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Sternengeschichten Folge 488: Gouldscher Gürtel und Radcliffe-Welle

Benjamin Gould war ein amerikanischer Astronom. Und sein Gürtel liegt nicht in irgendeinem Kleiderschrank, sondern weit draußen im Universum. Beziehungsweise ist er mittlerweile nicht mal mehr dort, sondern ganz weg. Aber fangen wir am Anfang an. Der ist in diesem Fall die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der berühmte Astronom John Herschel, Sohn des noch berühmteren Astronoms William Herschel, Entdecker des Planeten Uranus – John Herschel jedenfalls hat Sterne beobachtet. Nicht so außergewöhnlich als Astronom, damals wie heute. Herschel fiel aber etwas auf: Wenn man sich die besonders hellen Sterne am Himmel ansieht, dann findet man viele davon nicht in der Ebene der Milchstraße sondern eher entlang einer Linie, die ein bisschen geneigt dazu ist.

Stellen wir uns vor unserem geistigen Auge mal kurz die Milchstraße vor. Wir sehen eine große Scheibe, voller Sterne. Die Sonne befindet sich in der Randregion dieser Scheibe. Wenn wir von dort aus nach “oben” und nach “unten” schauen, also über und unter die Scheibe, dann sehen wir da natürlich wenig Sterne. Die Scheibe der Milchstraße ist ja im Vergleich zu ihrer Ausdehnung nicht sehr dick. Wir können auch in Richtung des intergalaktischen Raums schauen, also in die Richtung, in der die Scheibe der Milchstraße bald zu Ende ist. Auch da sind wenige Sterne. Nur wenn wir in Richtung Zentrum der Milchstraße schauen, sehen wir jede Menge Sterne. Es ist ein bisschen so, als wenn man am Waldrand stehen würde. Der Blick in die eine Richtung zeigt uns ein paar Bäume hinter denen wir schon die Felder und Wiesen sehen können. Und wenn wir in die andere Richtung schauen, dann sehen wir so viele Bäume, dass man – wie im Sprichwort – den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können.

Das ist auch der Grund, warum wir am Himmel die “Milchstraße” sehen können. Das klingt ja ein wenig seltsam, die Milchstraße ist ja die Galaxie, deren Teil auch unser Sonnensystem ist. Jeder Stern den wir am Himmel sehen können – es sei denn wir benutzen sehr, sehr große Teleskop – ist Teil der Milchstraße. Aber diese Sterne sind eben auch alle in unserer näheren Umgebung; es sind die Sterne, die sich über uns, unter uns und vor und hinter uns befinden. In drei dieser Richtungen kommt hinter diesen Sternen nicht mehr viel, nur der leere intergalaktische Raum. Die vierte Richtung zeigt uns aber den Blick auf das Zentrum der Milchstraße und in dieser Richtung sehen wir SO VIELE Sterne, dass wir ohne optische Hilfsmittel gar nicht erkennen können, dass es sich um Sterne handelt. Wir sehen nur ein milchiges Band, das sich über den Himmel zieht und haben es deswegen “Milchstraße” genannt. Erst als im 17. Jahrhundert die ersten Teleskope zum Himmel gerichtet wurden, konnte man sehen, dass das alles Sterne sind.

Das Band der Milchstraße markiert an unserem Himmel also die Ebene der Milchstraße. Dort befinden sich die allermeisten Sterne unserer Galaxis und rein statistisch gesehen sollten in dieser Ebene natürlich auch die meisten helle Sterne sein. Und jetzt zurück zu John Herschel, der fest gestellt hat, dass sehr viele helle Sterne eben gerade NICHT in der Ebene der Milchstraße liegen. Was ist da los? Ein paar Jahre später, in den 1870er Jahren, hat der amerikanische Astronom Benjamin Gould die Sache genauer untersucht. Er kam zu dem Schluss, dass die hellen Sterne in einer Art Ring um das Zentrum der Milchstraße angeordnet sein müssen, der ein wenig gegenüber der Ebene der Milchstraße geneigt ist. Diese Struktur hat den Namen “Gould Belt” bekommen.

