Der bekannte Harvard Professor Marc Hauser wurde des wissenschaftlichen Fehlverhaltens überführt. Ich wollte die Geschichte aufrollen und darüber schreiben habe aber beim Googeln fesstellen müssen, dass das meiste von meinem Mit-Scienceblogling Nils abgedeckt wurde. Darum beschränke ich mich hier auf ein konkretes Beispiel dieses Fehlverhaltens.

Der Chronical of Higher Education zitiert ein internes Harvard Dokument in dem Vorwürfe betreffend eines konkreten Experimentes von Hauser diskutiert werden. Es illustriert wunderbar was ein solches Fehlverhalten sein kann, wie Selbstkontrolle in der Wissenschaft (nicht) funktioniert und was die Grauzonen sind.

Hauser machte in einem der fraglichen Experimente Verhaltensstudien mit Lisztaffen. Hauser und sein Team wollten untersuchen ob die Affen fähig sind, Veränderungen in Klangmustern festzustellen. Diese wäre ein Hinweis auf die Fähigkeit sich Sprache anzueignen. Der Experimentenaufbau war wie folgt: Jemand spielt eine Tonabfolge. Diese wird nach einer Weile verändert. Nun wird beobachtet ob der Affe auf diese Veränderung reagiert. Natürlich kann man den Affen nicht fragen. Ähnlich wie mit solchen Experimenten mit Babies versucht man eine Reaktion des untersuchten Objektes zu beobachten. Bei den Affen wäre die erwartete Reaktion, dass sie ihren Kopf in Richtung des Experimentators drehen.

Das Experiment wurde auf Video aufgezeichnet und danach unabhängig von einander die Reaktion der Lisztaffen ‘codiert’. Hauser und ein Forschungsassistent analysierten so die Reaktionen der Affen. Danach bat Hauser einen anderen Forschungsassistenten die Resultate durchzugehen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Hauser stellte fest, dass die Affen reagierten und zwar statistisch signifikant. Die vom ersten Forschungsassistenten aufgezeichneten Reaktionen hingegen zeigten dies nicht. Im Gegenteil: Es schien als ob die Affen eher reagierten, wenn sich die Tonfolge nicht änderte. Dies wäre ein negatives Resultat. Es würde bedeuten, dass Lisztaffen die Fähigkeit Veränderungen in Tonmustern zu erkennen nicht haben. Leider verkaufen sich solche Resultate schlecht.

Der zweite Forschungsassistent störte sich am Widerspruch des unterschiedlichen Codings. Dieses ist noch kein eigentliches Warnsignal für ein Fehlverhalten. Gerade weil solche Widersprüche oft vorkommen (Menschen sind halt schlechte Messgeräte) hat man mindestens zwei Personen die sich unabhängig von einander sich dem Coding annehmen. Der Forschungsassistent schrieb also an Hauser eine e-mail und schlug vor, das Coding von einer dritten Personen erneut machen zu lassen. Hier wird die Geschichte nun seltsam.

Hauser reagierte nach einem Hin und Her zunehmend gereizt (“I am getting a little bit pissed here”) und schrieb, dass er keine Widersprüche sehen würde. Ohne Hausers Erlaubnis haben dann zwei seiner Forschungsassistenten die Analyse wiederholt. Immer noch gemäss dem internen Harvard Dokument, stellten sie fest, dass Hausers Coding schlicht falsch war und bestenfalls Wunschdenken entsprang. Er benutzte falsche Daten und war nicht bereit diese für eine Publikation zu hinterfragen. Offensichtlich war diese Experiment kein Einzelfall.

Dieser Vorfall illustriert einige Aspekte solcher Experimente gut. Erstens sieht man wie leicht man bei der Planung oder Ausführung eines solchen Experimentes betrügen kann. Viel basiert auf Vertrauen und das einzige was getan werden kann, ist so transparent wie irgendwie möglich zu arbeiten. Zweitens sieht man gut wie die Selbstkontrolle funktioniert (natürlich nur in der Annahme, dass der beschriebene Prozess wirklich so stattfand). Der Experimentenaufbau hatte eine eingebaute Kontrolle. Einige der beteiligten Forscher hinterfragten die eigenen Resultate und die der anderen. Widersprüche wurden nicht einfach stehen gelassen. Sie taten dies, obwohl sie riskierten, dass das Experiment als Misslungen betrachtet werden musste und sie daraus persönliche Nachteile haben würden (Zeitverlust, eventuell keine Publikation). Drittens sieht man, dass es immer eine gewisse Grauzone gibt. Menschen sind fehlbar, sehen verschiedene Dinge und Resultate sind oft nicht 1 oder 0. Die Grenze von gutwilliger Interpretation zu Wunschdenken zu willentlichem Betrug sind oft fliessend.

