Lang leben langweilige Kataloge!

SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.

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Sternengeschichten Folge 370: Sternkataloge

In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um Sternkataloge! Yeah! Sternkataloge!! Lange Listen voll mit Zahlen und Daten über Sterne! Wie, das interessiert euch nicht? Ihr habt ja keine Ahnung! Sternkataloge sind super. Sternkataloge sind spannend. Und Sternkataloge sind vor allem enorm wichtig. Ohne sie könnte man die moderne Astronomie komplett vergessen. Die Kataloge sind das Fundament auf dem so gut wie alles andere ruht. Klar klingt es erstmal spannender über Aliens, die zweite Erde, schwarze Löcher und so weiter zu reden. Aber diese Art der Forschung kommt nicht aus dem Nichts und sie kann nicht aus dem Nichts kommen.

Nehmen wir mal als Beispiel die vorhin angesprochene “zweite Erde”. Also einen Planeten, auf dem ähnlich lebensfreundliche Bedingungen herrschen wie auf unserer Erde. Nach so etwas suchen Astronominnen und Astronomen und zwar mit gutem Grund. Man muss nicht erklären, warum es interessant und wichtig ist so einen Planeten zu finden. Aber vielleicht muss man ein bisschen was darüber sagen, was nötig ist um so eine Entdeckung zu machen. Angenommen wir finden einen Planeten, der einen fremden Stern umkreist: Woher wissen wir dann, was für ein Planet das ist? Wie groß er ist und welche Masse er hat zum Beispiel. Denn – und das darf man nicht vergessen – die allermeisten Planeten anderer Sterne können wir NICHT direkt sehen. Wir entdecken sie indirekt, zum Beispiel weil das Licht des Sterns ein wenig dunkler wird wenn der Planet von uns aus gesehen dort gerade vorüber zieht. Je größer der Planet, desto dunkler wird der Stern, so viel ist klar. Aber wenn wir GENAU wissen wollen, wie groß der Planet ist, müssen wir das Verhältnis der Durchmesser von Stern und Planet kennen. Müssen also auch wissen wie groß der Stern selbst ist. Auch das können wir nur selten direkt messen; stattdessen müssen wir diese Information aus seiner Helligkeit ableiten. Das ist ja das einzige, was sich direkt beobachten lässt: Die Helligkeit eines Sterns und seine Position am Himmel. Daraus kann man – und das habe ich in vielen Sternengeschichten erklärt – die Entfernung des Sterns berechnen. Und daraus dann zum Beipiel das Alter, wie ich in Folge 272 erklärt habe oder eben die Masse, wie ihr in Folge 273 nochmal nachhören könnt. Aus der Helligkeit kann man auch die Temperatur abschätzen, mit der Masse kann man dann auch seine Größe herausfinden, und so weiter. Und wenn man dann den Stern halbwegs gut kennt, kann man auch die Eigenschaften des Planeten bestimmen der ihn umkreist.

Das Prinzip gilt auch so gut wie überall sonst in der Astronomie. Was auch immer wir wissen wollen: Am Anfang steht das einzige, was sich direkt beobachten lässt und das sind Position und Helligkeit der Sterne. Genau das, was Astronominnen und Astronomen daher auch von Anfang an beobachtet haben. Man darf nicht vergessen, dass die thematische Vielfalt der modernen Astronomie noch sehr jung ist. All die Galaxien, schwarzen Löcher, Exoplaneten, der Urknall, und so weiter: Das können wir erst seit ein paar Jahrzehnten erforschen. Davor gab es in der Astronomie die Theorie, in der man mit mathematischen Methoden probierte die Bewegung der Himmelskörper zu beschreiben und zu verstehen. Und es gab die Beobachtung deren wesentliche und fast einzige Aufgabe es war, so viele Sterne am Himmel so genau wie möglich zu vermessen. Wer im 18. oder 19. Jahrhundert Astronomie betrieb, verbrachte die Nächte damit durchs Teleskop zu schauen und lange Listen von Sternpositionen und -helligkeiten zu produzieren. Klingt ein bisschen langweiliger als das was Astronominnen und Astronomen heute tun. War aber nicht weniger wichtig!

