Dort gibt es jetzt auch wieder die monatlichen Buchbesprechungen, die manche schon vermisst haben. Hier geht es lang!
]]>Erstens: ScienceBlogs.de wird mit 1. Januar 2023 eingestellt. Der Konradin-Verlag hat beschlossen, dieses Projekt und all das was sich in den letzten fast 15 Jahren auf dieser Plattform entwickelt hat, einfach und mit nur ein paar Wochen Vorwarnzeit wegzuwerfen. Das hat Folgen, unter anderem die, dass ich hier kein Rätsel mehr organisieren kann, wenn ich weiß, dass ab 1. Januar 2023 hier alles weg sein könnte – dann lässt sich nämlich auch die Preisverleihung nicht mehr zeitgerecht organisieren.
Zweitens: Nicht nur kann ich kein Rätsel organisieren, ich will es auch nicht. Ich bin sehr verärgert über diese Entscheidung; vor allem aber verärgert über die Art und Weise, wie diese Entscheidung abgelaufe ist bzw kommuniziert wurde (oder besser: nicht kommuniziert wurde). Und sehe nicht ein, wieso ich hier noch Inhalte produzieren soll, wenn sowieso klar ist, dass sie demnächst verschwinden und der Verlag sowieso kein Interesse an diesen Inhalten hat.
Ich werde demnächst noch einmal (und vermutlich das letzte Mal) einen Text hier in diesem Blog veröffentlichen und ein paar mehr Dinge zu diesem Thema sagen und mich offiziell verabschieden. Ab dann – und auch schon ab jetzt – wird es mit meinem Blog unter astrodicticum-simplex.at weitergehen. Durch die Unklarheiten, was mit ScienceBlogs.de (und vor allem den Inhalten hier) passieren wird, die Arbeit des Umzugs und diversen anderen Dingen habe ich es aber nicht mehr geschafft, das Adventskalenderrätsel dort rechtzeitig zu starten. Aber wenn dann mal alles durch und das neue Blog vollständig einsatzbereit ist, werde ich vielleicht mit einem “Einweihungsrätsel” beginnen
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]]>Aber da die Einstellung der Blog-Plattform fix ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als auch bei “Astrodicticum Simplex” den Betrieb einzustellen. Nicht erst mit 1. Januar 2023 sondern ab sofort. Denn ich sehe keinen großen Sinn darin, jetzt noch neue Artikel zu verfassen, wenn die dann in ein paar Wochen weg sind. Denn auch das ist leider der aktuelle Stand der Dinge: Der Konradin-Verlag (der ja ScienceBlogs.de betreibt) hat sich bis jetzt noch nicht dazu geäußert, was mit dem großen Archiv passieren wird. Es kann sein, dass die ganzen Artikel der letzten 15 Jahre mit 1. Januar einfach verschwinden. Vielleicht sind sie dann auch irgendwo anders gespeichert. Weiß man leider nicht…
Als damals “10 Jahre ScienceBlogs” gefeiert wurde, habe ich in meinem Artikel dazu folgendes geschrieben: “Egal wem die ScienceBlogs während der letzten 10 Jahre “gehört” haben: Niemand war stolz darauf! Dabei ist es doch großartig, so eine einmalige Plattform zu betreiben wie sie die ScienceBlogs sind! Eine Möglichkeit bereit zu stellen, mit der so viele Leute so viel über Wissenschaft erfahren können: Das ist etwas, das (leider) nicht selbstverständlich ist und etwas, auf das man nicht nur stolz sein kann sondern verdammt noch mal auch öffentlich stolz sein sollte! Aber – und das ist zumindest mein Eindruck als simpler Blogger der nix mit der Verwaltung im Hintergrund zu tun hat – irgendwie scheint das niemand zu sein.”
Jetzt sehen wir die logische Konsequenz davon. Die ScienceBlogs werden ja aus finanziellen Gründen eingestellt. Der Konradin-Verlag kann/will die Kosten nicht mehr aufbringen, die das Betreiben der Plattform braucht. Ich habe keinen Einblick in die Buchhaltung, aber es wird dabei vermutlich nicht nur um die Serverkosten gehen. Auch nicht die Honorare für die Blogger:innen (wir verdienen hier nicht viel und das Wort “verdienen” ist eigentlich schon zu viel gesagt – wenn in meinem Fall das monatliche Honorar knapp dreistellig war, dann war das in den letzten Jahren schon viel). Aber so oder so: ScienceBlogs bringt anscheinend nicht genug Geld ein, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Und vielleicht hätte es sich da dann doch gelohnt, im Laufe der Jahre ein wenig stolzer auf die ScienceBlogs zu sein. Wenn man so ein Projekt entsprechend unterstützt, ihm Öffentlichkeit gibt, vielleicht auch ab und zu mit den Blogger:innen redet und fragt, wie und was man an Kooperationen/Aktionen/etc tun kann, um mehr Publikum für die ScienceBlogs zu gewinnen – dann hätte sich das alles vielleicht auch finanziell gelohnt. Denn es wird ja niemand bestreiten können, dass es in der Öffentlichkeit durchaus jede Menge Bedarf an populärwissenschaftlichen Inhalten gibt (Pandemie und Klimakrise zeigen das ja sehr deutlich). ScienceBlogs.de hat die Möglichkeit verpasst, hier eine relevante Rolle im deutschsprachigen Raum einzunehmen.
Was passiert jetzt?
Wie gesagt: Am 1. Januar 2023 ist hier Schluss. Aber es wird weitergehen, und zwar auf astrodicticum-simplex.at. Schaut mal vorbei, ich würde mich freuen (und hoffentlich wird dort im Laufe der Zeit auch das alte Material von hier eingearbeitet und veröffentlicht werden…)
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Sternengeschichten Folge 517: Astronomische Verbrechen
In dieser Folge der Sternengeschichten wird es um Verbrechen gehen. Um Diebstahl, Erpessung, um Mord und Totschlag. Ok, um Mord und Totschlag nicht, obwohl es das in der Astronomie natürlich auch gegeben hat. Astronomie wird von Menschen betrieben und Menschen verhalten sich menschlich. Und dazu gehört leider auch Gewalt und Kriminalität. Aber wie gesagt: Wir werden uns auf Diebstahl und Erpressung konzentrieren; die Geschichten von Mord und Totschlag erzähle ich vielleicht ein anderes Mal.
Einer der berühmtesten Diebstähle in der Astronomie fand im 19. Jahrhundert statt und zwar an der Allegheny Sternwarte in Pittsburgh. Sie wurde 1859 gegründet, zuerst als private Einrichtung, die aber ein paar Jahre später der Universität von Pennsylvania angeschlossen wurde. Ihr erster Direktor war Samuel Pierpont Langley, der nicht nur das Bolometer erfunden hat, also ein Gerät, das die gesamte elektromagnetische Strahlung messen kann, die von einem Objekt ausgeht – was enorm wichtig für die Helligkeitsmessung von Sternen ist – sondern auch ein Pioneer der Luftfahrt war. Damals war die Sternwarte mit dem Fitz-Clark-Refraktor ausgestattet, ein Teleskop mit einer Linse die einen Durchmesser von 33 Zentimetern hatte. Das klingt nach wenig, ist aber gar nicht so schlecht für ein Linsenteleskop und damals war es das drittgrößte Teleskop der Welt.
Am 8. Juli 1872 ist Langley gerade von einer Konferenz zurück zur Sternwarte gekommen und musste feststellen, dass irgendjemand die Linse des Teleskop geklaut hatte. Ein ziemlich kurioser Diebstahl, denn erstens ist es gar nicht so einfach, so eine Linse unbemerkt aus einem Teleksop raus zu bekommen. Und zweitens: Was fängt man damit an? Es handelt sich ja nur um ein Stück Glas. Zugegeben, ein Stück Glas, das sehr aufwendig herzustellen ist und dessen Herstellung viel Geld kostet. Aber wenn man nicht zufällig eine Sternwarte zuhause hat, kann man damit nicht viel anfangen. Aber dem Dieb ging es nicht um astronomische Beobachtung. Sondern um die Erpressung von Lösegeld. Für die Sternwarte war es natürlich wichtig, ein funktionierendes Teleskop zu haben und der Gedanke, dass man sich die Rückgabe der Linse einiges an Geld kosten lassen würde, war nicht ganz abwegig.
Ab jetzt wird die Geschichte aus historischer Sicht ein wenig unklar und man findet verschiedene Versionen wie es weiter ging. Angeblich soll Langley einen Brief erhalten haben, mit der Botschaft “Triff mich im Wald hinter der Sternwarte, um Mitternacht, oder du siehst die Linse nie wieder”. Anderswo wird einfach nur berichtet, dass Langley auf die eine oder andere Weise heraus fand, wer der Dieb war und sich mit ihm traf. Oder der Dieb auf andere Weise Kontakt aufgenommen hat. Auf jeden Fall kam es zum Treffen zwischen Sternwarte-Direktor und Linsenkidnapper und Langley wurde mit der Lösegeld-Forderung konfrontiert.
Nun sind sich alle Quellen wieder einig: Langley hatte keine Lust, für seine Linse zu bezahlen. Denn ansonsten würde das vielleicht nur weitere Linsendiebe motivieren. Was danach passiert ist, ist wieder unklar. Manche sagen, dass Langley den Dieb überreden konnte, die Linse zurück zu geben, mit dem Versprechen, dass er niemanden verraten würde, wer er ist und er somit straffrei bleiben würde. Andere sagen, dass der Dieb selbst die Lösegeldforderung zurück zog, als er merkte, dass Langley nicht zahlen will und aus Angst, er könnte identifiziert werden, wenn die Sache erstmal in den Medien berichtet wird, die Linse zurück gegeben hat. Oder zumindest verraten hat, wo die Linse zu finden ist. Oder nicht einmal das getan hat, sondern einfach verschwunden ist. Auf jeden Fall aber ist die Linse wieder aufgetaucht, im Mülleimer eines Hotels in Pennsylvania. Leider hat der Dieb sie nicht sonderlich pfleglich behandelt; sie war zerkratzt und unbrauchbar. Also wurde sie zu Alvan Clark geschickt, einem der besten Teleskopbauer der damaligen Zeit. Der hat sie wieder restauriert und das so gut, dass sie danach besser war als vorher. Weswegen das Teleskop heute eben nicht nur nach dem ursprünglichen Erbauer – Fitz – sondern auch nach Clark benannt ist und Fitz-Clark-Refraktor heißt.
Das Linsennapping hatte also ein gutes Ende für die Astronomie. Knapp 100 Jahre später wäre ein ähnlicher Fall aber fast schief gegangen. Großbritannien plante, ein neues Radioteleskop zu bauen und auf dem Mauna Kea in Hawaii zu errichten. Das James-Clerk-Maxwell-Teleskop sollte einen Spiegel von 15 Meter Durchmesser haben und das zur damaligen Zeit weltgrößte Teleskop für die Beobachtung im Submillimeter- und Millimeter-Wellenlängenbereich sein. Als Partner kamen noch die Niederlande dazu und 1983 fing man in Großbritannien mit dem Bau an. So ein Teleskop besteht aber nicht nur aus einem Spiegel, es braucht auch ein Gerüst drum herum. In diesem Fall ein ziemlich großes für das jede Menge Stahl benötigt wurde und auch der musste auf die richtige Weise verarbeitet werden, denn so ein Teleskop kann man nicht einfach auf irgendwelchen x-beliebigen Stahlträgern aufhängen. Als das ganze komplizierte Gerüst für das Teleskop endlich fertig gebaut war, wollte man die Teile von Großbritannien nach Hawaii bringen. Mit dem Schiff, denn für ein Flugzeug wäre das zu viel gewesen. Aber das Schiff, das eigentlich dafür vorgesehen war, hatte eine Panne und man musste auf die Schnelle ein neues Schiff engagieren. Das war viel kleiner, fast zu klein – aber das Gerüst passte gerade so drauf. Und dann für es los. Eigentlich sollte der Kapitän das Gerüst direkt nach Hawaii bringen. Hat er aber nicht; er fuhr zuerst noch mal kurz nach Holland, um noch eine weitere Ladung aufzunehmen. Jede Menge Sprengstoff, was eigentlich so nicht vorgesehen war. Aber der Kapitän dachte sich wohl, er könne noch ein wenig nebenbei verdienen, wenn er schon so weit durch die Gegend schippert. Die Astronom:innen jedenfalls waren beunruhigt, denn sie wussten nichts davon. Nach der Abfahrt mit dem Gerüst war wochenlang nichts vom Kapitän zu hören; vom Abstecher nach Holland erfuhren sie erst später.
Die zusätzliche Ladung war auch aus einem weiteren Grund ein Problem: Das Schiff musste auf dem Weg nach Hawaii durch den Panamakanal und da gibt es spezielle Sicherheitsvorkehrungen, wenn jemand mit Sprengstoff an Bord durch will. Das hieß: Weitere Verzögerungen. Endlich im Pazifik angekommen verschwand das Schiff wieder von der Bildfläche; höchstwahrscheinlich um den Sprengstoff irgendwo zu verkaufen. Mittlerweile war es so sehr verspätet, dass eine enorm hohe Strafzahlung fällig gewesen wäre. So hoch, dass sie fast die gleiche Summe ausgemacht hat, die der Kapitän für den Transport des Teleskops bekommen hätte. Er hätte also nichts bekommen und das hat ihm nicht gepasst. Also warf er kurz vor Hawaii, noch in internationalen Gewässern den Anker und drohte den Astronom:innen, das ganze Gerüst einfach ins Meer zu werfen, wenn er sein Geld nicht kriegen würde.
Vermutlich hat er gedacht, in internationalen Gewässern könne ihm nichts passieren. Was aber nicht stimmt, denn gegen Piraterie gibt es auch hier Gesetze. Und als Piraterie wurde dieser Fall dann auch offiziell von der amerikanischen Küstenwache eingestuft. Die dann auch gleich ausfuhr, sich das Boot mitsamt Kapitän schnappte und das Gerüst für das James-Clerk-Maxwell-Teleskop endlich nach Hawaii brachte. Dort nahm es 1987 dann auch den Betrieb auf und hat seitdem jede Menge wunderbare astronomische Forschung geleistet. Unter anderem war es Teil des “Event Horizon Telescope”, als dem Netzwerk aus Radioteleskopen auf der ganzen Welt, das 2019 das erste Bild eines schwarzen Lochs aufgenommen hat.
Es mag ein wenig seltsam erscheinen, dass sich Piraten für Teleskope interessieren. Man kann sie nicht heimlich verkaufen; es gibt nirgendwo einen Markt dafür. Aber wenn man daran denkt, wie viel Geld in den Bau dieser wissenschaftlichen Instrumente gesteckt wird; Instrumente die einzigartig sind, an denen sehr viele Menschen oft Jahrzehnte lang geplant und gebaut haben: Dann ist es nicht ganz so überraschend. Denn wenn man vor die Wahl gestellt wird, so ein ganzes Teleskop noch mal von vorne zu bauen oder ein Lösegeld dafür zu zahlen, damit man es wieder bekommt, dann stehen die Chancen nicht schlecht für die Piraten.
Was auch der Grund war, warum sich die NASA im Jahr 2021 strikt geweigert hatte, öffentlich bekannt zu geben, wann das James-Webb-Weltraumteleskop von den USA per Schiff nach Französisch-Guayana gebracht wird, von wo aus es in den Weltraum geschossen werden sollte. Der Bau des Teleskops hatte knapp 10 Milliarden Doller gekostet und man brauchte “nur” ein Schiff kapern um das Ding in seine Gewalt zu bringen. Würde sich die NASA wirklich weigern, noch ein paar Millionen zu zahlen, für ein Teleskop, das mittlerweile sowieso schon dreimal so teuer war wie ursprünglich geplant? Wissen wir nicht, aber die NASA hat es auch gar nicht darauf ankommen lassen. Und so hat das Teleskop am 25. Dezember 2021 sicher den Weltraum erreicht und muss dort keine Angst mehr vor Weltraum-Piraten haben.
]]>Die Folge könnt ihr euch hier anhören oder direkt hier als mp3 runterladen.
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Sternengeschichten Folge 516: Das Sternbild Zentaur
In der heutigen Folge der Sternengeschichten schauen wir auf das Sternbild des Zentauren. In echt können wir das allerdings von Mitteleuropa aus nur sehr bedingt tun. Hier sehen wir am Himmel nur einen kleinen Teil der Sterne dieses Sternbilds auch nur für kurze Zeit im Frühjahr, tief am Horizont. Will man es vollständig sehen, dann muss man über den 25 Breitengrad hinaus nach Süden reisen. Ins südliche Algerien oder Ägypten; nach Varanasi in Indien, nach Taiwan, Kuba oder Mexiko-City. Trotzdem lohnt es sich, mit diesem Sternbild zu beschäftigen. Denn was dort alles zu finden ist, würde vermutlich für ein ganzes Dutzend Folgen reichen.