Auch die Rolle der universitären Hierarchie sieht man schön. Es ist oft üblich (zumindest so kenne ich es), dass dem Coding des Professors mehr Gewicht gegeben wird, manchmal wird gar empfohlen, dass Forschungsassistenten gar kein Coding machen sollten. Hauser war an den entscheidenden Hebeln für das Einreichen der Publikation und nutzte seine Position in dieser Hierarchie aus. Gleichzeitig muss man auch sagen, dass unter anderem wegen der Forschungsassistenten, das Fehlverhalten aufgedeckt wurde.

Mit seinem Fehlverhalten hat Hauser nun ein schlechtes Licht auf seine ganze Arbeit geworfen. Da das unsaubere Arbeiten offensichtlich keine einmalige Angelegenheit war, sondern über Jahre und systematisch praktiziert wurde, kann man nicht einfach von einem einmaligen Fehltritt sprechen. In einem meiner Forschungsprojekte stütze ich mich auf Artikel von Hauser (glücklicherweise nicht die zurückgezogenen). Nun stehe ich vor dem Dilemma ob ich diese Referenzen drin lassen soll oder nicht. Sein Fehlverhalten hat Auswirkungen die weit über Harvard und Hausers Arbeit hinaus gehen.

Die zurückgezogene Artikel sind:
Rule learning by cotton-top tamarins,”Cognition 86, B15-B22 (2002)
Rhesus monkeys correctly read the goal-relevant gestures of a human agent,” Proceedings of the Royal Society B 274, 1913-1918 (2007)
The perception of rational, goal-directed action in nonhuman primates,” Science 317, 1402-1405 (2007)

Kommentare (12)

  1. #1 Ulrich Berger
    August 26, 2010

    Na toll. Vor mir im Regal steht Hausers “Moral Minds”, das ich demnächst studieren wollte, weil es für meine Arbeit gerade ein bisschen relevant ist. Jetzt ist mir der Appetit vergangen.

  2. #2 Ingo Bading
    August 27, 2010

    unheimlich. Wenn man schon so viel von Marc Hauser gelesen und dadurch schätzen gelernt hat. Eine etwas ratlose Frage: Vielleicht hätte er – wie Richard Dawkins – nur Bücher schreiben sollen und das Experimentieren anderen überlassen sollen?

  3. #3 Evil Dude
    August 27, 2010

    Was mich da unheimlich interessieren würde ist, was er, falls er seine Fehler einsieht, als Erklärung anzubieten hat. Gibt es da schon was?

  4. #4 Teoman
    August 28, 2010

    Im Wissenschaftsberieb ist schon soviel gelogen, unterdrückt und manipuliert worden, dass Sie sich keinen Zwang antun müssen, Marc Hauser zu zitieren. Empörung ist da völlig unangebracht, denken wir nur an den ebenso renommierten wie dubiosen Verhaltensforscher Konrad Lorenz.

    Wer weiß denn schon, wo Sie vermutlich in Ihrer Doktorarbeit keine Experimente machen oder interpretieren müssen, ob Sie es besser machen?

  5. #5 ali
    August 28, 2010

    @Evil Dude

    Spezifisch zum Experiment ist mir keine Äusserung bekannt. Im Allgemeinen hat Hauser nur gesagt:

    “I acknowledge that I made some significant mistakes (…) I am deeply sorry for the problems this case had caused to my students, my colleagues and my university.”

