Bei der Bewegung von Himmelskörpern geht nichts über die Gravitation. Die gravitative Anziehungskraft zwischen Galaxien, Sternen, Planeten, Asteroiden, etc bestimmt wie sich diese Objekte bewegen. Andere Kräfte kann man so gut wie immer ignorieren. Aber eben nur so gut wie immer. Will man zum Beispiel wissen, wo der Planet Mars in zwei Tagen, zwei Wochen oder zwei Jahrzehnten am Himmel zu sehen ist, dann kriegt man das problemlos und rein unter Berücksichtigung der Gravitationskräfte von Sonne und den anderen Planeten hin. Will man dagegen wissen, wohin sich ein kleiner Asteroid in den nächsten paar Jahren bewegt und will man das wirklich, wirklich genau wissen, dann reicht die Gravitationskraft nicht aus. Dann muss man auch die winzigen Effekte berücksichtigen die von anderen Kräften verursacht werden. Zum Beispiel den Jarkowski-Effekt.

Wenn Asteroiden vom Weg abkommen kann das richtig ärgerlich sein... (Standardbild zur Illustration von Asteroideneinschlägen: NASA/JPL)

Wenn Asteroiden vom Weg abkommen kann das richtig ärgerlich sein… (Standardbild zur Illustration von Asteroideneinschlägen: NASA/JPL)

Was das ist habe ich früher schon mal sehr ausführlich erklärt. Kurz gesagt: Ein Asteroid wird durch die Strahlung der Sonne aufgewärmt. Natürlich nur auf der Seite die gerade in Richtung Sonne zeigt. Die ändert sich aber ständig weil so ein Asteroid ja um seine Achse rotiert. Die aufgewärmten Stellen geben die Wärme wieder ins All ab und zwar um so besser je wärmer sie sind. Diese Abstrahlung kann man sich wie einen kleinen “Rückstoß” vorstellen und weil sich der Asteroid dreht und unterschiedliche Stellen unterschiedlich stark aufgeheizt werden und unterschiedlich stark Wärme abgeben, verteilt sich der Rückstoß nicht gleichmäßig. Es gibt eine winzige resultierende Kraft die dafür sorgt dass die Bewegung des Asteroiden sich minimal von der Bewegung unterscheidet die allein von der gravitativen Beeinflussung durch Sonne und die anderen Planeten zu erwarten ist.

jarkowskikraft

Das ist der Jarkowski-Effekt und er spielt wirklich nur bei kleinen Himmelskörpern eine Rolle. Ab einer gewissen Größe verteilt sich die Aufwärmung und Abkühlung so sehr, dass die resultierende Kraft verschwindend gering wird. Aber bei den Asteroiden muss man ihn eben berücksichtigen wenn man wirklich genau wissen will, wie sich der Felsbrocken bewegt. Die Bahn des Asteroid Golevka zum Beispiel (einer der ersten Himmelskörper bei dem man diesen Effekt gemessen hat) wurde zwischen 1991 und 2003 sehr genau vermessen und am Ende zeigte sich das er 3,7 Meter entfernt von der Position war an der er sich eigentlich befinden hätte sollen wenn man nur die Gravitation berücksichtigt.

3,7 Meter sind nicht viel und kein Problem wenn man zum Beispiel einfach nur wissen will wo am Himmel das Ding ist weil man sein Teleskop darauf richten will. Aber selbst so eine kleine Abweichung kann relevant sein wenn es etwa um die Frage geht ob ein Asteroid irgendwann mit der Erde kollidiert oder nicht. Da müssen die Rechnungen wirklich genau sein; da kommt es auf jeden Meter an. Und deswegen auch auf den Jarkowski-Effekt.

Und netterweise haben kürzlich Adam Greenberg von der University California und seine Kollegen unser Wissen über den Jarkowski-Effekt bei erdnahen Asteroiden deutlich erweitert (“Yarkovsky Drift Detections for 159 Near-Earth Asteroids”). Sie haben Beobachtungsdaten aller bekannten erdnahen Asteroiden genommen und mit der vorhergesagten Bewegung verglichen die diese Objekte unter dem gravitativen Einfluss der Sonne, der acht Planeten und 24 der massereichsten Asteroiden ausführen müssten. Bei 159 Asteroiden haben sie kleine Abweichungen von dieser rein durch die Gravitationskraft vorhergesagten Bahn gefunden. Abweichungen die auf den Jarkowski-Effekt zurück zu führen sind.

Driftraten für einige der in der Studie untersuchten Asteroiden (Bild: Greenberg et al, 2017)

Driftraten für einige der in der Studie untersuchten Asteroiden (Bild: Greenberg et al, 2017)

Die Abweichungen sind, wie schon gesagt, sehr klein. Die “Driftraten” die Greenberg und seine Kollegen bestimmen konnten lagen typischerweise im Bereich von 10.000 Kilometer während einer Million Jahre. Aber wo man vorher nur bei ein paar Dutzend Asteroiden den Jarkowski-Effekt nachweisen konnte, sind es durch die besseren Beobachtungen und die besseren Berechnungsmethoden nun eben schon über 150. Diese Menge an Daten hat es den Astronomen auch erlaubt den Zusammenhang zwischen der Größe der Asteroiden und der Stärke des Effekts zu überprüfen. Aus der theoretischen Berechnung der Aufwärmung und Abkühlung folgt, dass der Effekt indirekt proportional zum Durchmesser des Asteroiden ist: Je größer der Asteroid desto geringer der Effekt. Und genau das zeigen nun auch die realen Beobachtungsdaten.

