Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Man kennt das ja. Der Bus fährt mit einem Intervall von 10 Minuten. Natürlich kommt er mal ein bisschen früher und mal ein bisschen später, da der Straßenverkehr nie exakt vorhersagbar ist. Aber im Durchschnitt kommt tatsächlich alle 10 Minuten ein Autobus vorbei. Wenn man nun einfach zu einem zufälligen Zeitpunkt zur Haltestelle geht um dort zu warten, dann sollte man eigentlich meinen, das die durchschnittliche Wartezeit 5 Minuten beträgt. Es kommt einem aber meistens länger vor…

Das interessante daran: Es kommt einem nicht nur so vor, es dauert vermutlich auch länger! Darin besteht das sogenannte Inspektionsparadox und wieder einmal zeigt sich, wie schwer es uns fällt, Wahrscheinlichkeiten intuitiv zu verstehen.

Früher waren die Busse noch pünktlich! (Bild: Public Domain)

Früher waren die Busse noch pünktlich! (Bild: Public Domain)

Besser geht es mit Mathematik. Stellen wir uns vor, ein Bus fährt gerade von der Haltestelle ab. Bis zum nächsten sollte es 10 Minuten dauern; es dauert aber 17 Minuten. Und wie das oft so ist, kommt der nächste dann dafür gleich fast unmittelbar danach 3 Minuten später. 2 Busse, 20 Minuten – im Durchschnitt also passt das 10-Minuten-Intervall. Es ist jetzt aber klar, dass die Wahrscheinlichkeit viel höher ist, dass wir bei der zufälligen “Inspektion” der Haltestelle gerade das 17-Minuten-Intervall erwischen und nicht das kürzere 3-Minuten-Intervall. Für den 17-Minuten-Zeitraum beträgt die durchschnittliche Wartezeit 8,5 Minuten, bei den 3 Minuten sind es 1,5 Minuten Wartezeit. Wir müssen jetzt aber die Wartezeiten mit den Wahrscheinlichkeiten kombinieren, welches Intervall wir beim Besuch der Haltestelle erwischen. Insgesamt kommt man so also auf (3/20)*1,5 + (17/20)*8,5 = 7,45 Minuten. Die durchschnittliche Wartezeit beträgt also nicht fünf Minuten, sondern 7 Minuten und 27 Sekunden!

Solche Rechnungen helfen natürlich nicht nur dabei, die Wartezeit an der Bushaltestelle zu vertreiben. Sind sind auch ein wichtiger Teil der Erneuerungstheorie. Wie oft muss man zum Beispiel Lampen in einem Betrieb erneuern, die zwar eine konkrete durchschnittliche Lebensdauer haben, aber trotzdem zu einem zufälligen Zeitpunkt durchbrennen? Wie oft muss man Ersatzteile von Maschinen austauschen? Und so weiter – wenn man sich hier nur auf die Intuition verlässt und die Mathematik vernachlässigt, kann man schnell Probleme kriegen. Dann bleibt der Autobus aufgrund mangelhafter Wartung vielleicht komplett liegen und man muss sich wirklich lange an der Haltestelle langweilen…

Kommentare (10)

  1. #1 Karla Kolumna
    13. April 2015

    Ich hatte während meines Studiums einige Zeit ein ähnlich gelagertes Phänomen zu beobachten. Wenn ich pünktlich oder gar früher aus der letzten Vorlesung kam, dann hatte der Zug in den meisten Fällen Verspätung oder fiel gleich mal komplett aus. Wenn ich stattdessen aber etwas später aus der letzten Vorlesung kam, dann hatte der Zug mit Sicherheit keine Verspätung oder tat mir sogar den Gefallen einfach mal etwas früher zu fahren…
    Und wenn man die Wahl zwischen zwei Zügen bzw. Zug und S-Bahn (langsamer) hat, wobei die S-Bahn 1 Minute früher abfährt, dann wird erst nach Abfahrt der S-Bahn mitgeteilt, dass der Zug verspätet ist oder ausfällt!

    In dem Zusammenhang finde ich es auch immer wieder bemerkenswert wie sich die Bahn ihre Statistiken zur Pünktlichkeit schönrechnet, ein ausgefallener Zug hat bspw. keine Verspätung, fällt statistisch also gar nicht ins Gewicht, welch glücklicher Zufall!

  2. #2 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2015/04/02/e-bus-flotte-der-bvg/
    13. April 2015

    Bei der realen Wartezeit spielt aber auch eine Rolle, ob man die Abfahrtszeit kennt und die Erreichbarkeit planen kann. Wenn ich weiß, der Bus soll um 10 nach gehen und alle 10 Minuten, dann versuche ich um 8 nach da zu sein, um bei einer Gaußschen Verteilung der Eintreffwahrscheinlichkeit um 10 nach herum den Bus sehr wahrscheinlich zu bekommen ohne lange auf ihn zu warten.