    @Teoman

    Charmant. Nach langem wohltuendem Schweigen unterstellen Sie mir nun gleich Betrug und das ohne auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben was ich eigentlich mache? Für Sie ist die Tatsache, dass jemand im akademischen Betrieb tätig ist schon genug um grundsätzlich einer ganzen Liste von Charakterschwächen verdächtig zu sein. Wieder einmal herzlichen Dank für einen differenzierten und sachlichen Beitrag.

  6. #6 docfalcon
    August 28, 2010

    Ignorieren, diesen Teoman. Scheint eine ausgeprägte Wissenschaftsphobie zu haben…

  7. #7 S.S.T.
    August 29, 2010

    Im Wissenschaftsbetrieb sind Fälschungen in der Tat durchaus vorhanden, wobei ich Irrtümer, Fehlinterpretationen etc., was letztendlich auf das Gleiche hinaus läuft, für wesentlich schwerwiegender halte. Man könnte auch sagen, die Menschen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen außerhalb desselben.

    In den Wissenschaften fliegt Betrug vor allem dann schnell auf, wenn das Ergebnis relevant ist, weil sich dann viele Arbeitgruppen darauf stürzen. So auch in einem Fall vor einigen Jahrzehnten in Bonn, wo ‘nachgewiesen’ wurde, dass starke Magnetfelder chem. Reaktionen stark beeinflussen können. Das sensationelle Ergebnis wurde leider nur mit Taschenspielertricks erzielt und erwies sich nach kurzer Zeit als Schall und Rauch.

    Unwichtige Ergebnisse können sich länger halten, aber regelmäßig kommt eine blöde Kuh vorbei, die das Gras, das darüber gewachsen ist, wieder abfrisst.

  8. #8 Webbaer
    August 29, 2010

    Die Reproduzierbarkeit bildet zusammen mit Mängeln/Unkenntnissen bei der Beweisführung ein wachsendes Problem im Bereich der Biologie, dazu kommt dann das betrügerische Element, da dort auch “nur” Menschen sind, wie SST ausführt.
    Vieles bleibt -bei ansteigender Komplexität in den Forschungsbereiche- unentdeckt.

    In der Wirtschaft ist das auch so, Mathematiker liefern Wunschergebnisse für die Analysten und auch für den internen Abnehmer, ders vielleicht für eine Vorstandssitzung oder für die Hauptversammlung so braucht.
    Man scheint insgesamt ein wenig lockerer und fröhlicher geworden zu sein.

    MFG
    Wb

  9. #9 S.S.T.
    August 29, 2010

    @Webbaer

    Es gibt harte und weiche Fakten.

    Ein Analysenergebnis ist ein harter Fakt, der auch jederzeit von Anderen mit anderen Methoden (innerhalb der Genauigkeit) reproduziert werden kann.

    Eine Beobachtung ist ein weicher Fakt, der automatisch interpretiert wird. Die Fehlerquellen hier auszumerzen, ist viel, viel schwerer als bei obigem.

    All das darf man nicht mit Prognosen verwechseln, denn diese sind in schöner Regelmäßigkeit Kaffeesatzleserei.

    Bei ‘falschen’ Beobachtungen, Prognosen etc., aka Interpretationen von Betrug zu reden, verlangt schon eine Menge von Indiz/Beweismittel. Bei gefälschten Analysen ist der Fall glasklar.

    Aber nochmals: Menschen sind nun einmal Menschen. Wenn der Knochen des Vorteils winkt, schnappen sehr viele danach. Und da wir es ja gerade mit unbestätigten Prozenten haben: (nach meiner Überzeugung:) Die überwältigende Mehrheit, also >>75%.

  10. #10 Theoman
    August 29, 2010

    @Ali schrieb:

    “Charmant. Nach langem wohltuendem Schweigen unterstellen Sie …”

    Auch ich habe Ihre Sommerpause genossen…

  11. #11 ali
    August 30, 2010

    @Theoman

    Ich erkläre Ihnen bei Gelegenheit mal wie man Bookmarks löscht.

    Offensichtlich hängt unser beider Glück an Ihrer Fähigkeit dies zu tun.

  12. #12 Simon
    September 10, 2010

    Im Kontext welches Forschungsprojekt hast du denn welche Artikel von Hauser zitiert? Frag mich nur wie man das in sozialwissenschaftliche Forschung einbaut.