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Der Blätterwald und die Bildschirme waren voll davon und auch in diesem Blog wurde darüber berichtet: Die UN Konferenz in Genf, den Auftritt des Iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad und das verlassen des Saales einiger Delegierten in Protest darauf. Wie schlimm war nun eigentlich alles?

Nach dem medialen Lärm schrieben sich Bloggerinnen und Kolumnisten in Rage und forderten einen Boykott der Anti-Rassismuskonferenz oder im Übereifer gar die Abschaffung der UN. Lehnen wir uns doch mal ganz entspannt zurück und versuchen zu sehen, was den nun übrig bleibt, nach dem sich der Staub gesetzt hat.

Zeigt man genug Durchhaltewille und liest das Schlussdokument von Anfang bis Ende durch, wird man positiv überrascht. Zugegeben, es gilt festzuhalten, dass es sich um ein UN Dokument handelt. Es stellt einen diplomatischen Kompromiss zwischen einer grossen Zahl von Ländern mit unterschiedlichen Interessen, politischen Systemen und Präferenzen dar. Wirklich grosse Würfe werden da selbstverständlich nicht gemacht und solche Erwartungen wären auch verfehlt.

Das Resultat lässt sich aber durchaus sehen: So wurde zum Beispiel kein Religions-Diffamierungsparagraph geschrieben, wie von einer Gruppe von islamischen Ländern verlangt. Stattdessen heisst es jetzt:

[Die Konferenz] den globalen Anstieg und die Zahl von Zwischenfällen von religiöser und rassistischer Intoleranz und Gewalt, inklusive Islamophobie, Anti-Semitismus, Christenphobie und Anti-Arabismus, welcher sich speziell in herablassenden stereotypisierung und stigmatisierung von Personen äussert, die in deren Religion oder deren Glauben gründet; [Meine Übersetzung]

Das ist zwar nicht perfekt, klingt aber wesentlich besser als die Resolution 10/22 vom UN Menschenrechtsrat, die ich hier schon kritisiert habe (und die sich übrigens auch auf die Anti-Rassimuskonferenz bezieht). Die Diskriminierung bezieht sich hier wieder auf Individuen und nicht eine Religion, die geschützt werden soll. Ausserdem ist die Aufzählung wesentlich allgemeiner als die einseitige Resolution des Menschrechtsrates.

Auch einen einseitigen Fokus auf Israel findet man nicht in der Resolution. Die einzige Referenz die ich finden konnte ist sehr allgemein gehalten:

[Die Konferenz] [b]etont die Notwendigkeit mit mehr Entschlossenheit und politischem Willen sich jeder Form von Rassismus, Rassendiskriminierung, Xenophobie und ähnliche Intoleranz in allen Lebensbereichen und überall auf der Welt, auch in Gebieten unter ausländischer Besetzung; [Meine Übersetzung]

Die Kritik die am Schlussdokument geäussert wurde war dementsprechend eher legalistischer Natur. Kritiker bemängelten vor allem den Paragraphen, der die Resultate der Anti-Rassismuskonferenz von 2001 ‘erneut bestätigte’ (reaffirmed). In der besagten Schlusserklärung hat Israel damals nämlich einiges abgekriegt.

Das eigentlich positive Resultat zeigt in meinen Augen zwei Dinge: Erstens belegt es, dass Dialog eine Notwendigkeit ist. Man muss sich mit der anderen Seite auseinandersetzen und das Gespräch suchen, nur so kann man die Resultate beeinflussen. Das heisst nicht, dass man die Argumente gutheissen muss, aber dass man sich mit diesen auseinandersetzen sollte. Dies ist schlicht die Kehrseite der Medaille der freien Meinungsäusserung.