Aber fangen wir mal in der Vergangenheit an. Der Zentaur – oder Centaurus auf Latein – gehört zu den klassischen Sternbildern der Antike. Also den Sternbildern, die schon in der griechischen Antike beschrieben worden sind. Und da könnte man jetzt stutzig werden. Ich habe doch gerade eben erklärt, dass man das Sternbild nur vom Süden aus sehen kann; Griechenland liegt deutlich nördlicher als der 25. Breitengrad. Wieso konnten die damals vom Sternbild Zentaur wissen? Nun, abgesehen davon, dass die Menschen damals natürlich auch schon in der Lage waren, nach Süden zu reisen und das durchaus auch getan haben, war das nicht mal nötig. Der Anblick des Himmels ändert sich im Laufe der Zeit, weil die Erdachse nicht immer in die gleiche Richtung zeigt. Momentan zeigt das nördliche Ende der Rotationsachse der Erde mehr oder weniger direkt auf den Polarstern. Aber die Erdachse kreiselt (das liegt unter anderem an der Anziehungskraft des Mondes); wäre sie ein Bleistift und der Himmel ein Blatt Papier, dann würde sie dort einen kleinen Kreis zeichnen und gut 26.000 Jahre dafür brauchen. Vor gut 2000 Jahren hat sie nicht zum Polarstern gezeigt, sondern auf ein Stück Himmel, das weiter südlich lag; dort wo heute die Grenze zwischen den Sternbildern kleiner Bär und Drache ist. Dadurch hat sich auch ganz allgemein der Blickwinkel verschoben und man konnte die Sterne des Zentauren vom ganzen Mittelmeerraum aus gut sehen.
Und wenn man sich ansieht, was das für Sterne sind, ist es kein Wunder, dass sie den Menschen aufgefallen sind. Der hellste Stern des Sternbilds ist gleichzeitig auch der dritthellste Stern am ganzen Nachthimmel. Direkt daneben findet man den elfhellsten Stern des Nachthimmels und es finden sich dort noch jede Menge weitere überdurchschnittlich helle Sterne. Aber bevor wir zur Astronomie kommen, schauen wir noch einmal kurz auf die Mythologie.
Ein Zentaur ist ein Mischwesen aus Pferd und Mensch; ein menschlicher Oberkörper mit Armen wächst aus einem Pferderumpf mit vier Beinen. Diese Wesen waren in der Mythologie der Griechen eher wild; gefährlich und gewaltätig. Mit Ausnahme von Cheiron, der war schlau, nett und der Erzieher von quasi allem, was in den griechischen Mythen Rang und Namen hat. Cheiron hat Achilles ausgebildet, Odysseus, Jason; hat Asklepios zum Arzt ausgebildet – nur mit Herkules hatte er Pech. Aus Versehen wird er von einem vergifteten Pfeil getroffen, den Herkules abgeschossen hat. Cheiron war zwar unsterblich, aber das Gift hat ihm solche Schmerzen verursacht, dass er sein ewiges Leben aufgegeben hat. Und wie es so oft passiert in der griechischen Mythologie, wird Cheiron danach von Zeus als Sternbild an den Himmel versetzt. Und jetzt leuchtet er dort vor sich hin und wir schauen, was es da aus astronomischer Sicht zu sehen gibt.
Zuallerst natürlich einmal Alpha Centauri. Wie der Name schon andeutet, ist das der hellste Stern des Zentauren und der vorhin erwähnte dritthellste Stern des Himmels. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um einen Stern sondern um ein Dreifachsternsystem. Da sind zuerst einmal Alpha Centauri A und Alpha Centauri B. Beide haben ungefähr so viel Masse wie die Sonne; A ein bisschen mehr und B ein bisschen weniger. B ist aber deutlich kleiner und leuchtet auch viel schwächer als die Sonne. Sie sind beide mit 6,5 Milliarden Jahren ein bisschen älter als unser Stern und der mittlere Abstand zwischen A und B variiert zwischen 11 und 36 Astronomischen Einheiten; also ungefähr so viel wie der Abstand zwischen Sonne und Saturn und der Sonne und Pluto. Alpha Centauri A und B umrunden sich alle 80 Jahre und dass es sich um zwei Sterne handelt, kann man nur mit einem Teleskop erkennen. Und dann ist da noch Proxima Centauri. Diesem Stern habe ich eine komplette Folge gewidmet (nämlich Folge 114). Bei ihm handelt es sich um einen roten Zwergstern, der ohne Teleskop überhaupt nicht sichtbar ist – und sich in deutlichem Abstand zu Alpha Centauri A und B befindet. Er ist 13.000 Astronomische Einheiten entfernt oder 0,2 Lichtjahre. Das ist enorm weit weg und lange Zeit war unklar, ob Proxima Centauri überhaupt wirklich zu Alpha Centauri gehört oder nur zufällig gerade in der Gegend ist. Erst seit 2016 weiß man sicher, dass sich Proxima Centauri tatsächlich um Alpha Centauri A und B herum bewegt; dass die drei Sterne also alle durch ihre Gravitationskraft aneinander gebunden sind. Was wir schon deutlich länger wissen: Proxima Centauri ist der unserer Sonne nächstgelegene Stern. Bis dorthin sind es nur 4,25 Lichtjahre. Es ist also auch kein Wunder, dass Alpha Centauri A und B an unserem Nachthimmel so hell sind. Es sind zwar keine riesengroße Sterne – aber weil sie ja auch nicht viel weiter weg sind als Proxima, sehen wir sie eben enorm hell.
Ob es bei Alpha Centauri A und B Planeten gibt, wissen wir noch nicht. Es wäre zwar cool, wenn wir bei zwei sonnenähnlichen Sternen die uns noch dazu so nahe sind, auch Planeten finden könnten. Weil die beiden sich so nahe sind, ist es zwar nicht unmöglich, aber doch ein bisschen schwierig, dass sich dort überhaupt Planeten bilden können. Sicher keine große Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn; kleinere Planeten wie Mars oder Erde sollten aber dort entstehen können. Aber die sind halt schwer zu finden. Wo es definitiv Planeten gibt, ist Proxima Centauri. Dort sind mindestens zwei, vielleicht auch mehr Planeten. Einer davon hat ungefähr die Masse der Erde; ob es dort aber auch Bedingungen wie auf der Erde gibt, wissen wir nicht. Proxima Centauri ist ja auch kein sonnenähnlicher Stern sondern ein roter Zwerg der viel kühler und dunkler ist.
Aber lassen wir die “Promi-Sterne” des Sternbilds mal beiseite und schauen auf Beta Centauri. Der, wie schon gesagt, immerhin noch der elfthellste Stern des Nachthimmels ist und ebenfalls ein Dreifachsternsystem. Zwei davon sind sich extrem nahe; der Abstand zwischen ihnen entspricht ungefähr dem Abstand zwischen Sonne und Mars; vielleicht auch ein bisschen mehr, das lässt sich schwer messen. Die beiden Sterne sind noch dazu extrem groß und heiß; sie leuchten ein paar tausend Mal heller als die Sonne. Um die beiden herum kreist ein dritter Stern, auch heißer und heller als die Sonne, aber nicht ganz so groß wie das Paar in der Mitte. Wäre dieses Sternensystem uns so nahe wie das von Alpha Centauri, dann wäre Beta Centauri ein enorm helles Objekt am Nachthimmel – es ist aber 530 Lichtjahre von uns entfernt und erscheint damit dunkler. 130 Lichtjahre entfernt ist Gamma Centauri, diesmal nur ein Doopelsternsystem und ich höre jetzt auf, die Sterne dort aufzulisten, denn es gibt dort noch viel mehr zu sehen.
Zum Beispiel Omega Centauri. Das ist kein Stern, sondern ein Kugelsternhaufen. Also eine kugelförmige Ansammlung von Sternen, für die in diesem Fall die Bezeichnung “Haufen” fast schon untertrieben ist. Omega Centauri besteht aus gut 10 Millionen Sternen und es gibt in der ganzen Milchstraße keinen Kugelsternhaufen der mehr Masse hat als Omega Centauri. Er ist gut 17.000 Lichtjahre entfernt und im seinem Zentrum befindet sich eventuell sogar ein schwarzes Loch, dass die 40.000fache Masse der Sonne hat. Das klingt alles so, als wäre Omega Centauri kein Sternhaufen, sondern fast schon eine eigene Galaxie. Und tatsächlich vermutet man, dass es sich dabei um den Kernbereich einer ehemaligen Galaxie handelt, die irgendwann in der Vergangenheit mit der Milchstraße kollidiert ist und auseinander gerissen wurde.
Ohne jede Zweifel eine eigene Galaxie ist Centaurus A. Den Kugelsternhaufen Omega Centauri kann man unter guten Bedingungen gerade noch mit freiem Auge sehen; bei Centaurus A braucht man schon andere optische Hilfsmittel. Das Ding ist immerhin mehr als 10 Millionen Lichtjahre weit weg. Es handelt sich um eine Galaxie, die sich hinter der Milchstraße nicht verstecken muss. Ganz im Gegenteil: Dort gibt es mehr Sterne als bei uns und im Zentrum von Centaurus A sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch mit der 55 millionenfachen Masse der Sonne. Noch dazu ein aktives schwarzes Loch, also eines, das von einer großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist. Ständig fällt Material in das Loch und die Gravitationskräfte heizen das Material dort stark auf. Dabei entstehen große Mengen an Röntgen- und Radiostrahlung; tatsächlich ist die Galaxie das dritthellste Objekt am Himmel, wenn man nach der Helligkeit im Licht bei Radiowellenlängen geht. Schaut man sich die Galaxie im Radio- und Röntgenlicht an, dann sieht man auch sofort, dass hier besondere Dinge passieren; aus ihrem Zentrum fließen gewaltige Gasströme, mehrere Lichtjahre lang. Das ist genau das Material aus der Umgebung des schwarzen Lochs, das dort enorm beschleunigt und ausgestoßen wird. In Centaurus A beträgt die Sternentstehungsrate teilweise das zehnfache des Werts in der Milchstraße und man vermutet, dass die Galaxie vor ein paar Dutzend Millionen Jahren mit einer anderen Galaxie kollidiert sein muss. Dadurch ist dort alles ein wenig durchgewirbelt worden und hat die ganze Aktivität dort ausgelöst, die heute noch andauert.
Wenn wir auf die noch größeren Objekte schauen, dann werden wir im Sternbild Zentaur auch fündig: Dort befindet sich der Centaurus Cluster, eine Gruppe von hunderten von Galaxien, circa 170 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Und wenn wir wieder einen Blick zurück auf die im Vergleich fast schon normalen Maßstäbe von Planeten werfen, dann können wir im Zentauren auch den 370 Lichtjahre entfernten jungen Stern PDS 70 beobachten. Mit nur gut 5 Millionen Jahren ist er quasi noch ein stellares Kleinkind; was dort aber richtig spannend ist, sind die Planeten die dort gerade entstehen. Tatsächlich ist es 2006 gelungen, die Scheibe aus Gas und Staub um den Stern herum zu beobachten, die man bei solchen jungen Sternen so gut wie immer findet und die genau die Scheibe ist, aus der Planeten entstehen können. Und ein paar Jahre später konnte man dann in dieser Scheibe große Klumpen finden. Oder, astronomisch korrekt ausgedrückt: Planeten, die wirklich gerade erst entstanden sind beziehungsweise noch in Entstehung begriffen sind. Zwei Stück mindestens, Gasriesen wie Jupiter, hat man dort schon gesehen.
Die Geburt von Planeten, der letzte Rest von ehemaligen Galaxien, gewaltige schwarze Löcher, der uns nächstgelegene Stern am Himmel: Das Sternbild Zentaur ist quasi ein Best-of der gesamten astronomischen Forschung! Wenn es sonst nichts anders am Himmel gäbe, als das, wäre das vermutlich immer noch genug um die Astronomie jahrzehntelang zu beschäftigen. Vermutlich viel länger. Aber zum Glück gibt es ja noch viel mehr da draußen. Das Sternbild Zentaur ist zwar enorm faszinierend. Aber das heißt nicht, dass der Rest des Universums nicht auch noch was zu bieten hat.
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Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter
Steht die Menschheit vor einer großen Krise; einer gewaltigen Bedrohung; einer enormen Gefahr die uns am Ende sogar auslöschen könnte? Wartet in der Zukunft eine große Prüfung auf uns, die wir bestehen müssen, um weiter existieren zu können? In gewissen Sinne: Ja. Angesichts der Klimakrise und den anderen Problemen die wir unserem eigenen Handeln verdanken, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass wir in 100, 1000 oder 10.000 Jahren auch noch fröhlich auf der Erde leben. Selbstverständlich müssen wir uns immer wieder anstrengen, dass wir als menschliche Zivilisation weiter bestehen können. Aber das ist nur ein Aspekt von dem, um das es in dieser Folge gehen soll. Sie handelt vom “Großen Filter”, den ich in Folge 410 schon einmal kurz erwähnt habe. Es lohnt sich aber, noch mal einen genaueren Blick darauf zu werden.
Die Geschichte beginnt mit dem sogenannten “Fermi-Paradoxon”. Also der Beobachtung, die der italienische Physiker Enrico Fermi im Jahr 1950 angestellt hat. Kurz gesagt hat sich Fermi damals überlegt, wo denn die ganzen Anderen sind. Und mit “die Anderen” sind außerirdische Lebewesen gemeint. Wenn das Universum seit fast 14 Milliarden Jahren existiert; wenn es überall Sterne mit Planeten gibt und wenn zumindest auf einigen dieser Planeten Leben existiert, dann sollte eigentlich mehr als genug Zeit gewesen sein, dass wir davon etwas mitkriegen. Selbst mit Raumschiffen die sich an die Gesetze der Physik halten und keinen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb haben, hätte die Zeit locker gereicht, um zum Beispiel die gesamte Milchstraße zu kolonialisieren. Zumindest irgendwelche außerirdischen Raumsonden; irgendwelche Roboterraumschiffe oder etwas in der Art hätten doch schon längst mal im Sonnensystem zu Besuch kommen sollen.
Es gibt aber absolut keinen seriösen Beleg dafür, dass so etwas passiert ist. Wir haben keinen Besuch bekommen; wir haben bis jetzt auch nirgendwo im Universum auch nur eine Spur von außerirdischem Leben entdeckt. Warum ist das so? Es gibt natürlich jede Menge Möglichkeiten, das zu erklären und einige davon habe ich in Folge 410 ausführlicher vorgestellt. Eine dieser Erklärungen stammt aus dem Jahr 1996 und ist heute unter der Bezeichnung “Der große Filter” bekannt. Damals hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robin Hansen einen Aufsatz mit dem Titel “Der große Filter – Haben wir ihn schon fast hinter uns?” geschrieben. Hansen ist ein bisschen eine kontroverse Figur; viele seine Aussagen zu Wirtschaft und Gesellschaft sind umstritten, aber das wollen wir jetzt der Einfachheit mal ignorieren und konzentrieren uns auf das, was er damals geschrieben hat.
Auch er stellt fest, dass wir bis jetzt keine Anzeichen intelligenter außerirdischer Lebewesen gefunden haben. Und dass das intelligente Leben hier auf der Erde im Laufe der Geschichte alle ökologischen Nischen gefüllt hat, die es gibt. Wir haben den ganzen Planeten besiedelt; wir haben alle Kontinente erforscht; sind überall dorthin gegangen, wohin wir mit den jeweils vorhandenen technischen Mitteln gehen konnten. Und auch eine Besiedelung des Weltalls ist technisch zumindest prinzipiell möglich. Hansen schreibt, es sei damit zu rechnen, dass wir in der Zukunft dank neuer Technologie die gesamte Milchstraße besiedeln werden. Und fragt sich dann, so wie Fermi, warum das sonst noch niemand gemacht hat. Er schreibt: “Unser Planet, unser Sonnensystem sehen allerdings nicht so aus, als wären sie von einer fortgeschrittenen Lebensform aus dem All kolonialisiert worden und auch anderswo sehen wir nichts davon. Im Gegenteil: Wir sind sehr erfolgreich darin, das Verhalten unseres Planeten, des Sonnensystems, der nahen Sterne, der Milchstraße und sogar von anderen Galaxien durch einfache “tote” physikalische Prozesse zu erklären anstatt durch das komplexe, zielgerichtete Verhalten fortgeschrittenen Lebens. Angesichts der Tatsache, dass unsere Milchstraße den Nachbargalaxien so ähnlich ist, ist es auch zweifelhaft davon auszugehen, dass unsere gesamte Milchstraße eine Art “Naturschutzgebiet” unter lauter besiedelten Galaxien ist.”
