Nach der Schweizer Abstimmung von vor zwei Wochen, ist der erste Schreck (respektive für manche freudige Überraschung) nun langsam verflogen. Der Bundesrat (die Exekutive in der Schweiz) will sich bis Ende Jahr mit einem Vorschlag zur Umsetzung Zeit lassen. Die EU will verhandlungstaktisch verständlicherweise gar nichts unternehmen, bis ein solcher auf dem Tisch liegt. Die akademische Welt hat schon die ersten Schockwellen abkriegt, da die EU Horizon 2020 und Erasmus Plus auf Eis gelegt hat. Laufende Verhandlungen zu einem Energieabkommen wurden ebenfalls sisitiert. Die grosse Frage ist: Wie wird die Initiative umgesetzt?

Da der freie Personenverkehr ein Abkommen unter mehreren ist, die alle mit einander verknüpft sind, wird eine Neuverhandlung unausweichlich sein, das sollte hoffentlich auch den naivsten unter den Befürworterinnen und Befürworter klar sein. Für eine solche Neuverhandlung müsste man aber zuerst wissen, was man eigentlich will. Die Schweizerische Volkspartei wird natürlich sicherstellen, dass das Bekämpfen der Umsetzung der Initiative ihr möglichst lange politische Dividenden bringen wird. Es wird nie genug Kontingentierung sein. Es wird immer der “Volkswillen missachtet” werden. Die hauchdünne Mehrheit wird wohl in der kollektiven Erinnerung implizit zum überwältigenden Mehr. Darum hier der Hinweis auf einen sehr interessanten Vorschlag, wie man die Initiative umsetzen könnte und der SVP geben, was sie auch sonst immer verlangt.

Die Schweizerische Volkspartei ist nämlich auch eine starke Befürworterin von Föderalismus und gegen linke Zentralisierungstendenzen. So hat sie sich zum Beispiel mit genau diesem Argument in einigen Kantonen erfolgreich gegen die Harmonisierung (das klingt ja schon wie “Gleichschaltung”!) der obligatorischen Schule gewehrt. Ein anderes föderalistisches Steckenpferd ist der Steuerwettbewerb unter den Kantonen. Sie schreckt in diesem Kampf auch nicht davor zurück dem Bundesgericht “einen Schlag gegen die Demokratie” vorzuwerfen, wenn es sich nur erlaubt, einen mässigen Eingriff vorzunehmen. Auch dort kann der Markt natürlich richten, woran zentrale Planung scheitert.

Nun habe ich auf dem forausblog.ch gestern einen Artikel gefunden, der einen Vorschlag macht, den die SVP unmöglich ablehnen kann. Ein Vorschlag, der ihr Kontingente, mehr Föderalismus und mehr Wettbewerb bringt. Die Idee ist einfach: Die von der Masseneinwanderungsinitiative geforderte Kontingentierung soll den Kantonen überlassen werden. Dies macht ökonomisch Sinn, da die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Kantone sehr unterschiedlich sind. Es ist politisch sinnvoll, bedenkt man wie gross die regionalen Gräben waren, die im Abstimmungskampf zu Tage getreten sind. Auch sind die Kantone sicher viel näher am “Volkswillen” dran, als das “ferne” Bern. Eine Distanz auf die die SVP doch auch immer gerne hinweist. Genf und Basel könnten dann so viele EU Arbeitskräfte holen, wie sie wollen. Das Tessin kann sich abschotten, bis der Gotthard ganz mit Stacheldraht umwickelt ist. Der Bund (so nennen wir den Zentralstaat bei uns) müsste gewisse Leitplanken setzen um Dinge wie Familiennachzug und das Asylwesen sicher zu stellen. Für Ausländerinnen und Ausländer würde dies zwar die Personenfreizügigkeit innerhalb der Schweiz nicht gewährleisten, aber wer sowieso Kontingente fordert, ist kaum um deren Bewegungsfreiheit besorgt.

Ich habe den Verdacht, dass ein solcher Vorschlag von der SVP bitter bekämpft werden würde. Akzeptieren wird doch kurz deren Prämisse, dass wir in der Schweiz ein Platzproblem haben. Dieses Szenario erinnert dann doch stark an die Tragik der Allmende (oder wie hier schon beschrieben: Das Schlumpfproblem). Das kollektive Gut (die Allmende oder wenn man darauf besteht, die Schlümpfe) wird aus rein individuellem Vorteilsdenken übernutzt. Dies impliziert aber auch einen individuellen Vorteil aus der Nutzung (etwas was die SVP natürlich abstreitet, denn die Fremden schaden uns in ihrer Sicht). Stimmt hingegen die Sache mit dem Platzproblem nicht oder ist der freie Personenverkehr doch nicht so schädlich, dann sollte eine kantonale Regelung ganz im Sinne der SVP sein. Oder hört Föderalismus dort auf, wo heimatmüde Westschweizer selber entscheiden können?

