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In einigen Blogs hier wüten Diskussionen in denen Anhängerinnen und Anhänger von Ideen Standpunkte mit Argumenten verteidigen, die naturwissenschaftlich unhaltbar sind. Von Homöopathie über Reinkarnation, von Behauptungen über unser Klima bis zum Abstreiten der Mondlandung.

Die Verfechter, der gelinde gesagt unorthodoxen Weltsicht, scheinen einen fundamental anderen Ansatz zu haben, was Grundannahmen betreffend dem sein sollen, das man gemeinsam als Basis für die Diskussion nehmen könnte.

Mit viel Ausdauer und Geduld stemmen sich hier die Naturwissenschaftler (und eine Naturwissenschaftlerin) und viele Stammkommentatoren gegen eine riesige Brandung von halbverdautem populärwissenschaftlichen Wissen (wie oft wurde schon Quantenphysik bemüht), Glaubensbekenntnisse, abstrusen Argumente und manchmal gar grob beleidigende Rundumschlägen.

Als Sozialwissenschaftler bin ich da manchmal fast ein wenig neidisch. Bei ‘uns’ scheint alles verschwommener, weniger eindeutig. Man kann Dinge vielleicht in Formeln packen, muss dabei aber soviel vereinfachen und Annehmen, dass das Gegenteil häufig trotz allem ebenso plausibel geltend gemacht werden kann. Die am heftigsten geführten Debatten im Fach der Internationalen Beziehungen zum Beispiel, sind leider meist Grabenkämpfe um genau diese Frage: Gibt es sie überhaupt, die Realität?

Auf dem Understanding Society Blog war gestern ein interessanter Beitrag zum Thema ‘Objektivität in den Sozialwissenschaften’ zu finden. Der Autor trägt fünf Thesen zusammen, die in entsprechenden Wissenschaftsphilopsophischen Debatten vorgebracht werden. Die Thesen schliessen sich nicht gegenseitig aus und ich vermute die Liste ist kaum abschliessend.1

  1. Es gibt soziale Fakten [social facts], die von den Konzepten und Theorien des Wissenschaftlers, der diese aufdecken möchte, unabhängig sind — das heisst, es gibt eine objektive soziale Welt (ontologische Objektivität)
  2. Es ist möglich, dass eine Theorie betreffend einer gegebenen Auswahl an sozialen Fakten auf der Basis der richtigen Begründungen gut verwurzelt ist (epistemische Objektivität)
  3. Soziale Fakten sind unabhängig vom Bewusstsein der Teilnehmenden.
  4. Wissenschaftliches Forschen kann wertfrei und Interessens-neutral sein.
  5. Wissenschaftliches Forschen tendiert zur Konvergenz auf einen Konsens innerhalb aller Forschenden über die Eigenschaften der Welt. Dies ist ein Resultat von weiterführender empirischer und theoretischer Forschung.

Daniel Little von Understanding Society optiert für die ersten zwei und die fünfte These und betrachtet die dritte als nicht relevant. Mir scheint dieser Ansatz nicht schlecht, gerade weil die Thesen relativ offen formuliert sind. Ich glaube die meisten der zuvor erwähnten fachspezifischen Grabenkämpfe finden aufgrund absoluter Annahmen statt (z.B. Alle sozialen Fakten). Sie unterstreichen auch gut, was die Sozialwissenschaft zur Wissenschaft macht.

Ich finde die Thesen zeigen zudem auf, wo die Probleme liegen mit vielen der Eingangs erwähnten Kommentatoren. Es geht hier zwar um social facts, aber die Fragen zu Objektiviät sind ebenso relevant für diese Diskussionen. Häufig verwerfen diese Personen eine oder mehrere dieser Thesen ohne es explizit zu sagen, kommen aber in der Diskussion immer wieder darauf zurück, um auf der Basis der obigen Feststellungen, ihre Meinung zu untermauern. Vielleicht sollte man vor der nächsten Reinkarnationsdiskussion fragen, welcher der fünf Punkte man zustimmt (nachdem das ‘sozial’ gestrichen wurde), um zu sehen, ob man überhaupt eine Diskussion auf der gleichen Basis führen kann. Vielleicht wäre das ja eine Idee für ein Captcha auf sciencblogs.de.