Irgendwas läuft da schief. Nochmal Hansen: “Die Menschheit scheint eine strahlende Zukunft vor sich zu haben, das heißt eine reale Chance das Universum mit Leben zu erfüllen. Aber die Tatsache, dass das All in unserer Umgebung tot zu sein scheint, legt nahe, dass jedes Stück toter Materie nur eine winzige Chance hat, so eine Zukunft zu erleben. Es muss also einen großen Filter geben, der zwischen dem Tod und dem sich ausdehnenden dauerhaften Leben steht und die Menschheit muss sich der unheilvollen Frage stellen: Wie weit stecken wir schon in diesem Filter drin?”.
Hansen meint damit folgendes: Am Anfang steht zwangsläufig tote Materie. Atome, Moleküle, eine Gaswolke, ein Stern. Und am Schluss kommt die “Explosion der Kolonisation”, also eine lebendige Zivilisation die in der Lage ist, eine komplette Galaxie zu kolonialisieren. Dazwischen passieren jede Menge Dinge und irgendwo dort muss der “große Filter” stecken, also das, was es offensichtlich so unwahrscheinlich macht, dass eine Zivilisation diesen letzten Punkt erreicht. Denn wenn es nicht so wäre, dann würden wir die Anzeichen der galaktischen Kolonialisation ja irgendwo sehen müssen.
Hansen selbst listet in seinem Text neun Schritte auf. Es fängt an mit dem richtigen Sternensystemen. Dort müssen sich auf einem Planeten Moleküle bilden, die sich selbst reproduzieren können, also zum Beispiel das, was bei uns die RNA und DNA machen. Danach entwickelt sich daraus simples, einzelliges Leben und daraus dann komplexes einzelliges Leben. Dieses Leben lernt, sich sexuell fortzupflanzen und es entsteht mehrzelliges Leben. Danach kommen irgendwann frühe Formen des intelligenten Lebens und schließlich eine fortgeschrittene Zivilisation die das Potenzial der Besiedelung des Weltraums hat. Da stehen wir zur Zeit und jetzt müssten wir noch die “Explosion der Kolonisation” schaffen. Sofern nicht irgendwo der Filter auf uns wartet…
Natürlich ist Hansens Liste nicht vollständig; es gibt noch jede Menge mehr Schritte auf dem Weg vom toten Molekül hin zur galaktischen Förderation. Aber natürlich kann man sich die Frage stellen, die Hansen sich gestellt hat: Wartet der Filter noch auf uns oder haben wir ihn schon hinter uns gelassen? Was wäre zum Beispiel, wenn wir auf dem Mars irgendwelche Mikroorganismen entdeckt; oder in den unterirdischen Ozeanen der Eismonde von Jupiter und Saturn? Dann hätten wir ein zweites Beispiel für die Entwicklung von mehrzelligen Leben; könnten also davon ausgehen, dass alle Schritte bis zu diesem Punkt nicht so enorm schwer sind; denn sonst wären sie ja nicht gleich zweimal in einem einzigen Sonnensystem durchlaufen worden. Dass heißt aber dann auch, dass der große Filter irgendwo hinter diesem Punkt liegen muss und eventuell noch vor uns. Vielleicht war der unwahrscheinliche, schwierige Schritt aber eben auch die Entstehung von komplexen Einzellern? Das haben wir schon erledigt und dann können wir gefahrlos in die Zukunft aufbrechen.
Es ist verständlicherweise spannend, darüber nachzudenken, ob in unserer Zukunft irgendeine unbekannte Gefahr wartet; etwas, was alle intelligenten Zivilisation durchlaufen müssen, wenn sie nachhaltig existieren wollen; etwas, was aber offensichtlich so gut wie niemand schafft, denn wo sind die dann alle? Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dieses Gedankenexperiment zwar reizvoll ist, aber nur dann Sinn macht, wenn man zuvor sehr viele Annahmen trifft.
Hansen spekuliert viel in seinem Text. Zum Beispiel darüber, ob fortgeschrittenes Leben vielleicht hauptsächlich auf dunkler Materie basiert. Was angesichts dessen, was wir über dunkle Materie wissen und vor allem dem, was wir nicht darüber wissen, deutlich mehr Science Fiction ist als Wissenschaft. Dunkle Materie, so wie wir sie bis heute verstehen, ist keine Materie im “normalen” Sinn. Sondern besteht aus Teilchen, die zum Beispiel gerade nicht miteinander oder mit normaler Materie wechselwirken. Dunkle Materie bildet keine Moleküle; keine größeren Strukturen; keine Planeten, keine Lebewesen. Aber da wir eben auch immer noch nicht genau wissen, aus was dunkle Materie besteht, kann es auch ganz anders sein und niemand kann seriöserweise irgendwas über Dunkle-Materie-Leben sagen. Hansen spekuliert über Kriege, soziale Herausforderungen, sich selbst vernichtenden Zivilisationen, und so weiter. Aber über eines spekuliert er nicht…
Hansen schreibt am Ende seines Texts: “Keine Alien-Zivilisation hat bis jetzt unser Sonnensystem kolonialisiert oder unsere Nachbarsysteme. Unter den Milliarden Billiarden Sterne die es in der Vergangenheit des Universums gab, wurde nirgendwo ein Stand der Technik erreicht, den wir in Kürze erreichen können. Daraus folgt, dass irgendwo ein “Großer Filter” zwischen gewöhnlicher, toter Materie und dem fortgeschrittenen, sich ausbreitenden Leben steht.”
Und genau das ist der Punkt, der so kritisch an der ganzen Angelegenheit ist. Ist es denn wirklich sicher, dass das daraus folgt? Ja, wir sehen tatsächlich keine sich über das gesamte Universum ausbreitende Mega-Zivilisation. Aber warum sollten wir die denn sehen? Hansen macht – meiner Meinung nach – den Fehler, den viele Menschen machen, wenn sie über außerirdisches, intelligentes Leben nachdenken: Sie stellen sich diese Aliens so vor, wie wir das aus der Science Fiction gewohnt sind. Halt im Prinzip so wie wir Menschen, nur vielleicht ein wenig anders. Aber auch nicht zu viel anders. Auf jeden Fall als Wesen, die leben, sterben, forschen, nachdenken, Wünsche haben, Sachen erfinden, Raumschiffe bauen, andere Planeten erkunden, und so weiter. Aber warum sollte das so sein? Warum sollten Aliens andere Himmelskörper besiedeln? Warum sollten sie irgendwelche technischen Zivilisation errichten; Alien-Städte mit Alien-Raumschiffen bauen, und so weiter? Ja, WIR haben so etwas gemacht. Aber das ist auch schon alles. Wir haben absolut überhaupt keine Ahnung, ob unsere Form der Intelligenz die einzig mögliche ist. Nicht mal, ob unsere Form von Leben die einzig mögliche ist. Müssen Aliens irgendwelche Individuen sein? Was ist mit irgendwelchen Schwarmwesen? Selbst auf der Erde kennen wir Kollektive aus Mikroorganismen, aus Insekten, usw, die erstaunliche Dinge tun, ohne im eigentlichen Sinne “intelligent” zu sein. Der wichtigste Punkt aber ist: Was ist mit den Aliens, die so sind, wie wir es uns absolut nicht vorstellen können? Es ist schwer, darüber nachzudenken. Es ist unmöglich. Aber nur weil wir nicht anders können, als uns Aliens so vorzustellen wie Menschen, nur ein bisschen anders, folgt daraus ja nicht, dass sie nicht irgendwie komplett anders sein können. Ja, für uns ist es absolut logisch davon auszugehen, dass sich eine fortgeschrittene Zivilisation irgendwann in den Weltraum ausbreitet. Aber es gibt keinen Grund, warum dieses Verhalten verallgemeinert werden können soll. Für irgendwelche Aliens könnte es ebenso vollkommen logisch sein, eben gerade NICHT ins All aufzubrechen. Vielleicht wären sie gar nicht in der Lage, solche Vorstellungen zu entwickeln, genau so wenig wie wir darüber nachdenken können – ja, und jetzt fehlt natürlich ein Beispiel, weil wir darüber eben nicht nachdenken können!
Kurz gesagt: Es ist ein bisschen wie in der Religion. Wir haben uns die Aliens nach unserem eigenen Abbild geformt; so wie wir uns unsere Götter nur als eine Art von “Supermenschen” vorstellen können und deswegen auch genau so vorgestellt haben. Der “Große Filter” ist ein faszinierender Gedanke – aber eben auch nicht mehr als die Antwort auf eine Frage, die nur deswegen existiert, weil wir uns dazu entschieden haben, uns eine Welt vorzustellen, in der diese Frage eine Bedeutung hat. Wir können und sollen selbstverständlich darüber nachdenken, welche Gefahren wir in Zukunft zu bewältigen haben. Aber dabei können wir uns durchaus an dem orientieren, was wir schon ganz konkret wissen: Über die Klimakrise, über die Kriege auf der Erde, über all die anderen Krisen die wir verursacht haben und noch verursachen werden. Aber Schlüsse aus der Nicht-Beobachtung von etwas zu ziehen, von dem es keinen zwingenden Grund gibt anzunehmen, dass es stattfinden muss: Das ist dann doch eher Science Fiction und keine Wissenschaft.
]]>Anarchisten am Mond
Im August habe ich ja zwei Bücher von Ursula Le Guin vorgestellt. Ich war sehr begeistert davon; noch besser gefällt mir aber “The Dispossessed” (auf deutsch “Freie Geister”). Die Geschichte spielt im Planetensystem von Tau Ceti; eine der vielen Welten die in der Zukunft die das Buch beschreibt, von Menschen besiedelt sind und das schon seit Jahrtausenden. Schauplatz ist das Doppelplanetensystem von Urras und Anarres. Eigentlich haben die Menschen dort zuerst Urras besiedelt und dort eine typisch kapitalistische Gesellschaft aufgebaut. Mit verschiedenen Nationen, die auch gerne mal Krieg gegeneinander führen; mit einer auf Konsum und Ausbeutung orientierten Wirtschaft und einer patriarchalen und diskriminierenden Gesellschaft – also in etwa so wie unsere Realität (nur dass man Urras natürlich etwas besser in der Raumfahrt ist). Und so wie bei uns gibt es auch auf Urras Menschen, die das nicht akzeptieren wollen. Insbesondere Odo, eine Philosophin und Revolutionärin, die eine anarchistische Utopie entwirft – so wie es ja auch auf der realen Erde immer wieder diverse Leute getan haben.
In der Welt des Buches existiert aber noch Anarres; der “Mond” von Urras, der aber eben ein eigener Planet ist. Nicht sonderlich lebensfreundlich, abseits von Pflanzen und Fischen gibt es dort auch nicht viel, was lebt. Aber man kann dort leben und die anarchistischen Anhänger von Odo übersiedeln dorthin um ihre freie Gesellschaft zu verwirklichen. Die Geschichte des Buches setzt 200 Jahre später ein; auf Anarres sind die Anarchisten ihrer Philosophie mehr oder weniger treu geblieben; auf Urras ist man so kapitalistisch wie eh und je. Kontakt zwischen den Welten gibt es nicht; nur ein paar Wissenschaftler tauschen sich aus. Darunter auch Shevek, der in der anarchistischen Welt von Anarres kurz davor ist, eine Theorie zu entwickeln, die überlichtschnelles Reisen erlauben würde. Das interessiert seine Kolleg:innen aber eher wenig, auf Urras ist man aber sehr interessiert. Also bricht Shevek das Tabu und reist auf den Nachbarplaneten.
Dort wird er mit der vollen Wucht des Kapitalismus konfrontiert und jetzt höre ich auch schon wieder auf zu spoilern. Wir immer bei Le Guin ist auch hier die Science Fiction ein Vehikel, um ein eigentlich ganz anderes Thema zu erörtern. In diesem Fall den fundamentalen Konflikt zwischen den Gesellschaftsystemen. Was auf der realen Erde zwangsläufig zu Konflikten führen muss, kann auf der Doppelwelt von Anarres und Urras parallel existieren und wachsen. Anarchie und Kapitalismus können sich entwickeln, obwohl sie natürlich in Person von Shevek zwansläufig aufeinander treffen müssen. Le Guin spart selbstverständlich nicht mit Kapitalismuskritik und das Buch kann durchaus als utopistische Vision verstanden werden. Aber nicht unbedingt als Propaganda für anarchistische oder kommunistische Gesellschaftssysteme. Auch hier beschreibt Le Guin die durchaus erwartbaren Konflikte die sich einstellen, wenn eine Gesellschaft dieser Art nur lange genug existiert.
Das Buch ist 1974 erschienen; aber das merkt man ihm nicht an. Fast 50 Jahre später kann man es immer noch mit großem Gewinn lesen. Was man auch tun sollte!
Das war es auch schon wieder für den September. Der Oktober ist leider auch schon gut mit Auftritten und Arbeit gefüllt. Aber ein Buch sollte ich hoffentlich auf jeden Fall schaffen…
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]]>Astronomie
Artemis ist immer noch nicht unterwegs. Aber dafür haben wir einen Asteroiden gerammt!
Eine neues Buch
Und Hurra! Es gibt ein neues Buch der Science Busters:
Sternengeschichten
Fünf neue Folgen der Sternengeschichten sind erschienen:
WRINT
Und eine neue Folge Podcast mit Holger:
Bücher
Gelesen wurde wenig:
Gewinnspiel
Und das Sommerrätsel wurde aufgelöst:
Das war es verspätet aus dem September. Bis – hoffentlich pünktlich – im Oktober!
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Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
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Sternengeschichten Folge 514: Axionen und die dunkle Materie
Heute geht es in den Sternengeschichten um das Axion. Nicht um ein Axiom, also einen Grundsatz einer wissenschaftlichen Theorie; auch nicht um ein Axon, den Teil einer Nervenzelle. Ich erzähle euch etwas über das Axion, ein hypothetisches Elementarteilchen, das unter Umständen eine fundamentale Rolle in unserem Universum spielen könnte.
Und wie immer wenn es um Teilchenphysik geht, ist die Sache ein wenig knifflig. Ich habe in Folge 46 schon einmal ausführlich über das Standardmodell der Teilchenphysik gesprochen und muss das heute noch einmal kurz wiederholen. Alles, was es gibt, besteht aus Elementarteilchen. Das sind vor allem Elektronen und Quarks; den Rest lasse ich vorerst mal weg. Jedes Atom hat eine Hülle; die besteht aus Elektronen. Uns interessiert jetzt aber der Atomkern, der aus elektrisch positiv geladenen Protonen aufgebaut ist und aus elektrisch neutralen Neutronen. Das sind aber keine fundamentalen Teilchen; das sind nur die Quarks. Von denen gibt es sechs grundlegende Arten und in Protonen und Neutronen finden wir die sogenannten “up” und “down”-Quarks. Im Proton sind es zwei up und ein down-Quark; im Neutron zwei down und ein up-Quark. So weit ist das noch recht einfach. Aber jetzt müssen wir uns mit Farbladungen beschäftigen.
Wir alle wissen, was eine elektrische Ladung ist. Das kennen wir aus dem Alltag, wenn wir mit Batterien oder Magneten hantieren. Da gibt es Plus- und Minuspole; es gibt positive und negative elektrische Ladungen und wir wissen auch, dass sich gleiche Ladungen abstoßen und ungleiche Ladungen anziehen. Das ist auch der Grund, wieso ein Atom zusammenhält, vereinfacht gesagt. Der Kern ist positiv geladen, weil da nur positiv geladene Protonen und ungeladene Neutronen drin sind. Und die Hülle ist wegen der elektrisch negativ geladenen Elektronen auch elektrisch negativ geladen. Außen negativ, innen positiv und das ganze Ding hält zusammen.
Quarks haben auch eine elektrische Ladung. Ein up Quark hat eine positive Ladung die 2/3 der Ladung eines Protons entspricht; ein down-Quark hat eine negative Ladung von 1/3 der Ladung eines Protons. Ein Proton besteht aus zwei ups und einem down, macht 2/3 + 2/3 – 1/3 und ergibt insgesamt +1. Bei einem Neutron haben wir zwei downs und ein up, also -1/3 + -1/3 + 2/3 und das summiert sich zu Null, also gar keiner Ladung. Passt alles. Aber! Ein Quark hat nicht nur eine elektrische Ladung, sondern auch eine Farbladung. Das darf man nicht mit der elektrischen Ladung verwechseln und mit Farbe hat das auch absolut nichts zu tun. Die Farben der Quarks sind einfach nur Beschreibungen die anzeigen, wie die Quarks miteinander wechselwirken. Es gibt dort auch nicht nur zwei Möglichkeiten, wie bei der elektrischen Ladung. Sondern viel mehr. Ein Quark kann rot, grün oder blau sein und ich sage noch einmal: Das hat nichts mit echter Farbe zu tun. Ich könnte auch sagen: “Ein Quark kann zorg, zarg oder zurg sein” – es braucht einfach irgendwelche Worte, um die Eigenschaft zu beschreiben, um die es geht. Aber in der Physik hat man sich eben entschieden, die Wörter für Farben zu nehmen. Damit muss man jetzt leben. Oder, wie der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman es ausgedrückt hat: “Diese Physiker-Idioten, unfähig sich irgendwelche wundervollen griechischen Wörter auszudenken, bezeichnen diese Art der Polarisation mit dem unglücklichen Begriff ‘Farbe’ der nichts mit der Farbe im üblichen Sinn zu tun hat.“
Also: Ein Quark kann rot, grün oder blau sein. Oder, wenn es sich um ein Anti-Quark handelt, antirot, antigrün und antiblau. In einem stabilen Teilchen wie einem Proton oder Neutron findet man immer Quarks mit unterschiedlichen Farben, also ein rotes, ein grünes und ein blaues. Zusammen ergibt das “weiß”, also gar keine Farbe. Und bevor es zu verwirrend wird, sollten wir jetzt mal klären, was es mit dieser Farbe auf sich hat. Es geht dabei um die “starke Ladung” und die Kraft, die dafür sorgt, dass die Quarks zusammenhalten, nämlich die starke Kernkraft. Das ist, so wie die Gravitation oder die elektromagnetische Kraft, eine fundamentale Kraft im Universum. Nur das wir im Alltag nichts von ihr spüren, weil ihre Reichweite so kurz ist, dass sie nur innerhalb der Atomkerne wirkt.