Benjamin Gould, ohne Gürtel (Bild: gemeinfrei)

Im Laufe der Zeit hat man dort noch mehr entdeckt. Und herausgefunden, dass der Gould Belt nicht nur aus hellen Sternen besteht. Sondern auch aus jeder Menge interstellarer Gaswolken. Und dass der Ring kein kompletter Ring ist. Sondern eine circa 3000 Lichtjahre lange Struktur, um circa 15 bis 20 Grad gegenüber der Ebene der Milchstraße geneigt, die nur knapp ein Zehntel um das Zentrum der Milchstraße herum reicht. Die Sterne des Gouldschen Gürtels sind vergleichsweise jung, nur circa 60 Millionen Jahre alt, was deutlich jünger ist als das typische Alter der anderen Sterne in der Milchstraße. Aber auch kein Wunder, denn bei den interstellaren Gaswolken des Gürtels handelt es sich ja um ebenso typische Sternentstehungsgebiete. Und da ist es auch nicht überraschend, dass dort jede Menge helle Sterne zu finden sind. Wir sehen die jungen, heißen Sterne die in diesen Regionen erst vor ein paar Millionen Jahren entstanden sind. Beziehungsweise die massereichen, alten, aber immer noch hellen Sterne, die schon wieder dabei sind ihr kurzes Leben als rote Riesen zu beenden nachdem sie vor ein paar Millionen Jahren entstanden sind. Antares gehört zum Beispiel dazu, hellster Stern im Sternbild Skorpion. Unsere Sonne ist übrigens kein Teil des Rings, wir liegen innerhalb davon und es sind circa 300 Lichtjahre bis dorthin.

Aber wieso gibt es da diesen komischen, geneigten Ring aus Sternentstehungsgebieten und hellen Sternen? Gute Frage, auf die wir leider keine definitive Antwort haben. Vielleicht ist da mal ne große Wolke aus Gas und Staub sehr schnell vorbei gekommen. In der Milchstraße ist ja alles in Bewegung und diese Bewegung ist nicht unbedingt immer ordentlich. Im Gegenteil – die Sterne bewegen sich zwar in erster Näherung um das Zentrum der Milchstraße herum, so wie die Planeten um die Sonne. Aber die Sonne hat sehr, sehr viel mehr Masse als alle Planeten zusammengenommen und dominiert daher mit ihrer Schwerkraft die Bewegung des Sonnensystems. Im Zentrum der Milchstraße sitzt zwar ein großes schwarzes Loch mit der circa viermillionenfachen Masse der Sonne. Im Vergleich zu den hunderten Milliarden von Sternen unserer Galaxis ist das aber NICHT dominant. Das heißt, die Bewegung der Sterne um das Zentrum der Milchstraße ist beeinflusst von der Gravitation der ganzen anderen Sterne. Das macht die Bewegung tendenziell chaotisch und da kann es gut sein, dass so eine große interstellare Wolke halt auch mal quasi kreuz und quer durch die Gegend fliegt. Wenn sie dann die Ebene der Milchstraße durchquert kann der dort etwas stärker wirkende Gravitationseinfluss der anderen Sterne dazu führen, dass sich das Gas der Wolke zu Sternen zusammenballt. Beziehungsweise dass das Gas in den Wolken in der Umgebung, die sowieso schon dort waren, kollabiert und Sterne entstehen. Wenn die dann am Ende ihres Lebens als Supernovae explodieren, verdichten sie das Gas in der Umbegung noch weiter und das Resultat wären jede Menge neue, dichtere Wolken aus denen neue Sterne entstehen, so wie beim Gouldschen Gürtel. Aber ob das wirklich so war, wissen wir nicht. Es gibt auch jede Menge andere Hypothesen, zum Beispiel dass eine größere Wolke aus dunkler Materie die Milchstraßenebene durchquert und die Entstehung des Gouldschen Gürtels ausgelöst hat.

Darstellung der Radcliffe-Welle (Bild: Alyssa Goodman, Harvard University)

Wir brauchen mehr Forschung, wie immer. Und die hat in diesem Fall auch stattgefunden. Mit einem recht überraschenden Ergebnis: Es scheint so, als würde es den Gouldschen Gürtel in der Form gar nicht geben. Stattdessen ist dort die “Radcliffe-Welle”. Das Problem, das man immer hat, wenn man Strukturen im Kosmos verstehen will, ist die Entfernung. Die sehen wir nicht, zumindest nicht auf den ersten Blick. Wir können vergleichsweise leicht feststellen, ob da am Himmel etwas ist, zum Beispiel ein Stern oder eine Gaswolke. Und natürlich auch wo am Himmel, also in welcher Richtung, sich das Ding befindet. Was wir ohne weiteres nicht sehen: Wie weit ist es bis dorthin? Das muss man messen und das ist mühselig, ganz besonders, wenn es um Objekte wie Gaswolken oä geht.

