Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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In der Serie über die Himmelsscheibe von Nebra gab es schon jede Menge Informationen und Entdeckungen. Die Geschichte ihres Funds war ein echter Krimi, die Prüfung ihrer Echtheit eine wissenschaftliche Detektivarbeit. Die Suche nach dem Gold der Scheibe führte bis nach England, die Entschlüsselung ihres astronomischen Wissens warf die Frage nach dem Volk auf, das die Scheibe gebaut hat und die Antwort hat mit der Götterwelt von Mesopotamien zu tun. Bevor es nun aber an die archäologische Suche nach Spuren des Himmelsscheiben-Volkes geht, müssen wir noch einen Blick auf die vielen Gesichter der Himmelsscheibe werfen.

Die Himmelsscheibe heute (Bild: Dbachmann, CC-BY-SA 3.0)

Wie die Scheibe heute aussieht, kann man im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale betrachten, wo die Himmelsscheibe von Nebra ausgestellt ist. Als sie vor 3600 Jahren geschaffen wurde, war ihr Erscheinungsbild allerdings ein anderes. Und bis sie ein paar hundert Jahre später in der Erde gelandet ist, hat sie ihr Aussehen ein paar Mal verändert. Elemente kamen hinzu; ihre Funktion hat sich verändert oder scheint das zumindest getan zu haben. Aber welche Motivation lag diesen Veränderungen zu Grunde? War es Wissen, das dazu kam – oder Wissen das verloren ging?

Himmelsscheibe, Zustand 1 (Bild: Rainer Zenz, gemeinfrei)

In ihrer ursprünglichen Version zeigte die Sterne 32 Sterne, die Mondsichel und einen großen runden Vollmond (bzw. eine Sonnenscheibe). Dann kamen die links und rechts zwei Horizontbögen dazu, die Sonnenaufgang und -untergangszeiten angaben. Das muss allerdings zu einer Zeit geschehen sein, als der ursprüngliche Schöpfer der Himmelsscheibe schon längst nicht mehr gelebt hat.

Man kann deutliche Unterschiede in der Qualität der Schmiedearbeit erkennen. Die Anfängerfehler, die der erste Schmied bei den ersten aufgesetzten Goldelementen gemacht und später vermieden hat, findet man bei der ersten Erweiterungsphase erneut. Außerdem wurde aktiv in das Erscheinungsbild eingegriffen. Ein paar der Sterne, die in der ersten Phase angebracht wurden, wurden in der zweite versetzt um die Horizontbögen applizieren zu können. Das Gold kam aber in beiden Phasen aus der gleichen Quelle in England.

Himmelsscheibe, Zustand 2 (Bild: Rainer Zenz, gemeinfrei)

Was aber war der Grund für die Umgestaltung der Scheibe? In der ersten Phase gaben die Goldelemente auf der Scheibe eine komplexe Schaltregel an, um Mond- und Sonnenjahr in Einklang halten zu können. Die Zahl der Sterne auf der Scheibe – 32 Stück – spielte hier eine wichtige Rolle. Um die Horizontbögen anzubringen wurde ein Stern versetzt und zwei wurden entfernt. Die neuen Informationen – der Verlauf der Sonne am Himmel zwischen den Sonnenwenden – waren aber nicht wirklich “neu”; dieses Wissen findet man schon Jahrtausende vor der Himmelsscheibe in diversen Kreisgrabenanlagen wie der in Goseck, gleich in der Nähe von Nebra. Es erscheint so, als hätte hier ein Wissensverlust stattgefunden. In der zweiten Phase hatte man vergessen, welche komplexe astronomische Schaltregel die Scheibe codiert und einfach ein anderes “Instrumentarium” aufgesetzt, das komplett andere astronomische Information darstellt.