Es ist schwierig, etwas anschaulich zu beschreiben, was wir nirgendwo sehen, spüren und was außerhalb unserer Wahrnehmung stattfindet. Aber zwischen den Quarks wirkt eine Kraft, eben die starke Kernkraft. Und so wie sich elektrisch positiv und negativ geladene Teilchen je nach Ladung anziehen oder abstoßen, tun das die Quarks auch, je nach Art ihrer Farbladung. Das ist wie gesagt, alles sehr vereinfacht. Aber es ist vor allem wichtig zu verstehen, dass die Quarks diese Eigenschaft haben, die wir mit Wörtern für Farbe kennzeichnen und dass es eine Kraft gibt, die zwischen ihnen wirkt.
Die Disziplin, die diese ganze Wechselwirkung der Farbladungen beschreibt, nennt sich Quantenchromodynamik; sie ist für die starke Kernkraft das, was die Elektrodynamik für den Elektromagnetismus ist. Und in der Quantenchromodynamik finden wir auch den Ursprung des Axions. Die starke Kernkraft kennt nämlich keinen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie. Das klingt seltsam und wir müssen das ein wenig erläutern. Dazu müssen wir mit der CP-Symmetrie anfangen. Das “C” steht für “charge” und das “P” für “parity”. Mit charge ist die Ladung gemeint und mit parity die räumliche Ausrichtung. Ich will jetzt nicht in die Details gehen, das wird sehr schnell sehr verwirrend. Aber es gibt aus diversen Gründen Prozesse, die sich nicht ändern, wenn man die Ladungen und die räumliche Anordung aller Teilchen vertauscht. Wenn man also alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und dann alles nochmal spiegelt. Das ist bei einer CP-Symmetrie der Fall; man kann – was die physikalischen Gesetze angeht mit denen man solche Systeme beschreibt – keinen Unterschied finden, wenn man die entsprechenden Vertauschungen durchführt. Genau das ist gemeint, wenn man sagt, dass die starke Kernkraft symmetrisch ist. Es ist komplett egal, ob man Reaktionen der starken Kraft zwischen Teilchen anschaut oder Antiteilchen, ob die Teilchen räumlich oder zeitlich gespiegelt werden; ob man die Prozesse also vorwärts in der Zeit laufend oder rückwärts betrachtet. Bei einer anderen Grundkraft, der schwachen Wechselwirkung, gibt es aber Prozesse, bei denen die CP-Symmetrie verletzt wird, wo es also durchaus darauf ankommt, ob Ladung oder räumlich/zeitliche Ausrichtung vertauscht wird. Vielleicht kann man das mit einem etwas schiefen Vergleich aus dem Alltag verstehen. Wenn ich Suppe machen will, kommt es nicht darauf an, ob ich zuerst das heiße Wasser in den Topf gebe und dann den Suppenwürfel. Oder zuerst den Suppenwürfel und dann das heiße Wasser darauf. Wenn ich aber Kartoffelpüree mache, ist es durchaus wichtig, die Karoffeln zuerst zu schälen, dann zu kochen und danach zu stampfen. Würde ich sie zuerst stampfen, dann kochen und erst am Schluss probieren sie zu schälen, kriege ich eine große Sauerei, aber mit Sicherheit kein Kartoffelpüree. Die Suppe ist symmetrisch, beim Kartoffelpüree ist die Symmetrie verletzt.
Und eigentlich sollte auch bei der starken Kernkraft die CP-Symmetrie verletzt sein. Das sagt zumindest all das, was wir über die Quantenchromodynamik wissen. Aber wenn wir anschauen, wie die starke Kernkraft tatsächlich wirkt, sehen wir diese Verletzung nicht. Wenn die starke Kernkraft die CP-Symmetrie tatsächlich verletzt, müsste es Teilchen geben, die wir auch schon längst beobachten hätten müssen. Haben wir aber nicht. Man kann das Problem lösen, wenn man an der mathematischen Beschreibung der Quantenchromodynamik ein bisschen rumbastelt. Das klingt ein wenig unseriös und ist auch massiv vereinfacht dargestellt. Aber wenn sich die Quarks auf eine bestimmte Weise verhalten; wenn man einen bestimmten Parameter einführt um ihre Anordnung zu beschreiben und wenn dieser Parameter immer sehr klein ist, dann lässt sich damit erklären, warum die CP-Symmetrie nicht verletzt wird, obwohl das eigentlich der Fall sein sollte. Das neue Problem: Man muss erklären, WARUM dieser neue Parameter (es geht um einen sogenannten “Vakuumwinkel”, aber das würde zu weit führen) immer so klein ist. Dafür haben der italienische Physiker Roberto Peccei und die australische Physikerin Helen Quinn im Jahr 1977 eine neue Hypothese eingeführt. Auch das kann ich nur in Ansätzen erklären: Sie haben im Wesentlichen vorgeschlagen, dass da vielleicht noch ein bisher unbekanntes Feld existiert und dieses Feld sorgt mit seiner Wirkung dafür, dass der Parameter immer klein ist und die Symmetrie nicht gebrochen wird.
Also müssen wir jetzt noch einmal schnell über Felder sprechen. Das habe ich ja schon in Folge 247 ausführlich getan. In der modernen Physik sind “Quantenfelder” ja die Grundlage von allem. Sie sind das, was fundamental ist im Universum und Teilchen sind nur das, was passiert, wenn man Energie in ein Feld steckt. Quantenfelder wie das Higgs-Feld existieren im gesamten Kosmos und wenn so ein Feld ausreichend angeregt wird, entsteht dabei ein Higgs-Teilchen. Das Photon, das Lichtteilchen, ist etwas, das aus der Anregung eines elektromagnetischen Felds entsteht, und so weiter. Jedem Teilchen entspricht ein Quantenfeld. Und jedem Quantenfeld ein Teilchen. Wenn man also zur Erklärung eines Phänomens ein neues Quantenfeld erfindet, dann behauptet man gleichzeitig, dass es auch ein noch unbekanntes Teilchen geben. Das hat damals Peter Higgs gemacht, als er seinen Higgs-Mechanismus postuliert hat und tatsächlich hat man dann ein paar Jahrzehnte später auch das dazugehörige Higgs-Teilchen entdeckt.
Und jetzt sind wir endlich beim Axion. So heißt das Teilchen, dass zum Quantenfeld gehört, das Peccei und Quinn erfunden haben, um das Problem der CP-Symmetrie in der Quantenchromodynamik zu lösen. Der Name stammt übrigens vom amerikanischen Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek und bezieht sich auf die Waschmittelmarke, die ebenfalls Axion heißt. Laut Wilczek ist das ein passender Name, da das neue Teilchen ein Problem entfernt und die Theorie quasi säubert.
Jetzt werden in der theoretischen Physik immer wieder Teilchen postuliert. Das geht einfach. Viel schwieriger ist es, sie auch nachzuweisen. Vor allem so ein Ding wie das Axion. Wenn es das leisten soll, was es tut, dann kann man berechnen, dass es eine sehr geringe Masse haben muss. Enorm gering und damit ist es auch schwer aufzuspüren. Aber nicht unmöglich. Denn ein Axion hat zwar selbst keine elektrische Ladung; ist aber in der Lage mit elektromagnetischen Feldern wechselzuwirken. Zumindest wenn es sich um wirklich, wirklich, wirklich starke Felder handelt. Dann können sich Axionen in Photonen, also in Lichtteilchen umwandeln. Umgekehrt geht es auch; in einem sehr starken Magnetfeld kann ein Photon sich in Axionen umwandeln. Das bietet interessante Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel einen Laserstrahl durch ein solches Magnetfeld laufen lassen. Und ihn dann blockieren. Wenn die Theorie stimmt, sollten sich ein paar Photonen in Axionen umwandeln. Die können – im Gegensatz zum Licht – durch die Barriere hindurch und würden sich danach wieder in elektromagnetische Strahlung umwandeln. Man könnte so also quasi durch eine Mauer durchleuchten.
Solche Experimente sind aber schwer durchzuführen; es ist ein großer Aufwand und die Messungen sind komplex. Aber wenn es Axionen gibt, dann werden sie auch auf natürlichem Weg produziert; zum Beispiel im Inneren der Sonne. Da gibt es jede Menge Photonen und da gibt es auch sehr starke Magnetfelder. Dadurch könnten Axionen im Kern der Sonne entstehen und dann von dort hinaus ins All sausen. Man kann Detektoren bauen um danach zu suchen; im Wesentlichen sind das sehr starke Magneten, die eventuell vorbei kommende Axionen dazu bringen, sich in Lichtteilchen umzuwandeln. Wie gesagt: Im Detail ist das alles sehr viel komplexer und die Geräte sind extrem aufwendig zu konstruieren; man muss sie tief unter der Erde betreiben um Störstrahlung auszuschließen, und so weiter. Aber rein theoretisch wäre es damit möglich, Axionen aus der Sonne nachzuweisen.
Das ist natürlich ein statistischer Prozess. Man misst die Axionen ja nicht direkt, sondern nur die Lichtteilchen die bei ihrer Umwandlung durch Magnetfelder entstehen. Es gibt aber auch andere Prozesse, die Lichtteilchen hervorbringen. Man muss sich vorher ganz genau überlegen, was im Detektor alles dafür sorgen kann, dass Photonen entstehen. Und nur wenn man danach signifikant MEHR Photonen misst und es auch noch Photonen sind die die richtigen Eigenschaft haben, kann man die Entdeckung von Axionen verkünden.
Vielleicht passiert das irgendwann. Vielleicht ist es schon passiert, wenn ihr diesen Podcast irgendwann lange nach seiner Veröffentlichung hört. So oder so: Es wäre eine große Nachricht. Denn wenn es Axionen wirklich gibt, dann entstehen sie nicht nur im Inneren der Sonne. Dann sind sie auch in enorm großer Anzahl direkt nach dem Urknall entstanden. Und auch wenn sie eine sehr geringe Masse haben: Wenn es ausreichend viele sind, dann können sie das Rätsel der dunklen Materie lösen. Wir wissen ja, dass sich die Objekte im Universum so bewegen, als würden sie mehr Gravitationskraft spüren, als die von uns direkt beobachtbare Masse der Sterne und Galaxien ausüben können. Deswegen gehen die meisten Wissenschaftler:innen davon aus, dass es neben der normalen Materie noch eine weitere, von uns noch nicht entdeckte Form von Materie gibt, die für diese Gravitionskraft verantwortlich ist. Es muss Materie sein, die im ganzen Universum verteilt ist; die nicht zu so etwas wie Sternen oder Planeten zusammenklumpt, sondern quasi beständig in gigantischen Wolken durch den Kosmos wabert. Sie muss beim Urknall entstanden sein; sie muss Gravitationskraft ausüben und darf nicht zu stark mit normaler Materie wechselwirken. Und es muss fast sechsmal so viel davon geben wie von der normalen Materie die wir sehen können.
Das Axion würde all diese Bedingungen erfüllen. Es muss halt nur noch existieren. Denn eine Theorie kann noch so schön und vielversprechend sein – wenn sie nicht mit den Beobachtungen übereinstimmt, dann muss man sie verwerfen. Da kennt das Universum kein Erbarmen. Egal was wir uns ausdenken und wünschen; es ist nicht verpflichtet unsere Wünsche zu erfüllen. Aber wer weiß: Vielleicht haben wir mit dem Axion ja doch recht.
]]>Das Buch ist nicht einfach nur irgendein Science-Busters-Buch. Sondern das Buch, dass wir für unser 15-jähriges Jubiläum geschrieben haben. Die Science Busters standen 2007 im November das erste Mal auf der Theaterbühne und haben seitdem nicht damit aufgehört, Wissenschaft im Theater, im Radio, im Fernsehen, im Internet und überall sonst unter die Menschen zu bringen. Seit 2015 bin ich auch mit dabei und damit schon fast so lange wie ich nicht mit dabei mit! Im neuen Buch haben wir nicht nur die letzten 15 Jahre aus wissenschaftlicher Sicht zusammengefasst sondern bieten zum ersten Mal auch einen Blick auf die Hinterbühne. In jeder Menge Details und Anekdoten erzählen wir, wie die Science Busters gegründet worden sind, wie sie sich entwickelt haben und was in den letzten 15 Jahren alles an positiven und negativen Dingen passiert sind; was es für Erfolge und Rückschläge gab, und alles, was man sonst noch wissen wollen würde. Ok, es ist nicht mit großen Enthüllungen zu rechnen; es gab keine Skandale. Aber jede Menge Wissenschaft, Wissenschaftskabarett und Backstage-Geschichten.
Eine kurze Vorschau? Gerne! Das Gründungsjahr 2007 haben wir wissenschaftlich ins Zeichen der Maus gestellt und davon erzählt, wie das Nagetier zum Standardforschungstier der Wissenschaft wurde. Wer hat zum Beispiel gewusst, dass Gregor Mendel seine Kreuzungsexperimente zuerst mit Mäusen begonnen hat und nur deswegen auf Erbsen umgeschwenkt ist, weil es dem zuständigen Bischof nicht gepasst hat, dass ein Mönch das Sexualleben der Nagetiere so intensiv beobachtet? Im Jahr 2008 blicken wir auf das Higgs-Boson und die Supersymmetrie, die zwar super ist, aber anscheinend nicht ganz so symmetrisch wie man gedacht hat. Den Rückblick auf das Jahr 2009 nutzen wir für eine ausführliche Betrachtung der HPV-Impfung und 2010 geht es – passend – um Andrew Wakefield der mit seiner gefälschten Forschung maßgeblich für den Anstieg der Impfgegner verantwortlich war. 2011 kommt die dunkle Energie in unser Buch; 2012 mutierte Vieren und 2013 schlägt ein Asteroid in Russland und jede Menge daraus entstandene Forschung in unser Buch ein. 2014 nutzen wir einen Durchbruch in der Kernfusion um zu erklären, warum Durchbrüche in der Kernfusion im Allgemeinen weniger spektakulär sind, als man denken mag; warum ein Österreicher schon in den 1950er Jahren fast die Kernfusion gefunden hat und warum Omar Hurricane kein Bond-Bösewicht ist, obwohl er in einem geheimen Regierungslabor mit einem Megalaser hantiert. 2015 analysieren wir unsere potenzielle Verwandtschaft zu den Archaeen, 2016 wird Bier gebraut und in der Zelle aufgeräumt. Für das 2017-Kapitel hatte ich das zweifelhafte Vergnüngen nicht nur verstehen zu müssen, wie Blockchain und Bitcoin funktionieren, sondern darüber auch noch einen unterhaltsamen Text zu schreiben. 2018 ist Holz an der Reihe und 2019 ein schwarzes Loch. 2020 erklären wir, wie TCM die Welt retten könnte (und meinen damit nicht die asiatische Esoterik). 2021 geht es um die Klimakrise und 2022 verfolgen wir den Flug des James-Webb-Weltraumteleskops. Dann kommt noch ein Epilog.
Die Zusammenfassung der “Backstage”-Kapitel der jeweiligen Jahre spare ich mir jetzt; wer aber zum Beispiel wissen will, wie ich damals zu den Science Busters gekommen bin und was dazu geführt hat, kann das ab Seite 159 lesen. Das Buch ist außerdem mit diversen QR-Codes gespickt, die zu jeder Menge Zusatzinfos und bisher nicht veröffentlichten Dokumenten aus der Science-Busters-Geschichte führen. Den Hauptteil der Schreibarbeit für dieses Buch haben zwar Martin Puntigam, Ruth Grützbauch und ich erledigt; die anderen Mitglieder des Ensembles haben sich aber auch beteiligt (bis auf Woody: Der Hund von Helmut Jungwirth hat die Arbeit schlicht verweigert!). Es ist also mit einem bunten Strauß an Wissenschaft zu rechnen. Das Buch gibt es natürlich auch als E-Book und es wird demnächst auch als Hörbuch erscheinen.