1Dies ist mein Versuch einer Übersetzung aus einem Gebiet in dem ich selber wenig Kenntnisse habe (Wissenschaftsphilosophie) und die die ich habe, wurde mir auf Englisch vermittelt. Ich bitte also alle des Englischen mächtigen, den Originaltext als Grundlage zu benutzen.

Kommentare (27)

  1. #1 Ludmila
    Dezember 10, 2008

    Als Sozialwissenschaftler bin ich da manchmal fast ein wenig neidisch. Bei ‘uns’ scheint alles verschwommener, weniger eindeutig.

    Ich muss zugeben, dass ich mir bei manchen Sozialwissenschaftlern denke, und so schreiben sie auch. Verschwommen, uneindeutig, man könnte fast sagen beliebig.

    Letztendlich finde ich Deinen Versuch sehr lebenswert, aber wahrscheinlich scheitern wir bei der Reinkarnation bereits bei Punkt 1. Das mit den Fakten oder der Realität.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    Dezember 10, 2008

    Ich fürchte leider auch, dass die fünf Thesen eher ein Glaubensbekenntnis sind als eine konkrete Forschungs-Ausgangsbasis. Habe mich in meiner Diplomarbeit selbst mit Problemen von Realität und Wahrnehmung befasst und einsehen müssen, dass objektive Realität vielleicht existieren mag (muss ja, irgendwie) – aber messen lässt sie sich nicht, da allein schon der Vorgang des “Messens” die Realität beeinflusst. Aber Moment mal: Gibt’s da nicht auch so ein paar Unschärfe-Probleme in der Quantenphysik (Stichwort: Heisenberg) und in der Mathematik (Gödel)?

  3. #3 sil
    Dezember 11, 2008

    Ich würde mich ja auch gern einklinken, allerdings verstehe ich kein Soziologisch.
    Mit diesen Thesen kann ich nichts anfangen.

  4. #4 ali
    Dezember 11, 2008

    @Ludmila

    […]aber wahrscheinlich scheitern wir bei der Reinkarnation bereits bei Punkt 1. Das mit den Fakten oder der Realität.

    Das ist in gewissem Sinne worauf ich hinaus wollte. Statt ein frustrierendes Hin- und her zwischen ‘meine Realität ist nicht deine und ihr wisst nicht alles’ und ‘es wurde schon belegt dass…’ müsste man zuerst mal grundlegend die Definitionen klären. Ich glaube das sind Thesen die von uns häufig einfach vorausgesetzt werden. Werden diese verneint, müsste man vielleicht besser über Realität oder Objektivität diskutieren statt über Homöopathie/Reinkarnation/[Märchenwelt seiner Wahl einsetzen]. Das wäre dann unter Umständen ergiebiger.

    @Jürgen

    und einsehen müssen, dass objektive Realität vielleicht existieren mag (muss ja, irgendwie)

    Hier haben wir doch schon mal ein ziemlich klares Statement! Was will man mehr? 😉

    @sil
    Ich glaube das ist ein Mischsprech von Soziologisch und (Wissenschafts-)Philosophisch.
    Es ist mir bewusst, dass man in den Naturwissenschaften sich vermutlich weniger häufig mit solche Fragen konfrontiert sieht. In den Sozialwissenschaften (oder zumindest in Internationalen Beziehungen) sind sie jedoch sehr dominant, vermutlich weil die Raison d’être der Disziplin(en) in gewissem Sinne von deren Beantwortung abhängt und die Antwort weniger klar zu sein scheint, als in den Naturwissenschaften. In letzteren kann man immerhin argumentieren, dass der Ansatz breit funktioniert und allgemeine Gesetzmässigkeiten festgestellt werden können, ob diese Realität nun in einem spezifischen Sinne existiert oder nicht. Aber vielleicht habe ich ja ein idealisiertes Bild der Naturwissenschaften.