Aber, so argumentieren Meller und Michel in ihrem Buch, es könnte auch anders gewesen sein. Die Schaltregel war ja auf der ursprünglichen Scheibe nicht NUR über die 32 Sterne codiert, sondern zusätzlich auch über die Dicke der dargestellten Mondsichel. Sie funktioniert auch ohne 32 Sterne als Anleitung zur korrekten Schaltjahrregelung. Aber zusätzlich zu den Informationen der Nacht – das Wissen über Sterne, die Plejaden und Mond – fand man nun auch Wissen über die Sonne. Die Sonne, die für die landwirtschaftlich orientierten Völker der Bronzezeit eine große Rolle spielte. In dieser Interpretation ist die Scheibe also durch die Horizontbögen vervollständigt worden und enthielt nun Information über Tag und Nacht.

In einer dritten Phase wurde ein weiteres Element aus Gold auf die Scheibe gebracht: Die “Sonnenbarke”; die Darstellung eines Schiffes, wie man sie in vielen bronzezeitlichen Abbildungen findet. Diese Sonnenbarken sind dazu da, um die Sonne des Nachts unter der (scheibenförmigen) Erde von Westen wieder zurück nach Osten zu bringen wo sie erneut aufgehen kann. Auch das geschah lange nach den ersten beiden Phasen. Man musste Gold mit weniger Silberanteil verwenden, damit es farblich zu den im Laufe der Zeit nachgedunkelten Goldelementen passte. Neben den astronomischen Wissen war nun auch die mythologische Dimension des Himmels auf der Scheibe verewigt.

Himmelsscheibe, Zustand 3 (Bild: Rainer Zenz, gemeinfrei)

In der vierten Phase bekam die Scheibe Löcher. Um ihren gesamten Rand herum wurden 39 Löcher gestanzt – und es ist nicht wirklich klar, warum das geschah. Man geht im Allgemeinen davon aus, dass es eine rein funktionale Veränderung war. Die Löcher dienten dazu, die Scheibe an einer Art Gestellt zu befestigen, um sie in Prozessionen herum tragen zu können. Vielleicht waren es sogar Feinde der ursprünglichen Erbauer die das gemacht haben, denn die Löcher waren nicht sonderlich sorgfältig: Die Horizontbögen und die Sonnenbarke wurden dabei perforiert.

Aber auch hier schlagen Meller und Michel potentielle alternative Deutungen vor. Wenn man die Scheibe wirklich nur befestigen wollte, hätte man dafür nicht gleich 39 Löcher benötigt; da hätten auch weniger gereicht und man hätte die Goldelemente nicht beschädigen müssen. Es könnte aber auch sein, dass die Löcher einen anderen Zweck hatten. Ihre Verteilung um die Scheibe herum ist nicht regelmäßig. Zuerst waren die Abstände zwischen ihnen noch sehr ähnlich, dann aber wurden sie immer geringer. Vielleicht, so die Vermutung, hätten da eigentlich 40 Löcher sein sollen und der Handwerker hat einfach nur nicht vernünftig geplant und selbst die Verringerung der Abstände hat nicht gereicht um sie alle ordentlich unterzubringen.

40 ist eine interessante Zahl im Kontext des astronomischen Wissens der Himmelsscheibe. Das entspricht der Dauer zwischen “Abendletzt” und “Morgenerst” der Plejaden. Mit “Abendletzt” meint man in der Astronomie den Zeitpunkt, an dem ein Stern das letzte Mal später als die Sonne untergeht und mit freiem Auge gerade noch erkennbar ist. Am Tag darauf geht er dann gleichzeitig mit der Sonne unter und wird von ihr überstrahlt; noch später geht es dann vor der Sonne unter und ist am Nachthimmel gar nicht mehr zu sehen. “Morgenerst” ist die umgekehrte Situation: Da geht der Stern das erste Mal wieder so viel früher vor der Sonne am Morgenhimmel auf, dass er freiäugig zu sehen ist. Bei den Plejaden sind es genau 40 Tage, die sie nicht am Himmel zu sehen sind; 40 Tage zwischen Abendletzt und Morgenerst (wenn man es ganz genau nimmt, dann sind es eigentlich 40 Nächte und 39 Tage) – das ist auch in vielen alten Texten aufgezeichnet. Es war eine mythologisch gefährliche Zeit, die mit Katastrophen und Gefahren in Verbindung gebracht wurde. Die Löcher am Rand der Scheibe könnten genau diese Zeitspanne anzeigen; vielleicht war es sogar eine Art “Steckkalender”, bei dem der gefährliche Zeitraum Tag für Tag markiert werden konnte. Dann wäre die Scheibe ein weiteres Mal um astronomisch-mythologisches Wissen erweitert worden.

