In der letzten Woche habe ich den Norden Deutschlands besucht. Zuerst war ich in Bremen um dort an der Uni einen Workshop über Wissenschaftblogs zu halten. Danach bin ich auf die andere Seite des Landes gefahren um dort beim Usedom Marathon mitzulaufen. Den Sonntag habe ich dann für ein bisschen Recherche in Sachen Wissenschaftsgeschichte genutzt. Wenn ich schon mal auf Usedom bin, dann muss ich natürlich auch nach Peenemünde. Immerhin flogen dort die ersten richtigen Raketen; auch wenn sie tragischerweise nicht für die Wissenschaft sondern für den Krieg eingesetzt wurden. Nach dem Krieg aber waren die dort von den Allierten erbeuteten Raketen die ersten menschengemachten Objekte die tatsächlich aus Forschungsgründen in den Weltraum flogen. Und Wissenschaftler wie Wernher von Braun und seine Kollegen die während des zweiten Weltkriegs Raketenwaffen in Peenemünde bauten, bauten später in den USA die Raketen die die ersten Menschen zum Mond brachten. Jede Menge zwiespältige und höchst interessante Geschichte also, die man sich dort im Historisch-Technischen Museum Peenemünde ansehen kann. Was ich getan habe.

In Peenemünde selbst ist nicht viel los. Da gibt es ein paar Imbissbuden am Hafen und jede Menge Museen. Von denen ich allerdings nur das Historisch-Technische Museum besucht habe. Dessen Eingang befindet sich in einem alten Bunker:

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Das Museum selbst allerdings ist in den Resten des Braunkohlekraftwerks das vor dem Krieg dort gebaut wurde:

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Im Außengelände findet man dann auch gleich das Prunkstück des Museums. Ein Modell der Aggregat 4-Großrakete; besser bekannt unter ihrem tragischen Namen “V2” (“Vergeltungswaffe 2”).

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Die Bemalung der Rakete wirkt angesichts der Zerstörung und Todesopfer die sie verursacht hat ziemlich zynisch:

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Im Außengelände kann man noch andere Gerätschaften der damaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde besichtigen:

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Interessant ist auch die Besichtigung des Kraftwerks selbst. Abgesehen von einer ausführlichen Industriegeschichte von Peenemünde ist das Gebäude ein eindrucksvolles altes Industriedenkmal:

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Im Nebengebäude findet man dann die eigentliche Ausstellung. Und im Eingangsbereich dieses unkommentierte Ding von dem ich nicht weiß ob es Kunst oder technisches Ausstellungsstück ist.

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(Vielleicht ist es ja auch nur eine kreative Installation zum Thema “Impotenz”…)

Die eigentliche Ausstellung ist dann aber höchst interessant. Alles beginnt mit der Darstellung der damals noch friedlich motivierten Forschung der Raketenpioniere zu Beginn des 20. Jahrhunderts:

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Und dann habe ich irgendwie vergessen, Fotos zu machen. Was vermutlich daran liegt, dass die Ausstellung so interessant war das ich daran gar nicht mehr gedacht habe. Die Thematik wird im Museum dann ziemlich schnell sehr düster. Beim Weg von einem Raum in den nächsten bekommt man eine kurze Darstellung der allgemeinen politischen Entwicklung; vom Aufstieg Adolf Hitlers und dem Verlauf des Krieges. Immer wieder bekommt man höchst interessante Originaldokumente zu sehen: Alte Zeitungen mit Nazi-Propaganda in denen die Macht der Raketen und ihr Einfluss auf den Krieg maßlos übertrieben wird zum Beispiel. Aber auch technische Dokumente zu Konstruktion und Bau der Raketen. Immer wieder gibt es Kopien von Originalbefehlen die sehr realistisch in alten Aktenordner zum Durchblättern bereit liegen. Darin kann man den ganzen menschenverachtenden Zynismus des Nazi-Regimes nachvollziehen; zum Beispiel wenn es darum geht wie “empfohlen” wird doch für die gefährliche Arbeit bei Bau der Raketen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter einzusetzen. Den KZs die für den Bau der Raketen errichtet wurden ist auch ein großer Teil der Ausstellung gewidmet und das Leben der dort ausgebeuteten und getöteten Menschen wird sehr anschaulich dargestellt (nicht umsonst wird beim Eingang gewarnt das Kinder die Ausstellung am besten nur in Begleitung ihrer Eltern betreten).