Zweitens, zeigt die Episode gut, wie die Dinge, die im Schweinwerferlicht der Medien passieren, nicht unbedingt reflektieren was hinter den Kulissen passiert und es sich lohnt, die Aufmerksamkeitsspanne etwas über den News-Zyklus hinaus, aufrecht zu erhalten. Die Delegierten, die den Saal verlassen haben, sassen am nächsten Tag wieder in der Konferenz (ausser Tschechien, welches dies aber nicht als EU-Vorsitz tat). Der Israelische Botschafter ist wieder zurück in der Schweiz und die Schweizer Regierung hat erwähnt, dass sie unter anderem mit Ahmadinejad über den Dialog mit den USA gesprochen hat, deren Interessen sie im Iran vertritt.1 Auch scheint es, dass das Tauwetter zwischen Iran und den USA anhält und die Frage des iranischen Nuklearprogramms vielleicht gar mit einer Friedenslösung für die besetzten Gebiete verknüpft wird.

Die UN muss also nicht abgeschafft werden. Man hätte sie übrigens dann schon lange abschaffen können. Anti-Israel Aktionen und die darauf folgende Entrüstung haben eine lange Tradition in der Organisation. So wurde 1975 die Resolution 3379 von der Generalversammlung verabschiedet, die Zionismus als ‘Rassimus’ klassfizierte. 1991 wurde diese dann mit der Resolution 46/86 wieder zurückgezogen. Man stelle sich vor, man hätte 1975 die UN abgeschafft.

1 Ich hatte darüber schon in meinem Eintrag zum Rückzug spekuliert. Ob tatsächlich der Hauptdiskussionspunkt oder nicht, es ist schon etwas seltsam, dass der offiziellen Schweiz erst jetzt Einfiel, dies zu ihrer Verteidigung vorzubringen.

Kommentare (7)

  1. #1 Jane
    Mai 1, 2009

    “Man stelle sich vor, man hätte 1975 die UN abgeschafft.”
    Ich frag mich gerade, ob das den Lauf der Welt negativ beeinflusst hätte 😉

    Insgesamt möchte ich schon anmerken, dass es um mehr geht als nur “Meinungsverschiedenheiten” die man aushalten muss. Leuten wie Ahmadinedschad, die bei sich daheim Homosexuelle an Kränen aufhängen, sollte man grundsätzlich keine Plattform geben. Das gilt auch für alle anderen Staatenlenker auf diesem Niveau und von der Sorte gibt es leider viel zu viele. Man muss die UN nicht unbedingt abschaffen aber so reformieren, dass Menschenrechte ganz oben auf der Agenda stehen. Dafür müsste man dann erstmal den “Menschenrechtsrat” abschaffen, der ist wirklich eine Frechheit.

  2. #2 Karl Mistelberger
    Mai 2, 2009

    Die Kritik die am Schlussdokument geäussert wurde war dementsprechend eher legalistischer Natur. Kritiker bemängelten vor allem den Paragraphen, der die Resultate der Anti-Rassismuskonferenz von 2001 ‘erneut bestätigte’ (reaffirmed). In der besagten Schlusserklärung hat Israel damals nämlich einiges abgekriegt.

    Der Titel des Beitrags ist deutlich genug; es ist “Die Genfer UN Rassismuskonferenz”. Mit Antirassismus hat es bestenfalls erst dann wieder etwas zu tun, wenn die Resultate von 2001 zurückgenommen werden und ein Auftritt wie der von Ahmadinejad alle Teilnehmer veranlasst, den Saal zu verlassen.

  3. #3 ali
    Mai 2, 2009

    @Jane
    Ich würde mir auch lieber nicht anhören müssen, was Ahmadinedjad zu sagen haben meint. Nur wer entscheidet welche Staatschefs sprechen? Die UN basiert nun mal auf dem Prinzip der zumindest theoretischen Gleichwertigkeit der Staaten. Es fällt mir schwer ein alternatives Funktionsprinzip vorzustellen, welche ein Minimum an Fairness garantieren würde.

    Der Menschrechtsrat ist ja das Resultat einer (zugegebenermassen verbockten) Reform. Vom Abseitsstehen wird er aber auch nicht besser. Die Sache mit den Menschrechten ist ausserdem nicht immer so klar wie es vielleicht den Anschein macht. Auch innerhalb der westlichen Länder gilt häufig nur das als Menschenrecht, was einem in den Kram passt (ich fange mal nicht von der Schweizer Asylpolitik zu sprechen oder gewissen SVP Forderungen…). Würden sich die westlichen Staaten einer wirklich unabhängigen Institution unterwerfen wollen?

