Im März veröffentlicht das US Department of State einen Bericht zur Menschenrechtslage in den Ländern der Welt (mit Ausnahme der US selbst) im Vorjahr. Wer ein politische Pamphlete erwartet, welche Alliierte loben und die Koalition der Unwilligen schilt, wird jedoch enttäuscht.

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Die Berichte sind gut gemacht und in der Regel auch gut recherchiert. Sie werden von vielen, die sich mit spezifischen Fragen zur Menschenrechtslage in diversen Ländern beschäftigen, geschätzt und auch benutzt. Der Bericht analysiert nach einem bestimmten Schema für jedes Land die Menschenrechtslage, nimmt eine allgemeine Einschätzung vor und listet Ereignisse auf, die als in Bezug auf Menschenrechte als problematisch wahrgenommen werden.

Es ist übrigens immer wieder interessant zu lesen, was die Bericht über das eigene Land sagen (hier wäre zum Beispiel der Bericht für Deutschland und für Österreich 2009). Für 2009 wird die Schweiz im Kapitel Religionsfreiheit kritisiert und zwar unter anderem wegen der Abstimmung zum Minarettbauverbot (die Medien berichteten darüber). Dies stösst einigen meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sauer auf (zum Beispiel in den Kommentaren zum NZZ Artikel), weil Menschenrechte sind offensichtlich die Rechte, die nur im Ausland verletzt werden. Vermeintliche Verletzungen im Inland sind in der Regel keine, weil dafür gibt es immer einen guten Grund.

Der erste Reflex ist in der Regel der Vorwurf der Scheinheiligkeit gepaart mit dem Rat, die USA sollen doch vor der eigenen Tür kehren. Es ist tatsächlich so, dass die USA über sich selber nicht berichten. Es ist wohl auch so, dass die USA alles andere als perfekt sind. Obwohl es für Nicht-US-Einwohner etwas störend ist belehrt zu werden und keine Selbstkritik zu sehen, ändert dies aber überhaupt nichts an der Substanz der Argumente.1 Vielleicht sollten Menschenrechte einer Selbstevaluation überlassen werden? Die Kritik kommt selten aus einer Ecke, die für ihren Kulturrelativismus bekannt ist. Konsequenterweise gilt das dann aber auch für den Iran, Nordkorea, China und Saudiarabien.

Ein Indiz für einen gewissen Grad an Neutralität ist wie wenig die Berichte politisiert sind. Von Menschenrechtsberichten aus dem Aussenministerium würde man doch eigentlich erwarten, dass gute Freunde geschont werden und man die Gelegenheit wahrnimmt auf weniger freundlich gesinnte Länder Druck auszuüben. Dass dem nicht so ist merkt man wenn man sich zum Beispiel den Bericht zu Israel und den besetzten Gebieten durchliest. Die im Bericht geäusserte Kritik an Israel entspricht kaum der offiziellen Sprachregelungen. Man kann das Experiment mit anderen Allierten wiederholen.

1 Ich wage die Voraussage, dass trotz diesem Einwand, sollte hier in den Kommentaren eine entsprechende Diskussion entbrennen, über kurz oder lang dieses Argument trotzdem auftauchen wird.

Kommentare (9)

  1. #1 Patrick
    März 22, 2010

    Aber wer darf dann überhaupt noch kritisieren? Die Schweiz ja auch nicht die USA, denn da müsste die Schweiz erst mal bei sich anfangen. Doofes Argument.

  2. #2 ka
    März 22, 2010

  3. #3 Stan
    März 22, 2010

    Ist es denn nicht irgendwo auch sinnvoll, dass die USA keinen Bericht über Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land zu verfassen? Schließlich könnte man ihnen dort Befangenheit vorwerfen und es steht ja anderen Staaten frei einen Bericht über die Achtung der Menschenrechte in den USA zu verfassen… Das wäre dann vergleichbar mit dem Peer-Review in den Wissenschaften, jedes Land würde kontrollieren, wie gut die Menschenrechte in den anderen Ländern eingehalten werden.
    Ich finde die Berichte jedenfalls interessant (zumindest den über Deutschland will ich mir mal durchlesen und wenn ich dann noch nicht genug hab, schau ich mir mal Israel an), danke für den Hinweis!

  4. #4 Christian W
    März 22, 2010

    Der erste Reflex ist in der Regel der Vorwurf der Scheinheiligkeit gepaart mit dem Rat, die USA sollen doch vor der eigenen Tür kehren.