Eine Leseprobe kann man hier kriegen und wer uns selbst vom Buch erzählen hören will (oder ein Exemplar mit unserer Unterschrift haben möchte), hat dazu die Gelegenheit, wenn wir unser neues Bühnenprogramm zum 15-jährigen Jubiläum aufführen. Es wird am 8. und 9. Oktober Vorpremieren zu “Planet B” (so heißt die Show) in Innsbruck geben (und dafür sind wir am 1. Oktober auch noch in München). Die offizielle Premiere ist dann am 13.10.2022 in Wien und danach sind wir damit überall im deutschsprachigen Raum – alle Termine findet man hier.
Also: Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt! Und wenn ihr ein bisschen was von dieser Wissenschaft erfahren wollt, dann werft nen Blick in das Buch!
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Sternengeschichten Folge 513: Störende Satelliten und die Helligkeit des Nachthimmels
Jedes Jahr, immer an dem Freitag der dem Neumond im September am nächsten liegt, findet die “Earth Night” statt. Gut, die Nacht gibt es täglich. Bzw. nächtlich. Die Earth Night, also die “Nacht der Erde” ist aber eine besondere Aktion – das Motto lautet “Licht aus! Für eine ganze Nacht” und ist relativ selbsterklärend. Ab 22 Uhr sollen so viele künstliche Lichter wie möglich abgeschaltet werden um die natürlichen Lichter am Himmel besser sehen zu können.
Ich habe in Folge 32 der Sternengeschichten ja schon mal über das Phänomen der sogenannten “Lichtverschmutzung” gesprochen. Obwohl dieser Begriff eigentlich missverständlich ist; dabei geht es nicht um schmutziges Licht, sondern um Licht, dass quasi die Dunkelheit verschmutzt. Oder genauer gesagt: Um Licht, dass die natürliche Dunkelheit der Nacht künstlich aufhellt. Die “natürliche Dunkelheit der Nacht”: Das ist etwas, was die meisten von uns gar nicht mehr kennen. In Mitteleuropa und den anderen stark besiedelten Regionen der Welt wird es nicht mehr dunkel. Die Sonne geht zwar jede Nacht unter, die Nacht bleibt aber immer heller als sie es eigentlich wäre. All die Lichter die wir anknipsen, machen den Himmel hell; so hell, dass man bei weitem nicht alle Sterne sehen kann, die für unsere Augen eigentlich sichtbar wären. Um einen echten Nachthimmel in all seiner Pracht sehen zu können, muss man in die Wüste, auf hohe Berge abseits von Städten, auf den Ozean oder sonst irgendwo hin, wo niemand lebt und wo man deswegen auch nur sehr schwer hin kommt. Nur dann kann man das sehen, was Jahrhundertausende lang und bis noch vor wenige hundert Jahre alle Menschen immer sehen konnten, wenn sie nachts zum Himmel geblickt haben.
Ich habe früher schon erklärt, dass der Verlust der Dunkelheit nicht nur ein enormer kultureller Verlust ist, sondern auch ein ökologischer und finanzieller. Wir schalten die Lichter ja nicht ein, weil sie den Himmel beleuchten sollen. Das tun sie nur, weil sie ineffektiv sind; schlecht geplant und schlecht organisiert. All dieses Licht ist verschwendet und damit auch die Energie, die für den Betrieb gebraucht wird und das Geld, dass dieser Betrieb kostet. Man könnte viel Geld und Energie sparen, wenn man ein wenig besser auf die Beleuchtung achtet und es wirklich nur dann hell macht, wenn es nötig ist. Das wäre auch für die Umwelt besser; viele Tiere und Pflanzen und auch wir Menschen kriegen Stress und gesundheitliche Probleme, wenn es nie wirklich dunkel wird. Über all das habe ich schon früher gesprochen; auch darüber, dass es durch weniger künstliche Beleuchtung auch keinen Anstieg in der Kriminalität gibt und die Straßen nicht weniger sicher werden.
Der Anblick des Himmels und die wissenschaftliche Erforschung des Alls wird aber auch durch ein anderes Phänomen gestört, dass nicht ganz so offensichtlich ist wie die hellen Lichter der menschlichen Städte. 1957 flog der erste künstliche Satellit ins All und die Menschheit war zu recht sehr aufgeregt über den Lichtpunkt, der sich da über den Himmel bewegt und der von Menschen dorthin gebracht wurde. Der kleine Sputnik war keine 100 Tage im All, aber ihm sind im Laufe der Zeit sehr viele weitere Satelliten gefolgt. Durchaus auch zum Nutzen der Menschheit und der Wissenschaft. Die Astronomie wäre längst nicht so weit, wenn wir nicht auch unsere Messinstrumente im Weltall hätten. Unser Alltag würde völlig anders aussehen, wenn wir keine Satelliten zur Navigation, Kommunikation oder zur Wettervorhersage hätten. Der Weg in den Weltraum war ein wichtiger technologischer Schritt für uns. Aber das gilt auch für die industrielle Revolution, die Erfindung der Dampfmaschine oder der des Autos – und trotzdem sind wir deswegen nun in einer Situation angelangt, in der wir uns mit der Katastrophe der Klimakrise auseinandersetzen müssen.
Die Lage bei den Satelliten ist noch nicht so dramatisch und hat auch nicht das katastrophale Potenzial der Klimakrise. Aber es würde trotzdem nichts schaden, wenn wir uns hier zur Abwechslung mal vorher überlegen, was für negative Folgen das alles haben könnte und es dann gar nicht erst dazu kommen lassen. In Folge 228 der Sternengeschichten habe ich schon vom Kessler-Syndrom erzählt, also einem potenziellen Zustand in dem zu viele Satelliten in der Erdumlaufbahn so viel Weltraumschrott erzeugt haben, dass ein Flug ins All und durch diese Müllzone hindurch sehr schwierig oder fast unmöglich wird. So weit ist es noch lange nicht, aber zu viele Satelliten haben Auswirkungen auf die Art und Weise wie wir den Nachthimmel beobachten können.
Wir beschränken uns mittlerweile nicht mehr, einzelne Satelliten ins All zu schicken, sondern konstruieren ganze “Satellitenkonstellationen”. Dabei geht es darum, möglichst viel der Erdoberfläche gleichzeitig mit Satelliten abdecken zu können. Das ist zum Beispiel bei der Navigation wichtig, da reicht nicht ein Satellit; man braucht ein paar Dutzend. Ähnliches gilt für Kommunikationsnetzwerke wie das Iridium-Netz, das aus 66 Satelliten besteht um auf der ganze Erde Telefonempfang zu liefern (zumindest wenn man ein entsprechendes und teures Gerät dafür hat). Die Iridium-Satelliten sind auch ein gutes Beispiel für das Phänomen um das geht. Die meisten werden vermutlich schon mal einen Satelliten gesehen haben. Wenn man lang genug zum Nachthimmel schaut, wird man ziemlich bald den einen oder anderen Lichtpunkt sehen, der sich vergleichsweise schnell durch das Sternenfeld bewegt. Manchmal leuchtet so ein Punkt aber auch plötzlich enorm hell auf; heller als die Sterne. Dann stehen die Chancen gut, dass man einen “Iridium-Flare” beobachtet hat; dann steht der Satellit gerade so, dass Sonnenlicht von seinen großen Antennen genau zur Erde reflektiert werden kann. Das sieht beeindruckend aus und man kann sich im Internet auch die Zeiten heraussuchen, zu denen man so etwas beobachten kann.
Aber wenn man es nicht mit 66 Satelliten zu tun hat, sondern mit 66.000, dann wäre die Lage vermutlich anders. Genau das ist aber das Problem: 2018 schickte die Firma Space X die ersten Testsatelliten ihres “Starlink”-Netzwerkes ins All und da geht es nicht mehr um ein paar Dutzend künstlicher Himmelskörper, die am Ende die Erde umkreisen sollen, sondern um ein paar tausend bis zehntausend. Andere Firmen, wie Amazon, planen ähnliche Satellitennetzwerke um weltweit Internet anbieten zu können. Es ist also nicht unmöglich, dass in Zukunft hunderttausende künstliche Himmelskörper die Erde umkreisen.
Das ist durchaus nicht ohne Probleme. Zuerst einmal für die Forschung: In der Astronomie nutzt man Teleskope, um Aufnahmen des Himmels zu machen. Dabei wird oft minuten- oder stundenlang belichtet um noch möglichst leuchtschwache Objekte abbilden zu können. Wenn da nun aber ein ganzes Netz an Satelliten die Erde umspannt, werden die selbstverständlich immer wieder durch das Bild fliegen und dort Spuren hinterlassen. Diese Spuren kann man zwar leicht erkennen und später aus den Daten entfernen. Aber das ist erstens zusätzliche Arbeit. Und zweitens fehlen am Ende trotzdem Daten. Da, wo die Kamera eine Satellitenspur abgebildet hat, kann sie nichts anderes mehr abbilden. Die Auswirkungen der großen Satellitennetzwerke werden nicht überall auf der Erde gleich stark sein und sie werden am Abend und am Morgen stärker sein als mitten in der Nacht. Aber es wird sie geben und die Forschung wird mehr Zeit und Arbeit aufwenden müssen und trotzdem noch Daten und Beobachtungsmöglichkeiten verlieren.
Dass die äußerst sensiblen Instrumente der Wissenschaft von den Satelliten beeinflusst werden, ist klar. Aber was ist mit den Augen der Menschen? Was kriegen wir davon mit? Das ist ein bisschen schwieriger zu beantworten. Nicht alle Satelliten leuchten so hell wie ein Iridium-Flare. Manche sind kaum zu sehen; manche sind für unsere Augen gar nicht zu sehen. Unser Auflösungsvermögen ist zu schlecht dafür; was aber nicht heißt, dass das Licht das die Satelliten von der Sonne in Richtung Erde reflektieren, nicht vorhanden ist! Es kann ja nicht einfach verschwinden. Jedes Objekt in der Umlaufbahn der Erde – künstliche ebenso wie natürliche, zum Beispiel Staubteilchen oder ähnliches – reflektiert Sonnenlicht. Und dieses Licht wird in der Atmosphäre der Erde gestreut und macht sie ein wenig heller. Satelliten die unsere Augen nicht auflösen können, sehen wir zwar nicht direkt. Aber wir nehmen ihr Licht als diffuse Aufhellung der Nacht wahr. Wenn das nur ein paar Satelliten sind, merken wir das natürlich nicht. Aber mittlerweile haben wir eben mehr als nur ein paar Satelliten am Himmel. Und daneben noch viel mehr Weltraumschrott, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat und weiter ansammeln wird. Im Juni 2021 haben Forscherinnen und Forscher eine entsprechende Analyse des Streulichts durchgeführt, das von den aktuellen vorhandenen künstlichen Objekt ausgeht. Das Ergebnis: 20 Mikrokandela pro Quaratmeter. Darunter kann man sich wenig vorstellen, aber das entspricht einer 10prozentigen Erhöhung der Nachthimmelhelligkeit, ausgehend von dem Niveau das vorhanden wäre, wenn es keine künstlichen Lichter auf der Erde gäbe.
Diese 10 Prozent sind jetzt nicht wahnsinnig viel, aber sie liegen gerade an der Grenze des Limits, dass die Astronomie eigentlich für optimale Beobachtungsbedingungen festgelegt hat. Und im Gegensatz zu der Lichtverschmutzung die von den Lichtern der Städte stammt, kann man diesem Licht auch nicht entkommen, wenn man sich auf hohe Berge in fernen Wüsten zurück zieht.
Es ist absolut wichtig, sich darum zu kümmern, dass wir die Nacht nicht mehr unnötig heller machen. Aus wissenschaftlichen Gründen, aus kulturellen, aus biologischen, aus medizinischen und aus wirtschaftlichen Gründen. Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir mit all den Satelliten im All nicht irgendwann einen Schaden anrichten, der schwer korrigiert werden kann. Der Weltraum gehört niemandem. Oder anders gesagt: Der Weltraum gehört uns allen. Auf der Erde sind wir – zum Glück – irgendwann drauf gekommen, dass wir nicht einfach machen können, was wir wollen. Wir können nicht überall Häuser, Städte, Fabriken hinbauen; nicht überall nach Bodenschätzen graben; nicht überall Straßen durchziehen. Wir haben Naturschutzgebiete eingerichtet, weil wir erkannt haben, dass es auch für uns Menschen wichtig ist, dass es Teile der Erde gibt, aus denen wir uns raushalten. Genau das gilt auch fürs All. Der Weltraum ist eine Ressource; für unsere Wirtschaft, für unsere Technik und für die wissenschaftliche Erkenntnis. Aber auch eine kulturelle Ressource für unsere Fantasie, Inspiration, unsere Gedanken und unsere Träume. Wir brauchen den Blick zum dunklen Nachthimmel; dieser Blick hat uns Jahrtausende lang als Menschen geprägt und zu dem gemacht, was wir heute sind. Wie müssen uns uns die Dunkelheit erhalten, wenn wir uns selbst nicht verlieren wollen.
Was ist das Ziel der Mission?
DART steht für “Double Asteroid Redirection Test” und das sagt eigentlich schon, worum es geht. Wir wollen die Bewegung eines Asteroiden so verändern, dass er eine andere Umlaufbahn hat als zuvor. Erreicht werden soll das durch eine gezielte Kollision: Die Raumsonde prallt auf den Asteroid und dadurch verändert sich dessen Geschwindigkeit. Und ich sage es gleich zu Beginn: Wir tun das NICHT, weil der Asteroid eine Gefahr für die Erde ist. Man muss keine Angst vor einem Asteroideneinschlag haben. Aber es ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass irgendwann in Zukunft irgendein anderer Asteroid tatsächlich mal auf Kollisionskurs ist. Da wäre es dann gut, wenn wir wüssten, was wir tun. Und zum Glück wissen wir das! Es gibt jede Menge Ideen, wie man einen Asteroideneinschlag verhindern kann (siehe z.B diese Serie: Asteroidenabwehr: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 oder diese Podcastfolgen über Asteroidenabwehr: Teil 1 und Teil 2). Die Forscher:innen treffen sich auch regelmäßig, um solche Szenarrien ganz konkret durchzuspielen.
Aber man braucht eben nicht nur Ideen, sondern sollte so etwas am besten auch mal in der Praxis getestet haben. Und genau das ist das Ziel von DART. Wenn wir tatsächlich einmal vor der Aufgabe stehen sollten, die Kollision der Erde mit einem Asteroid zu verhindern, dann wäre es gut, wenn wir genau wissen was zu tun ist und vor allem wissen, dass das was wir tun auch funktionieren wird. Und dafür müssen wir es vorher ausprobiert haben.
Was ist geplant?
Am 24. November 2021 flog die Raumsonde DART ins All. Ihr Ziel ist Didymos, ein gut 800 Meter großer Asteroid, der sich zwischen den Umlaufbahnen von Erde und Mars bewegt. Genauer gesagt: Das Ziel ist Dimorphos, ein 170 Meter großer Brocken, der Didymos wie ein Mond umkreist. Der Abstand zwischen Dimorphos und Didymos beträgt 1,1 Kilometer und der kleinere Asteroid braucht gut 12 Stunden für eine Umkreisung.
Solche Doppelasteroiden sind nicht selten, ganz im Gegenteil. Und sie eignen sich besonders gut für das, was DART vorhat. Man könnte ja meinen, Asteroidenkollisionen verhindert man so, wie man das aus dem Kino kennt: Hinfliegen und mit Atombomben in die Luft sprengen! Aber das ist halt Kino… In echt würde man das nicht machen. Einen großen Asteroid bekommt man auch mit einer Atombombe nicht klein. Da kriegt man im Zweifelsfall nur einen ganzen Haufen Trümmer, die immer noch auf Kollisionskurs sind. Abgesehen davon würde es politisch auch eher schwer, solche Missionen vorab zu testen. Wer will schon gerne, dass die USA oder Russland mit Atombomben im Weltall rumexperimentieren.
Von den diversen praktikablen Methoden der Asteroidenabwehr ist diejenige am einfachsten, die als “kinetischer Impakt” bezeichnet wird. Dabei nimmt man irgendwas uns lässt es mit möglichst großer Wucht mit dem Asteroid kollidieren. Je nachdem wie man das macht, wird der Asteroid dadurch schneller oder langsamer. Und verändert dadurch dann entsprechend seine Umlaufbahn. Das “irgendwas” ist in diesem Fall die Raumsonde DART. Sie ist circa so groß wie ein Kühlschrank, knapp 600 Kilogramm schwer und soll mit gut 22.000 km/h auf den Asteroid treffen.
