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Wieder einmal darf ich von einem helvetischen Sturm im Wasserglas berichten, der alle Komponenten beinhaltet, die den Folklore-Puls der Schweizer zum Rasen bringt: Bauern, Milchwirtschaft, die Schweizerische Volkspartei und Jodeln. Eine Lektion für deutsche Leserinnen und Leser zum südlichen Nachbarn.

In der Schweiz findet jährlich ein vom eidgenössisschen Jodlerverband organisiertes Jodlerfest statt. Jodeln wird von vielen hier (und besonders auf der Rechten) als identitätsstiftendes Brauchtum betrachten.

Das historische Lexikon der Schweiz bietet folgende Definition:

Unter einem J. wird meist ein text- und wortloses Singen verstanden, ein Spiel der Klangfarben zwischen Falsett- und Bruststimme in der Abfolge einzelner, nicht-sinngebundener Vokal-Konsonant-Verbindungen (z.B. jo-hol-di-o-u-ri-a). Der einfache Jodelruf basiert auf dem Viehlock- und Signalruf (Juuz).

Wer nun an Loriot denken muss, soll nochmals drüber nachdenken, es geht um viel mehr als nur um jo-hol-di-o-u-ri-a. Wo gibt es heute denn noch einen Technischen Leiter Alphornblasen oder einen Obmann Fahnenschwingen?

Nun hat aber ein Interview mit dem Chef einer der grossen beiden Kaufhausketten der Schweiz (Migros) zu, man möchte mir die Anspielung verzeihen, Misstönen geführt. Er hat darin den schweizerischen Milchproduzentenverband als ‘Betonklotz’ bezeichnet und von ‘verkrusteten Strukturen’ gesprochen (faktisch nicht leicht von der Hand zu weisen).

Dazu muss man wissen, dass der Schweizer Detailhandel von zwei Riesen (Coop und eben Migros) dominiert wird. Man wächst in einer Coop- oder Migros-Familie auf und muss im Falle einer Mischehe einmal diesen Entscheid fällen will man sich wirklich alleine in der grossen weiten Schweiz behaupten. Diese beiden genossenschaftlich organisierten Grossverteiler sind inzwischen eben auch wichtige schweizerische Institutionen. Das beinhaltet auch eine beträchtliche Menge an Kultur-Sponsoring.

Durch das Interview des Migros Chefs in der unter dem vielsagenden Titel publizierten Zeitschrift Schweizer Bauer dritte Institution bei, die eine mythische Schweizer Institution geworden ist: Die Vieh- und Landwirte. Hierzu nochmals das Historische Lexikon der Schweiz zur Bauernstaatsideologie:

Als Bauernstaatsideologie lässt sich die Vorstellung bezeichnen, dass die edlen Tugenden und die polit. Tatkraft der B. in besonderer Weise für den Staatsbildungsprozess der Eidgenossenschaft verantwortlich seien. Sie ist erstmals im ausgehenden MA fassbar, als sie legitimierend zur argumentativen Behauptung eines Herrschaftsanspruchs eingesetzt wurde.

Das ganze muss man nun nur noch mit einer guten Prise Schweizerische Volkspartei würzen und das Desaster ist perfekt. Die Partei sieht sich nicht zuletzt als Vertreterin des Bauernstandes und ihre Vertreter sitzen in vielen Organisationen, wie zum Beispiel den Organisatoren des Jodlerfestes. In diesem kleinen Land sind solche folkloristischen Institutionen (und ich versuche dem Drang zu widerstehen, den Schweizerischen Milchproduzentenverband ebenfalls dazu zu zählen) personell eng mit einander verflochten. Darum haben nun die Organisatoren des Eidgenössischen Jodlerfests bekannt gemacht, dass sie die Migros als Sponsor nicht akzeptieren werden für die grosse Jodel-Party 2011.

Nun versteht ihr warum Grossverteiler, Jodler, Parteien und Bauern in einem Kleinstaat sehr viel miteinander zu tun habt. Freuen tuts die Konkurrenz. Den Zuschlag erhält nun Coop. Sie dürfen ihr Geld den Jodlern geben. Vermutlich werden zusätzlich noch ein paar Coop-Bauernfamilien obendrauf gelegt.

Bildquelle: Daniel Schwen, wikimedia commons

Kommentare (5)

  1. #1 GeMa
    April 22, 2009

    Migros wird es doch hoffentlich überleben? didudeldö?

  2. #2 ali
    April 22, 2009

    Würde die Migros Bankrott gehen, wäre wohl allgemeine Endzeitstimmung. Aber sowas ähnliches habe ich vor etwas über einem Jahr schon über die UBS gesagt (wobei die Vorhersage nicht ganz falsch war).

    Übrigens heisst es richtig: Holleri du dödl di, diri diri dudl dö!

  3. #3 GeMa
    April 23, 2009

    Ich übe dann besser noch für´s Diplom 😉

  4. #4 Andylee
    April 24, 2009

    Supermärkte… die wahren Machthaber der Schweiz!

    die Banken sind nur vorgetäuscht mächtig 🙂

  5. #5 Andrea Klein
    Dezember 1, 2010

    Links zum Thema Kleinstaaten:

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