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Sternengeschichten Folge 505: Die himmlische Elektrisiermaschine

Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von den Sternbildern erzählt. Für die moderne astronomische Forschung haben sie keine Bedeutung mehr, aber sehr wohl, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen uns Menschen und dem Himmel zu verstehen. Es ist absolut logisch, dass man versucht, die vielen hellen Punkte am Himmel irgendwie zu ordnen. Einerseits, weil unser Gehirn eben so funktioniert; wir sind darauf ausgelegt überall nach Mustern zu suchen, selbst wenn es gar keine gibt. Und andererseits auch, weil es eine sehr natürlich Art ist, die Sterne einzuteilen, wenn man ansonsten nichts über sie weiß.

Wir sehen ja nicht direkt, wie weit die Sterne entfernt sind. Das muss man messen; sehr mühsam, und deswegen ist uns das auch erst sehr spät gelungen, im 19. Jahrhundert. Und mittlerweile wissen wir daher auch, dass die Sterne nicht nur alle sehr weit entfernt sind, sondern vor allem auch alle unterschiedlich weit von uns weg. Die Sterne, die wir zu einem Sternbild zusammengefasst haben, haben in Wahrheit nichts mit einander zu tun. Aber lange Zeit haben wir davon eben keine Ahnung gehabt. Wir haben zum Himmel geschaut und dort Bilder gesehen. Manche – wie zum Beispiel Corona Borealis, die nördliche Krone, oder Orion, der Jäger – schauen auch genau so aus wie das was sie darstellen. Die Sterne in Corona Borealis bilden wirklich eine Form, die wie eine kleine Krone aussieht. Und die markante Figur des Orion mit seiner erhobenen Hand in der er die Keule trägt oder den Bogen, um auf die Jagd zu gehen, kann man kaum übersehen. Bei anderen Sternbildern braucht man sehr viel mehr Fantasie, um zu erkennen, was sie darstellen sollen. Aber auch das gehört dazu: Wir Menschen sind voll mit Fantasie und unsere Kreativität haben wir am Himmel genau so ausgelebt wie hier unten auf der Erde. Wir haben all das an den Himmel projiziert, was wir hier unten auf der Erde nicht gehabt haben. All unsere Götter, Helden und Mythen. Aber auch unsere Monster und Dämonen; all das was wir uns gewünscht und vor dem wir uns gefürchtet haben.

Diesem Zauber konnten sich auch die Menschen in der Neuzeit nicht entziehen. Sie haben – trotz aller astronomischen Erkenntnisse – an vielen der alten Sternbilder aus der Vergangenheit festgehalten. Und sich selbst neue ausgedacht, die auf eine ganz eigene Art und Weise kreativ waren. Diese “neuen” Sternbilder findet man vor allem am Himmel der Südhalbkugel. Nicht, weil es dort noch keine Bilder gegeben hätte. Die Menschen die dort gelebt haben, haben natürlich das gemacht, was alle Menschen gemacht haben und ihre eigenen Geschichten über die Sterne erfunden, mitsamt eigener Sternbilder. Aber aus diversen historischen Gründen waren es eben die Menschen aus Europa, die sich angemaßt haben, die ganze Welt einzuteilen und zu klassifizieren. Die europäischen Nationen haben sich die restlichen Länder der Welt aufgeteilt und kolonialisiert. Sie haben die Flüsse, Berge und Inseln mit ihren eigenen Namen benannt und die alten, einheimischen Bezeichnungen ignoriert. Und am Himmel ist es genau so gelaufen. Als man sich aufgemacht hat, “neue” Länder zu entdecken (die aber nur für die Menschen in Europa neu waren), hat man natürlich auch neue Sternkarten gezeichnet, neue Beobachtungen angestellt und neue Sternbilder erfunden.