Wie gesagt: Nicht um Dimorphos zu zerstören. Ein 170 Meter großer Asteroid geht nicht so leicht kaputt, selbst wenn die NASA da ein 600 Kilogramm schweres Trumm drauf wirft. Es wird einen Krater geben – und hoffentlich eine messbare Änderung in der Geschwindigkeit. Und das ist auch der Grund, warum man den Versuch bei einem Doppelasteroid macht. Dimorphos braucht zur Zeit 11 Stunden und 55 Minuten für eine Runde um den größeren Didymos. Wenn die Mission erfolgreich verläuft, erwartet man sich eine Veränderung von mindestens ein paar Minuten. Das lässt sich vergleichsweise schnell überprüfen; man muss ja nach der Kollision nur ein paar Umläufe von Dimorphos beobachten und sieht dann schnell, ob und wie sich die Umlaufzeit verändert hat. Hätte man nur einen Einzelasteroid der alleine die Sonne umkreist, wäre es viel aufwendiger, hier eine Bahnänderung zu messen.
Was wird man sehen?
Na ja. Von DART nicht mehr so viel nach der Kollision. DART ist zwar mit einer Kamera ausgestattet, aber die wird ihr letztes Bild kurz vor dem Aufprall schicken. Danach sehen wir nix mehr. Beziehungsweise fast nichts. Eigentlich war die Mission als Kooperation zwischen ESA und NASA geplant. Die NASA sollte DART zur Kollision schicken; die ESA eine Sonde, die alles genau beobachtet. Aber dann hat die ESA beschlossen, dass das zu teuer ist und ihre Beteiligung abgesagt. Nur um ein paar Jahre später doch wieder mitmachen zu wollen. Das passiert jetzt auch und zwar im Rahmen des Hera-Projekts. Nur dass diese Sonde jetzt eben erst 2024 (voraussichtlich) starten und frühestens 2027 bei Dimorphos ankommen wird. Besser als nichts; auch ein paar Jahre nach der Kollision wird man da noch sehr viel erforschen können. Aber es wäre schon besser gewesen, wenn man den Einschlag direkt und live sehen kann. Den Job muss jetzt LICIACube übernehmen. Das ist ein Schuhkartongroßer Mini-Satellit der italienischen Weltraumagentur, der DART begleiten wird. Vor der Annäherung an Dimorphus trennen sich die beiden und LICIACube wird die Kollision aus circa 50 Kilometer Abstand beobachten. Grazie!
Bringt das was?
Rein physikalisch ist die Ausgangslage klar. Die Gesetze der (Himmels)Mechanik sagen uns sehr genau was passiert, wenn wir ein Ding auf ein anderes Ding werfen. Das müsste man eigentlich nicht testen. Das Problem ist die Beschaffenheit der Dinger. DART kennen wir, die haben wir selbst gebaut. Aber wir wissen nicht so gut, wie Asteroiden beschaffen sind. Zumindest nicht im Detail. Und wie sich bei einer Kollision verhalten. Asteroiden sind ja keine reinen, massiven Felsbrocken – sondern eher fliegende Geröllhaufen; zumindest vermuten wir das. Und da könnte es schwieriger sein sie vom Kurs abzubringen, als wir denken. Wenn wir DART in eine fluffige Masse aus lauter Sand und Steinen werfen, dann wird weniger Energie übertragen. Genau das müssen wir ausprobieren. Am Ende der Mission werden wir einen Messwert haben und damit viel besser verstehen können, wie die Asteroidenabwehr mit kinetischem Impakt funktioniert.
Ist das gefährlich?
Nein. Beziehungsweise nur für DART. Es besteht keine Gefahr, dass zum Beispiel der Asteroid so abgelenkt wird, dass er demnächst auf der Erde einschlagen wird. Es geht ja nur um die Bewegung des kleinen Asteroiden um den großen herum. Der wird – mit Dimorphos im Schlepptau – weiter seine Runden um die Sonne ziehen und dabei der Erde nicht gefährlich werden.
Kann man zusehen?
Es ist eine Mission der NASA, also: Natürlich! Auf der Homepage der NASA beziehunsgweise der DART-Seite wird es einen Livestream geben, aber eben nach mitteleuropäischer Sommerzeit mitten in der Nacht. Um 1:14 soll es soweit sein; sofern die Sonde den Asteroid nicht verfehlt. Denn auch das kann passieren. Aus Sicht von DART sind Dimorphos und Didymos erst knapp eine Stunde vor dem Aufprall als unterschiedliche Körper erkennbar und so schnell kann man eine so weit entfernte Sonde jetzt auch nicht steuern; die Signale brauchen gut 45 Sekunden von der Erde bis zur Sonde (und die gleiche Zeit wieder zurück).
Es ist zwar nicht damit zu rechnen, dass man Dimorphos verfehlt, aber möglich ist es.
Aber ich bin zuversichtlich, dass am frühen Morgen des 27. September 2022 das Signal zu DART plötzlich abreißt – und ausnahmsweise alle deswegen in Jubel ausbrechen!
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Sternengeschichten 512: Berge und Pyramiden – Der Astronom Charles Piazzi Smyth
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das Universum und die Erde, um Wolken und klare Nächte, um Berge und Pyramiden und um einen Astronomen, der einerseits sehr umstrittene Sachen erzählt hat, ohne den die Astronomie aber andererseits nicht so funktionieren würde, wie sie es heute tut. Ich erzähle euch heute etwas über den schottischen Wissenschaftler Charles Piazzi Smyth.
Und wer jetzt denkt: “Piazzi! Das war doch der Italiener, der 1801 den ersten Asteroiden entdeckt hat”, hat völlig recht. Denn der Vater von Charles war William Henry Smyth, ein Admiral in der britischen Royal Navy. Und ein Astronom. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war er im Mittelmeerraum stationiert, traf dort Eliza Anne Warington, die Tochter des britischen Vizekonsuls von Neapel. Dort, in Neapel, wurde am 3. Januar 1819 auch ihr Sohn Charles geboren und weil William Henry gut mit dem italienischen Astronom Giuseppe Piazzi befreundet war, wurde der zum Taufpaten des Kindes, das dann auch offiziell “Charles Piazzi Smyth” genannt wurde.
Die Familie blieb nicht mehr lange in Italien sondern übersiedelte nach England. Charles war ein schlaues Kind und lernte schon früh die Astronomie kennen; in der privaten Sternwarte, die sich sein Vater eingerichtet hatte. Sein Vater verschaffte Charles auch den ersten Job: Mit 16 Jahren wurde er Assistent von Sir Thomas Maclear, der damals gerade in Südafrika am Kap der Guten Hoffnung astronomische Beobachtungen durchführte. Charles katalogisierte die Sterne des Südhimmels, beobachtete Kometen und half auch dabei, die Größe der Erde zu vermessen.
1846 tauschte Piazzi Smyth dann aber die klaren Nächte der Südhalbkugel gegen den regnerischen Himmel der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Er wurde zum Astronomer Royal von Schottland berufen und richtete sich an der Carlton Hill Sternwarte ein. Abgesehen vom eher schlechten Wetter litt Piazzi Smyth vor allem unter der mangelhaften Finanzierung der Sternwarte.
Es ist also kein Wunder, dass Charles wieder in den Süden wollte. Und da kam ein Vorschlag von Isaac Newton gerade recht. Der war zwar schon lange tot, aber das hat nicht gestört. Newton, der ja unter anderem die Optik auf ein völlig neues, naturwissenschaftlich-mathematisches Niveau gehoben und auch das erste wirklich brauchbare Spiegelteleskop gebaut hat, hat schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts vermutet, dass man weiter oben in der Atmosphäre der Erde viel bessere Beobachtungen anstellen könnte als unten. Auf hohen Bergen, die über die meisten Wolken hinaus ragen müsse die Luft viel ruhiger und der Blick zu den Sternen viel klarer und schärfer sein, hat er damals geschrieben. Die Astronomie fand aber trotzdem weiterhin unten am Boden und in den Städten statt, dort wo in der Vergangenheit die ganzen Sternwarten gebaut wurden.
Charles Piazzi Smyth wollte aber endlich praktisch testen, was Newton behauptet hat. Er konnte die britische Admiralität überzeugen, eine entsprechende Expedition zu finanzieren. Warum gerade die Admiralität? Weil die natürlich damals ein großes Interesse an astronomischen Beobachtungen hatte; das war wichtig zur Positionsbestimmung und Navigation auf den Meeren. Der Ingenieur Robert Stephenson – Sohn von George Stephenson, der die erste brauchbare Lokomotive baute und selbst ein wichtiger Konstrukteur von Eisenbahnen – lieh Piazzi Smyth seine Jacht; vom Chemiker Hugh Lee Pattinson bekam Smyth ein Teleskop und von der Armee ein paar alte Zelte. Mit dem ganzen Zeug machte sich Smyth mit seiner Frau Jessica – einer Geologin – auf nach Teneriffa. Auf der größten der kanarischen Inseln liegt der Pico del Teide, ein 3715 m hoher Vulkankegel. Dort oben wollte Smyth ein Observatorium errichten und die Theorie von Isaac Newton testen.
Das war nicht einfach; das ganze Material musste von Menschen und Maultieren die Berge hinauf transportiert werden. Zuerst richteten sich Charles und Jessica auf dem Alto de Guajara ein, einem 2715 m hohen Berg südlich des Teide. Die Beobachtungen waren vielversprechend, aber es gab immer wieder jede Menge Staub in der Atmosphäre der die Betrachtung des Himmels störte. Also musste sie höher hinauf und verlegten den Beobachtungsposten auf die östliche Flanke des Teide; auf eine Höhe von 3300 Metern. Die “Alta Vista Sternwarte”, die sie dort einrichteten war eine eher provisorische Angelegenheit aber die Ergebnisse waren grandios. Wo man von Edinburgh und selbst von den tieferen Lagen auf Teneriffa einen Doppelstern nur als verwaschenen Blob erkennen konnte, waren auf dem Teide klar und deutlich zwei Lichtpunkte zu sehen. Die Expedition auf die kanarischen Inseln war ein voller Erfolg und Smyth konnte eindeutig demonstrieren, dass es sich mehr als nur lohnt, astronomische Beobachtungen auf hohen Bergen durchzuführen.
Das Buch, dass er darüber schrieb, wäre aber fast nicht veröffentlicht worden. Es sollte von der Royal Society veröffentlicht werden, aber die fand es nicht gut, dass Smyth auch so viel über Geologie und Botanik geschrieben hatte anstatt sich auf die Astronomie zu konzentrieren. Außerdem wollte sie die ganzen Fotos nicht drucken, die Smyth gemacht hatte. Die Fotografie war damals noch recht jung und Smyth experimentierte mit den verschiedenen Verfahren. 1858 erschien das Buch dann trotzdem; Charles und Jessica produzierten es einfach selbst und es war das erste Buch, das mit stereoskopischen Fotografien illustriert war. Das sind Aufnahmen die das selbe Motiv aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Auf die richtige Weise betrachtet, geben sie einem einen räumlichen Eindruck der Szene. Das war aber nicht der hauptsächlich Grund warum sich Smyth dafür entschieden hatte; er hat das auch aus Gründen der wissenschaftlichen Exaktheit getan. Die Fotografie war damals nicht so exakt wie heute; es gab Bildfehler und andere Phänomene die die Aufnahme verfälschen können. Aber wenn man zwei Bilder des selben Motivs hat, kann man sofort sehen, was tatsächlich echt ist und was nur ein Bildfehler, denn die findet man im Allgemeinen nicht auf beiden Aufnahmen an der gleichen Stelle.
Der Streit zwischen Smyth und dem Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die Publikation seines Buchs war quasi eine Vorschau auf das, was noch kommen würde. Aber dazu später mehr; schauen wir zuerst, mit was sich Smyth noch beschäftigt hat: Vor allem dem Sonnenspektrum. Dass man Sonnenlicht durch ein passend geformtes Stück Glas fallen lassen kann, so dass es in die Farben des Regenbogen aufgespalten wird, wusste man schon lange und schon Newton hatte gezeigt, dass Licht tatsächlich aus verschiedenen Farben zusammengesetzt ist. Im 19. Jahrhundert hatte man dann auch dunkle Linien im Regenbogen des Sonnenlichts entdeckt, wusste aber nicht, woher die stammen. Erst später wurde klar, dass sie von den Atomen erzeugt werden aus dem das Material besteht, das das Licht durchquert. Jedes chemische Element erzeugt sein eigenes charakteristisches Muster aus dunklen Linien im Regenbogen. Nur: Licht von der Sonne durchquert ja nicht nur die Gasschichten unseres Sterns und das leere Weltall, sondern auf dem Weg in die Teleskope auch die Atmosphäre der Erde. Welche Linien im Spektrum stammen jetzt von der Sonne und welche von der Erdatmosphäre? Das wollte Smyth herausfinden und nutzte dafür wieder die Beobachtungen die er auf hohen Bergen durchführen konnte. Schaut man Mittags zur Sonne, dann steht sie direkt über einem und das Licht muss weniger Atmosphäre durchqueren als wenn man die Sonne am Horizont betrachtet und quasi einmal quer durch die ganzen Luftschichten beobachten muss. Das gilt um so mehr, wenn man auf einem hohen Berggipfel steht: Dann läuft der Blick nach oben durch noch weniger Atmosphäre und der zum Horizont dafür durch mehr. Smyth wollte nun schauen, welche Linien stärker und schwächer werden, je nach dem wann und wo er das Spektrum beobachtete. Linien, die vor allem beim Blick zum Horizont stark zu sehen sind, beim Blick nach oben aber nicht, müssen ziemlich sicher von der Erdatmosphäre stammen.
Bei all diesen Beobachtungen ging es Smyth sowohl darum, den Nachthimmel und die Sterne besser zu verstehen, als auch die Lufthülle unseres Planeten. Er fand zum Beispiel etwas, das er das “Regenband” nannte: Bei der Arbeit mit einem kleinen “Taschenspektroskop” stellte er fest, dass er immer wieder eine ganz bestimmte dunkle Linie im Spektrum sah, kurz bevor es zu regnen begann. “Die muss vom Wasser in der Atmosphäre stammen, dass sich dort ansammelt, bevor es dann zu regnen beginnt. Das wäre eine tolle Methode, um Wettervorhersagen zu machen”, hat Smyth sich gedacht. Und das wäre auch so gewesen; die Meteorologie war damals ja auch erst in ihren Anfängen und Wetterprognosen wie heute komplett unmöglich. Aber leider war die Sache dann doch nicht so einfach. Erstens war die Messung deutlich schwieriger als gedacht. Smyth war es gewohnt, mit einem Blick durch das Spektroskop das Regenband auch zu sehen. Es braucht viel Übung, wenn man mit diesen Instrumenten arbeiten will. Und dann war es auch nicht so klar, dass dieses “Regenband” wirklich ein eindeutiges Vorzeichen für nahenden Niederschlag ist.
Später verlegte Smyth sich auf die Beobachtung, Fotografie und wissenschaftliche Beschreibung von Wolken; was damals auch ein ziemlich neues Forschungegebiet war. Aber heute kennt man ihn – neben seiner astronomischen Arbeit auf den Bergen der kanarischen Inseln – vor allem für das, was er in Ägypten getrieben hat. Smyth war, so wie viele andere vor und nach ihm – sehr beeindruckt von den großen Pyramiden. Er reiste dorthin, um alles genau zu messen und zu dokumentieren. Aus all diesen Messungen leitete er eine Längeneinheit ab, die seiner Meinung nach die Grundlage für den Bau der Pyramiden gewesen sein muss. Und überraschenderweise war dieser “Pyramidenzoll” genau so lang wie 1001 britische Zoll. Laut Smyth – der ein sehr religiöser Mensch war – wurde die Maßeinheit des Pyramidenzoll direkt von Gott an Noah gegeben und nach der biblischen Sintflut errichteten die Nachfahren von Noah die großen Pyramiden, ebenfalls mit göttlicher Hilfe und göttlichen Maßeinheiten. Mehr noch; Smyth war ein Anhänger des sogenannten “Anglo-Israelismus”, also der Auffassung, dass die Briten die Nachfahren der Israeliten sind. Von den in der Bibel erwähnten 12 Stämmen des Volkes Israel zehn von den Assyrer umgesiedelt worden und seitdem verschollen. Aus historischer Sicht ist die biblische Geschichte sowieso immer kritisch zu betrachten, aber damals sah man das noch anders und Smyth war fest davon überzeugt, dass ein paar Stämme ihren Weg auf die britischen Inseln gefunden haben. Und es deswegen auch kein Wunder sein, dass man dort eben auch die selben göttlichen Maßeinheiten verwendet, die schon beim Bau der Pyramiden benutzt worden sind. Und das neumodische metrische System aus Frankreich muss unter anderem deswegen strikt abgelehnt werden. Na ja, Smyth war außerdem fix davon überzeugt, dass die Pyramiden voller geheimer Botschaften und Prophezeiungen Gottes stecken, die entschlüsselt werden können, wenn man sie nur genau genug vermisst und die Zahlen entsprechend interpretiert.