Man ist die ganze Zeit einem seltsam-unangenehmen Gefühl ausgesetzt. Einerseits sind die technischen Leistungen beeindruckend; die Raketen und die riesigen Anlangen die zu ihrem Bau und ihrem Einsatz notwendig waren. Raketen, die die Grundlage der modernen Raumfahrt darstellen und all die enormen wissenschaftlichen Leistungen möglich gemacht haben die wir der Raumfahrt heute verdanken. Andererseits lässt einen die Ausstellung auch – zu Recht – nie vergessen, dass es damals der einzige Zweck dieser Raketen war, möglichst viele Menschen zu töten und das bei ihrem Bau mindestens ebenso viele Menschen zu Tode gebracht wurden.

Ich habe erst später in der Ausstellung wieder zur Kamera gegriffen, als es um den Wettlauf ins All während des kalten Krieges ging:

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Auch dieser Teil ist höchst interessant und gut gemacht. Neben der (damals zumindest scheinbar) zivilen Raumfahrt wird aber auch der weitere Einsatz von Raketen als Waffe nicht ausgespart. Der atomaren Aufrüstung und der Proteste dagegen ist ebenfalls ein Teil der Ausstellung gewidmet.

Nach all dieser komplizierten, interessanten, beeindruckenden und unangenehmen Geschichte ist es dann ganz angenehm den Fahrstuhl hinauf aufs Dach des Gebäudes zu nehmen um dort ein wenig in Ruhe über alles nachdenken zu können. Und den tollen Ausblick über das Gelände und das Meer zu betrachten:

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In den Hafen haben ich mich dann auch noch aufgemacht. Dort liegt das Unterseeboot U-461. Es ist das letzte noch existierende der größten jemals gebauten konventionellen Unterwasser-Raketenkreuzer. Also ebenfalls eine anstrengende Mischung aus Kriegswaffe und interessanter Technik – aber bei weitem nicht so beeindruckend wie das Museum. Man kann das Uboot besichtigen, was ich auch getan habe.

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Aber für die 7 Euro Eintritt kann man nicht mehr machen als einmal durch das Boot gehen/kriechen und sich ansehen, wie eng dort alles ist. Informationen gibt es so gut wie nicht, sieht man von wenig informativen Schildern wie “Kabine für den Kapitän” etc ab. Nach ein paar Minuten ist man durch und wieder an Land…

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Aber zumindest hat mich dann noch ein Regenbogen für die eher enttäuschende Besichtigung entschädigt:

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Zum Abschluss und um aus der etwas gespenstisch wirkenden Umgebung von Peenemünde (nur Parkplätze, leere Felder, holprige Straßen und Museen in alten Industrieanlagen) heraus und zurück ins echte Leben zu kommen bin ich dann noch nach an die Strandpromenade von Zinnowitz gefahren um dort ein wenig das Meer zu genießen:

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Und dann ging es auch schon wieder zurück nach Hause. Wer von euch mal dort oben an der Ostsee vorbei kommt sollte aber unbedingt einen Ausflug nach Peenemünde machen. Es ist ein sehr eindrucksvolles Erlebnis das man nicht verpassen sollte! (Bis auf das U-Boot – das könnt ihr ruhig auslassen)

Kommentare (12)

  1. #1 anderer Michael
    6. September 2017

    Das Thema Raketen und Sklavenarbeit (ohne moralisierend belehrend den Zeigefinger zu heben, ist Zwangsarbeit für mich nicht ganz die richtige Formulierung) ist bedrückend.Ein Teil der Weltraumeroberung beruht auf dem Rücken von geschundenen und ermordeten Menschen.
    Ich habe mich immer wieder gefragt, wie die Gruppe um Wernher von Braun sich innerlich gerechtfertigt hat. Es bleibt ein gewaltiger beschämender Makel. Ohne diesen wäre es ein Paradebeispiel deutscher Ingenieurskunst geworden (= wenn in einer Demokratie zu friedlichen Zwecken hergestellt).
    Ich finde es gut, wenn in Peenemünde darauf hingewiesen wird und Sie es ebenfalls thematisieren.