Diese Folge soll aber jetzt keine Kritik des Kolonialismus werden. Nicht, weil es daran nichts zu kritisieren geben würde, ganz im Gegenteil. Aber das wäre ein völlig anderes Thema und ich will von den Sternen erzählen. Wenn man sich die Liste der offiziellen Sternbilder anschaut, findet man am nördlichen Himmel vor allem die traditionellen Bilder der griechisch-römischen Antike. Im Süden aber jede Menge Sternbilder die aus der Reihe fallen. Da ist zum Beispiel das Sternbild Teleskop. Oder die Pendeluhr. Man findet dort auch einen Zirkel, eine Luftpumpe und ein Mikroskop (davon habe ich ja schon in Folge 199 ausführlich erzählt). Was machen diese ganzen technischen Gerätschaften am sonst so mythologischen Himmel?

Das Monster passt auf die Maschine auf! (Bild: gemeinfrei)

Dafür ist der Franzose Nicolas-Louis de Lacaille verantwortlich. Von 1750 bis 1754 arbeitete der Astronom am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika und hat dort – neben vielen anderen Dingen – auch einen Katalog von circa 10.000 Sternen des Südhimmels erstellt. Und die natürlich auch in Sternbilder eingeteilt. Lacaille wollte dabei die Erungenschaften der modernen Wissenschaft würdigen; was man ihm auch nicht vorwerfen kann. Im 18. Jahrhundert war die Naturwissenschaft gerade dabei, sich zu dem zu wandeln, was sie heute ist. Im vorherigen Jahrhundert hatten Forscher wie Isaac Newton, Galileo Galilei oder Johannes Kepler das Fundament geschaffen, auf dem sich eine objekte, mathematische Betrachtung der Natur entwickeln konnte; hatten den Startpunkt gesetzt, durch den sich die Wissenschaft von Religion und Philosophie loslösen konnte. Und zu Lacailles Zeit war man mittendrin in diesem neuen Abenteuer; beim Verstehen der Welt. Und so wie die Menschen in der Antike versucht haben, Sinn in den Sternen zu finden, in dem sie dort Götter und Helden auftreten haben lassen, wollte Lacaille die neuen Protagonisten der Sinnsuche verewigen: Die wissenschaftlichen Instrumente.

Für die – und nach dieser langen Vorrede sind wir jetzt endlich bei ihr angelangt – Elektrisiermaschine ist er aber nicht verantwortlich. Die stammt von Johann Elert Bode, einem deutschen Astronom der noch ein Kleinkind war, als Lacaille in Südafrika die Sterne beobachtet hat. Bode hat jede Menge wichtige astronomische Arbeiten gemacht, zu seinen nachhaltigsten gehört aber sicherlich auch die “Uranographia” aus dem Jahr 1801. Dieser Himmelsatlas scheint noch aus einer anderen Zeit zu stammen. Er enthält zwar die neuesten astronomischen Daten und Sternpositionen. Die aber gleichzeitig in prächtigen und künstlerischen Bildern dargestellt sind. Die Uranographia enthält keine nüchternen Punkte und Linie, sondern auch Zeichnungen all der Götter, Helden, Tiere, Monster und sonstigen Dinge, die Menschen in den Sternen gesehen haben. So wie in der Uranographia wurde der Himmel früher immer dargestellt und danach immer seltener. Und in diesem Werk des Übergangs von Fantasie zu reiner Kartografie findet man die Elektrisiermaschine. Bode schrieb dazu: “Da der wichtigen Erfindung der Electrizität bisher noch kein Sternen-Monument geweihet war, so habe ich deshalb dieses neue Sternbild ostwärts bey der Bildhauerwerkstadt an den Himmel gebracht, und zur Formirung desselben mit letzterm einige Veränderungen getroffen”.

