Viele Straßen auf dem Campus Süd des KIT (ehemals die Uni Karlsruhe) sind benannt nach bekannten Persönlichkeiten, die hier geforscht und gearbeitet haben.
Mein Arbeitsplatz befindet sich beispielsweise am Fritz-Haber-Weg, an dessen einem Ende auch eine Haber-Bosch-Säule den Rasen schmückt. In der Regel haben die Straßenschilder auch noch einen zusätzlichen Text mit einer Kurzbiografie.

Warum ich das hier breittrete? Nun, vor ein paar Tagen kam mir bei einem Kurzbesuch am Institut das Straßenschild vom Fritz-Haber-Weg irgendwie komisch vor. Und dann habe ich gemerkt warum, und gleich die Handykamera gezückt:

Image 201011172355.jpg
(aufs Bild klicken für eine größere Ansicht)

Tatsächlich wurden alle Schilder überklebt, so dass die Straße nun Clara-Immerwahr-Weg heißt! Wer das war, und warum gerade sie, das geht wohl eindeutig aus dem Biografietext hervor. Die Frage ist wohl eher, wer ist der Straßenumbenenner aus dem Karlsruher Untergrund, und warum die Aktion?
Ich habe mich jedenfalls gleich auf dem Campus auf die Suche gemacht, konnte aber keine weitere umbenannte Straße finden. Eine kurze Recherche online hat mich dann in meiner Vermutung bestätigt: Es geht um die Debatte um die sogenannte “Zivilklausel”, die im Vorfeld des Zusammenschluss von Universität Karlsruhe und Forschungszentrum Karlsruhe aufkam.

Am 1.10. entstand das KIT aus der Fusion der Universität Karlsruhe (Campus Süd) mit dem Forschungszentrum Karlsruhe (Campus Nord). Das sogenannte “KIT-Zusammenführungsgesetz” bildet dafür die rechtlichen Grundlagen.

Am Forschungszentrum war bereits eine Zivilklausel mit dem Text “Die Einrichtung verfolgt nur friedliche Zwecke” in Kraft, die auf Wunsch des Forschungszentrums für das neue KIT übernommen werden sollte.

Nachdem sich viele MitarbeiterInnen des Forschungszentrums bereits intensiv für eine einheitliche Zivilklausel eingesetzt hatten, sprach sich in einer Urabstimmung im Januar 2009 eine deutliche Mehrheit (63 %) der Studierenden dafür aus, obwohl konservative und liberale Studierendengruppen dagegen agitiert hatten. Auch das Plenum des im Rahmen der bundesweiten Bildungsproteste besetzten Redtenbacher-Hörsaals sprach sich fast einstimmig gegen Militärforschung am KIT aus.

Trotz der angestrebten Vereinheitlichung sieht das im Juli 2009 verabschiedete KIT-Gesetz eine getrennte Zivilklausel vor, die für den “Großforschungsbereich” gilt, für den “Universitätsbereich” allerdings nicht. Dieser Spagat dient offensichtlich dazu, weiterhin die Tür für militärische und zivilmilitärische Forschung offen zu halten, die nachweislich an der Universität stattfindet.

Die Straßenschild-Aktion stammt übrigens dem Artikel nach vom “Institut für angewandte Tautologie”.

Kommentare (6)

  1. #1 Florian Freistetter
    Januar 3, 2010

    “Die Einrichtung verfolgt nur friedliche Zwecke”

    Ist ja prinzipiell gut und richtig. Aber wie soll das praktisch umgesetzt werden? Dürfen die Physiker nicht mehr an der Relativitätstheorie forschen? Mit dem Wissen kann man ja Atombomben bauen… Alles kann im Prinzip so verwendet werden, das es nicht mehr friedlich ist.

  2. #2 Der Bo
    Januar 3, 2010

    @Florian
    Ich glaub da gehts eher darum, dass man nicht aktiv für das Militär forschen darf, also sich deren aktuellen Problemstellungen mit dem Militär als Auftraggeber widmen darf.

    Zum Beispiel gibt es am KIT ein “Sonderforschungsbereichs Kognitive Automobile”, einer deren Leiter auch an der Bundeswehr Universität München arbeitet und aktiv für die Bundeswehr an fahrbaren Robotern arbeitet. Mit einer umfassenden Zivilklausel wäre so ein Projekt sicherlich höchst fragwürdig.

    Nicht immer alles gleich wortwörtlich nehmen. Am Ende so einer Entscheidung ob Forschung friedliche oder militärische Zwecke verfolgt steht immer ein Mensch mit Verstand, der weiß, dass mit der Klausel nicht gemeint ist, dass ich meinen neu entwickelten Feststoff jemand anderem an den Kopf werfe.

  3. #3 Alexander
    Januar 3, 2010

    Der Bo hat Recht, es geht mehr um Bestimmungen, direkt Fördermittel von Bundeswehr etc. für die Forschung zu erhalten. Betrifft mich als Biologen wohl weniger als die in Karlsruhe zahlreicheren Studiengänge, wie die Informatik oder den Maschinenbau.

  4. #4 Ludmila
    Januar 3, 2010

    Zum Thema Geld von der Bundeswehr bzw. der NATO. Bei uns hatten die angewandten Geophysiker zwischenzeitlich Projekte, wo es darum ging, ob man mit geoelektrischen Mitteln Minen im Erdboden finden kann. Es ging z.B. um die Entsorgung von Minen, die aus der Zeit der Auflösung von Jugoslawien stammten. Das Ergebnis war übrigens nicht so praxis-tauglich. Viel zu aufwendig und zu hohe Fehlerrate.

    Das Projekt wurde zwar von der NATO gefördert, diente aber eher der Entmilitarisierung.

  5. #5 Paula Schramm
    Januar 4, 2010

    Eine schöne Aktion finde ich. Nicht nur ist Clara Immerwahr eine bedeutende Figur was die Rechte von Frauen an Bildung angeht, auch ihr Einsatz für Frieden und Respekt vor Leben finde ich bewundernswert. (Ja, ich bin ein bisschen ein Clara-Fan) Leider gibt es nicht viel über sie zu lesen und kaum photographische Dokumente von ihr. Ich wünschte mir das auch Fritz Haber öfter im Zusammenhang mit seiner ersten Frau diskutiert würde und wir in unseren Erstsemestervorlesungen nicht nur von nobelpreistragenden Stickstoffdüngererfinder hören würden. Im Rahmen der Diskussion um Zivilklauseln ist das so aber eine wirklich gelungene Erinnerung.

    Und ich finde die Formulierung über friedliche Zwecke lässt es schon offen an Minenbeseitigungsmethoden für die NATO zu forschen, es hängt halt davon ab was die Uni machen will und wie sie die Klausel interpretiert, die ja letztendlich ehr eine Willensbekundung ist.

  6. #6 Engywuck
    Januar 4, 2010

    wenn die Klausel interpretiert werden *muss* ist sie letztlich wertlos.

    Beispiel: Auftrag der Bundeswehr zur Entwicklung einer Mikrowellenwaffe, um Terroristen abzuwehren und dadurch “den Frieden zu schützen”. Friedlich oder Militärisch?
    Entwicklung von Raketen für schwere Forschungssatelliten – die auch Kernwaffen tragen können… Friedlich oder militärisch?
    Erforschung neuer Sprengstoffe “für den Bergbau” – friedlich oder militärisch?
    Verbesserung der Interaktion von Computern bei Ausfall eines großen Teils des Netzes. Friedlich oder Militärisch?