  2. #2 haariger Troll
    6. September 2017

    Es steht ja immer gern die von den Amerikanern übernommene Gruppe um von Braun im Vordergrund, wenn es um die Raketenforschung nach ’45 geht. Ganz interessant ist aber auch, wie anders es auf der russischen Seite gelaufen ist. Das Buch “Raketensklaven” von Kurt Magnus kann ich da sehr empfehlen!

  3. #3 Manfred Holl
    Hamburg
    6. September 2017

    Hallo!

    Ich war in den letzten Jahren mehrfach dort und leider sind von Jahr zu Jahr weniger “Hinterlassenschaften” zu besichtigen. Allerdings aus den unterschiedlichsten Gründen. Sehr zu empfehlen sind auch die vom Flugplatz ausgehenden Sonderfahrten zu den Testarealen der V1 an der Nordspitze und die zum Prüfstand VII. Dort wurde seit dem Abzug der NVA nichts mehr verändert und alles der Natur überlassen. Dadurch ist einerseits ein einzigartiges Naturschutzgebiet entstanden, andererseits wird aber an die Stätte nicht mehr Einrichtung erinnert. Gruselig ist bei der Fahrt zu den V1-Stätten das Durchqueren des “Kormoranwaldes”. Da kommt man sich vor, als ob dort mit Entlaubungsmitteln experimentiert wurde. Der vorwiegend aus Birken bestehende Wald ist aufgrund des überaus aggressiven Kormorankots völlig entlaubt. Ähnlich sieht es übrigens bei Karmin an der B110 aus. Dort ist ein Ökoprojekt offenbar nicht ganz so verlaufen, wie geplant …

    Viele Grüße

    Manfred Holl

  4. #4 Andreas
    6. September 2017

    Zugegeben, das ist Korinthenkackerei in Reinform, und ich bitte um Entschuldigung. Eigennamen dürfen aber auch flektiert werden. Die Überschrift lautet also besser: “Ein Besuch im Historisch-Technischen Museum Peenemünde” (statt “Technisches”). Diese Unart, Eigennamen nicht mehr zu beugen, ist anscheinend weit verbreitet – vielleicht eine Folge von “Copy&Paste”?. Es tut mir beim Ansehen aber jedes Mal weh.

  5. #5 Florian Freistetter
    6. September 2017

    @Andreas: Das ist tatsächlich ein Copy/Paste Fehler danke für den Hinweis.

  6. #6 Karl Mistelberger
    6. September 2017

    Der Beschuss mit V2 Raketen war brutal: https://www.peterhall.de/srbm/v2/structure/v2-impact-uk.html

    Andererseits konnte England gelassen bleiben. Auf jeden Toten durch Beschuss entfielen viele Tote in der Fertigung der Raketen. Strategisch gesehen war die Aktion unbedeutend und hat am Ende nur dazu beigetragen, dass die entscheidenden Ressourcen (Arbeitskräfte) schneller aufgezehrt wurden und das Ende des Kriegs früher kam.

  7. #7 Zhar
    6. September 2017

    ich kenne die Ausstellung nicht und damit nicht den genauen Kontext, aber mein Tipp für das “unkommentierte Ding” wäre eine Raketenspitze o.Ä. vor und nach der Landung? macht das Sinn?

  8. #8 Nicolai
    6. September 2017

    @ Karl
    Der Bodycount ist eine unzureichende Methode um die Auswirkung auf das Kriegsgeschehen zu beurteilen. Inwieweit hat die V2 den Glauben an die Wunderwaffen hochgehalten und so den Durchhaltewillen gestärkt? Welchen Schrecken hat die V2 in der Britischen Bevölkerung ausgelöst? Diese hat die V2 eher nicht gelassen aufgenommen.
    Ähnlich verhält es sich vielleicht mit dem islamischen Terrorismus. Im Vergleich zu anderen Gefahren könnte man ihn gelassen nehmen. Die Auswirkung auf die Gesellschaft und Politik sind hingegen dramatisch.

  9. #9 Karl Mistelberger
    7. September 2017

    > #8 Nicolai, 6. September 2017
    > Der Bodycount ist eine unzureichende Methode um die Auswirkung auf das Kriegsgeschehen zu beurteilen. Inwieweit hat die V2 den Glauben an die Wunderwaffen hochgehalten und so den Durchhaltewillen gestärkt? Welchen Schrecken hat die V2 in der Britischen Bevölkerung ausgelöst? Diese hat die V2 eher nicht gelassen aufgenommen.

