Im August 2011 habe ich mich sehr gefreut. Da wurde die Entdeckung des ersten Erdtrojaners bekannt gegeben. Das hat nichts mit Computerviren zu tun – sondern mit Asteroiden. Die Trojaner-Asteroiden waren schon schon oft Thema hier im Blog; das letzte Mal erst vor ein paar Monaten, als eine Raumsonde zu den Jupiter-Trojanern gestartet ist. Wir müssen aber heute schon wieder darüber reden. Denn gestern wurde die Entdeckung des zweiten Erdtrojaners bekannt gegeben!

Wenn man die Trojaner verstehen will, muss man die Lagrange-Punkte kennen. Zum Glück wurde über die in letzter Zeit viel geredet – das James-Webb-Weltraumteleskop ist seit ein paar Tagen nämlich an genau so einem Lagrange-Punkt angekommen um dort in Zukunft das All zu beobachten. Ich verweise daher auf das was ich damals geschrieben habe und fasse nur kurz zusammen: Wenn man zwei Himmelskörper – zum Beispiel die Sonne und einen Planeten – betrachtet, dann kann man fünf Punkte finden, an denen sich alle von und durch diese Körper wirkenden Kräfte gerade aufheben. Das sind die fünf Lagrangepunkt: Drei davon befinden sich auf der Verbindungslinie durch die beiden Körper, zwei sind 60 Grad vor und 60 Grad hinter dem kleineren Körper auf dessen Bahn. In bzw in der Nähe dieser Punkte können sich kleine Objekte aufhalten. Die ersten drei Punkte sind instabil, das heißt dass kleine Störungen das kleine Objekt im Laufe der Zeit dazu bringen, aus dem Punkt zu driften sofern man nicht – wie bei einem Satellit – aktiv gegensteuern kann. Die Punkte entlang der Bahn des zweiten Himmelskörpers aber sind stabil: Was sich hier bzw. in der Nähe der Punkte befindet, kann dort auch dauerhaft bleiben. Der Jupiter zum Beispiel hat in seinen Lagrange-Punkten ein paar tausend bekannte Trojaner-Asteroiden und man schätzt dass dort ein paar Millionen existieren. Auch bei Mars, Venus, Uranus und Neptun hat man Trojaner entdeckt (bei Saturn kann es aus dynamischen Gründen keine geben, da stört Jupiter zu sehr und bei Merkur hat man noch keine gefunden). Und seit 2011 kennt man eben auch einen Erdtrojaner der nun einen Kollegen bekommen hat (“Orbital stability analysis and photometric characterization of the second Earth Trojan asteroid 2020 XL5”)

Lagrange-Punkte (mit dem James-Webb-Teleskop in L2, der neue Asteroid befindet sich in L4). Bild: NASA

Der Asteroid heißt 2020 XL5 und wurde am 12. Dezember 2020 entdeckt. Man hat damals schon vermutet, dass es sich um einen Trojaner handeln könnte. Die Beobachtungen waren aber nicht gut genug, um die Bahn so genau bestimmen zu können, um sich da sicher zu sein. Aber jetzt weiß man es genau: 2020 XL5 ist ein Trojaner und befindet sich – so wie der Asteroid aus dem Jahr 2011 – im Lagrange-Punkt L4, also 60 Grad vor der Erde entlang ihrer Bahn. Das Beobachtungsproblem hat man bei allen Trojanern an dieser Position: Von der Erde aus gesehen sieht man sie immer nur dort, wo es gerade hell oder noch fast hell ist. Man kann sie also entweder gar nicht oder nur in der Dämmerung beobachtet werden. Da steht der Asteroid dann nur knapp über dem Horizont und das Licht muss sehr viel mehr Atmosphäre durchqueren als wenn er sich hoch oben am Himmel befinden würde. Dadurch wird die Qualität der Aufnahmen schlechter und die Positionsbestimmung ungenau.

Mittlerweile hat man aber genug Daten gesammelt um die Bahn von 2020 XL5 gut genug zu bestimmen. Und weiß jetzt: Der Asteroid wird noch mindestens die nächsten 4000 Jahre ein Trojaner der Erde bleiben. Das ist lange genug um ihm das Label “Trojaner” zu geben – aber recht kurz verglichen mit etwa den Trojanern des Jupiters, die Milliarden Jahre in ihrer Lagrange-Konfiguration bleiben. Aber rein prinzipiell ist es auch nicht ungewöhnlich, wenn Asteroiden aus den Lagrange-Positionen hinausdriften, wieder ihn sie hinein oder – das kommt etwas seltener vor – sogar den Lagrangepunkt wechseln. Das liegt daran, dass sie sich natürlich nicht alle exakt im Lagrangepunkt befinden. Um L4 und L5 herum gibt es Stabilitätsregionen und die Trojaner-Asteroiden haben unterschiedliche Bahnen. Manche sind stärker kreisförmig, andere weniger; manche sind stark gegenüber der Erdbahn geneigt, andere nicht. Sie befinden sich zwar alle in der Nähe der Lagrangepunkte, aber nicht exakt dort. Und diverse gravitative Störungen können sie im Laufe der Zeit unter Umständen weit genug von den Lagrangepunkten wegführen – bis sie irgendwann vielleicht gar keine Trojaner mehr sind.