Zusammenhang zwischen Driftrate und Asteroidendurchmesser (Bild: Greenberg et al, 2017)

Zusammenhang zwischen Driftrate und Asteroidendurchmesser (Bild: Greenberg et al, 2017)

Zusätzlich bietet der Jarkowski-Effekt eine Möglichkeit mehr über die Rotation von Asteroiden herauszufinden. Die können sich ja entweder “prograd” um ihre Achse drehen oder “retrograd”. Im ersten Fall drehen sie sich in die gleiche Richtung in der sie sich auch um die Sonne bewegen; im zweiten Fall ist es umgekehrt. Die Rotationsrichtung lässt sich aus der Ferne allerdings nur schwer bis gar nicht beobachten. Sie hat aber einen Einfluss auf den Jarkowski-Effekt: Bei prograd rotierenden Asteroiden führt er i.A. dazu das die Driftrate positiv ist; der Asteroid seine Bahn im Laufe der Zeit also vergrößert. Bei den retrograden Asteroiden verkleinert sich die Bahn dagegen normalerweise durch den Jarkwoski-Effekt. Das Verhältnis von negativer zu positiver Driftrate liefert also Hinweise auf das Verhältnis von retrograd zu prograd rotierenden Asteroiden und liegt bei der Untersuchung von Greenberg und seinen Kollegen bei etwa zwei. Es scheinen also doppelt so viele der untersuchten Asteroiden retrograd zu rotieren wie prograd.

In Zukunft wird man aus der Untersuchung des Jarkowski-Effekts noch viel mehr lernen können. Je größer die Datenbank wird, desto besser können wir die Vergangenheit der Asteroiden nachvollziehen. Wir können verstehen wie sich Asteroidenfamilien gebildet haben nachdem größere Objekte auseinandergebrochen sind und sich die Bahnen der Bruchstücke im Laufe der Zeit voneinander entfernt haben. Wir werden viel über die unterschiedliche Zusammensetzung der Asteroiden lernen. Und wir werden auch mehr über ihre zukünftige Entwicklung wissen. Die Bahnen von erdnahen Asteroiden werden wir noch genauer vorhersagen können als es jetzt der Fall ist und damit auch noch besser wissen, ob irgendwann einer davon vielleicht mit der Erde kollidieren könnte oder nicht (Kurzer Hinweis: Der Asteroid 2012 TC4 der am 12. Oktober 2017 in der Nähe der Erde vorbei fliegen wird, stellt keine Gefahr da. Auch wenn die üblichen Panikmedien das wahrscheinlich wieder anders erzählen werden).

Die Gravitationskraft dominiert die großräumigen Entwicklungen im Universum. Aber manchmal muss man eben auch auf die Details achten. Selbst wenn es nur um aufgewärmte Felsbrocken im All geht…

Kommentare (14)

  1. #1 Captain E.
    23. August 2017

    Der Jarkowski-Effekt dürfte auch um so geringer ausfallen, je kugeliger ein Himmelskörper ist, oder? Und natürlich sind große (und somit runde) Monde, Asteroiden und Planeten auch viel schwerer als kleine und benötigen einen viel höheren Impuls für eine Kursänderung, so dass ein vom Betrag her gleichstarker Jarkowski-Effekt bei einem größeren Objekt kleinere Auswirkungen hat als bei einem kleineren.

  2. #2 Baldur
    23. August 2017

    Spannender Artikel und sicherlich eine erwähnenswerte wissenschaftliche Arbeit, aber mich hat eine Nebeninformation des Textes fasziniert. Und zwar ist das die Tatsache, dass es zweimal mehr retrograd als prograd rotierende Asteroiden zu geben scheint.

    Dies interpretiere ich, mit meinen bescheiden zu nennenden Physikgrundkenntnissen so, dass die beobachteten Asteroiden mindestens zweimal häufiger in Kollisionen verwickelt sind oder waren, oder täusche ich mich?
    Das ist doch sicherlich ein wichtiger Kernpunkt bei der Gefahreneinschätzung erdnahen Asteroiden.

  3. #3 Stephan
    23. August 2017

    Welchen Anteil hat der Sonnenwind ?

  4. #4 Florian Freistetter
    23. August 2017

    @Baldur: Das aufzudröseln ist nicht einfach. Aber die NEAs haben generell einen nicht “normalen” Ursprung. Dort wo sie sind, sind sie ja nicht stabil (https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2008/08/18/erdnahe-asteroiden-und-das-chaos/) D.h. die Population wird immer wieder aufgefüllt; das passiert aus dem Hauptgürtel heraus. Und aus dem Hauptgürtel kommen die Asteroiden nur durch eine Kombination von Kollision und resonanter Dynamik. Ein hoher Anteil an Kollisionsvergangenheit bei NEAs ist also zu erwarten.