    Die deutsche Bevölkerung hat die Nazis nie zu einem Waffenstillstand gedrängt, schon allein deswegen, weil es lebensgefährlicher gewesen wäre als die Angriffe der Alliierten.

    Eine psychologische Wirkung war bei der britischen Bevölkerung durchaus vorhanden. Doch die hatte schon den Blitz durchgemacht und auch die V1, war also nicht mehr so leicht zu beeindrucken.

    Das Raketenprogramm war aufwendiger als das Manhattan Projekt, richtete aber bei den britischen militärischen Einrichtungen so gut wie keinen Schaden an und hatte darum auch keinen Einfluss auf das Kriegsgeschehen.

    Freeman Dyson wird hier zitiert: https://en.wikipedia.org/wiki/V-2_rocket#Assessment

    “… those of us who were seriously engaged in the war were very grateful to Wernher von Braun. We knew that each V-2 cost as much to produce as a high-performance fighter airplane. We knew that German forces on the fighting fronts were in desperate need of airplanes, and that the V-2 rockets were doing us no military damage. From our point of view, the V-2 program was almost as good as if Hitler had adopted a policy of unilateral disarmament.”

    https://www.v2rocket.com/

    “It is a little known truth that more people died manufacturing the V-2 than were killed by its blast. Each operational V-2 to come off the Mittelwerk line consumed about six human lives.”

  10. […] meiner Liste. Der gute Florian von Astrodicticum Simplex und den Sternengeschichten hat sich mal im Historisch-Technischen Museeum Peenemünde umgeschaut und angemessen darüber […]

  11. #11 Daniel Rehbein
    Dortmund
    9. September 2017

    Du warst bei einem Marathon-Lauf. Und ich habe gedacht, ruhst mal richtig aus an der Ostsee. Die Strecke ist natürlich toll. Von Swinemünde bis Bansin ist das ja noch die gewöhnliche Strandpromenade, danach geht es durch den Wald rauf und runter. Und das in 3 Stunden und 33 Minuten – Respekt!

    In dem Museum in Peenemünde war ich vor etlichen Jahren einmal. Ich erinnere mich daran, daß dort das Thema Zwangsarbeit durchaus beeindruckend dargestellt wurde. Da war ein Raum mit lauter Spinden, und hinter einigen der Spindtüren ein Fernseher, auf dem jeweils die Geschichte eines Zwangsarbeiters erzählt wurde. Ist das immer noch so vorhanden?

  12. #12 anderer Michael
    26. September 2017

    Zum Hinweis auf einen englischen Toten durch die V1/V2-Angriffe und mehrere Tote bei der Produktion. Diese Toten waren keine deutschen Soldaten, sondern KZ-Häftlinge, die durch Sklavenarbeit ermordet wurden. Ein ” Bodycount” ist unangebracht.
    Fakt: Die V1 war militärisch keine Bedrohung. Die englische Luftwaffe hatte schnell gelernt, die V1 gefahrlos vom Himmel zu holen. Man kann argumentieren , dass dadurch Kapazitäten gebunden wurden. Die Luftüberlegenheit der Alliierten war bereits erdrückend, so dass dieser Effekt kaum entscheidend gewesen war.

    Gegen die V2 gab es keine Abwehr. Sie verursachte durchaus Panik. Der Kampfeswillen wurde dadurch nicht eingeschränkt.

    Vollkommen richtig der Hinweis auf die Ressourcen. In der Geschichtswissenschaft geht man davon aus, dass die V-Waffen eher Nazi- Deutschland geschadet haben. Die Ressourcen in die Produktion von Panzern und Flugzeuge gesteckt ,hätte den Krieg verlängert.

    Eine anektodische Mitteilung: meine Mutter erzählte mir, sie habe Ende April Menschen gesehen, die im Keller sitzend vor sich hin murmelten “die Wunderwaffen, die Wunderwaffen werden kommen”, und über ihnen tobten die letzten Kämpfe. Ob Verblendung, Realitätsverweigerung oder Angst vor dem Kommenden?
    Sie sah weinende Menschen, als der Tod Hitlers bekannt wurde. Das soll es sogar in Aachen gegeben haben, die war seit September 1944 durch die Amerikaner besetzt.