  5. #5 Ludmila
    Dezember 11, 2008

    @Ali: Du bist naiv. Sorry 😉

    Das würde ja voraus setzen, dass alle Beteiligten bereit sind zu hinterfragen, was denn Wahrheit und Realität ist. Ich glaub aber, dass das bei so Hardcore-Gläubigern unmöglich ist. Da läuft das nämlich hinaus auf: “Ich glaub, dass das so ist, also ist das auch so.”

    Wenn ich auf ein Haus zeige und mein Gegenüber darauf beharrt, dass das aber ein Oktopus sei, obwohl ich ihm nachweisen kann, dass das Objekt aussieht, sich anfühlt und schmeckt wie ein Haus (Mörtel, Sandstein, Beton, igitt), dann gibt es keine Basis für eine Diskussion. Man beachte auch, dass so eine Sichtweise in der Praxis zum sicheren Verhungern führen würde. Und es gibt tatsächlich solche Fälle, dass Hardcore-Esoteriker Nahrung teilweise oder komplett verweigern, weil sie fest daran glauben, dass diese sie vergiftet. Selbst die Gefährdung der eigenen Existenz erschüttert deren Glauben nicht.

    Überhaupt die Prämisse, dass überhaupt so etwas wie eine Diskussion erwünscht ist, halte ich für falsch. Diese Leute behaupten zwar, dass sie diskutieren wollen, aber in Wahrheit wollen sie nur missionieren. Sie wollen ihre Meinung als alleinseligmachende und absolut nicht zu hinterfragende hinstellen und alle anderen vom Tisch wischen. Die Argumente der anderen interessieren sie schlicht nicht.

  6. #6 ali
    Dezember 11, 2008

    @Ludmila

    @Ali: Du bist naiv. Sorry 😉

    Touché! 😉

  7. #7 Arno
    Dezember 11, 2008

    Ist die Annahme der Existenz und Annaehrbarkeit einer objektiven Realitaet nicht Vorraussetzung fuer jede sinnvolle soziale Interaktion?

    Die heisenbergsche Unschaerferelation wird uebrigens idR nicht als Einschraenkung unserer Faehigkeit zur Wahrnehmung der Realitaet interpretiert, sondern einfach als Eigenschaft der Realitaet. Wenn ein Elektron einen recht scharf definierten Ort hat, dann hat es eine sehr unscharf definierte Geschwindigkeit. Die Realitaet mag merkwuerdig sein, aber das spricht ja nicht gegen ihre Existenz.

    Der Goedelsche Unvollstaendigkeitssatz beschreibt ebenfalls weder die Ungueltigkeit des Begriffs mathematischer Wahrheit, noch eine Grenze unserer Moeglichkeit sie zu erlangen. Er besagt lediglich, dass wir nie die gesamte Wahrheit erreichen koennen (wobei es sich eigentlich einfach nur um einen bestimmten mathematischen Satz handelt, und man sehr vorsichtig sein sollte, ehe man aus mathematischen Saetzen philosophische Implikationen zieht).

  8. #8 ali
    Dezember 11, 2008

    @Arno

    Ist die Annahme der Existenz und Annaehrbarkeit einer objektiven Realitaet nicht Vorraussetzung fuer jede sinnvolle soziale Interaktion?

    Warum soziale Interaktion, die ist ja trotzdem möglich oder? Die Frage ist, inwiefern wir uns mit einer solchen wissenschaftlich sinnvoll beschäftigen können. Oder verstehe ich dich vielleicht falsch?

    Anders und mit etwas Populärkultur ausgedrückt: In extremis würden wir, selbst wenn wir in der Matrix Welt leben würden, trotzdem in einem gewissen Sinne sozial interagieren (nur in unserem Kopf halt). Die Welt die wir beschreiben würden, existierte dann nicht als unabhängige Realtität (diese wäre wohl die Matrix selber).
    [Disclaimer: Dies ist ein reines Gedankenexperiment und entspricht nicht meinen Realtitätsvorstellungen]

    Da fällt mir auf, vielleicht leben einige unserer Kommentatoren in der Matrix und da wurde irgendwo was falsch programmiert…

  9. #9 sil
    Dezember 11, 2008

    Na klar.
    Und ich bin ein Spamprogramm und würde den Turing-Test nicht bestehen.

