Heute vor einem Jahr, in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 brach ein Krieg zwischen Russland und Georgien um die abtrünige Provinz Südossetien aus. Der georgische Angriff (der von georgischer Seite als Präventivschlag dargestellt wird) markierte den Anfang des Krieges. Je näher der Jahrestag kam, desto mehr stiegenie Spannungen wieder an, ähnlich der Situation vor dem Krieg. Nun werden stimmen laut, die einen zweiten Krieg in ‘naher Zukunft’ voraussagen. Wie plausibel ist das?
Bombeneinschlag in Gori (Bildquelle: Wikimedia)
Via The Monkey Cage wurde ich auf einen Blogeintrag aufmerksam gemacht, der argumentiert, dass ein zweiter Krieg in naher Zukunft sehr wahrscheinlich sei. Es werden viele Argumente aufgelistet und wer will darf sich gerne durch den Post arbeiten, ich werde hier nicht alle auflisten, da sie in meinen Augen alle an der gleichen Schwäche leiden: Eine nicht konsistente Analyse und wenig überzeugende Grundannahmen.
In groben Zügen argumentiert der Autor Anatoly Karlin, dass Russland (in ihrer Selbstbeurteilung) die Arbeit nicht zu Ende geführt hätte und es vor allem im russischen Militär Stimmen gäbe, die verlangen zurückzukehren und den Präsidenten Saakaschwili zu ersetzen (Regime Change nur auf russisch). Russland hätte gesehen, dass der Westen nichts unternimmt um seinem vermeintlichen Allierten zu helfen. Das einzige was man noch braucht ist eine gute Ausrede, die man sich selber zurechtlegen könne oder die vermutlich gar von einer georgischen Unüberlegtheit geliefert wird. Realpolitk werde in Russland Internationalismus als Ansatz übertrumpfen. Gleichzeitig werden mehrere Gründe aufgelistet warum Russlands Intervention rechtens war (oder vielleicht in Russland so wahrgenommen wurde).
Was ist von all dem zu halten? Der Autor scheint mir zu sehr Russland fokussiert (aber er kennt dort die Situation wohl durchaus gut) und seine Argumente zum kaukasischen Schachspiel überzeugen nur oberflächlich. Ich bin überzeugt, dass er die georgische Seite falsch einschätzt und dass er nicht wirklich geopolitisch argumentiert sondern stark aus einer emotionalen russischen Perspektive. Ich vermute Russlands Führung ist in der Beziehung wesentlich berechenbarer. Besonders klar kommt dieser Widerspruch zum Vorschein, wenn man sich darauf achtet, wie der Autor zwischen moralischen Rechtfertigungen und Geopolitischen Überlegungen wechselt. Geht es nun um Macht oder Gerechtigkeit? Diese Analyse-Ebenen gehen von sehr unterschiedlichen Grundannahmen aus und könne zwar gleichzeitig angeführt werden, müssten aber in meinen Augen argumentativ klar getrennt und spezifiziert werden um zu überzeugen.
Vielleicht muss ich vorausschicken, dass die Voraussage steht oder fällt mit der Frage was in naher Zukunft bedeutet. In der volatilen Region des Südkaukasus würde ich keine Voraussagen über mehrere Jahre wagen. Aber da zum Teil gar von von diesem Sommer die Rede ist, beziehe ich das Argument auf die aktuellen Spannungen. Ich glaube nicht, dass eine solche Voraussage plausibel ist, gesetzt der Fall die georgische Regierung begeht den gleichen Fehler nochmals, dieses mal im Wissen der Konsequenzen (und wahrscheinlich sogar in verschärfter Form). Dies halte ich eben für unwahrscheinlich.
Hier wie ich die Situation einschätze: Saakaschwili hat schon lange versprochen, die abtrünnigen Provinzen wieder unter georgische Kontrolle zu bringen und dies ist eine zentrale politische Botschaft, die vermutlich dem Wunsch einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Aus einem unklaren Grund hat er sich letzten Sommer zu einem militärischen Zug hinreissen lassen. Ich habe hier schon spekuliert, dass die USA vermutlich, wenn ihn schon nicht ermutigt wohl zumindest zweideutige Signale gegeben haben. Auch wenn die Regierung hitzköpfig sein kann, wird ihr die Tatsache, dass die Republikanische Administration in den USA abgelöst wurde, einen Dämpfer aufsetzen. Die meisten Georgier erhofften sich mehr Unterstützung von einem Sieg der Republikaner (und vielleicht war der Angriff auch ein wenig einer ‘Jetzt oder nie!’-Logik entsprungen). Zudem hat sich sicher etwas Ernüchterung breit gemacht, was allgemein die Unterstützung durch vermeintlich Allierte anbelangt. Es ist also noch unwahrscheinlicher geworden, dass Georgien Russland den Vorwand liefern wird nochmals einzumarschieren. Ausserdem sollte es spätestens jetzt klar sein, dass Georgien militärisch nicht gegen Russland ankommen kann und Russland bereit ist, mit viel Feuerkraft Südossetien und wohl auch Abchasien zu verteidigen.
Wenn nun Russland Georgien wirklich einnehmen möchte, dann stellt sich die Frage warum haben sie das nicht getan, als sie schon Panzer in Gori stehen hatten? Es scheint mir viel plausibler, dass sie von der Besetzung von Südossetien und der Situation in Abchasien mehr profitieren, wenn sie sie beim status quo belassen. So behalten sie einen Verhandlungschip gegenüber dem Westen. Dies gilt insbesondere da die NATO Mitgliedschaft Georgiens nun in noch weitere Ferne gerückt ist. Ich sehe nicht, was Russland durch eine Besetzung gewinnen könnte, aber vieles, dass es verlieren kann.
Aus diesen Gründen halte ich einen zweiten Krieg in naher Zukunft für unwahrscheinlich. Hoffentlich habe ich Recht.
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