Wie es bei 2020 XL5 aussieht, zeigt dieses Diagram:

Man sieht hier einen Parameter, der im wesentlichen beschreibt, ob der Asteroid ein Trojaner ist oder nicht. Es handelt sich um einen Winkel und wenn der exakt 60 Grad beträgt, befindet sich der Asteroid auch exakt im Lagrangepunkt L4. Er kann aber zwischen 0 und 180 Grad schwanken, dann bewegt sich der Asteroid immer noch als Trojaner in der Nähe des Punktes. Nur wenn die Schwankungen darüber hinaus gehen handelt es sich nicht mehr um einen Trojaner. Das Diagram – das Ergebnis einer Computersimulation der Bewegung des Asteroiden – zeigt, dass 2020 XL5 irgendwann vor gut 1000 Jahre vom Lagrangepunkt L4 “eingefangen” wurde und ihn in knapp 4000 Jahren wieder verlassen wird.

Die Beobachtungen zeigen auch, dass es sich vermutlich um ein recht kleines Objekt handelt; 2020 XL5 ist nur knapp einen Kilometer groß. Das hängt aber von seiner chemischen Zusammensetzung ab; wir können derzeit nur schätzen, wie seine Oberfläche beschaffen ist und wie gut der Asteroid Sonnenlicht reflektieren kann. Und die Größe lässt sich nur aus der Helligkeit abschätzen – wenn wir es genau wissen wollen, müssen wir hinfliegen und das ist schwieriger als man denken würde. Auch das wurde in der aktuellen Arbeit berechnet: Eigentlich könnte man ja denken, so einen Trojaner kann man recht leicht erreichen. Immerhin ist er ja immer in der Nähe der Erdbahn. Was auch nicht falsch ist, aber 2020 XL5 hat eine Bahn, die um fast 14 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt ist. Um eine Raumsonde auf eine so stark geneigte Bahn zu bringen, braucht es viel Energie und eine Raumfahrtmission zum Trojaner wäre daher recht aufwendig.

Auf jeden Fall wird 2020 XL5, gemeinsam mit dem anderen Erdtrojaner, weiter erforscht werden. Trojaner sind spannende Objekte und diese beiden können uns einiges darüber sagen, wie die dynamischen Bedingungen in der weiteren Umgebung der Erde beschaffen sind. Es gibt zum Beispiel Vermutungen, dass die beiden Trojaner aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars- und Jupiterbahn stammen, aus der Gruppe der Hungaria-Asteroiden. Von dort könnten sie durch gravitative Störungen des Jupiters in Richtung Erde gelangt und in eine Lagrange-Konfiguration eingefangen worden sein. Ob das wirklich so war, werden wir erst wissen, wenn wir mehr über die Trojaner gelernt haben. Und wenn wir noch mehr Erdtrojaner entdeckt haben! Es wird mit Sicherheit noch mehr als nur die beiden geben und auch im der Erde nachlaufenden Lagrangepunkt L5 sollte es Asteroiden geben. In unserer Nachbarschaft gibt es noch einiges zu entdecken!

P.S. Ich sags zur Sicherheit dazu: Die Erdtrojaner sind KEINE Gefahr für die Erde. Sie befinden sich ja immer in der Nähe ihrer Lagrangepunkte und können uns daher nicht zu nahe kommen.

Kommentare (10)

  1. #1 gedankenknick
    2. Februar 2022

    Wäre es nicht einfacher, L4 und L5 von einem Satelliten in der Erdumlaufbahn aus zu beobachten? Der müsste ja nicht geostationär und auf den Punkt ausgerichtet sein. Wenn er die Erde umkreist könnte er ja L4 und L5 abwechselnd beobachten. Man würde sich zumindest die athmosphärischen Störungen sparen, die ja, wenn man Dinge knapp über dem Horizont beobachtet, noch wesentlich ausgeprägter sind als Richtung Zenit. Und ich denke, dieser Beobachtungssatellit müßte auch nicht die Auflösung eines Hubble haben, da die zu beobchtenden Punkte a) viel näher sind und b) eine Überlagerung einer höheren Aufnahmemenge ja mit passender Mathematik zu einer höheren Auflösung führt…

    Gedanken eines Astro-Laien, der auf die L-Punkte das erste Mal durch das Spiel “Halo” aufmerksam wurde…

  2. #2 Robert Hinesley
    Oberland
    2. Februar 2022

    Sehr interessant, ich hätte nicht gedacht, dass man die Bahnen leichter Asteroiden so weit in die Zukunft berechnen kann! Zwei Dinge wundern mich dann doch.
    * Erstens, je kleiner ein Objekt ist, umso stabiler sollte es doch im L-Punkt bleiben wenn es erst mal “eingefangen” wurde. Warum verlässt es den Stabilitätsbereich wieder, sind die Einflüsse in der Simulation ersichtlich?
    * Zweitens heißt es “Von der Erde aus gesehen sieht man sie immer in der Nähe der Sonne” – wirklich? 60 grad voraus auf unserer Bahn ist doch nicht wirklich Sonnennähe, siehe auch die Geometrie in der Abbildung.