Dieses Experiment würde ich gerne sehen. Ich vermute, es würde praktisch den Status Quo wiederherstellen. Kantone mit geringer Einwanderung (eher die Ja-Kantone) würden ganz “strenge” Kontingente haben, die anderen so liberale, dass sie nicht wirkliche Beschränkungen auferlegen würden. Eher zweigeteilte Kantone würden sich wohl mittelfristig ökonomisch zur Einsicht gelangen und einen neuen Pragmatismus entdecken. Eine Marktlösung eigentlich ganz im Sinne der SVP. Wie man mit den bilateralen Verträgen nach dem EWR-Nein die Illusion eines Alleinganges geschaffen hat, würde man so die Fiktion von Einwanderungs-Kontingenten aufrechterhalten. Heidiland wäre gerettet.

Ob die EU bei diesem Freilicht-Experiment mitmachen würde, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

 

 

Kommentare (13)

  1. #1 rolak
    Februar 19, 2014

    Schicker Exploit 😉

  2. #2 Arnd
    Februar 20, 2014

    Ich denke mal die EU würde nicht mitmachen. Außerdem müsste man dann ja innerhalb der Schweiz Kantons-Grenzkontrollen einführen, ich glaube das wäre etwas unpraktisch 🙂

  3. #3 ali
    Februar 20, 2014

    @Arnd

    Es ginge wohl auch ohne Grenzkontrollen. Wir haben ja nichts gegen Durchreisende, die etwas Geld bei uns deponieren möchten. Es geht also nur um Arbeits- und Niederlassungsbewilligungen. Das kann man auch ohne Grenzkontrollen bewerkstelligen.

  4. #4 Wilhelm Leonhard Schuster
    Februar 20, 2014

    @Eu Diese Eu scheint die Schweizer Eidgenossenschaft , nicht für einen souveränen Staat zu halten.
    Die Eidgenossenschaft lehnt “einen Punkt” der Zusammenarbeit mit der EU ab.
    Die EU heult derowegen auf und sagt :Böse Eidgenossen,
    wer nicht hören will soll fühlen-wir bestimmen doch wie es wohin, langgeht cetera …!
    Irgendwie zum Lachen!

  5. #5 Orci
    Februar 20, 2014

    Die EU verteidigt ihre Interessen, wie die Schweiz die ihrigen verteidigt. Ich frage mich manchmal, wie Leute Geschäfte machen, wenn ihnen nicht klar zu sein scheint, was sich hinter dem Wörtchen “Vertrag” verbirgt.

    Davon abgesehen: Welchen Stand de jure haben nach der Abstimmung eigentlich die in der Schweiz lebenden und arbeitenden Ausländer? Sind sie akzeptiert, weil sie für sich selbst und die Schweiz nutzbringend arbeiten, toleriert, weil sie das Glück hatten, vor der Abstimmung in die Schweiz zu ziehen oder geduldet, bis man das Abstimmungsergebnis in geltendes Recht in Form von Gesetzen gegossen hat?

  6. #6 Jan
    Februar 20, 2014

    @Wilhelm Leonhard Schuster: Natürlich versteht die EU die Schweiz als souveränen Staat. Allerdings hat die Schweiz diverse Verträge mit der EU, welche natürlich nicht einzeln zu betrachten sind, sondern in einem Gesamtkontext zustandegekommen sind. Und eine der wichtigsten Grundlagen davon ist nun einmal die Freizügigkeit. Wenn ein Partner diese aufkündigen möchte, dann darf er das gerne tun, muss aber eben auch mit den Folgen rechnen.

    Die Verträge sind eben nicht isoliert zu betrachten, sondern als enge Vernknüpfungen. Sonst könnte eine Seite immer die ihr unliebsamen Verträge kündigen und nur die positiven Aspekte akzeptieren (wobei ich an Einwanderung nichts Negatives erkennen kann). Warum sollte die Schweiz also alle Vorteile durch die EU behalten und die EU keine Vorteile von der Schweiz haben?

  7. #7 G.K.
    Februar 20, 2014

    Das kann ja bunt werden: Die EU-Kommission in Brüssel wird also mit gezielten Massnahmen bloss darauf achten müssen, dass sich der Schweizer Spaltpilz der “Direkten Demokratie” nicht zu sehr in den EU-Mitgliedgliedstaaten ausbreiten kann, weil sie sonst auseinanderfallen könnte, – und im übrigen kann sie zuschauen, wie in der Schweiz eine föderalistische Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative zu einer Bedrohung des Zusammenhalts der Kantone untereinander, zu einem weiteren Auseinanderdriften der welschen und deutschsprachigen Landesteile und zu einer Verschärfung des Stadt-Land-Gegensatzes führen würde.