    Ich frag mich gerade, ob das den Lauf der Welt negativ beeinflusst hätte 😉

    Trotz dem zwinkernden Smiley möchte ich die Tribunale für das ehemalige Yugoslawien, Sierra Leone und Rwanda erwähnen, Lebensmittelhilfe für Millionen von Menschen, Impfprogramme, Blauhelme in unzähigen Ländern, und, und, und… [Es ist mir schon bewusst, dass du das alles weisst, ich glaube aber, dass im öffentlichen Bewusstsein meist fehlt wieviel die UN eigentlich macht, das unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung bleibt].

    @Karl Mistelberger
    Lesen Sie das Schlussdokument und sagen sie uns wo da der Rassismus ist! Dieses kam zustande weil man sich auf einen Dialog eingelassen hat. Maximalfoderungen wie die von Ihnen aufgelisteten und Dialogverweigerung hingegen werden uns nicht weiterbringen. Es ist genau dieser Mangel an Kompromissbereitschaft und fehlende Mässigung, die auch Ahmadinedjad auszeichnen.

    Demokratie ja, aber nur solange alle Stimmen wie ich?

  4. #4 Jane
    Mai 3, 2009

    @ali: “Trotz dem zwinkernden Smiley möchte ich die Tribunale für das ehemalige Yugoslawien, Sierra Leone und Rwanda erwähnen, Lebensmittelhilfe für Millionen von Menschen, Impfprogramme, Blauhelme in unzähigen Ländern”

    Die Impfprogramme lasse ich uneingeschränkt gelten, bei der Lebensmittelhilfe könnte ich mir vorstellen, dass andere das vielleicht besser gemacht hätten (mit weniger Korruption) und die Tribunale sind in gewisser Weise ein case in point: Es wäre besser gewesen, man hätte die Verbrechen gestoppt, statt nachher die Trümmer wegzuräumen. Und die Tragödie um Darfur ist auch kein Ruhmesblatt.

    Natürlich muss man realistisch bleiben, die UN sind keine Weltpolizei. Dass sie als int. “Knotenpunkt” für Entwicklungspolitik/zusammenarbeit dienen ist nützlich. Es ist auch gar nicht schlecht, ein Forum zu haben, in dem alle miteinander reden können. Was mich nur stört: Wenn die UN immer noch mit einem moralischen Nimbus versehen werden bzw. sich diesen anmaßen. Wenn es um Moral geht, dann sind die UN die falsch Anlaufstelle.

  5. #5 ali
    Mai 3, 2009

    @Jane
    Die Aufzählung könnte lange weitergeführt werden und natürlich ist die UN alles andere als perfekt.

    Es wäre besser gewesen, man hätte die Verbrechen gestoppt, statt nachher die Trümmer wegzuräumen.

    Grundsätzlich bin ich einverstanden. Man muss aber auch sehen, dass normalerweise es mächtige Mitglieder sind, die Aktionen verhindern. Das ist aber wohl Teil der Funktionsweise der UN. Sie handelt nur, wenn ein gewisser Grad an Konsens herrscht. Es bleibt zu befürchten, wäre es nicht so, würde sie nicht einmal in diesen Fällen handeln (zumindest beim Völkerbund wäre das ein Grund des Scheiterns). Ausserdem wäre die Alternative eine Welt, in der selbsternannte Gruppen das Recht in die Hand nehmen und ich bezweifle, dass das besser ist (z.B. letzter Irakkrieg oder die Bomben auf Sarajevo).

  6. #6 Christian W
    Mai 5, 2009

    Ich bin erst jetzt auf diese Diskussion gestoßen, aber nun bin ich empört über die Stellungnahmen Janes. Bitte nicht übel nehmen, aber ich stelle einmal ihre Aussagen (mMn.) gleichbedeutenden anderen gegenüber:

    bei der Lebensmittelhilfe könnte ich mir vorstellen, dass andere das vielleicht besser gemacht hätten (mit weniger Korruption)

    Bei der medizinischen Versorgung in Deutschland könnte ich mir vorstellen, dass andere (als ausgebildete Ärzte, das Rote Kreuz und alle Arten von Hospitälern) das vielleicht besser gemacht hätten (mit weniger Korruption, Fehlern, Kosten, etc.).