  3. #3 Ludger
    2. Februar 2022

    @Robert Hinesley
    Ich lese aus der Abbildung, dass man sie nur in der Dämmerung sehen kann. Tagsüber ist es zu hell und in der tiefen Nacht ist der Horizont im Weg. Das dürfte mit der Formulierung “in der Nähe der Sonne” gemeint sein.

  4. #4 gedankenknick
    2. Februar 2022

    @Robert Hinesley

    “Von der Erde aus gesehen sieht man sie immer in der Nähe der Sonne” – wirklich? 60 grad voraus auf unserer Bahn ist doch nicht wirklich Sonnennähe, siehe auch die Geometrie in der Abbildung.

    Gemeint ist hier, dass die Punkte L4 und L5 nur von Standpunkten auf der von der Sonne erhellten Seite der Erde zu beobachten sind (auch das kann man in der Geometrie der Abbildung sehen). Und damit ist diese Beobachtung immer viel schwieriger als auf der gerade sonnenabgewandten Seite. Soll die Sonne von Beobachtungsstandpunkt aus dabei nicht am Himmel zu sehen sein, geht die Beobachtung nur in der Morgen- bzw. Abenddämmerung (L-Punkt über dem Horizont, Sonne aber bereits unter dem Horizont). Trotzdem stört das Dämmerungslicht der Sonne die Beobachtungen. Und außerdem wird dann auch der Weg des Lichts vom L-Punkt durch die Erdathmosphäre zum Beobachtungsstandpunkt wesentlich länger (gegenüber einer “radialen” Beobachtung in Blickrichtung Zenit), womit der Einfluss der athmosphärischen Störungen auf die Beobachtung zunimmt.

  5. #5 Peter Paul
    2. Februar 2022

    Das Beobachtungsproblem hat man bei allen Trojanern an dieser Position: Von der Erde aus gesehen sieht man sie immer in der Nähe der Sonne und kann entweder gar nicht oder nur in der Dämmerung beobachtet werden.

    Das wundert mich auch sehr. Die Venus ist in ihrer sonnenfernsten Position deutlich näher an der Sonne. Liegt es einfach daran, dass diese Asteroiden so lichtschwach sind?

  6. #6 Florian Freistetter
    2. Februar 2022

    Ja, das mit ” in der Nähe der Sonne ” war zu schnell geschrieben. Danke für den Hinweis, ich hab es jetzt deutlicher gemacht.

  7. #7 Rob
    Oberland
    2. Februar 2022

    Danke, ich hoffe meine Nachfrage ist nicht als Kritik rübergekommen, das hat mit nur interessiert.

  8. #8 Bullet
    2. Februar 2022

    @Peter Paul:

    Die Venus ist in ihrer sonnenfernsten Position deutlich näher an der Sonne. Liegt es einfach daran, dass diese Asteroiden so lichtschwach sind?

    Naja … im Artikel steht doch, daß diese Asteroiden recht klein sind (~ 1 km Durchmesser).
    Selbst in sonnenfernster Position ist die Venus immer noch das “hellste” Objekt am Himmel, das nicht “Sonne” oder “Mond” heißt. Heller als Jupiter übrigens! Jupiter – dessen Größe ihn zum King unter den Planeten macht.
    Venus ist da etwas unfair, weil die weißen Wolken des nur erdgroßen Planeten Licht reflektieren wie bekloppt. (Wiki: Albedo ~ 69%)
    Asteroiden sind dagegen zumeist dunkelgrau oder schwarz. Die fiese Differenz in der “Leuchtkraft” liegt also nicht an den Asteroiden, sondern an der Venus. Was man übrigens super beim Merkur beobachten kann. Der ist noch dichter an der Sonne und bekommt daher noch viel mehr Licht ab – ist aber ohne eine der der Venus vergleichbare Wolkendecke nur ein schmutziger Stein. (Albedo ~ 14%)
    Er ist daher ungleich schwieriger zu beobachten. Einerseits, weil der Erdhimmel wegen des geringen Positionswinkels zur Sonne noch heller ist, andererseits, weil eine geringere und dunklere Fläche weniger Licht zurückwirft. Immerhin hat der gerade mal ein Drittel des Durchmessers der Venus, also ein Neuntel der Fläche.
    Jetzt überleg mal, um wieviel kleiner die rückstrahlende Fläche eines Asteroiden mit einem Durchmesser von 1 km gegenüber einem Planeten von 12200 km Durchmesser ist. Ich komm da auf einen Faktor von 1:150 Millionen.

  9. #9 Bullet
    2. Februar 2022

    Kleine Korrektur:
    Laut der Albedoliste hier ist in diesem Fall die sog. “sphärische Albedo” das relevantere Signal. Und da klaffen Merkur und Venus noch weiter auseinander:
    Venus: ~77%
    Merkur: ~6,8%

  10. […] Asteroidenzuwachs: Der zweite Erdtrojaner wurde entdeckt! […]