Charles Piazzi Smyth war nicht der erste, der sich mit dieser “Pyramidologie” beschäftigt hat, aber er war derjenige, der sie mit seinen Büchern dazu extrem populär gemacht hat und ist damit quasi der Vorläufer von modernen Pseudowissenschaftlern wie Erich von Däniken, die dann allerdings eher Außerirdische anstatt Gott als Konstrukteure der Pyramide ansehen.
Wie man sich denken kann, war der Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch damals schon nicht sonderlich begeistert von solchen Hypothesen. Man hat seine archäologische Arbeit und die wichtige Sammlung von Daten über die Pyramiden zwar durchaus anerkannt; die Schlussfolgerungen daraus aber nicht unbedingt.
Charles Piazzi Smyth ist eine kontroverse Gestalt. Die kanarischen Inseln sind heute eines der astronomischen Zentren der Welt; auf dem Teide gibt es jede Menge Observatorien an denen Spitzenforschung durchgeführt wird; so wie auf anderen Berggipfeln in Chile, Hawaii oder Südafrika. Ohne die Pionierarbeit von Symth hätte es vermutlich länger gedauert, bis die Astronomie sich dort eingerichtet hätte. Smyth hat die Erforschung der Erdatmosphäre vorangetrieben, die Wolkenforschung, die Fotografie; sich dabei aber immer wieder und weiter vom Rest der wissenschaftlichen Community entfernt und mit seiner Arbeit zum Ursprung der Pyramiden dann ganz isoliert. Die wissenschaftlichen Ehrungen die ihm im Laufe seines Lebens verliehen worden sind, trägt er aber absolut zu Recht; ebenso wie die nach seinem Tod. Charles Piazzi Smyth starb am 21. Februar 1900. 1935 wurde ein Mondkrater nach ihm benannt und seit 2022 gibt es auch einen Asteroiden der seinen Namen trägt.
Das gesuchte Lösungswort im Jahr 2022 war Nebelkammer. Dieses wissenschaftliche Instrument war fundmanental wichtig für die Teilchenphysik und hat die Erforschung der subatomaren Welt erst so richtig möglich gemacht. Der Erfinder, der schottische Physiker Charles Wilson, hat damit die Naturwissenschaft revolutioniert. Ich habe vor einiger Zeit in einem Podcast schon ausführlich erklärt, warum die Nebelkammer so grandios ist:
Und wer sich selbst so ein Ding bauen will, findet hier eine einfache Anleitung dafür:
Die 23 Hinweise auf das Lösungswort waren hoffentlich hilfreich. Hier kommt auf jeden Fall noch einmal die offizielle (das heißt meine) Interpretation und Auflösung der Hinweise, die dann auch relevant für den Sonderpreis ist:
Die Gewinnerinnen und Gewinner
Das Rätsel war diesmal wohl etwas zu leicht geraten; sehr viele haben eine richtige Lösung eingesandt und sehr viele auch sehr früh. So oder so, es wurde gelost und das ist das Ergebnis:
Der erste der mir die richtige Lösung geschickt hat, war Heinz S. (mit nur 5 Minuten Vorsprung auf die nächste richtige Einsendung), was diesmal nur 5 Hinweise gebraucht hat. Dafür gibt es als Extrapreis ein (auf Wunsch signiertes) Exemplar des neuen Science Busters Buchs: “Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt: Das große Jubelbuch der Science Busters “ (sag Bescheid wenn du das nicht willst sondern lieber einen anderen Preis). Beim Sonderpreis ging es darum, möglichst viele Hinweise so zu interpretieren wie ich es vorgesehen hatte. Das war diesmal Georgia V. mit 21 Treffern und dafür gibt es ebenfalls ein (auf Wunsch signiertes) Exemplar von neuen Science Busters Buchs: “Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt: Das große Jubelbuch der Science Busters “ oder auf Wunsch etwas anderes). Meinen Hinweis 2 hat allerdings nur eine Person korrekt interpretier – dabei habe ich den für besonders leicht (und hilfreich) gehalten. So kann man sich irren…
Und das hier gibt es für die anderen Preisträger zu gewinnen:
Es läuft wie immer: Zuerst sucht sich die Person auf Platz 1 einen Preis aus, dann die Person auf Platz 2, und so weiter. Gebt eure Auswahl bitte in den Kommentaren bekannt, dann sieht jeder gleich, wann er/sie an der Reihe ist.
Ich hoffe, es hat Spaß gemacht! Das nächste Rätsel startet dann wie üblich am 1. Dezember 2021.
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Sternengeschichten Folge 511: Die Rotation der Erde
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Rotation der Erde. Das wird eine kurze Folge, könnte man meinen: Die Erde dreht sich um ihre Achse und braucht dafür 24 Stunden. Fertig, was mehr gibt es da zu sagen? Nun, jede Menge – ansonsten wäre das ja kein Thema für diesen Podcast!
Ich überspringe sogar den großen Teil der Geschichte, als noch nicht klar war, ob die Erde sich überhaupt dreht. Bis in die frühe Neuzeit hinein war man ja noch mehrheitlich der Meinung, dass die Erde unbewegt im Zentrum des Universums steht und sich alles um sie herum bewegt. Genau so sieht es ja auch aus, wenn man nachts zum Himmel schaut: Die ganzen Sterne drehen sich um uns herum. Heute wissen wir natürlich, dass das eben tatsächlich nur so aussieht. Die Sterne am Himmel bewegen sich – zumindest in erster Näherung – nicht, sie stehen fix an ihren Positionen. Aber die große Kugel der Erde dreht sich um ihre Achse und darum schaut es so aus, als würden sich die Sterne bewegen.
Also: Die Erde rotiert und sie tut das um eine Achse, die durch den Nordpol und den Südpol verläuft. Per Definition zeigt diese Achse nach Norden und dadurch bewegen sich alle Punkte der Erdoberfläche von Westen nach Osten. So richtig spannend wird es aber, wenn man wissen will, wie lange die Erde für eine Drehung braucht. Im Alltag dauert eine komplette Rotation, also das, was wir einen Tag nennen, bekanntlich 24 Stunden. Aber die Wissenschaft schaut sich die Sache natürlich genauer an. Und da muss man sich zuerst einmal überlegen, in Bezug auf was man die Rotation überhaupt misst.
Wäre die Erde der einzige Himmelskörper im Universum, dann gäbe es keinen Bezugspunkt, anhand dessen man feststellen könnte, wie lange so eine Rotation dauert. Aber das ist ja nicht der Fall. Wir haben zum Beispiel jede Menge Sterne. Wir könnten jetzt zum Beispiel warten, bis ein bestimmter Stern exakt über unserem Kopf steht. Und dann warten, bis sich die Erde so weit gedreht hat, dass dieser Stern wieder genau an diesem Punkt angekommen ist. Das ist prinzipiell eine durchaus plausible Methode, denn die Sterne bewegen sich ja nicht. Allerdings nur, wenn man nicht allzu genau schaut. In der Zeit, die die Erde für eine Umdrehung braucht, ist die Bewegung der Sterne tatsächlich kaum zu messen. Aber sie bewegen sich eben doch; alle Sterne umrunden das Zentrum der Milchstraße und ihre Positionen am Himmel verändern sich daher im Laufe der Zeit. Um das zu merken muss man ihre Positionen sehr genau messen, aber das können wir mittlerweile und das macht sie eben nur bedingt als Bezugspunkt für die Erdrotation geeignet. Wir brauchen etwas, das sich nicht bewegt und so etwas gibt es im Universum leider nicht. Alles bewegt sich – aber je weiter etwas von uns entfernt ist, desto geringer fällt die von der Erde sichtbare scheinbare Bewegung aus. Daher verwendet man heute die Zentren weit entfernter anderer Galaxien. Auch die bewegen sich natürlich, aber weil sie viele Millionen Lichtjahre entfernt sind, erscheint uns diese Bewegung so gering, dass man für alle praktischen Zwecke als unbewegt annehmen kann.
Bestimmt man nun also die Zeit die die Erde für eine Drehung um ihre Achse in Bezug auf diese enorm weit entfernten Himmelskörper braucht, dann kommt man auf einen Wert von 23 Stunden, 56 Minuten und 4,0989 Sekunden. Dieser Zeitraum wird auch der “mittlere siderische Tag” genannt. Und das Wort “mittlere” sagt uns schon, dass auch das kein für alle Zeiten fixer Wert ist.
Bevor wir uns damit beschäftigen schauen wir nochmal kurz in Richtung Sonne. Denn wir können natürlich auch messen, wie lange es dauert, bis die Erde sich so weit gedreht hat, dass die Sonne wieder am gleichen Punkt des Himmels steht. Das sind im Mittel 24 Stunden und dieser “Sonnentag” ist das, was wir im Alltag für die Zeitmessung verwenden. Der Unterschied von knapp 4 Minuten entsteht, weil sich die Erde während ihrer Drehung um die eigene Achse ja auch um die Sonne herum bewegt. Während einer Rotation verändert also die Erde ihre Position in Bezug auf die Sonne und um das auszugleichen muss sie sich noch ein paar Minuten länger drehen, bis die Sonne wieder am gleichen Punkt zu sehen ist.
Aber zurück zum siderischen Tag. Dem “mittleren” siderischen Tag, denn die Erde braucht nicht immer exakt gleich lange für eine Drehung. Es gibt Schwankungen und die können viele Ursachen haben. Über eine davon habe ich schon in Folge 161 gesprochen, als es um die Gezeiten ging. Durch die Gezeitenkraft, die der Mond auf die Erde ausübt, wird die Erde ein klein wenig gebremst. Nur ein paar Millisekunden pro Jahr, aber im Laufe der Zeit läppert sich das zusammen. Als vor 70 Millionen Jahren noch Dinosaurier über die Erde gewandet sind, hat die Erde nur 23 Stunden und 30 Minuten für eine Drehung um ihre Achse gebraucht, vor 1,4 Milliarden Jahren hat ein Tag nur 18 Stunden und 41 Minuten gedauert. Diese Bremsung wird weitergehen; die Dauer eines Tages wird jedes Jahr um circa 17 Mikrosekunden länger werden. Das wird erst in ferner Zukunft enden; dann wird die Erde für eine Rotation gut 40 Tage brauchen; erst dann sind Erde und Mond in ihrer Bewegung so aufeinander abgestimmt, dass keine Gezeitenreibung mehr stattfindet. Aber darauf brauchen wir nicht warten; das ist nur ein theoretisches Ergebnis – zu diesem Zeitpunkt wird die Sonne schon längst zu einem roten Riesenstern geworden sein.
Es gibt aber auch kurzfristige Schwankungen der Tageslänge. Ausreichend exakte Messungen werden seit 1962 durchgeführt. Damals hat die Erde für eine Rotation gut eine Millisekunde länger gebraucht als die Referenztageslänge von 86.400 Sekunden (also 24 Stunden). Bis zu den 1970er Jahren ist die Abweichung sogar auf mehr als 3 Millisekunden angestiegen. Danach wurden die Tage wieder kürzer und die Abweichungen schwankten zwischen einer und zwei Millisekunden. Zu Beginn der 2020er Jahre fiel die Rotationsdauer sogar unter den Referenzwert und die Tage waren so kurz wie seit Beginn der Messungen nicht mehr.
Was ist der Grund für diese Schwankungen? Es liegt nicht an der Messgenauigkeit; wir sind durchaus in der Lage die Dauer einer Rotation ausreichend genau zu messen, um Abweichungen im Millisekundenbereich zu bestimmen. Die tatsächlichen Gründe für die kurzfristigen Veränderungen sind vielfältig. Das, was die Rotation der Erde beschreibt, nennt sich Drehimpuls; das ist quasi die Energie, die in der Drehbewegung steckt. Der Drehimpuls ist eine fundamentale Erhaltungsgröße, wie die Energie und kann sich nicht ändern. Die Rotationsgeschwindigkeit ist aber nicht identisch mit dem Drehimpuls; physikalisch gesehen ist der Drehimpuls das Produkt aus Drehgeschwindigkeit und dem sogenannten Trägheitsmoment. Da der Drehimpuls konstant sein muss, kann sich die Geschwindigkeit der Erdrotation also nur dann ändern, wenn sich auch das Trägheitsmoment ändert und zwar genau so, dass am Ende wieder in Summe alles gleich bleibt.
Das Trägheitsmoment ist eine komplexe Sachen, aber simpel gesagt hängt es davon ab, wie die Masse der Erde verteilt ist und welche Form die Erde hat. Und unser Planet ist ja weder eine exakt Kugel, noch ist die Masse der Erde überall und immer gleich verteilt. Das klassische Beispiel in solchen Situationen ist der Piroutteneffekt: Wenn ein Eiskunstläufer die Arme und Beine dicht an den Körper zieht und sich klein und kompakt macht, kann er sich schnell drehen. Streckt er dann aber Arme und Beine aus, verändert er seine Massenverteilung und die Drehbewegung wird schlagartig langsamer. Die Erde hat jetzt zwar keine Arme und Beine. Aber sie hat zum Beispiel Gletscher. Wenn so ein Gletscher schmilzt, was sie ja dank der Klimakrise immer schneller tun, dann fließt Wasser, das zuerst als Eis hoch oben am Berg war, in flüssiger Form hinab ins Tal und durch die Flüsse in die Meere. Es verlagert sich also Masse von oben nach unten und das mag nach einem vernachlässigbaren Effekt klingen. Ist aber tatsächlich etwas, was die Erdrotation messbar verändern kann. Gleiches gilt für das, was passiert, wenn die Gletscher geschmolzen sind. In der letzten Eiszeit war etwa Nordeuropa komplett von Eis bedeckt. Das ist geschmolzen und jetzt fehlt das ganze Gewicht dieses Eises, dass die Landschaft nach unten gedrückt hat. Wir können heute noch messen, wie sich zum Beispiel ganz Skandinavien leicht hebt; die “Delle”, die das Eis durch sein Gewicht in der Erdkruste hinterlassen ist, ist also immer noch dabei, sich zu schließen. Und auch diese Veränderungen in der Form der Erde haben Auswirkungen auf die Rotation.
Auch im Inneren der Erde gibt es immer wieder Massenverlagerungen. Im äußeren Erdkern fließen gewaltige Ströme aus geschmolzenen Metall und Gestein. Das führt immer wieder zu Änderungen im Trägheitsmoment und damit zu Änderungen der Rotationsgeschwindigkeit. Selbst der Wind spielt eine Rolle: Die Atmosphäre der Erde ist ständig in Bewegung und die Luft strömt manchmal schneller um die Erde herum als die sich drehen kann und mal langsamer. Und natürlich ist die Atmosphäre nicht völlig von der Erdkruste abgekoppelt; da sind ja zum Beispiel Gebirge, gegen die der Wind pustet. Auch das beeinflusst die Erdrotation. Manche dieser Effekte hängen mit den Jahreszeiten zusammen; viele großräumige Windströmungen ändern sich im Laufe des Jahres, genau so wie der Niederschlag. Denn auch das ist eine Änderung in der Massenverteilung: Wasser aus Flüssen und Meeren verdampft, steigt auf und regnet dann wieder aus den Wolken runter. Die durch schmelzende Gletscher, Eiszeiten oder die Vorgänge im Erdinneren ablaufenden Prozesse führen zu Änderungen der Erdrotation im Laufen von Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Und all das überlagert sich, was es schwer macht, exakt zu beschreiben oder gar vorherzusagen wie schnell sich die Erde dreht.
Dazu kommen Einzelereignisse: Erdbeben sind ja auch nichts anderes als Verlagerungen der Masse in der Erdkruste. Als 2004 ein enormes Beben im indischen Ozean stattgefunden hat, gab es nicht nur einen Tsunami der eine katastrophale Anzahl an Todesopfern gefordert hat. Auch die Rotation der Erde wurde dadurch um 8 Mikrosekunden kürzer. Wir können die Erdrotation sogar künstlich verändern: Als China Anfang des 21. Jahrhunderts die gewaltigen Drei-Schluchten-Talsperre gebaut hat, entstand ein Staubecken, dass knapp 30 Millionen Kubikmeter Wasser halten kann. Wasser, das vorher ganz woanders lang geflossen ist und so eine Massenumlagerung bremst die Erde um ein paar Hundertstel Mikrosekunden.