    Ein solcher Reflex setzt jedoch voraus, sich keine Sekunde mit dem/n Bericht/en beschäftigt zu haben. Ich habe den Teil über Deutschland jetzt schnell überflogen und festgestellt, dass es sich nicht um eine verurteilende Aufzählung von Menschenrechtsverletzungen handelt, sondern um eine (in my humble opinion) gute Bestandsaufnahme des status quo. Stets wird – Menschenrecht für Menschenrecht, Gesichtspunkt für Gesichtspunkt – gleich vorgegangen: Was sagt die deutsche Verfassung und die übrige Gesetzeslage? Was ist die Praxis von Regierung und staatlichen Organen? Gab es Grenz-/Ausnahmefälle und/oder klare Verstöße?
    Wenn ich keinen erhobenen Zeigefinger überlesen habe, gibt es überhaupt keinen Grund, von Scheinheiligkeit und “Splitter im Auge des Anderen sehen” zu sprechen. Mit entsprechendem Zeit- und Rechercheaufwand würde ich wohl zu einem nahezu identischen Ergebnis kommen.

    Überhaupt stellt sich die Frage nach “US-Vorwürfen” eigentlich gar nicht, wenn man sich die Adressaten der Berichte vor Augen führt: Für wen arbeitet das US-Außenministerium? Doch wohl für das Volk der USA, dessen regierende Vertreter und den Präsidenten als oberste Exekutive und Staatsoberhaupt. Wer, wenn nicht das für diese Angelegenheiten zuständige Ministerium soll denen denn was über die Menschenrechtslage im Rest der Welt erzählen, wenn nicht das Außenministerium? Ist doch seltsam – kümmern sich die Amis nur um sich selbst und eigene Angelegenheiten, wirft man ihnen weltpolitischen Snobismus und Zentralismus vor, aber sobald sie sich in der Weltgeschichte umschauen, liegt sofort der Vorwurf des “mit dem Finger auf andere zeigen” parat?
    Ach, und selbst wenn die Berichte (auch) an die Restwelt adressiert sind – so what? Ein(e) gute(r) Freund(in) sagt mir doch auch, wenn ich beschissen angezogen bin und ich bin ihm/ihr dafür dankbar und schnauze nicht zurück “Du siehst aber auch scheiße aus, kümmer’ dich um dich selbst!”

  5. #5 Julius Cäsar
    März 22, 2010

    Rührend, wie liebevoll sich der Bericht zu Deutschland um Scientology kümmert.

  6. #6 Geoman
    März 23, 2010

    Wir lernen, wenn die USA den Völkermord in Armenien anerkennen, dann ist dies ein unnützer Vorstoß, wenn die gleichen USA aber das Minarett-Verbot in der Schweiz kritisieren, dann ist dies wünschenswerte sachorientierte Kritik. Ich kriege Bauch…

  7. #7 Geoman
    März 23, 2010

    Richtig sollte es: “den Völkermord an den Armeniern” heißen

  8. #8 ali
    März 23, 2010

    Wir lernen vor allem, dass Geoman nach wie vor ein starkes Problem mit Leseverständnis hat.

    Habe ich geschrieben, die USA dürfen die Türkei nicht kritisieren, dass sie die historische Tatsache des Völkermorders nicht anerkennen?

    Haben Sie auch nur eines der Argumente im betreffenden Eintrag registriert oder gar verstanden?

  9. #9 Christian (P-chan)
    April 22, 2010

    Manche dieser Menschnrechtsverletzungen sind wirklich diskutabel und werden vermutlich je nach perspektive entweder Menschenrechtsverletzungen oder Menschnrechtswahrungen sein.

    Es ist eine schwierige Gradwanderung in unseren Gesetzen zwischen Einschnitt und Wahrung der Menschenrechte. Manche Schutzmaßnahmen werden in dem Bericht als Menschenrechtsverletzungen erwähnt (was nur zum Teil stimmt). Ich erwähne hier jetzt ein paar Themen nur Stichpunkthaltig da ich keine Lust habe über die einzelnen Punkt ezu diskutieren:
    Scientology, Kopftuchstreit, Einschränkung der Meinungsfreiheit von Rechtsextremisten, …

    Natürlich spiegelt der Bericht die amerikanische Sichtweise auf diese Themen wieder, denn wenn sie Scientology nicht als Religion anerkannt hätten, dann könnten sie es hier nicht anprangern. Außerdem gibt es selbst in Amerika den Diskurs ob Scientology eine Religion sei, ein Gericht versuchte das sogar mal zu klären.
    Dennoch dürfte 100%ige Neutralität bei einem solchen Bericht schwierig sein. Man kann nciht sagen sie würden sich nicht bemühen …. in jedem Fall ist er interessant zu lesen!