    Solche Sachen sind für mich geistige Masturbation. Das führt zu keinen sinnvollen Schlüssen. Die These mit der Matrix ist nicht überprüfbar und selbstimmunisierend.

    Ich halte es immer noch mit Philip K.Dick:
    “Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben.”

  10. #10 Arno
    Dezember 11, 2008

    @ali
    Um miteinander kommunizieren zu koennen, muessen wir Zugang zu einem Kommunikationsmittel haben. Ich muss also etwas beeinflussen koennen, was du wahrnehmen kannst. Die Beobachtungen, die ich an meiner Seite des Kommunikationskanals mache, muessen in irgendeiner festen Relation zu den Beobachtungen stehen, die du an deiner Seite machst. Ich wuerde daraus jetzt schliessen, dass unser Kommunikationskanal Teil einer objektiven Realitaet ist (wenn es nur uns beide gaebe..).
    Ich wuerde allerdings auch ohne jegliches Zoegern die “Matrix” als moegliche objektive Realitaet ansehen. Alle beobachten prinzipiell das gleiche, die Regeln sind identisch, etc. Man koennte in der Matrix auch immernoch Wissenschaft betreiben. Die Frage waere dann einfach: Wie sind die Regeln, die unsere Welt bestimmen?

  11. #11 sil
    Dezember 11, 2008

    An ein paar Sachen muss man glauben:
    Gerechtigkeit, Schönheit und Mitleid.

    Hier erkärt es TOD seiner Enkelin Susanne:
    Death’s Speech in Hogfather

    Für mich ist das eine Stelle im Film mit Gänsehautgarantie.

  12. #12 Jane
    Dezember 11, 2008

    @Ali: Es gibt auch in den Sozialwissenschaften empirisch gewonnene Erkenntnisse, die sich als hard facts erweisen. Standardbeispiel Wahlforschung.

    Was mich so stört, und da würde mich interessieren wie Du das wahrnimmst, dass ist die Abwertung, die man als empirisch Forschender häufig abbekommt. Viele Theoretiker belächeln immer noch die “Fliegenbeinzähler” mit ihren Fragebögen und Interviewleitfäden und ihren “langweiligen” und “simplen” (weil anwendungsbezogenen) Forschungsfragen.

    Gerade Anwendungsbezogenheit ist oft fast ein Schimpfwort. “Echte” Sozialwissenschaft (v.a. Pol. Wiss. und hier IB) muss möglichst theoretisch sein.

    Das ist zumindestens mein Eindruck.

  13. #13 Bernd
    Dezember 11, 2008

    Ich nutze meistens den Begriff Intersubjektivität anstelle von Objektivität; insofern kann ich Little hier nicht wirklich folgen. Ja, man könnte sogar sagen, dass ich das ein oder andere mal konstruktivistische Anwandlungen verspürt habe.

    @ Jane: “Gerade Anwendungsbezogenheit ist oft fast ein Schimpfwort. “Echte” Sozialwissenschaft (v.a. Pol. Wiss. und hier IB) muss möglichst theoretisch sein.”

    Na ja, mit der Publikationsrealität (zumindest in der Soziologie) hat das wenig zu tun. Sämtliche hochrangigen Zeitschriften[1] bei uns sind von angewandter Soziologie durchdrungen. Es ist eigentlich klar, dass Theorien empirisch überprüfbar sein müssen — und auch so formuliert sein sollten. Ich persönlich nehme mein Tun nicht als “Fliegenbeinzählen” war 🙂

    [1] Wie etwas American Journal of Sociology, American Sociological Review, Journal of Marriage and the Family, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie etc.

  14. #14 Jane
    Dezember 11, 2008

    @Bernd: Ja, ich denke da können viele Politikwissenschaftler/IBler einiges von der Soziologie lernen 😉

  15. #15 Bernd
    Dezember 11, 2008

    @ Ludmilla, Du schreibst: “Ich muss zugeben, dass ich mir bei manchen Sozialwissenschaftlern denke, und so schreiben sie auch. Verschwommen, uneindeutig, man könnte fast sagen beliebig.”