    Falls die EU aber Bestand haben sollte, würde die Schweiz allmählich zu einem EU-Protektorat, zu einer Art Sonderverwaltungszone degradiert.

    (In den Köpfen der SVP ist Helvetien vom Genfer- bis zum Bodensee eben immer noch von einem zusammenhängenden Eichenwald, einer Allmende, bedeckt, dessen immerwährender Reichtum, die Eicheln, gegen die fremden Horden von Wildschweinen verteidigt werden muss …)

  8. #8 Trottelreiner
    Februar 20, 2014

    @Jan:
    Naja, nur dem Teil eines Vertrages nachkommen der einem gefällt könnte lustige Folgen haben. Betrachten wir z.B. das Abstraktionsprinzip im deutschen Recht:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Abstraktionsprinzip

    Nach diesem zerfällt ein Kaufgeschäft in den Kaufvertrag, die Übereignung des Gutes und die Übereignung der Bezahlung.

    Ich denke mal die Welt wäre ein interessanterer Ort, wenn die Partner nur eine der beiden Übereignungen für nötig erachten würden…

  9. #9 Trottelreiner
    Februar 20, 2014

    Eh, und @ali:
    Sehr elegante Lösung. Nur frage ich mich, wie lange es dann bis zum nächsten Sonderbundkrieg dauert…

  10. #10 Wilhelm Leonhard Schuster
    Februar 20, 2014

    @Jan, ich bin kein diesbezüglicher “Vertragsspezialist ”
    aber die Logik sagt mir, daß ein wesentlicher Unterschied
    zwischen EU Mitgliedern und sonstigen Staaten besteht.
    Und die Schweiz ist nun mal ein:
    “sonstiger Staat!”
    In diesem Falle könnte man die US Staaten näher betrachten.
    Wie mir scheint , können die einzelnen US Staaten sehr viel
    (auch schwieriges wie die Todesstrafe ?)
    unabhängig vom Zentralstaat regeln.
    Die Finanzen sowieso , da gibt es keinen Finanz- Ausgleich wie bei uns ct.-hörte ich!
    “Innenland-Wanderung” ist allerdings dort unbehindert möglich.

  11. #11 ich-halt
    Februar 21, 2014

    Ich bin selbst erst vor einem knappen halben Jahr in die Schweiz ausgewandert, zu einer Familie, die “ja” gestimmt hat (ich fand das auch komisch, ja…). Hier wurde mir immer versichert, dass das ja nicht gegen mich der gegen Ausländer geht (höchstens gegen die ausm osten…) sondern man ja nur der EU ans Bein pissen möchte. Mir stellt sich da einfach bis heut immer die Frage, warum man das bitte auf so eine dämliche Art machen musste. Das wäre doch auch viel eleganter gegangen, man hätte doch zB die vorteile bei der Einwanderung für EU-Bürger abschaffen können (erst die L-Bewilligung für ein Jahr, anstatt sofort die B zB)
    Naja, mal kucken, wies jetzt weiter geht und ob ich die C-Bewilligung noch sehen darf, oder ob ich direkt rausgeschmissen werd 😉

  12. #12 Wilhelm Leonhard Schuster
    Februar 21, 2014

    Ich bedaure, Anfangs der 60ziger Jahre, nicht in der Schweiz angeheuert zu haben.
    Der Fam. Unternehmer sicherte mir zu, ich werde gewißlich nicht Raus-geworfen.
    Aber mein Vertrauen in die, überall, allgemein knallhart handelnde Unternehmerschaft, war damals schon so stark angekratzt, daß ich einen Rückzieher machte.
    War möglicherweise ein Fehler!

  13. #13 Hobbes
    Februar 22, 2014

    Ich finde die Idee an sich sehr gut. Damit die EU da mitspielt müsste es allerdings Kantone geben die eine “unbegrenzte” Anzahl aufnehmen. Das Mindestens immer eines dieser Kantone beliebig viele EU-Mitbürger aufnimmt müsste die Schweiz dann vertraglich zusichern. Alles andere Kann gar nicht funktionieren, denn sonst würde sich die EU ja irgendwann wirklich in Verhandlungen mit irgend welchen Provinzen befinden.

    Auch wenn diese Idee so leider nie kommen wird. Das Gedankenexperiment ist doch irgendwie witzig.