Am 19 März 2011 also etwas weniger als vier Monaten, begann eine internationale Koalition, eine Flugverbotszone in Libyen durchzusetzen. Obwohl die genauen Kriegsziele nicht klar waren, kann man davon ausgehen, dass die meisten Beteiligten mit einer kurzen und sehr beschränkten Intervention rechneten. Inzwischen kommen Zweifel auf.
Es scheint fast eine Konstante zu sein, dass jeder Krieg am Anfang als von kurzer Dauer eingeschätzt wird. Beim ersten Weltkrieg hiess es bei Kriegsbeginn im August, dass man “Weihnachten wieder zu Hause” sein werde. Viele dachten, dass der zweite Weltkrieg nur von kurzer Dauer sein werde (so rechnete zum Beispiel Thomas Mann nur mit einem kurzen Exil). Als 2001 die Koalition in Afghanistan einmarschierte, glaubte von den Besatzern kaum jemand, dass man zehn Jahre später immer noch nach einem Ausweg suchen würde. Auch beim letzten Irakkrieg 2003 liess Rumsfeld seine Truppen nach Bagdad rasen und meinte in einem Augenblick sie wieder nach Hause holen zu können. Acht Jahre später plant man immer noch den Abzug.1
Über die Gründe für diese fast schon systematischen Fehleinschätzungen kann ich nur spekulieren. Wunschdenken und Zweckoptimismus spielen sicher eine Rolle. Ein weiteres Problem ist vermutlich der Wunsch die Öffentlichkeit zu überzeugen. Ich glaube nicht, dass die Entscheidungsträger oft tatsächlich mit einem langen Krieg rechnen, aber diese Möglichkeit lieber nicht ansprechen. Es gibt Stimmen, die zum Beispiel meinen, dass der Vietnamkrieg verlängert wurde, weil mit Blick auf die öffentliche Meinung zu wenig Truppen eingesetzt waren und jeder Präsident sich gleichzeitig einen Rückzug für “nach der Wahl” vornahm. Auch die Stimmung in der Bevölkerung mit Afghanistan, dem Irakkrieg und jetzt in Libyen kippte erst später und Anfangs war eine gewisse Unterstützung auszumachen.
Es ist mir keine Arbeit bekannt, die sich dieser Frage annimmt (aber es gibt sie bestimmt, es ist nicht so, dass ich die Literatur zum Thema sehr gut kennen würde). Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht die bei uns in der Disziplin standardmässig verwendete Datenbank Correlates of War (COW) die alle militärische Konflikte bis zurück ins Jahr 1816 enthält. In einem älteren (1996) allgemeinen Artikel zu COW gehen Jones, Bremer und Singer auch kurz auf die Konfliktlänge ein (pdf Version findet sich hier). Es gibt gemäss den Autoren verschiedene Faktoren, die die effektive Konfliktlänge beeinflussen. Die wichtigste Beobachtung ist, dass je länger ein Konflikt dauert, desto schwieriger ist es, diesen zu beenden (die Autoren lassen es offen, ob dies mit einem verhärten der Positionen zu tun hat oder ein statisches Artefakt ist). Wenn eine Seite auf den Angriff antwortet verlängert dies den Konflikt. Den selben Effekt hat jede Eskalation. Je mehr die Auseinandersetzung eskaliert, desto länger dauert der Konflikt. Ebenfalls verlängernd wirkt, wenn weitere Parteien nach Konfliktbeginn dazustossen.
Was das für Libyen bedeutet weiss ich nicht. Interessant ist jedoch, dass der anfänglich Zweckoptimismus einer Lotterie ähnelt. Es gibt sie zwar die kurzen Konflikte. Vermutlich ist es jedoch kaum möglich voraus zu sagen welche dies sein werden. Wenn die Auseinandersetzung aber einmal andauert, scheint es immer schwieriger zu werden, diesen zu beenden. So werden auch “kurze Kriege” zu Jahre andauernden militärischen Auseinandersetzungen. Dies wäre ein weiterer Grund wohldefinierte Kriegsziele und vor allem auch eine klare Exit-Strategie zu haben.
1Bei den Beispielen Irak und Afghanistan kann man sich natürlich streiten ob nach wie vor ein Konflikt in Gange ist.
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