    Du meinst doch sicher: “”Ich muss zugeben, dass ich mir [das auch] bei manchen Wissenschaftlern denke, und so schreiben sie auch. Verschwommen, uneindeutig, man könnte fast sagen beliebig.” Oder?

  16. #16 Peter Artmann
    Dezember 11, 2008

    Lieber Ali,
    das Problem ist bekanntlich schon etwas älter … aber im Jahr 1981 Hilary Putnam das so schön bildstark formuliert, dass die Wachowski-Brüder darauf basierend, die Idee der verkabelten “Batterien” in Matrix entwickelten.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Brain_in_a_vat
    Brain in a vat (auch als Brain in a tank bekannt).

    Es gibt keine Lösung.

    Du hast lediglich die Wahl zwischen der blauen und der roten Pille.

    oder anders formuliert:
    “Wenn du die blaue Pille nimmst, ist alles vorbei. Du wachst auf in deiner Welt und glaubst an das was du glauben willst. Nimm die rote Pille, und du bleibst im Wunderland. Und ich führe dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus!”

  17. #17 Peter Artmann
    Dezember 11, 2008

    Allerdings wollte Putnam ursprünglich beweisen, dass es genau so nicht geht. Doch das gelang nicht. Stattdessen hat sich das von ihm erdachte Bild des verkabelten Gehirns im Goldfischglas durchgesetzt.

  18. #18 Ludmila
    Dezember 11, 2008

    @Bernd: Touché. Hast ja Recht.

  19. #19 ali
    Dezember 11, 2008

    @sil

    Und ich bin ein Spamprogramm und würde den Turing-Test nicht bestehen.
    Solche Sachen sind für mich geistige Masturbation.

    Du hast aber schon mitgekriegt, dass ich ein Gedankenexperiment (wofür wohl ‘geistige Maturbation’ einfach eine etwas abschätzige Bezeichnung wäre) vorgeschlagen habe um etwas zu klären. Es ist nunmal so, dass wer ‘soziales’ zu messen versucht, sich zumindest ansatzweise mit solchen Fragen auseinandersetzen muss.

    An ein paar Sachen muss man glauben:
    Gerechtigkeit, Schönheit und Mitleid.

    Ich bin froh, dass du nicht Homöopathie hinzugefügt hast 😉

    @Arno
    Danke, jetzt verstehe ich besser.

    Ich wuerde allerdings auch ohne jegliches Zoegern die “Matrix” als moegliche objektive Realitaet ansehen.

    Dann haben wir wieder eine gemeinsame Grundlage und das ist genau worauf ich hinaus wollte. Dann ist die Matrix aber das Referenzsystem. Da scheren dann die Esoteriker aus, weil sie in gewissem Sinne dann Dinge ausserhalb ‘der Matrix’ bemühen nur um im nächsten Argument dann wieder ‘innerhalb’ der Matrix zu formulieren.

    @Jane

    Gerade Anwendungsbezogenheit ist oft fast ein Schimpfwort. “Echte” Sozialwissenschaft (v.a. Pol. Wiss. und hier IB) muss möglichst theoretisch sein.

    Witzig, mein Eindruck (oops fast hätte ich gesagt in meiner ‘Forschungsrealität’ 😉 ) ist genau das Gegenteil was die IB betrifft. Theoretiker werden belächelt. Etwas das was taugt, ist praktisch, konkret, empirisch belegt und vor allem policy relevant (letzterer Anspruch geht mir übrigens tierisch auf den Senkel, aber das ist eine andere Geschichte). Aber vielleicht hängt der Eindruck tatsächlich davon ab wo und woran man forscht.

