Zurück aus der Osterpause geht es bei zoon politikon gleich wieder um Nuklearwaffen, Sprengköpfe und die gegenseitig zugesicherte völlige Zerstörung.

Das Dokument habe dazu habe ich zwar noch nicht gesehen, aber Obama hat eine Änderung in der US Nuklearstrategie angekündigt. Die USA würden keine Nuklearwaffen gegen nicht-Nuklearstaaten verwenden, die das Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen unterzeichnet haben (Non-Proliferation Treaty, NPT). Soweit so gut. Das wurde schon 1978 in einer entspannteren Phase des kalten Krieges deklariert. Explizit ausgeschlossen wird nun auch eine nukleare Antwort auch im Falle eines Angriffs mit biologischen oder chemischen Waffen.

Im historischen Kontext wird erst klar warum das News ist. Vor allem wir, die den kalten Krieg bestenfalls bewusst nur noch in seinen letzten Zügen kannten, haben in erster Linie Gipfeltreffen und Händeschütteln als Erinnerungen an die grosse Konfrontation. Das reale Risiko, dass jemand aus vermeintlich militärischer Notwendigkeit oder vielleicht purem Irrsinn auf den roten Knopf drücken könnte, kennen wir bestenfalls aus zweiter Hand. Darum ein kleiner Rückblick.

Die auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfenen Bomben haben die Welt erschüttert. Militärs und Strategen waren sich einig, dass diese neue Waffe den Krieg völlig verändern werden. Dies wurde um so klarer als 1949 die Sowjetunion ebenfalls ihre erste Bombe testete. Die beiden Grossmächte hielten plötzlich eine Waffe in ihren Händen, die es erlaubte sozusagen per Knopfdruck ganze Länder auszulöschen. Kein Wunder wurde dies der Hauptfokus vieler Militärstrategen.

Dies führte zur Doktrin der Abschreckung. Die Idee dahinter ist simpel: Nuklearwaffen habe ein solch gigantisches Zerstörungspotential, dass niemand mit der Gabe rationalen Denkens mit solche angegriffen werden will. Doch bevor dank der Nuklearwaffen der ewige Friede ausgerufen wurde, stellte man fest, dass es in dieser Logik ein paar Unsicherheiten gibt. Was falls ein Land schnell genug zuschlägt und keine Zeit bleibt mit Nuklearwaffen zu antworten? Die Abschreckung würde verpuffen. Oder wenn man davon ausgeht, dass im Entscheidenden Moment die Entscheidungsträger zögern könnten. Wie glaubwürdig kann man dann noch von einer Abschreckung sprechen? Abschreckung funktioniert nur wenn die andere Seite davon überzeugt ist, dass man entsprechend zurückschlagen wird. Man braucht also gleichviele oder mehr Nuklearwaffen und muss diese gleich gut oder besser verteilen. Man muss eine glaubwürdige Zweitschlagkapazität haben. Dies war die Geburtsstunde der gegenseitig garantierter Zerstörung auf Englisch unter dem schönen Kürzel MAD bekannt, Mutually Assured Destruction. Es gab einige die gar überzeugt waren, dass es in naher Zukunft keine Kriege mehr geben wird und dass längerfristig konventionelle Waffen überflüssig werden.

Die Nuklearstrategie ist somit sehr wichtig. Sie ist eine Art Kommunikationsfenster, welches Abschreckung glaubwürdiger machen kann. Man definiert klar, wenn X passiert dann folgt Y. Passiert dann wirklich X muss man in der Logik eines Abschreckungsstrategen dann Y folgen lassen sonst verliert man jede Glaubwürdigkeit. Wenn das nun die andere Seite ebenfalls weiss, dann weiss sie auch, dass wir uns mit dieser Deklaration sozusagen die Hände binden. Sie wissen, dass wir wissen, dass sie wissen. Das ist wie im Sandkasten, einfach mit nuklearen Sprengköpfen statt mit Schäufelchen.

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Nach dem Ende des kalten Krieges schien es offen, was nun mit den ganzen Nuklearwaffen passieren wird. Einige sagten eine grosse Weiterverbreitung voraus, andere hofften wiederum auf den Ausbruch des lange erwarteten grossen Friedens. Es wurde schnell klar, dass die Atommächte nicht auf diese Waffen verzichten wollten oder konnten. Plötzlich wurde davon gesprochen Atomwaffen kleiner und leichter einsetzbar zu machen. Mit der Neuausrichtung auf den sogenannten “Krieg gegen den Terror” witterten die Verteidiger von Nuklearwaffen Morgenluft.

