Teil 2 (Teil 1 ist am 2. Januar 2010 erschienen)
Krenz, Egon: Gefängnis-Notizen, Berlin 2009.

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Egon Krenz am 11. Februar 2009 bei der Vorstellung seines Buches in Berlin. Foto: CJ

Interessant wird es, wenn er sich wie auch in anderen Publikationen mit dem seiner Meinung nach zum „Wendehals” mutierten „Emporkömmling” Günter Schabowski (* 1929) auseinandersetzt, der seiner Meinung nach aus Schusseligkeit und „aus Unkonzentriertheit im Alleingang” die Maueröffnung herbeiführte, die nur durch seine Initiative (Krenz’) unblutig verlief.

„Jeder Mensch hat ein Recht auf Irrtum. Das schließt auch das Recht auf Umdenken ein. Auf einer Pritsche liegend, geht mir durch den Kopf: Darf ein Politbüromitglied Menschen verhöhnen, die es Jahrzehnte vom Sozialismus zu überzeugen versucht hat? Nichts anderes macht Schabowski. Er behauptet, das Einzige, was die neue Bundesrepublik aus der DDR übernehmen könne, sei der Grüne Pfeil.” (S. 59)

Nach den stürmischen Herbsttagen 1989 habe Schabowski systematisch seine politische Gesinnung aufgegeben und „neue Wahrheiten” konstruiert, um sich mit den neuen Realitäten rasch zu arrangieren.

„Ich ärgere mich, dass mir erst hier, auf der harten Zellenpritsche, bewusst wird, was mir schon zu DDR-Zeiten hätte auffallen müssen: dass es Karrieristen selbst im Politbüro gab. Dass das möglich war, erfüllt mich noch heute mit Unwohlsein. Oder besser: mit Scham. Ich verwechsle Nachdenken nicht mit Nachreden. Mein Nach- und Umdenken wird auch künftig nicht mit Abschwören verbunden sein.” (S. 61)

In der Folge verunglimpft der ehemalige DDR-Staatsratsvorsitzende die nach der friedlichen Revolution entstandenen Opferverbände („sogenannte ‚DDR-Opferverbände'”, S. 63). Nach wehleidigen Ausführungen über seinen Haftalltag, äußert er aber ebenso interessante Details über das Innenleben der SED-Politbüromitglieder bezüglich eines immer möglichen Umsturzes und dem Verlust ihrer Macht, in der sozialistischen Sprache „Konterrevolution” genannt.

„Die Erfahrung von 1953 oder in Ungarn 1956 steckte tief in den Gliedern. Wir jüngeren nahmen diese Wachsamkeit in uns auf. Der ständige Druck aus der BRD und aus Westberlin trug wesentlich dazu bei, dass sich viele von uns über Jahrzehnte mit dem Satz disziplinierten: keine Fehlerdiskussion, Genossen, keine Schwäche zeigen, das nützt der Gegner aus.” (S. 73)

Krenz wurde mit 36 000 Briefen überschwemmt

Damit habe man jegliche schöpferisch-kreative Kraft von Anfang an aus Machterwägungen in Frage gestellt. Das SED-SPD-Papier „Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit” vom 27. August 1987, führt Krenz weiter aus, habe die Herrschaft der SED keineswegs destabilisiert, zumal auch führende SPD-Politiker wie Willy Brandt oder Hans-Jochen Vogel 1987 nicht an einen Zusammenbruch des Kommunismus dachten, um sich dann wieder irdischen Problemen zu widmen, wie er der beginnenden Flut von an ihn adressierten Briefen begegnen soll.

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Foto: CJ

Denn Egon Krenz bekam nach eigenen Angaben während seiner Haft knapp 36 000 Schreiben, die er nicht alle beantworten konnte, was wohl auch ein Grund für die Entstehung seines neuen Buches ist. Wenige Seiten später betont er, dass in der DDR „die Psychiatrie nicht für politische Zwecke missbraucht” wurde (S. 141). Dies sei ein weiteres Beispiel für die Hetze gegenüber dem untergegangenen Staat und vieler seiner ehrenwerten Protagonisten.

Historischer Bösewicht Gorbatschow

Ausführlich nimmt Krenz zudem Stellung zu Michail Gorbatschow und dessen historischer Rolle (S. 175-181). Ab 1985 seien dem sowjetischen Staats- und Parteichef die Dinge

„einfach aus der Hand geglitten. Inzwischen ist auch mir klar: Er war für derart bedeutende Funktionen wie die des KPdSU-Generalsekretärs und des sowjetischen Staatsoberhaupts weder politisch noch charakterlich geeignet. Er wollte das Unversöhnliche, den Kapitalismus und den Sozialismus, ‚versöhnen’. Er wollte nicht wahrhaben, dass die USA nicht auf Versöhnung mit der UdSSR aus waren, sondern auf deren Vernichtung. (…) Würde er sein Unvermögen eingestehen, erhielt er natürlich beim Verhökern von ‚Lebensweisheiten’ kaum jene hohen Honorare, die ihm jetzt zufließen. Gorbatschow hat sich selbst von einem sozialistischen ‚Hoffnungsträger’ zu eine kapitalistischen Geschäftsmann degradiert. (S. 177f.)

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Foto: CJ

(Teil 3 erscheint am 6. Januar 2010.)

Langfassung (30 Minuten): NDR-Reporter (Panorama) über Egon Krenz (3. Juni 2009).