    @Bernd
    Du bist wahrscheinlich gar nicht so weit weg von Little, zumindest wie ich die Thesen verstehe. Ich vermute auch viele Konstruktivisten würden zumindest teilweise diese Thesen gutheissen müssen und der Meinungsunterschied würde vor allem das Ausmass betreffen, in welchem diese anwendbar sind. Im Endeffekt glauben die meisten ja daran, dass sie wissenschaftliche Arbeit machen und daher sind sie zumindest implizit mit der zweiten Thesen und Ansatzweise mit der ersten einverstanden. Sonst könnten wir wie von Arnd richtig bemerkt, sowieso auf eine Diskussion verzichten, da die Diskussionsgrundlage fehlt. Das passt auch mit Intersubjektivität, oder?

    Die ganze Diskussion hier hat mich übrigens auf eine Idee für einen Eintrag gebracht, zum Thema ‘Critical Studies’ (oder eben Konstruktivisten). Es gibt nämlich ein gutes Beispiel in IR wie wichtig dieses Hinterfragen ist und wie eine solche ‘Konstruktion’ das Leben von tausenden Menschen beeinflussen kann. Mehr dazu morgen wenn ich mir etwas Realisten-Bashing in IB erlauben werde. 😉

  20. #20 Popeye
    Dezember 11, 2008

    Jetzt sitze ich hier voll dumm vor meinem Laptop und möchte erklären, warum überhaupt, weshalb gerade hier, wie ich zu diesem Blog stehe und vieles mehr und weiß einfach nicht wie…deshalb ganz einfach DANKE!

    – für das Wissen
    – für den Spaß
    – für die Munition gegen Dummschwätzer
    – für interessante Einblicke
    – für die tollen Diskussionen
    – für die ganzen kleinen Tortenstücke aus der Wissenschaft, die man sonst nicht
    wahrnehmen würde, die aber einfach zu lecker sind

    Weiter so!

  21. #21 Jane
    Dezember 11, 2008

    @ali: ok, wir beide scheinen gerade im Selbstexperiment bestätigt zu haben, dass die Geschichte mit der ontologischen Objektivität so eine Sache ist 😀

  22. #22 Rincewind
    Dezember 11, 2008

    @ali:
    “Dann haben wir wieder eine gemeinsame Grundlage und das ist genau worauf ich hinaus wollte. Dann ist die Matrix aber das Referenzsystem. Da scheren dann die Esoteriker aus, weil sie in gewissem Sinne dann Dinge ausserhalb ‘der Matrix’ bemühen nur um im nächsten Argument dann wieder ‘innerhalb’ der Matrix zu formulieren.”

    Der Punkt ist doch, dass die Idee der Matrix völlig belanglos ist. Wir leben in einem Etwas, was man auch als “Matrix” bezeichnen kann. Entscheidend ist doch nur, dass wir feststellen, dass diese Matrix (nenne sie Realität) für alle verbindlich ist und wir innerhalb dieser zurecht kommen müssen. Und klar, Esos scheren ständig aus und merken nicht, dass sie sich trotzdem darin befinden und müssen dann Unglaubliches konstruieren. Meistens sogar in einem höheren Maße, als jemand, der darüber reflektieren kann. Das regt ja auch manchmal etwas auf 🙂

    Ich kenne jedenfalls keinen Esoteriker, der sich aus der “Matrix” verabschieden kann, wenn man ihm mit einem Hammer kräftig auf den Daumen haut 😉

  23. #23 sil
    Dezember 12, 2008

    @el chefe Ali:
    War nicht so drastisch gemeint.
    Ich habe selektiv gelesen und bitte darum, den Ausrutscher mit der Masturbation nicht so ernst zu nehmen.
    Ansonsten: wirf einfach meine Posts mit denen von Rincewind in einen großen Karton. Der schreibt sowieso immer das, was ich auch denke, nur eleganter. 😉

  24. #24 ali
    Dezember 12, 2008

    @Popeye
    Danke für die Blumen. Das war auf jeden Fall ein sehr motivierendes Feedback. Schön zu wissen, dass auch gerne gelesen wird was man schreibt 🙂

    @Rincewind
    Genau, völlig einverstanden.
    Darum ist es auch so gut, dass hier denen immer wieder etwas auf die Finger gehauen wird. Die warten wohl alle auf Neo…

    @sil
    Habs auch nicht drastisch aufgefasst, konnte es nur nicht auf mir sitzen lassen.