Babylonischer Sternenkatalog (Bild: gemeinfrei)

Von der mühsamen Arbeit der vergangenen Jahrhunderte profitieren wir heute noch immer. Über Jahrhunderte hinweg bauen die Sternkataloge aufeinander aus; sogar über die Jahrtausende hinweg. Die ältesten Listen mit Sternbeschreibungen die wir kennen stammen aus dem 12. Jahrhundert vor unserer Zeit. Babylonische Astronomen schrieben den “Jeweils drei Sterne”-Katalog, der so heißt weil er 36 Sterne enthält. Der Himmel wurde in 12 Bereiche aufgeteilt und aus jedem Bereich findet man drei Sterne im Katalog. 36 Sterne sind nicht viel, aber ein Anfang. Spätere babylonische Kataloge enthielten schon an die 100 Sterne. In der griechisch-römischen Antike wurden natürlich ebenfalls Sternkataloge geschrieben. Eudoxos verfasste im 4 Jahrhundert vor unserer Zeit sein Werk “Phainómena” in dem er Sterne und Sternbilder auflistete. Aber der große Durchbruch der Sternkataloge kam im 2. Jahrhundert mit Claudius Ptolemäus. Er schrieb ein Lehrbuch mit dem Titel “Mathematike Syntaxis”, was so viel heißt wie “Mathematische Zusammenstellung”. Darin fasste er das existierende Wissen zu Sternen, dem Himmel, Sonne, Mond, Planeten und so weiter zusammen. Das Buch war extrem erfolgreich und blieb bis in die Neuzeit hinein DAS astronomische Standardwerk. Es wurde immer wieder neu übersetzt, neu herausgegeben und weil man es so sehr schätzte bekam es irgendwann den Titel “Megiste Syntaxis”, was so viel heißt wie die “Größte Zusammenstellung” was in der Übersetzung der arabischen Gelehrten zu “al-madschisti” und später auf Latein mit “Almagest” bezeichnet wurde. Und als “Almagest” kennt man das Buch von Ptolemäus heute noch. Neben all den anderen astronomischen Informationen findet man darin auch einen Katalog mit ein bisschen mehr als 1000 Sternen.

So wie der Rest des Almagests blieb auch der Katalog bis in die Neuzeit Standard. Mit dem Wandel vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltbild wuchsen dann aber auch die verfügbaren Daten über das Universum. Alle Sternkataloge aufzuzählen würde den Rahmen dieses Podcasts sprengen, vor allem weil ja nicht nur in Europa sondern auch in China, Indien und dem Rest der Welt der Himmel beobachtet und die Sterne aufgezeichnet wurden. Und irgendwann erzähle ich auch sicher noch davon, zum Beispiel von der Arbeit des großen Fürsten und Astronomen Ulugh Beg aus Samarkand. Jetzt aber schauen wir noch kurz bei Johann Bayer und John Flamsteed vorbei. Der erste veröffentlichte im Jahr 1603 die “Uranometria”, eine Sammlung von absolut wunderbar künstlerisch ausgearbeiteten Sternkarten und der zweite arbeitete sein Leben lang an seinem Katalog “Historia Coelestis Britannica” der 1735 veröffentlicht wurde und Daten von 2935 Sternen enthält. Beide sind für die heute immer noch gebräuchliche Methode verantwortlich Sterne zu benennen über die ich in Folge 2 der Sternengeschichten gesprochen habe. Wenn ihr von Sternen wie “Alpha Centauri”, “Gamma Cephei” oder “Delta Pavonis” hört, dann geht dieses System mit den griechischen Buchstaben auf Johann Bayer zurück. Und Sternnamen wie “72 Tauri” oder “51 Pegasi” hat sich John Flamsteed ausgedacht.