    Dabei spielt auch eine Rolle, aus welcher Entfernung ich sehen kann, ob der Bus von ferne kommt und große Eile sich lohnen könnte, oder ob er gerade weg ist, und starkes Trödeln mit Schaufensterschauen, etwa, wenigstens mehr Kurzweil bietet, als herumstehen an der Haltestelle selbst.

  3. #3 PDP10
    13. April 2015

    Raucher kennen das als das “Zigaretten Paradoxon”.

    Der Bus kommt wieder mal nicht, wann er soll … na, der wird dann sicher noch ein bischen brauchen, also zünden wir uns mal eine Zigarette an.

    Genau dann kommt der Bus um die Ecke und man muss die noch fast ungerauchte Zigarette wegschmeissen …

    Keine Ahnung wie das funktioniert. Vielleicht verursacht das Anzünden der Zigarette eine Art Raum-Zeit-Falte aus der der Bus dann instantan in die Realität fällt.

    Unter Rauchern ist das Phänomen so gut bekannt, dass man jenes Anzünden der Zigarette auch als “den Bus rufen” bezeichnet.

  4. #4 bewitchedmind
    14. April 2015

    @ PDP10 Als man in Restaurants noch rauchen durfte, war das Phänomen auch beim Warten aufs Essen bekannt. Wäre interessant zu untersuchen, ob sich die Wartezeiten in der Gastronomie durch das Rauchverbot verlängert haben … 😉

  5. #5 knorke
    14. April 2015

    @Karla Kolumna
    das dürfte eher ein Problem selektiver Wahrnehmung sein. Man man über sowas Tagebuch führt, d.h. seine Erlebnisse objektiviert und quantifiziert verschwindet der Effekt über kurz oder lang. Ich behaupte auch immer, dass ich immer nur Verspätung mit dem Zug habe, wenn es grade Zeitkritisch ist (Anschluss oder Flug bekommen). Fakt ist: Wenn ich’s nicht eilig habe, es also nicht um 3-4 Minuten geht, achte ich weniger drauf, ärgere mich weniger drüber und vergesse es demzufolge leichter.
    Wahr ist aber, dass die Bahn – so wie jedes Unternehmen aus PR Gründen – Statistiken immer so aufbereitet, dass es sie nicht im schlechtestmöglichen Licht dasteht. Das tun aber alle, weswegen der Volksmund Statistik ja nicht über den Weg traut.

    Allerdings: Florian: Busse bei denen die Standardabweichung um Ihre Ankunftszeit bei 9.9 liegt erscheinen mir im Linienverkehr doch arg unrealistisch. Ich tippe da eher auf eine Verschwörung der Freimaurer 🙂

  6. #6 knorke
    14. April 2015

    @PD10 Frage von einem Nichtraucher: Kann man die nicht ausdrücken und später fertigrauchen? Ist ja furchbare Verschwendung!

  7. #7 Quercus
    14. April 2015

    @PDP10:
    Für Nichtraucher stellt sich das Paradoxon anders dar: Wenn man ein paar Meter neben dem Raucher an der Haltestelle steht, sollte die Wahrscheinlichkeit, den Rauch sozusagen direkt in die Nase zu kriegen – natürlich im einzelnen abhängig von den Windverhältnissen – überschaubar sein. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Rauch nicht einfach schnurgerade in Windrichtung davonweht, sondern sich im Schnitt in einem Kegel von, sagen wir mal großzügig, 45° verteilt, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, ihn abzukriegen, etwa 1/4. Aber jeder Nichtraucher weiß, dass sie tatsächlich mindestens 3/4 beträgt!

  8. #8 Quercus
    14. April 2015

    ” Vielleicht verursacht das Anzünden der Zigarette eine Art Raum-Zeit-Falte aus der der Bus dann instantan in die Realität fällt.”

    Dafür dreht er für den Nichtraucher noch eine Extrarunde in der Raum-Zeit-Falte, wenn er eigentlich schon da wäre.

  9. #9 PDP10
    16. April 2015

    @Quercus:

    “Aber jeder Nichtraucher weiß, dass sie tatsächlich mindestens 3/4 beträgt!”

    Das ist simpler ausgleich der Konzentration.

    Die Nikotin / Kondensat Konzentration ist in der Nähe enes Nichtrauchers nun mal nahe Null.

    Steht in 100 Metern Entfernung ein Raucher (oder in 1km Entfernung) will sich die Konzentration eben ausgleichen.

    Sorry. Dafür könne wir Raucher echt nix. Das ist Physik …

    😉

    Nein, in der Realität stelle ich mich beim Rauchen an der Bushaltestelle immer extra weit weg. Muss ja nicht sein, dass Leute die das nicht wollen mitrauchen.

    Für die Windrichtung kann ich dann aber wirklich nix!

  10. #10 PDP10
    16. April 2015

    @Quercus:

    Mal abgesehen davon:

    Ihr Nichtraucher habt davon ja auch Vorteile wenn ein Raucher “den Bus ruft”.
    Der kommt dann ja recht zuverlässig sofort 😉