    @Jane
    Das wäre doch eine interessantes Thema um ihm mit einem Fragebogen auf den Leib zu rücken (villeicht würden ein paar Physiker auch noch mitmachen).

  25. #25 klaus
    Dezember 16, 2008

    @alle
    Ein lobenswerter Blog!

    Ich fürchte, und da teile ich Ludmillas Meinung, dass man schon bei Punkt 1, also der Realitätsbehauptung scheiten wird. Realität bewährt sich, in den Sozialwissenschaften nocht mehr als in den Naturwissenschaften, in der Feststellbarkeit von Gesetzmäßigkeiten, die unter Phänomenen gelten. Und da sieht es auf der aufsteigenden Leiter tote Materie – biologisches Leben – individuelles Bewusstsein – organisierte Gesellschaft von Stufe zu Stufe schlechter aus. Seit mein Sohn angefangen hat, Politikwissenschaft zu studieren, habe ich einen Einblick bekommen, wie die Methoden und Schlussfolgerungen in den empirischen Sozialwissenschaften aussehen. Vermutlich kann man es gar nicht besser, aber die Grenze zwischen stringentem Folgern und bloßem Meinen ist meiner Einsicht nach sehr verschwommen.

  26. #26 Bernd
    Dezember 16, 2008

    @ klaus schreibt:

    “Vermutlich kann man es gar nicht besser, aber die Grenze zwischen stringentem Folgern und bloßem Meinen ist meiner Einsicht nach sehr verschwommen.”

    Zumindest für die quantitativen Methoden gilt, dass diese sehr wohl ein stringentes Folgern ermöglichen. In einem ordentlichen empirischen Aufsatz wird das Stichprobendesign sehr klar beschrieben, es wird deutlich gesagt, wie und warum theoretische Konstrukte auf eine bestimmte Weise Operationalisiert wurden, wie die Verteilung der Variablen aussieht und ob fehlende Werte eine Systematik aufweisen. Wenn also die Datengrundlage erläutert wurde, dann wird begründet, warum welche Analyseverfahren eingesetzt werden. Anschließend erfolgt eine Darstellung der empirischen Befunde und eine Diskussion der theoretisch abgeleiteten Hypothesen im Lichte dieser Befunde. Mit anderen Worten: Es geht um maximale Transparenz in der Beweisführung; beginnend mit ordentlich dargestellten Theorien bis hin zu einer sorgfältigen Auswertung, um zu prüfen, ob Hypothesen falsifiziert wurden.

    Dass andere Autoren andere theoretische Präferenzen haben können oder anderen Verfahren bevorzugen, ist auch ein Phänomen, welches für “die” Naturwissenschaften zutrifft. Dass das von mir beschrieben Vorgehen teilweise idealisiert ist, sollte auch klar sein — Methodenausbildung/-kanon und Forschungsrealität sind immer zwei Paar Schuhe. Auch das ist in “den” Naturwissenschaften nicht anders.

    Ansonsten wäre natürlich noch interessant zu erfahren, wie Klaus denn auf diese Einschätzung kommt.

  27. #27 Benedikt
    Dezember 16, 2008

    Ich kann Bernd hier nur zustimmen. Der zentrale Punkt, um den es geht, ist die Transparenz des Vorgehens. Die Wissenschaft hat ihre Methoden nicht dafür, um die Wahrheit herauszufinden, sondern um die Schritte, in denen eine Forscherin zu ihren Ergebnissen kommt, nachvollziehbar zu machen. Das gilt ganz unabhängig davon, ob es sich um quantiative oder qualitative Methoden handelt. Eine gute ethnographische Feldforschung zeichnet sich auch dadurch aus, dass zumindest die Peers beurteilen können, wie das Ergebnis zustande gekommen ist. Ob sie dann das Ergebnis als wissenschaftliche Wahrheit akzeptieren oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. In dem Moment, in dem dieser Weg nachvollziehbar wird, befindet man sich jenseits des bloßen Meinens.