Die G. W. Bush Regierung bestätigte die Doktrin von 1978 liess es aber bewusst offen ob im Falle eines Angriffs mit chemischen oder biologischen Waffen nicht mit Nuklearwaffen geantwortet werden könnte. Unsicherheit kann auch der Abschreckung dienen. Damit räumt Obama nun auf. Obwohl er sich noch die Hintertür offen liess, dass man gegebenenfalls die Doktrin anpassen muss (z.B. wenn neue solche Waffen entwickelt werden) wird er nun von konservativer Seite unter Beschuss kommen, dass er eine Schwäche zeige und somit die USA verwundbarer mache.

Die USA haben jedoch vorläufig ausreichend militärische Schlagkraft um auch auf nicht-konventionelle Angriffe angemessen zu reagieren und eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Auch ändert sich ja nichts an der Nukleardoktrin was die anderen Atommächte betrifft. China wird nun kaum eine Invasion der USA zu planen anfangen.

Obamas Änderungen an der Nukleardoktrin mögen kosmetisch wirken, sie sind aber ein Schritt weg vom Zeitalter des nuklearen Wahnsinns.

Es gibt noch viel zu schreiben und ich sehe gerade, dass Walt bei Foreign Policy auch schon etwas dazu gepostet hat. Ich werde morgen wohl noch mehr dazu bloggen und mich Walts Thesen und den Fällen Nordkorea und Iran widmen.

Kommentare (7)

  1. #1 adenosine
    April 7, 2010

    Ob das nicht nur ein innenpolitisches Ablenkungsmanöver ist? Da macht es sich doch immer gut vom Krieg zu reden.

  2. #2 ali
    April 7, 2010

    @adenosine

    Ich bezweifle es. Von Rechts wird er nur noch mehr Kritik einstecken müssen und warum die andere Seite abgelenkt werden müsste im Moment, wüsste ich nicht. Ich glaube Obama hat sich das Nuklearthema wirklich zur Herzensangelegenheit gemacht (es ist auch ein wahrlich ‘präsidiales’ Thema).

  3. #3 Sven Türpe
    April 7, 2010

    Sehr schöne Erklärung. Aber was ist so eine Doktrin eigentlich wirklich wert? Eigentlich handelt es sich ja nur um ein Versprechen, zumal um eines, das sich auch nicht durch demonstriertes Verhalten untermauern lässt. Die mögliche Anpassung der Doktrin ist also nicht nur eine Hintertür, sondern eine jederzeit und notfalls auch kurzfristig verfügbare Option. Woher also wissen wir, dass das niemand mit gezinkten Karten spielt? Kann man Staaten auf ihre öffentlich erklärte Doktrin festnageln?

  4. #4 ali
    April 7, 2010

    @Sven Türpe

    Diese Frage spricht Stephen Walt in seinem Blogpost an und darüber werde ich heute noch schreiben.

  5. #5 ali
    April 7, 2010

    Ich muss das Niederschreiben meiner Gedanken zu Walt auf Morgen verschieben.

  6. #6 Christian A.
    April 7, 2010

    Spontan würd ich tippen, eine Doktrin erfüllt zweierlei:
    a) Sie gibt Handlungsanweisungen, die nach bestimmten Theorien oder Hypothesen angefertigt wurden und für einen Notfall schnelle Reaktion möglich machen. Das stimmt natürlich nicht, gibt ja auch solche Doktrinen wie die Monroe-Doktrin (Lateinamerika ist unser Hinterhof, wenn ich mich nicht irre). Das führt zu
    b) Eine Doktrin gibt nach außen Verläßlichkeit, d.h. andere Staaten können die möglichen Reaktionen des Doktrinärs abschätzen.

    Aber ich hab auch keine Ahnung und mich auch immer gefragt, was so ne Doktrin nun eigentlich soll. Deswegen warte ich ebenfalls gespannt auf die Auflösung! Denn es muss sich ja niemand an seine Doktrin halten (“was interessiert mich mein Geschwätz von gestern” 😉