    Es wäre besser gewesen, man hätte die Verbrechen gestoppt, statt nachher die Trümmer wegzuräumen.

    Es wäre besser gewesen, man hätte den Raubmörder vor oder während seiner Tat erschossen, als ihn nachher zu einer passenden Strafe zu verurteilen.

    Und die Tragödie um Darfur ist auch kein Ruhmesblatt.

    Das Geiseldrama in München 1972 ist auch kein Ruhmesblatt.
    ___

    Außerdem möchte ich hierzu noch ein paar Worte sagen:

    Leuten wie Ahmadinedschad, die bei sich daheim Homosexuelle an Kränen aufhängen, sollte man grundsätzlich keine Plattform geben.

    Das ist auch ein beliebtes Argument für ein Verbot oder zumindest Nichtzulassung der NPD zu Wahlen. Das Komplizierte daran ist, dass es in sich stichhaltig ist, aber dennoch nicht überzeugt. Denn von öffentlichen Auftritten und möglicherweise eigenständigen Demaskierungen solcher Personen profitiert unsere Gesellschaft sehr viel mehr als von der Alternative: Dem heimlichen Organisieren, Planen, Aufbauen und Verbreiten ihrer Ideologie und Verbrechen, was wenn überhaupt erst dann bemerkt wird, wenn Gegenmaßnahmen extrem schwierig bis unmöglich geworden sind.
    Hussein hat sich nicht schon Jahre im Voraus hingestellt und die Vernichtung Kuwaits gefordert, bin Laden hat nie vor den UN oder sonstigen öffentlichen Stellen seine Pläne(!) – seine Absichten hat er ja durchaus nicht verheimlicht, wenn auch stets über dubiose Quellen – bekannt gegeben, usw. usf.
    Einverstanden, die tausend Jahre zwischen 1933 und 1945 konnten nicht verhindert werden, obschon jeder Hitlers Abenteuerroman schon ein Jahrzehnt vorher hätte lesen können und er selbst bei öffentlichen Anlässen ja noch mitteilsamer war als Ahmedinedschad. Ich behaupte ja auch nicht, dass das Plattform geben zur automatischen Verhinderung von Katastrophen führt. Aber es ist für diesen Zweck immer noch am Vorteilhaftesten.
    Außerdem kann man nur mit jemandem reden, den man selbst reden und ausreden läßt. Ich betone auch hier, das ist keine Garantie, dass man wirklich mit jemandem reden kann. Wenn man ihm aber keine Plattform gibt, kann man garantiert nicht mit ihm reden.

    Nochmal, ich will dir selbstverständlich nichts Böses. Das sollen nur Denkanstöße oder Assoziationen sein, die mir sofort untergekommen sind.

    Grüße
    Christian W

  7. #7 Karl Mistelberger
    Mai 5, 2009

    Lesen Sie das Schlussdokument und sagen sie uns wo da der Rassismus ist!

    Wir kommen ihrer Aufforderung gerne nach. Der Rassismus wurde in die “NGO Forum Declaration” ausgelagert. (https://en.wikipedia.org/wiki/The_Durban_Declaration_and_Programme_of_Action).

    Maximalfoderungen wie die von Ihnen aufgelisteten und Dialogverweigerung hingegen werden uns nicht weiterbringen.

    Das ist keine Maximalforderung, sondern eine Minimalforderung, die sich aus dem Inhalt der Durban Declaration ergibt. Ahmadinedjads Rede ist nicht Teil eines Dialogs, sondern Rassismus der extremsten Art.

    In der Durban Declaraton heisst es: “Although the DDPA is not legally binding, it has a strong moral value and serves as a basis for advocacy efforts worldwide” (https://www.un.org/durbanreview2009/ddpa.shtml). Wer sich Ahmadinedjads Rede anhört und ihm dadurch ein Forum bietet missachtet die Deklaration.