Himmelsscheibe, Zustand nach dem Fund 1999 (Bild: Rainer Zenz, gemeinfrei)

Die letzte Verwandlung der Scheibe war die, bei der sie in der Erde landete. Sie wurde nicht einfach irgendwo liegen gelassen; sie wurde aufrecht stehend in der Erde bestattet, zusammen mit den typischen Grabbeigaben die man auch in anderen Fürstengräbern der Bronzezeit gefunden hat (Schwerter, Beile, Armreifen). Dabei war sie nicht mehr intakt, der linke Horizontbogen fehlte (und war auch nirgendwo in der Nähe der Fundstelle zu finden). Vielleicht wurde sie absichtlich/rituell unbrauchbar gemacht? Das muss 100 bis 200 Jahre nach ihrer Erschaffung passiert sein und auch hier ist viel Raum für Interpretation (was später im Buch noch wichtig werden wird). Der Platz jedenfalls an dem sie begraben wurde ist nicht irgendein Platz, sondern der Gipfel des Mittelbergs, der auch genau zu den auf ihr abgebildeten astronomischen Informationen passt. Sie wurde nicht einfach nur vergraben, sie scheint regelrecht bestattet worden zu sein.

Warum man das tat, wird sich erst zeigen müssen. Dazu ist es aber nötig, sich nicht mehr nur der Scheibe selbst zu widmen sondern einen breiteren Blick auf die Geschichte des bronzezeitlichen Mitteldeutschlands zu werfen. Deswegen beginnt im Buch nun der zweite große Teil, der mit “Das Reich der Himmelsscheibe” überschrieben ist. Und genau darum wird es auch in den nächsten Teilen der Serie hier im Blog gehen.

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Kommentare (12)

  1. #1 René
    13. März 2019

    Hallo Florian,

    vielen vielen Dank für diese Artikelreihe. Als Hallenser (genauer gesagt Hallunke) ist es gleich nochmal so interessant, mehr und mehr über dieses wunderbare Objekt zu erfahren.

  2. #2 wolfgang fubel
    21. März 2019

    Was man doch so alles hinein interpretieren kann, in einen Gegenstand den man irgendwo gefunden hat, ist schon
    erstaunlich! Noch erstaunlicher ist, das sich sogenannte “Experten” beim Interpretieren gegenseitig überbieten!
    Und letzt Endlich Keiner so genau sagen kann was es mit dieser Scheibe auf sich hat! Nichts weiter als
    Vermutungen, Theorien ,Hypothesen und vieleicht sogar
    falsche Schlußfolgerungen.
    Wer von Denen kann das schon sagen?

  3. #3 PDP10
    21. März 2019

    @wolfgang fubel:

    Wer von Denen kann das schon sagen?

    Na, mehr “von denen” und mehr davon, als du jedenfalls.

    Die Frage steht immer noch im Raum, wie du mit deiner “Theorie von allem” ganz normale Alltagsphänomene erklären kannst …

  4. #4 Florian Freistetter
    22. März 2019

    @wolfgang fubel: Angesichts deiner Theorie von der “kalten Sonne” verzichte ich lieber darauf, deiner Kritik etwas zu entgegnen. Das wäre vergebliche Mühe…

  5. #5 wolfgang fubel
    22. März 2019

    Leute geht in die Kirche wenn Ihr etwas glauben wollt!!
    In der heutigen Zeit ist es mehr denn je angebracht alles
    zu hinterfragen! Gerade dann wenn Wissenschaft
    geradezu Religiös zelibriert wird!
    Das fängt bei den Klimahysterikern an und endet bei den vielen Irrtümern der Wissenschaft!
    Es wäre tatsächlich vergebliche Mühe, das den meisten
    Menschen erklähren zu wollen!
    Habe Das schon oft versucht, einige Wenige haben das
    verstanden, die Meisten aber nicht!