Elektrisiermaschine! (Bild: gemeinfrei)

Oder anders gesagt: Bode wollte – ganz im Sinne von Lacaille – auch die Elektriztät am Himmel verewigt sehen. Zu Lacailles Zeit war das Phänomen vielleicht noch nicht so relevant aber mittlerweile war klar, dass das etwas ist, mit dem sich die Naturwissenschaft auf jeden Fall sehr intensiv auseinander setzen muss. Es wurden immer größere und bessere Maschinen gebaut, um die Elektrizität zu verstehen. Die “elektrische Maschine” oder “Machina electrica”, wie Bode das Sternbild offiziell genannt hat, war eine davon. Im wesentlichen war das ein elektrostatischer Generator, bei dem eine große Scheibe rotiert und dabei an einem anderem Material reibt. Genau so wie man auch einen Luftballon elektrostatisch aufladen kann, wenn man ihn zum Beispiel an einem Wollpullover reibt, nur in größerem Maßstab. Mit den elektrischen Maschinen konnte man Funken über überraschend große Strecken springen lassen und jede Menge andere spektakuläre Experimente und wichtige Forschung machen.

Und wenn am Himmel schon eine Luftpumpe und eine Pendeluhr zu finden sind, warum dann nicht auch eine elektrische Maschine? Bei der Erstellung seines Himmelsatlas hat Bode also einen kleinen Teil des Sternbilds Fornax abgeknapst; das ist übrigens das Sternbild, das auf deutsch “Chemischer Ofen” heißt; auch eines von Lacaille. Und hat das mit einem weiteren kleinen Stückchen vom Sternbild Sculptor, auf deutsch “die Bildhauerwerkstatt” zum Sternbild “Elektrische Maschine” zusammengefasst.

In seinem Atlas ist auch ein schönes Bild dieser Maschine zu sehen und weil Bode durchaus ein bekannter Astronom war und die Uranographia ein sehr einflussreiches Buch, sind viele andere seinem Beispiel gefolgt und haben die Maschine in ihre eigenen Karten übernommen. Damals gab es ja noch keine Standardisierung am Himmel. Alle haben sich Sternbilder nach Gutdünken ausgedacht, auch wenn man schon den einflussreichen Sternkatalogen und ihren Sternbildern gefolgt ist. Aber wenn man sich gedacht hat: Hmm, ne elektrische Maschine würde da noch gut hinpassen – dann hat man eben einfach eine definiert, und fertig.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts findet man die elektrische Maschine immer wieder in Sternkarten und Himmelsgloben. Und wenn man sich die bildlichen Darstellungen ansieht, kann man auch schön verfolgen, wie sich die Technik weiterentwickelt hat. Es wurden immer neue Maschinen gebaut; immer besser, mit immer mehr Extras. Und die hat man dann natürlich auch auf den Himmelskarten eingezeichnet. Aber nicht auf allen; viele haben Bodes Maschine auch einfach ignoriert. Was vermutlich auch daran lag, dass er sich eine ziemlich unaufregende Stelle dafür ausgesucht hat. Die vier hellsten Stern in der elektrischen Maschine sind mit freiem Auge kaum zu sehen und auch sonst war aus damaliger Sicht dort nichts sonderlich dramatischen zu finden. Aus dem Fornax hat sich Bode die Sterne Nu Fornacis und Mu Fornacis genommen; ca 370 und 320 Lichtjahre entfernt. Beide sind noch recht jung und Mu Fornacis könnte von einer Scheibe aus Staub und Asteroiden umgeben sein, was auch ein Zeichen dafür ist, dass es dort vielleicht Planeten gibt. Aber ansonsten hat auch die moderen Forschung dort noch nicht viel ausmachen können. Von Sculptor sind Pi Sculptoris und Tau Sculptoris zur Maschine gewandert; zwei Doppelsterne die ansonsten aber auch nicht weiter aufgefallen sind.

Im Laufe der Zeit hat die Elektrische Maschine immer mehr Fans verloren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts taucht sie kaum noch irgendwo auf und als dann 1930 die heutigen, offiziellen Sternbilder für die ganze Astronomie vereinheitlicht und verbindlich festgelegt worden sind, ist die Elektrisiermaschine nicht berücksichtigt worden. Fornax und Sculptor haben ihre ursprünglichen Grenzen zurück bekommen und der Himmel muss weiterhin ohne Elektrogenerator auskommen.