Zum Glück wurde im Jahr 2013 das Weltraumteleskop Gaia ins All geschickt. Sein Job war genau das: Die Entfernungsbestimmung für extrem viele Himmelskörper durchzuführen; so exakt wie nie zuvor. Am Ende waren es fast 2 Milliarden Objekte, die Gaia vermessen konnte. Mit den so gewonnenen Daten konnte man sich auch den Gouldschen Gürtel genauer anschauen und seine räumliche Struktur sehr genau bestimmen. Und hat dabei festgestellt: Der Gürtel ist viel mehr eine Welle. Ungefähr 9000 Lichtjahre lang und 400 Lichtjahre breit. Sie erstreckt sich dabei 500 Lichtjahre über die Ebene der Milchstraße beziehungsweise 500 Lichtjahre darunter, wie eine Welle eben. Dass wir bisher gedacht haben, einen Gürtel zu sehen, lag nur an einem Projektionseffekt. Die großen Sternentstehungsgebiete des Gouldschen Gürtels – der Orion-Molekularwolkenkomplex mit dem Orionnebel, die Perseus Molekularwolke, usw – sind alle Teil dieser Radcliffe-Welle, benannt übrigens nach dem Radcliffe Institute for Advanced Study in Cambridge, wo ein Großteil der Leute gearbeitet hat, die diese Entdeckung gemacht haben.

Die Radcliffe-Welle ist eine enorme Struktur, sie nimmt circa 20 Prozent der Breite und 40 Prozent der Länge des Orion-Arms ein, also des Spiralarms unserer Galaxie, in dem sich auch die Sonne befindet. Im Laufe von Jahrmillionen schwingt sie sogar hin und her, um die Ebene der Milchstraße. Immer wieder kommt die Welle dabei auch in unsere kosmische Nachbarschaft, alle 13 Millionen Jahre circa.

Das Rätsel der Entstehung ist aber durch diese Entdeckung eher größer geworden als kleiner. Im Gegensatz zum Gouldschen Gürtel kann die viel größere Radcliffe-Welle eher nicht durch Supernova-Explosionen früherer Sterne entstanden sein. Wenn, dann muss irgendein Prozess dafür verantwortlich sein, der sich auf galaktischer Ebene abspielt. Gravitative Veränderung, Schockfronten quasi, die einen ganzen Spiralarm durchqueren und dabei so enorme Strukturen erzeugen. Aber was dafür sorgt, dass sich die Gravitationskräfte über so einen großen Bereich so ändern, ist unbekannt. Es wird mit der Bewegung der Objekte in der Milchstraße zu tun haben, aber wie genau das passiert: Das wissen wir noch nicht. Aber immerhin wissen wir, dass wir quasi auf einer galaktischen Welle reiten und das ist ja auch ganz nett.

Kommentare (1)

  1. #1 next
    3. April 2022

    Der gelbe Punkt ist dann ein intergalaktischer Surfer?
    “Whhooha, dude! Ride the wave!”

    Sorry, konnte nicht widerstehen einen blöden Kommentar zu hinterlassen. Das ist leider immer das Erste was mir in den Kopf schießt.

    Eine Frage zum Sample Bias. Wie ist denn sichergestellt worden, dass man sich hier nicht einfach Sterne herausgepickt hat, die zur Wellenform passen?
    Als Methoden-Paper habe ich das hier gefunden: https://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-4357/ab2388/pdf
    Das ist eine Menge Arbeit eingeflossen, um den Abstand und die Helligkeit zu bestimmen. Ich finde aber keinen Hinweis, wie sie den Sample Bias ausschließen können. Hast du da das herausgelesen?
    Ich habe “3.5. Sample Selection” gelesen, aber leider nicht verstanden, warum sie Sterne entfernt haben, die dem Chi² Kriterium nicht entsprechen. Nach eigener Aussage entfernen sie damit eine Menge Sterne in der Wolke. Es liesst sich so, dass das jüngere Sterne sind, die (ich vermute) sekundär durch Graviationswirkungen der älteren Sterne entstanden sind, aber müsste sich da auch nicht die gleiche Wellenform wiederfinden?

    Bewegt sich die Welle eigentlich, oder ist sie statisch? Würde es eigentlich einen Unterschied für die Entstehung machen, wenn die Welle statisch oder dynamisch ist?