  6. #6 Florian Freistetter
    22. März 2019

    @wolfgang: Vielen Dank für deinen Beitrag. Aber du hast jetzt genug rumgeschimpft und erklärt, dass du Wissenschaft nicht magst und nicht verstehst. Entweder du trägst was relevantes zum Thema bei. Oder nicht. Weitere unsachliche Kommentare deinerseits werde ich ab jetzt kommentarlos löschen.

  7. #7 Spritkopf
    22. März 2019

    Was ich nicht verstehe: Dass die Klimawandelleugner einerseits bei Wissenschaft “kritisches Denken” anmahnen – ausgerechnet dort, wo Erkenntnisse so ausführlich wie möglich dokumentiert werden und vor Veröffentlichung erstmal ein Peer Review überstehen müssen -, aber sie dann selbst auf jeden belegfreien Seich hereinfallen, solange der nur ihre Vorurteile bestätigt.

  8. #8 rolak
    22. März 2019

    nicht verstehe

    Manchmal murmele ich in den nicht vorhandenen Bart: Gut, daß ich es nicht verstehe – sonst wäre ich gefährdet. Das war: keine valide Analyse, nur Denken über Denken.
    Spontan drauflos fabulierend hätte ich folgende Hypothese im Angebot, Spritkopf: Eine unheilige Allianz aus bedeutungsschwangerem (doch inhaltsleerem) Echo/Spiegeln (wg. ‘gib ihnen, was mich am meisten triezt’) und dumpfer confirmation addiction (wg. ‘gibs mir!’).

  9. #9 PDP10
    22. März 2019

    @wolfgang fubel:

    In der heutigen Zeit ist es mehr denn je angebracht alles
    zu hinterfragen!

    Exakt.

    Darum habe ich dich ja gefragt, was denn jetzt deine Theorie zu den hier beschriebenen Alltagsphänomenen sagt.

    Und? Bekommen wir darauf noch eine Antwort?

  10. #10 wolfgang fubel
    23. März 2019

    Ein Phänomen ,ist ja schon von der Beschreibung her ein Vorgang den man kaum erklähren kann.Es ist durchaus verständlich, das es Menschen giebt, die das Unverständliche zu Erklähren versuchen! Und genau da liegen die Probleme der unterschiedlichen Interpretation!
    P.S. Es giebt keinen Grund, mich wegen anderer Auffassung oder Sichtweise der Dinge mit erhobenen Zeigefinger, Oberlehrerhaft zu Tadeln!
    Die Unterschiedliche Sichtweise und Erklährungsversuche bei den Experten, was diesen Fund angeht ist ja offensichtlich. Vieleicht sogar verständlich. Wer nicht zweifelt, glaubt letzt endlich
    fast alles!

  11. #11 Florian Freistetter
    23. März 2019

    @wolfgang fubel: “Es giebt keinen Grund, mich wegen anderer Auffassung oder Sichtweise der Dinge mit erhobenen Zeigefinger, Oberlehrerhaft zu Tadeln!”

    Wo mein Zeigefinger ist können sie ja gar nicht sehen! Und “getadelt” hab ich sie nicht wegen einer anderen Sicht der Dinge sondern wegen unhöflicher Pöbelei und Beschimpfung. Wenn sie das unterlassen können sie gerne andere Sichtweise auf Dinge diskutieren, sofern sie zum Thema passen.

  12. #12 Metalgeorge
    26. März 2019

    Mich würde interessieren wie eine Welt oder Gesellschaft aussehen würde, die von Fubelogen und der Fubelogie geprägt wäre.
    Sicher hätte diese keine Probleme mit dem Klimawandel,
    da sie nicht über das Mittelalter hinausgekommen wäre.
    Ein Newton, Keppler, Kopernikus, Plank, Maxwell oder Einstein hätten ja keine Chancen gehabt.