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Buchrezension – Knipping, Andreas: 175 Jahre Eisenbahn in Deutschland. Die illustrierte Chronik, München 2010 (Verlag GeraMond, 160 Seiten, 19,95 €).

Von Thomas Geier, Waldbrunn

Zum 175. Jubiläum der ersten deutschen Eisenbahnfahrt mit der Lokomotive „Adler” zwischen Nürnberg und Fürth am 7. Dezember 1835 ist eine durchaus informative und für einzelne Zeitabschnitte detailverliebte Bilderchronik mit zum Teil sehr technischen, aber auch historisch-flapsigen Anmerkungen von Andreas Knipping erschienen.


Die Chronik beschreibt die Geschichte der Eisenbahn in Deutschland und anfangs die Zusammenhänge zwischen Lokomotiven, Waggons, Schienensträngen und der Industriellen Revolution. Auch wird aufgezeigt, dass die Eisenbahn vor allem durch die von James Watt erfundene Dampfmaschine, sozusagen die „Mutter aller modernen Maschinen”, entdeckt und erst möglich wurde.

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Die E 03 001 ist die erstgebaute Vorserienlokomotive der berühmten IC-Baureihe 103, die inzwischen von der BR 101 abgelöst wurde. Sie wird betriebsfähig erhalten vom DB-Museum Nürnberg und für Sonderfahrten in ganz Deutschland eingesetzt. Nach einer solchen ist sie abgestellt vor dem Zentralstellwerk in Münster/Westf. Hbf. (Foto: © Erich Westendarp – PIXELIO 2009)

Arbeitsbedingungen waren katastrophal

Nach der genauen und sehr technischen Schilderung der Entwicklung und Herstellung erster Lokomotiven und Gleisanlagen in England und Deutschland vor der Reichsgründung 1871 geht der Autor neben den Finanzierungen der damals unvorstellbar hohen Summen, die nur durch Aktionäre und privates Kapital ermöglicht wurde, auch auf die Meisterleistungen der Ingenieurskunst und die unglaublich schlechten Arbeitsbedingungen der sozial benachteiligten Arbeiter „Riesenprojektes” Eisenbahnbau ein.

Eisenbahngesellschaften waren ihre besten Kunden

Knipping beschreibt, dass es erst durch die Eisenbahn möglich wurde, Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts und nach 1871 so rasch industriell zu entwickeln. Denn die Eisenbahn gehörte während der Industriellen Revolution zu den wichtigsten Wirtschaftszwei-gen in Deutschland. Teilweise waren die Eisenbahngesellschaften selbst ihre besten Kunden, weil sie zum Netzausbau große Mengen an Rohstoffen zu den Baustellen bringen lassen mussten, was damals logistisch nur mit der Eisenbahn möglich war.

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Fichtelbergbahn am Bahnübergang in Hammerunterwiesenthal in Richtung Cranzahl.

(Foto: © Femek / Pixelio 2010)

Verbesserung der Kommunikation

Neben diesen überwiegend positiven Seiten der Eisenbahn in einem neuen Zeitalter schildert der Autor des Weiteren die Innovationsschübe, die von der Bahn ausgingen. So wurde die Kommunikation durch Telegrafenmasten und später Telefonleitungen entlang der Bahnlinien erheblich verbessert. Durch neuartige Formen der Bahntechnik konnten „Züge” und „Bahnhöfe” durch Signalanlagen miteinander kommunizieren und so zunehmend die Sicherheit des immer schneller werdenden Bahnverkehrs gewährleisten, auch wenn es immer schlimme Unfälle mit vielen Toten gab.

Eisenbahn ist direkte Ursache für Ersten Weltkrieg

Hervorzuheben ist ebenso die anfängliche „Technikfeindlichkeit” der deutschen Herrscherhäuser, die einen rascheren Ausbau des ersten Bahnnetzes verhinderten, das heute noch die Grundlage der Schieneninfrastruktur bildet. Schon beim preußisch-österreichischen Krieg 1866 und im deutsch-französischen Krieg 1870/1871 sollte die Eisenbahn eine strategisch wichtige Rolle spielen. Da der Erste Weltkrieg von vielen Historikern als Wirtschaftskrieg gesehen wird, war die Eisenbahn und die wegen ihr entstandene enorme wirtschaftliche Stärke des Kaiserreichs eine direkte Ursache für den ersten Krieg im Industriezeitalter.

Ausführliche Informationen ab 1990 fehlen

Züge wurden zudem im Zweiten Weltkrieg als Transportmittel für Soldaten und Gütern benutzt, um insbesondere die Versorgung sicherzustellen. Die durchaus interessante Kriegsfunktion der Eisenbahn fasziniert den Autor, führt aber zu langen Exkursen, denen zum Beispiel eine ausführliche Darstellung der Eisenbahngeschichte seit der Wiedervereinigung 1990 zum Opfer fällt.

Züge brachten Millionen Menschen in Vernichtungslager

So hilfreich die Bahnen in den Kriegen waren, so groß war auch die Zerstörung der Zuginfrastruktur nach 1945. Zahlreiche Bombardements legten den Schienenverkehr in den Ballungsräumen größtenteils lahm. Mit dem Krieg eröffnet sich aber auch ein anderes dunkles Kapitel der Eisenbahn in Deutschland: Während des Zweiten Weltkrieges und der Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten wurden die Eisenbahnen bei der Deportation als Transportmittel genutzt, um Millionen Menschen in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu bringen. Im Gegenzug wurden die eingesetzten Vieh- und Güterwaggons teilweise wieder bei der Vertreibung von Deutschen aus den Ostgebieten und Ost- und Südosteuropa in die alliierten Besatzungszonen nach 1945/46 eingesetzt.

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DGEG-Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen, Zusammentreffen je einer Lokomotive der DB-Neubaudampflokbaureihen 10, 23, 65, 66 und 82 am 30.04.2007.
(Foto: © Erich Westendarp / Pixelio 2009)

Wenige Informationen zur DDR-Reichsbahn

Nach 1945 wurden in beiden Teilen Deutschlands die Eisenbahnen wieder aufgebaut. Die Bahnunternehmen entwickelten neue Konzepte im Regional- und Fernschienenverkehr wie zum Beispiel die S-Bahnen oder die Intercity-Züge in Westdeutschland. Auf eine kompetente und ausführliche Darstellung der Geschichte der Deutschen Reichsbahn in der DDR verzichtet Kipping. Der Autor beschreibt dafür kritisch die Verkehrspolitik nach der Wende. So wird seiner Meinung nach immer an der falschen Stelle gespart. Als Beispiel dafür liefert er die Wartungsprobleme bei der Berliner S-Bahn, die Grund für zahlreiche eigentlich unnötige Zugausfälle und Verspätungen waren.

Früher war alles besser

Die teilweise sehr langen Texte sind mit vielen durchaus interessanten Bildern bestückt, die jedoch nicht immer zum jeweils auf der Seite behandelten Thema passen. Zum besseren Verständnis tragen Statistiken und Tabellen bei. Bedauerlicherweise fällt der Autor immer wieder in eine „Früher war alles besser”-Ansicht. Es fällt auf, dass er ein großer Freund der alten, eher nostalgischen Eisenbahnen ist, der es vorzieht, auf einer Holzbank in einem Dampfzug zu sitzen, als im ICE bequem und schnell durchs Land zu reisen. Dies schadet seinem populärwissenschaftlichen Buch und offenbart, dass ein kritisches und sachkundiges Lektorat insbesondere für dieses Genre sinnvoll ist.