  5. #5 Florian Freistetter
    23. August 2017

    @Stephan: Der Sonnenwind hat beim Jarkowski-Effekt keinen Einfluss. Der spielt eher beim interplanetaren Staub ne Rolle und nicht so sehr bei den größeren Objekten.

  6. #6 Holger
    23. August 2017

    Rotieren Satelliten auch um eine Achse?
    sollte ja nicht sein damit die Richtantenne bei Fernmelde/Fernseh/.. immer zielgerichtet bleibt.
    Mögliche Rotationsachse kann dann ja nur eben um diese Antenne sein um das Ziel die Erdoberfläche immer zu treffen. Aber dann steht die Sonne immer an einem anderen Ort zum Satellit.

    Ich meine mich zu erinnern, dass die beiden Voyager-Sondern auch diesen Effekt haben. Obwohl da die Rotationsachse wohl fast gleichbleibend zur Sonne zeigt weil ja immer die Erde getroffen werden soll.

  7. #7 Ambi Valent
    23. August 2017

    @Holger
    Geostationäre Satelliten rotieren um eine Achse, die parallel zur Erdachse liegt, mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit wie die Erde. Und der Orbit ist natürlich so exakt kreisförmig wie möglich. So zeigt die Richtantenne immer auf dieselbe Stelle auf der Erde.

  8. #8 pederm
    23. August 2017

    @Captain E.
    “Der Jarkowski-Effekt dürfte auch um so geringer ausfallen, je kugeliger ein Himmelskörper ist, oder?” Sollte eigentlich nicht so sein, der Jarkowski-Effekt an sich ergibt sich nicht aus Inhomogenitäten des Asteroiden. Schau dir mal die Graphik an, daraus folgt, daß der Jarkowski-Effekt von der Rotationsgeschwindigkeit und v.a., wie ja auch beobachtet, von der Rotationsrichtung abhängt.

  9. #9 Captain E.
    24. August 2017

    @pederm:

    Möglich, aber ich halte meine Annahme nach wie vor für plausibel, da sich bei den “Kartoffeln” und den “Gummienten” die jeweils von der Sonne beschienene und im Schatten liegenden Seite doch gerade eben sehr stark voneinander unterscheiden können..

  10. #10 CM
    24. August 2017

    Schau dir mal die Graphik an, daraus folgt, daß der Jarkowski-Effekt von der Rotationsgeschwindigkeit und v.a., wie ja auch beobachtet, von der Rotationsrichtung abhängt.

    Nun, da ist auch viel unerklärte Streuung. Rein intuitiv – das erspart selbstredend nicht die Rechnung – denke auch ich, dass ein prolater Körper anders reagieren wird als ein leicht oblater.

  11. #11 Wizzy
    24. August 2017

    @Stefan #3
    Nicht der Sonnenwind, aber der Strahlungsdruck der Sonne hat einen Einfluss in derselben Größenordnung auf die Asteroidenbahn wie der Jarkowski-Effekt.
    (Der Strahlungsdruck ist deutlich größer, aber wirkt zu einem großen Anteil in tangentialer Richtung zur Bahn).

  12. #12 Wizzy
    24. August 2017

    Sorry, zu einem geringen Anteil (oder: vertikal)

  13. #13 Montafoner
    24. August 2017

    @ Holger
    Ich denke, Du meinst die Pioneer-Anomalie. Schau dort mal nach. Wärme ja, Sonne nein.

  14. #14 pederm
    25. August 2017

    @ Captain E. & CM

    Also, so wie ich das zu verstehen meine: Der Effekt resultiert grundsätzlich daraus, daß ein Objekt (egal welcher Form, daher die ideale Annahme einer Kugel als erste Näherung) auf der beleuchteten Seite erwärmt wird und auf der unbeleuchteten nicht. Dreht sich dieses Objekt nun, so zeigt diese erwärmte Seite im Schnitt nicht mehr zur Sonne (0°) und die nicht erwärmte ehemalige Rückseite nicht mehr 180° von der Sonne weg. Der Vektor des Netto-Strahlungsrückstoß ist also nicht mehr 180° von der Sonne weg sondern eben je nach Drehrichtung mehr oder weniger und je nach Drehgeschwindigkeit stärker von den 180° abweichend. Ist die Rotationsachse senkrecht zur Orbitalebene des Objekts, so ergibt sich bei prograder Rotation die o. e. Erhöhung und bei retrograder Rotation eine Erniedrigung der Bahngeschwindigkeit. Eine geneigte Rotationsachse führt zu einem vektoriellen Anteil der Beschleunigung, der das Objekt aus seiner Orbitalebene herausführt. Das Alles wohlgemerkt für eine Kugel.
    Ein nicht kugeliges Objekt sollte, egal wie es sich dreht, periodisch immer wieder die gleiche Seite der Sonne zuwenden. D.h., selbst wenn die Asymetrie zu einem zusätzlichen Effekt führt, sollte der periodisch auftreten und sich daher in einer periodischen Überlagerung über den grundsätzlichen Effekt zeigen. Imho aber eine neue Baustelle!