Die Effekte des Chaos auf die Bewegung von Himmelskörpern sind ein ständiges Thema in der Himmelsmechanik. Ob das nun das Chaos im Sonnensystem ist, chaotische Effekte bei Asteroiden oder aber die Dynamik von Sternen in Galaxien. Das war auch das Thema über das heute George Contopoulos von griechischen Akademie der Wissenschaft bei der Himmelsmechanikkonferenz gesprochen hat. Der Titel seines Vortrags lautete “Chaotic Spiral Galaxies” und wie man schon vermuten kann, geht es um das Chaos auf galaktischer Ebene.

Spiralgalaxien gehören zu den schönsten Anblicken die das Universum zu bieten hat. Hier ist eine; sie heisst NGC 1300:

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Man könnte glauben, dass die wunderbaren Spiralarme tatsächlich konkrete, aus Sternen bestehende Strukturen sind, die sich so wie die Speichen eines Rades um das Zentrum der Galaxie drehen. Aber eigentlich sind die Spiralarme das sichtbare Ergebnis von Dichtewellen die von der galaktischen Gravitation verursacht werden. In den Bereichen der Spiralarme wird das interstellare Gas verdichtet und Sterne leuchten auf. Die bleiben aber nicht dort; ein Spiralarm besteht nicht immer aus den gleichen Sternen.

Besonders interessant wird es, wenn man Balkenspiralgalaxien betrachtet. Die bestehen nicht nur aus einer kugelförmigen Zentralregion; umgeben von der Scheibe mit den Spiralarmen sondern besitzen zusätzlich noch einen “Balken”, der ausgehend vom Zentrum die Spiralarme verbindet (im Bild oben ist das schön zu sehen). Dieser Balken sorgt nun dafür dass eine zusätzliche gravitative Störung auf die Bahnen der Sterne in den Spiralarmen wirkt. Und das führt dazu, dass die Bahnen von Sternen in Balkenspiralgalaxien größtenteils chaotisch sind.

Das klingt etwas verwirrend: wenn die Bahnen chaotisch sind, sollte die Galaxie dann nicht eher eine strukturlose Masse aus Sternen sein anstatt solche beeindruckenden Strukturen zu zeigen wie NGC 1300? George Contopoulos erzählt in seinem Vortrag, was hier passiert (und ich werde probieren diese sehr mathematiklastige Erklärung halbwegs richtig und etwas vereinfacht wiederzugeben).

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Über die Phasenräume dynamischer System habe ich ja früher schon mal (und erst vorgestern wieder) geschrieben. Der Phasenraum zeigt, welche verschiedenen dynamischen Zustände (chaotisch oder regulär) ein System unter welchen Bedingungen einnimmt. Die genaue Topologie des Phasenraums ist äußerst komplex; die Grenzen zwischen regulären und chaotischen Bereichen sind nicht einfach zu bestimmen; sind sind fraktale Strukturen und das kann seltsame Effekte hervorrufen.

Einer dieser Effekte nennt sich “Stickiness” (also “Klebrigkeit”) und ihn genau zu erklären braucht viel Zeit. Darum verweise ich erstmal auf meine bisherigen Artikel zu diesem Thema und beschränke mich hier auf eine kürzere Zusammenfassung. Der Phasenraum eines dynamischen Systems – z.B. die Bewegung von Sternen in einer Galaxie – besteht aus Bereichen, in denen die Bewegung geordnet abläuft und Gegenden, die chaotische Bewegung hervorruft. Je größer die Störungen im System (in unserem Fall der gravitative Einfluss, der auf die Sterne wirkt) sind, desto kleiner werden die regulären Bereiche. Diese verschwinden aber nicht einfach so sondern lösen sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise auf die durch das berühmte KAM-Theorem beschrieben wird. Simpel gesagt: die äußerste Grenze die den regulären Bereich umschliesst (der sogenannte KAM-Torus) bricht auf und wird zu einer fraktalen Struktur, dem Cantorus. Dieser Cantorus besteht aus einer Vielzahl von kleinen “Inseln” im chaotischen Bereich die dem “Festland” des nun kleiner gewordenen regulären Bereichs vorgelagert sind. Eine Bahn, die sich durch die chaotische Region bewegt kann nun zwischen den Cantorus und den regulären Bereich geraten und sich dann quasi im Gewirr der fraktalen Inseln verirren. Anstatt irregulär durch den ganzen Phasenraum zu sausen, wie das chaotische Orbits normalerweise tun, bleibt so eine Bahn für sehr lange Zeiten in der Nähe des regulären Bereichs gefangen und sieht bei oberflächlicher Betrachtung auch genauso aus wie eine reguläre Bahn. Solche chaotischen Orbits kleben also an den geordneten Regionen und deswegen nennt diesen Effekt “Stickiness”.

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Genau das läuft auch in den Balkenspiralgalaxien ab. Das Gravitationspotential der Galaxien gibt die Spiralstruktur vor und obwohl die Störungen des Balkens die Bahn der Sterne chaotisch machen, bleiben sie dank der Stickiness dort kleben und bilden so die Spiralstrukturen aus. Die Stickiness ändert natürlich nichts daran, dass chaotische Bahnen chaotisch sind und irgendwann werden sie die Nähe der regulären Bereiche verlassen. Aber im Fall der Galaxien kann man zeigen, dass die Zeitskala hier im Schnitt ein Drittel der Hubble-Zeit (die dem Alter des Universums entspricht) beträgt – ein ausreichend langer Zeitraum, damit die wunderbare Spiralstruktur in Galaxien wie NGC 1300 erhalten bleibt. Chaos muss also nicht immer böse und zerstörerisch sein…


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Kommentare (1)

  1. #1 Bjoern
    23. März 2011

    Sehr schöner Artikel mal wieder, danke! (aber im Gegensatz zu den anderen Vorträgen versuche ich hier lieber gleich gar nicht, die Mathematik dahinter zu verstehen – dass die Chaostheorie sehr kompliziert ist, weiss ich eh schon… 😉 )

    Der Link zum “KAM-Theorem” führt übrigens leider nur wieder auf diesen Artikel selbst zurück…