlich bis zum Po und dann wieder im Südosten Dalmatiens, im östlichen Montenegro, Albanien und Griechenland heimisch. Da das Verbreitungsgebiet durch das Adriatische Meer getrennt ist und P. fluviatile als Süßwasserorganismus in seiner Ausbreitung begrenzt ist, stellt sich die Frage wie, wann und von wo ausgehend sich die Krabbe auf ihr heutiges Verbreitungsgebiet ausgebreitet hat. Es sind mehrere Szenarios vorstellbar: eine Ausbreitung über das ausgetrocknete Mittelmeerbecken während der Messinischen Krise vor ca. 6 Mio. Jahren oder den Meeresspiegelschwankungen der Eiszeiten, eine Wanderung entlang der Küste über den Landweg oder auch eine Einschleppung durch griechische Siedler, die ab 750 v. Chr. Italien besiedelten.

Das bei Weitem wahrscheinlichste Szenario (>98%) ist, dass die Art P. fluviatile ihren Ursprung auf dem Balkan hat und sich durch Überquerung der Strasse von Otranto nach Süditalien ausgebreitete. Von dort aus, ist die Krabbe dann nach Norditalien bzw. Sizilien und Malta weitergezogen. Der Beginn dieser Expansion war vor etwa 15 000 Jahren im Holozän, nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit. Während den Eiszeiten ist der Meeresspiegel im Mittelmeer drastisch gesunken, so dass die Strasse von Otranto zwischen Süditalien und dem Balkan nur ca. 20 km breit war. Diese Strecke könnten die Süßwasserkrabben z.B. auf Treibholz überwunden haben. Sie könnten aber auch entlang des Küstenverlaufes gewandert sein, der zu Zeiten des niedrigsten Wasserpegels nur wenig nördlich der Meerenge lag. Der errechnete Zeitrahmen der Ausbreitung schließt die Einschleppung durch die alten Griechen, aber auch die sehr viel ältere Messinische Krise, aus. Auch die Route einer Einwanderung nach Norditalien über das Festland ist im Licht der Daten äußerst unwahrscheinlich.

Mehr dazu bei Ruth Jesse und der Webseite des Instituts, dem Department of Ecology and Evolution

flattr this!