Seit Mitte der 1930er-Jahre entwickelten sich die nationalsozialistischen Konzentrationslager zu Produktionsstätten, in denen Häftlinge unter anderem Möbel für die SS, Baustoffe für Großbaustellen der Nazis und Waffen produzierten. Die Produktivität war aufgrund der permanenten Gewalt, der katastrophalen Versorgung und hygienischen Verhältnisse äußerst gering.

Von Robert Sommer (Berlin)

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Der Berliner Historiker Robert Sommer (* 1974). (Foto: privat)


1941 befahl Heinrich Himmler, im KZ Mauthausen und im nahe gelegenen Außenlager Gusen als Anreiz für besser arbeitende männliche Häftlinge Bordelle zu errichten. 1943 erließ Himmler dann eine Prämien-Vorschrift für das gesamte System der Konzentrationslager. Derzufolge wurden Häftlingen bei besserer Arbeitsleistung Prämien, wie das Tragen eines militärischen Haarschnitts, eine erhöhte Brieffrequenz, der Einkauf von Lebensmitteln oder Zigaretten in der Lagerkantine sowie der Besuch in einem Lagerbordell gestattet. Bis zum Ende des Krieges öffnete die SS Bordelle in zehn KZ, unter anderem in Auschwitz, Dachau, Buchenwald, und Sachsenhausen.

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Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler bei einer Visite im Außenlager Gusen des KZ Mauthausen (Jahr unklar). (Foto: Bundesarchiv Bild 192-220)

Frauen für Bordellkommandos rekrutierte die SS im zentralen Frauen-KZ Ravensbrück, aber auch im Frauenlager Auschwitz-Birkenau. Dabei macht sie Zusagen auf eine Entlassung nach einem halbjährigen Bordelldienst – ein Versprechen, was nie realisiert wurde. Später selektierte die SS zunehmend auch Frauen, ohne ihnen die Art des Kommandos mitzuteilen. Etwa als 200 Frauen kamen auf diese Weise in ein Bordellkommando. Die meisten von ihnen waren deutscher Herkunft, andere Frauen stammten aus Polen, der Ukraine, Weißrussland und den Niederlanden. Keine der Sex-Zwangsarbeiterinnen war jüdischer Herkunft.

Die Frauen mussten sich wochentags nach dem Abendappell und sonntags den ganzen Nachmittag in den Lagerbordellen für die männlichen Häftlinge bereit halten. Nach jedem Geschlechtsverkehr hatten sich die Frauen mit Seifenlauge zu spülen und mussten dann dem nächsten Häftling zur Verfügung stehen. Dennoch, in den Lagerbordellen gab es beheizte Räume, ausreichende Verpflegung und bessere hygienische Verhältnisse. Es ist kein Todesfall in einem Lagerbordell bekannt und es ist wahrscheinlich, dass fast alle Sex-Zwangsarbeiterinnen die KZ-Haft überlebten.

Für den Gang ins Lagerbordell musste ein männlicher Häftling einen offiziellen Antrag stellen. Der männliche Häftling hatte zwei, ab Februar 1944 eine Reichsmark für den Bordellbesuch zu bezahlen. Ein weiblicher Häftling übernahm die Funktion der Kassiererin für die Einnahmen, welche die SS abendlich abrechnete. Nur wenige Häftlinge durften das Lagerbordell besuchen. Anfangs waren dies nur deutsche Häftlinge, später auch Polen, Skandinavier und andere Westeuropäer. Männern jüdischer Herkunft und sowjetischen Kriegsgefangenen war der Bordellbesuch verboten. Die Zahl der Bordellgänger machte weniger als ein Prozent der Gesamtzahl der Häftlinge aus. Meist besuchten sogenannte Funktionshäftlinge, wie Blockälteste oder Kapos das Bordell.

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Das Lagerbordell im Außenlager Gusen (KZ Mauthausen/Aufnahmedatum unklar). (Bundesarchiv Bild 192-174)

Der Bordellbesuch funktionierte nach einem festgelegten Ablauf: Die SS verlas auf dem Abendappell die Nummern der für das Bordell zugelassenen Häftlinge. Diese mussten geschlossen zum Lagerbordell marschieren. Dort erhielten sie in einem Arztzimmer eine Spritze oder bekamen eine ihnen unbekannte Salbe auf ihre Genitalien geschmiert. Ein SS-Mann wies die Häftlinge einem Zimmer zu, vor dem sie in einer Reihe warten mussten. Die Zeit, die zur Verfügung stand, war meist auf 15 Minuten begrenzt. Es war nur Sex in der Missionarsstellung erlaubt.

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Antragsformular für einen Bordellbesuch im KZ Mauthausen. (Foto: Archiv Robert Sommer)

Nach dem Krieg wurden die Lagerbordelle zu einem Tabu in beiden deutschen Erinnerungskulturen, meist aus Angst, ein falsches Bild zu vermitteln oder auch weil das Thema nicht in die Erinnerungspolitik passte. Ebenso aber schwiegen auch die in den Bordellen sexuell ausgebeuteten Frauen. Ihre Situation war prekär. Die meisten der deutschen Frauen in den Lagerbordellen waren aufgrund ihrer unangepassten Lebensführung von den Nazis als „Asoziale” in ein KZ eingewiesen worden. Die Verfolgung als “Asoziale” war in der BRD laut dem Bundesentschädigungsgesetz nicht als nationalsozialistisches Unrecht anerkannt.

In der DDR wurden sie nur dann als Verfolgte des Nationalsozialismus anerkannt, wenn sie sich in die Gesellschaft der DDR integrierten. Die nicht-deutschen Frauen in den Lagerbordellen waren überwiegend als politische Häftlinge in die KZ verschleppt worden. Sie wurden später in ihren Heimatländern meist als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Allerdings verschwiegen fast alle über den Aufenthalt in einem Bordellkommando – nicht nur aus Scham, sondern auch aus Angst, als Kollaborateurinnen stigmatisiert zu werden.

Die sexuelle Ausbeutung von Frauen war ein Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Frauen, die Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern leisten mussten, erlitten schwere körperliche und seelische Schäden. Es ist an der Zeit, dass die in den Bordellen der KZ sexuell ausgebeuteten Frauen endlich als Opfer anerkannt werden!

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Von Robert Sommer ist in 2. Auflage das Buch „Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern” erschienen – Sommer, Robert: Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, 2. Auflage, Paderborn 2010.