Uranometria (Bild: gemeinfrei)

Damals arbeiteten Bayer und Flamsteed ohne oder nur mit vergleichsweise simplen Teleskopen. Je besser die Geräte aber wurden, desto mehr Sterne konnte man auch sehen. Und desto größer wurden die Kataloge. Und neue Daten kamen dazu! In Folge 132 der Sternengeschichten hab ich von den Spektralklassen gesprochen. Im 19. Jahrhundert hatte man gelernt, das Sternenlicht so zu analysieren um damit auf die Zusammensetzung des Sterns schließen zu können. Das ging mit den sogenannten “Spektrallinien” und die nutzte man um die Sterne zu klassifizieren. Im Zuge dieser Arbeit entstand 1918 der “Henry Draper Catalogue”, der neben den Sternpositionen auch die Spektraltypen der Sterne enthielt und das für anfangs 225.300 Sterne; später wurde der Katalog auf 359.083 Sterne erweitert. Benannt wurde er nach Henry Draper, einem amerikanischen Hobby-Astronomen dessen Witwe der Harvard-Sternwarte das Geld für die Erstellung des Katalogs gespendet hatte. Wenn ihr also irgendwo Sternnamen lest die mit “HD” anfangen und dann von einer langen Zahl weitergehen, dann ist das ein Stern aus dem Henry-Draper-Katalog.

Ein weiterer wichtiger Sternenkatalog des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts war die “Bonner Durchmusterung”. Die wurde, wie der Name schon andeutet, an der Sternwarte von Bonn durchgeführt. Zusammen mit der vom gleichen Team am Himmel der südlichen Hemisphäre durchgeführten “Córdoba Durchmusterung” erhielt man einen Katalog von fast einer Million Sternen.

Ein Katalog den ich persönlich sehr interessant finde, ist der “Bright Star Catalogue”. Wie der Name vermuten lässt, enthält er helle Sterne. Und zwar alle Sterne die so hell sind, dass man sie zumindest theoretisch ohne Teleskop, also mit freiem Auge sehen könnte. Er wurde 1930 das erste Mal und 1991 in der fünften überarbeiteten Ausgabe veröffentlicht; von Frank Schlesinger und Dorrit Hoffleit die beide an der Universität Yale arbeiteten. Insgesamt sind in diesem Katalog 9095 Sterne zu finden – mehr kann man also mit freiem Auge an unserem Himmel nicht sehen.

Mit Teleskop aber schon und auch nicht nur Sterne. Auch andere Himmelsobjekte sind in Katalogen sortiert. Planeten, Asteroiden, interstellare Staubwolken: Alles hat die Astronomie schön sortiert. Die Galaxien natürlich auch. Zum Beispiel im “New General Catalogue of Nebulae and Clusters of Stars” von dem auch das Kürzel NGC stammt, dass man in der Bezeichung vieler Galaxien lesen kann. NGC 224 etwa, die Andromedagalaxie, die zusammen mit 7840 andern Galaxien, Sternhaufen und Nebeln im Katalog zu finden ist. Besser bekannt ist die Andromeda unter der Bezeichnung “M31”, also als das 31te Objekt im “Messier Katalog” über den ich in Folge 128 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen habe.

Gaia DR2-Katalog – sieht langweilig aus, ist aber extrem wichtig (European Space Agency (ESA) mission Gaia, processed by the Gaia Data Processing and Analysis Consortium, DPAC).

Wer keine Galaxien sucht sondern ganze Haufen von Galaxien muss den 1958 veröffentlichen Abell-Katalog aufschlagen, der 4073 Galaxienhaufen mit allen relevanten Daten enthält. Im 2018 veröffentlichten Katalog des Weltraumteleskops GAIA findet man Einträge über fast 1,7 Milliarden Objekte aller Art! Und so weiter: Was sich vernünftig katalogisieren lässt, haben wir in der Astronomie mittlerweile katalogisiert. Nicht weil wir solche großen Ordnungsfanatiker sind. Sondern weil es ohne diese Daten nicht geht! Wenn man so wenig Möglichkeiten hat an Daten zu gelangen wie in der Astronomie, dann muss man das, was man hat so gut wie möglich aufbereiten. Wir können zwar immer nur ins Universum schauen. Aber das was wir sehen schreiben wir so auf, dass alle den größtmöglichen Nutzen davon haben.