All diese Schwankungen der Erdrotation sind vor allem aus wissenschaftlicher Sicht interessant; wir können daraus viel darüber lernen, wie die Erde als Planet funktioniert. Für den Alltag spielt es keine Rolle, ob der Tag jetzt ein paar Mikrosekunden kürzer oder länger ist. Bescheid wissen müssen wir aber trotzdem. Mittlerweile haben wir ja überall Computer, die nur mit sehr exakten Zeitangaben arbeiten können; Satelliten die auf exakte Atomuhren angewiesen sind, und so weiter. Damit da nicht alles durcheinander kommt, müssen wir uns auf eine Zeit einigen und die sollte nicht allzu sehr von der Alltagszeit abweichen. Deswegen wird sehr genau geschaut, wie sich die Erdrotation verändert und wie groß die Abweichung von der Referenzzeit ist. Wenn die Tageslänge zum Beispiel 2 Millisekunden über dem Referenzwert liegt und das 500 Tage lang so bleibt, würde eine Atomuhr im Vergleich zur Erdrotation schon um eine Sekunden falsch gehen. Soll heißen: Die Atomuhr würde Mitternacht um eine Sekunde zu früh oder spät anzeigen, verglichen mit der tatsächlichen Position der Erde in Bezug auf die fernen Galaxien. Und für eine Atomuhr ist eine Sekunde Abweichung ein wenig viel – deswegen fügt man immer wieder mal Schaltsekunden ein, um das auszugleichen. Im Gegensatz zu den Schalttagen, die ja nach gewissen Regeln in den Kalender gepackt werden kann man aber nicht vorhersagen, wann wieder eine Schaltsekunde nötig wird. 1992, 1993, 1994 und 1995 hat man Schaltsekunden eingefügt; 1997 und 1998 auch. Aber dann war wieder Ruhe bis 2005.
Wie gesagt: Es lässt sich nicht exakt vorhersagen, wie sich die Erdrotation von Jahr zu Jahr verändert. An unserem Alltag ändert das nichts. Die Tage werden zwar kürzer und länger. Aber eben nur für Millisekunden und das reicht leider nicht, um sich mal ordentlich ausschlafen oder einen Kurzurlaub einplanen zu können…
]]>Die meisten Raketenstarts der Vergangenheit haben Satelliten in eine Erdumlaufbahn gebracht oder Menschen zur Raumstation. In beiden Fällen geht es um vergleichsweise kurze Distanzen; das Artemis-Programm der NASA hat aber ein ganz anderes Ziel. Es geht zurück zum Mond! Artemis I wird ein Raumschiff in eine Umlaufbahn um den Mond und zurück zur Erde schicken; noch ohne Menschen an Bord. Artemis II soll ein bis zwei Jahre später folgen und den Flug mit Menschen wiederholen. Um 2026 herum werden Menschen mit Artemis III dann auch tatsächlich auf dem Mond landen. Über die Notwendigkeit dieser Missionen, ihren wissenschaftlichen Zweck und die Tatsache, dass wir weniger über den Mond wissen, als man landläufig denkt werde ich vielleicht ein anderes Mal erzählen. Heute geht es um die möglichen Startfenster, also die Frage: Wann kann die Rakete zum Mond fliegen und warum geht das nicht immer?
Der Mond ist 400.000 Kilometer weit weg und es braucht jede Menge Energie, um ein Raumschiff samt Besatzung dorthin zu bringen. Deswegen hat die NASA auch eine völlig neue Rakete konstruiert die dazu in der Lage ist. Aber auch sie ist immer noch eine Rakete und kein Science-Fiction-Raumschiff. Könnte man einfach aufs Gas steigen ohne an Treibstoff denken zu müssen, dann könnte man auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt starten und dann halt einfach dorthin lenken, wo man gerne hin will. Aber Raketen haben weder ein Gaspedal noch ein Lenkrad und schon gar nicht unbegrenzt Energie. Man kann die Triebwerke nur kurz anwerfen und das muss zum richtigen Zeitpunkt passieren. Und man muss darauf achten, dass die beteiligten Himmelskörper – in diesem Fall Erde, Mond und auch die Sonne – in der richtigen Konfiguration stehen, damit die Wege nicht zu lang werden.
Beim Start von Artemis I kommt es vor allem auf vier Punkte an:
All diese Bedingungen sorgen dafür, dass ein Start der Rakete nur zu gewissen Zeitpunkten möglich ist, wenn die Mission erfolgreich sein soll. Noch komplizierter wird es, wenn ein Start abgebrochen werden muss. Bei einer Rakete schließt man nicht einfach die Tür ab und kommt dann ein paar Tage später wieder. Der Treibstoff muss aufwendig und langwierig getankt werden und wenn die Rakete voll ist, kann sie so nicht beliebig lange rumstehen. Der Tank muss nachgefüllt werden; beziehungsweise muss die Rakete komplett enttankt werden, wenn die Pause zu lange dauert. Und der Treibstoff ist auch nicht beliebig verfügbar; den kann man nicht eben von der Tanke nebenan holen. Insgesamt führt das dazu, dass – neben allem anderen – nach einem Abbruch mindestens 48 Stunden lang gewartet werden muss, bis ein neuer Versuch stattfinden kann und insgesamt nicht mehr als 3 Startversuche pro Woche möglich sind. Ach ja: Das Wetter gibt es auch noch. Wenn es zu stürmisch ist oder ein zu starkes Gewitter stattfindet, dann kann auch nicht gestartet werden.
Theoretisch wäre das nächste Startfenster morgen, am 6. September 2022. Aber man kann davon ausgehen, dass die NASA sich nach zwei Abbrüchen ein wenig mehr Zeit lässt. Danach geht es erst am 19. September 2022 wieder weiter; bis 26. September sind dann aber nur “kurze Missionen” möglich. Also Missionen, bei denen Orion nur eine halbe Runde um den Mond fliegt und nach 26 bis 28 Tagen wieder auf der Erde landet anstatt der eineinhalb Runden und den eigentlich geplanten 38 bis 42 Tagen im All. So eine lange Mission kann erst wieder am 27. und 28. September gestartet werden. Eine komplette Übersicht über alle Startfenster bis Juni 2023 kann man sich hier ansehen. Möglichkeiten gibt es noch genug und wir können davon ausgehen, dass die NASA nichts überstürzen wird. Besser man lässt sich Zeit, und am Ende klappt dann alles. Denn niemand will explodierende Raketen oder andere Katastrophen sehen, die das Mondprogramm auf unbestimmte Zeit verschieben.
]]>Die Folge könnt ihr euch hier anhören oder direkt hier als mp3 runterladen.
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Sternengeschichten Folge 510: Die wunderbare Nebelkammer
Wissenschaft funktioniert deswegen, weil wir die Welt beobachten. Früher, als wir noch quasi gar nichts gewusst haben, konnte man tatsächlich einfach “nur” beobachten. Also schauen, wie Äpfel von Bäumen fallen. Oder wie Wellen an den Strand klatschen. Oder Vögel fliegen. Und so weiter. Aber damit kommt man nicht beliebig weit. Genau deswegen haben wir Mikroskope erfunden. Und Teleskope. Und all die anderen Beobachtungs- und Messinstrumente mit denen die moderne Wissenschaft heute arbeitet.
Ein ganz besonderes Instrument ist die Nebelkammer. Damit kann man das eigentlich Unsichtbare beobachten und zwar, in dem man auf Nebel starrt. Das klingt absurd, denn Nebel ist ja eigentlich etwas, das die Beobachtung erschwert. In dem Fall macht er sie aber erst möglich; mit einer Nebelkammer konnte die Welt der Elementarteilchen das erste Mal quasi direkt erforscht werden. Der undurchsichtige Nebel hat uns die Augen für die unsichtbaren Bausteine der Atome geöffnet.
Die Nebelkammer wurde vom Schotten Charles Thomson Rees Wilson erfunden. Er wurde am 14. Februar 1869 in Glencorse geboren, als Sohn eines Bauerns in der Nähe von Edinburgh. Der Vater starb aber, als Wilson erst vier Jahre alt war und seine Mutter zog mit ihm und seinen sechs Geschwistern nach Manchester. Wilson war schlau und studierte zuerst am Owen’s College in Manchester und dann an der Universität Cambridge. Eigentlich hatte er vor, Arzt zu werden – stellte aber bald fest, dass er sich viel mehr für Chemie und Physik interessierte. Und neben der Forschung hatte er eine weitere große Leidenschaft: Das Wandern. Das tat Wilson vor allem in seiner Heimat Schottland und eines seiner Lieblingsziele war der Ben Nevis. Der höchste Berg Schottlands und Großbritannien ist zwar nur 1345 Meter hoch, das reicht aber, dass man von oben auf die Wolken herab blicken kann, wenn das Wetter passt. Und dass man beim Anstieg mitten durch die Wolken und den Nebel wandert. Und Wilson fand Wolken und Nebel großartig. Er konnte sich die Wolken ewig anschauen und darüber nachdenken, wie sie funktioniern und wie sie entstehen.
In Folge 105 der Sternengeschichten habe ich ja schon ausführlich über die Wolkenforschung gesprochen, die im 19. Jahrhundert gerade so richtig wissenschaftlich Fahrt aufnahm. Und auch von Wilsons Kollegen in Großbritannien durchgeführt wurde. Zum Beispiel von John Aitken, der als erster herausfand, dass man sogenannte Kondensationskerne braucht, wenn Wolken entstehen sollen. Also irgendwas, an dem sich die Feuchtigkeit die in der Luft ist auch anlagern kann, so dass die großen Wassertropfen entstehen, die eine Wolke bilden und sichtbar machen. Um das zu erforschen hat Aitken einen Apparat gebaut, der auch im Labor Wolken erzeugen kann. Im Prinzip war das nur eine Glaskugel, in der jede Menge Wasser- beziehungsweise Alkoholdampf war. Wenn dann noch Staub dazu gegeben wurde, konnte sich die Tröpfchen dort anlagern. Aitken hat das vor allem deswegen getan, weil er rausfinden wollte, wie viel Staub so in der Atmosphäre rumfliegt und wie groß die Staubteilchen sind. Da er die aber nicht so gut zählen konnte, hat er sie auf dem Umweg seiner Apparatur in Nebeltropfen umgewandelt, die mit Licht beleuchtet und weil es um so mehr Nebeltropfen gab, je mehr Staub in der Atmosphäre war, konnte er aus der Menge des reflektierten Lichts die Staubmenge abschätzen.
Aitken hat übrigens auch als einer der Ersten mit der Luftverschmutzung in den Städten, mit dem Smog beschäftigt und gezeigt, dass der vor allem aus den Rußpartikeln entsteht, die bei der Verbrennung von Kohle in die Luft gelangen. Aber zurück zu Wilson. Der war weiterhin fasziniert von der Vielfalt und Ästhetik der Wolken und des Nebels, die er bei seinen Wanderungen durch Schottland beobachten konnte. Aber er war auch Wissenschaftler und wollte den Nebel verstehen. Also hat er sich eine Maschine wie die von Aitken gebaut und in seinem Labor den künstlichen Nebel betrachtet. Im Prinzip würde das als Zusammenfassung seiner Forschungsarbeit schon reichen: Wenn Wilson nicht gerade Vorlesungen an der Uni halten musste, stand er im Labor, bastelte an der Nebelmaschine herum und betrachtete das Ergebnis. In jahrelanger Arbeit hat er die Maschine immer weiter verbessert. Anfangs wollte er nur die Arbeit von Aitken nachvollziehen. Er gab also ebenfalls Wasser- bzw. Alkohol in seine Kammer die so konstruiert war, dass man durch das schnelle Herausziehen eines Kolbens das Volumen schlagartig vergrößern konnte. Die sich schnell ausdehnende Luft kühlt dabei ebenso schnell ab und das bringt die Wasser- bzw. Alkoholtropfen dazu, zu kondensieren, wenn entsprechende kleine Partikel in der Kammer vorhanden sind.
Aber Wilson stellte fest, dass sich auch dann Nebel bilden kann, wenn die Luft in der Kammer absolut rein ist. Wilson wollte wissen, warum das so ist und experimentierte weiter. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannte Röntgenstrahlung und die hat Wilson gleich in sein Experiment eingebaut. Wenn er Röntgenstrahlung in seine Nebelkammer fallen ließ, dann entstanden dort Wolken! Wilson hatte nachgewiesen, dass auch Strahlung in der Lage ist, Wolkenbildung anzuregen. Zur gleichen Zeit waren Marie Curie und ihr Mann Pierre dabei, die Radioaktivität zu erforschen und auch hier konnte Wilson zeigen: Gibt man radioaktives Material in die Nebelkammer, gibt es Wolken. Das waren durchaus relevante Ergebnisse. Denn in der Atmosphäre der Erde sind der Staub und die anderen Partikel die zur Wolkenbildung führen vor allem in den unteren Schichten zu finden. Aber Wolken entstehen auch – wenn auch nicht so dicht und häufig – sehr viel weiter oben. Und – das hatte Wilson jetzt gezeigt – dafür kann die Strahlung verantwortlich sein, die aus dem Weltall kommt. Diese “kosmische Strahlung” wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Victor Hess entdeckt, der zeigen konnte, dass diese Strahlung umso stärker wird, je weiter man sich vom Erdboden entfernt.
Wilson schaute weiter in den Nebel. Sein Gerät war mittlerweile enorm sensibel. Er hatte die Luft gerade so mit Alkohol gesättigt, dass sie unmittelbar an der Grenze zur Kondensation war. Die kleinste Störung konnte reichen, dass sich Nebeltröpfchen bilden. Und Wilson war auch sehr, sehr gut darin geworden, diese Nebeltröpfchen zu erkennen. 1911 sah er dann das erste Mal etwas, was er “Knoten” nannte. Er vermutete, dass es sich um die Punkte handelte, wo sich Strahlung die aus unterschiedlichen Richtungen kommt, kreuzt. Aber so richtig klar war ihm das alles noch nicht. Am 29. März 1911 kam dann – nach weiteren Verbesserungen am Gerät – der Durchbruch. Wilson schrieb in seinen Aufzeichnungen, dass er “äußerst feinen Linien” sah, die vor allem von dort kommen, wo seine Strahlungsquelle auf die Kammer gerichtet war.
Wilson fasste alles was er entdeckt und herausgefunden zusammen und veröffentlichte im Juni 1911 die Arbeit “On a method of making visible the paths of ionising particles through a gas”. Das klingt nicht so spektakulär wie das, was es wirklich war. “Ionisierende Partikel” sind subatomare Teilchen; die Teile aus denen ein Atom besteht, die Bausteine des Atomkerns und die Elektronen aus seiner Hülle. Dass es die geben musste, hatte man schon Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt. Indirekt natürlich, weil direkt sehen konnte man sowas nicht. Direkt gesehen hat sie auch Wilson nicht. Aber er hat sie quasi sichtbar gemacht. Wenn zum Beispiel ein Elektron mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft saust, stößt es gegen die Moleküle und Atome der Luft und erzeugt dabei Ionen, also geladene Atome. Die sind besonders super als Kondensationskerne für Nebeltropfen, sofern die Bedingungen dafür herrschen. Diese Bedingungen hatte Wilson in seiner Kammer geschaffen und konnte dadurch den Flug eines Elektrons durch die Luft als feine Nebelspur sichtbar machen. Nach ein, zwei Sekunden war die dünne Nebellinie die die Existenz des Elektrons hervor ruft schon wieder verschwunden. Aber so lange sie da ist, ist sie gut zu sehen. Und man kann sie auch fotografieren, was Wilson getan hat, aber auch in seiner Arbeit anmerkt: “Die Fotografie vermittelt nur einen schwachen Abglanz der Schönheit jener Wolken”.
Wilsons Nebelkammer war das erste Instrument, dass die Flugbahnen der subatomaren Teilchen sichtbar machen konnte. Diese Entdeckung kann man kaum überschätzen. In den kommenden Jahrzehnten wurde die Nebelkammer zum wichtigsten Instrument der Teilchenphysik. Man kann sie nicht nur zum einfachen “Zuschauen” benutzen. Legt man zum Beispiel elektrische oder magnetische Felder an die Nebelkammer an, dann wird dadurch die Flugbahn der Teilchen beeinflusst, je nachdem ob sie elektrisch positiv geladen sind oder negativ. Oder, wenn sie ungeladen sind, dann fliegen sie halt grad durch, aber auch das ist ja ne Information. Man kann gezielt bekannte Teilchen in die Kammer leiten und dann schauen, was passiert, wenn sie kollidieren. Oder radioaktiv zerfallen. Dann entstehen neue Teilchen, die man anhand ihre Nebelspur identifizieren kann. Oder vielleicht sieht man eine Spur, die zu keinem bekannten Teilchen passt. Dann hat man ein neues entdeckt und genau das ist mit der Nebelkammer und ihren Nachfolgern durchaus passiert.
Aus dem kleinen Gerät in Wilsons Labor wurden immer größere, ausgeklügeltere Anlagen. Man hat damit das Positron entdeckt, also das Antiteilchen des Elektrons und das erste Mal Antimaterie nachgewiesen. Man hat das Myon in der Nebelkammer gefunden, ein weiteres Elementarteilchen. Man hat andere Teilchen gefunden, wie zum Beispiel das Kaon. Jede Menge Leute haben dank Wilsons Nebelkammer einen Nobelpreis gewonnen und ohne sie wäre die Physik heute nicht da, wo sie ist. Und Wilson? Der hat für seine Erfindung 1927 auch einen Physik-Nobelpreis bekommen, alles andere wäre auch absolut ungerecht gewesen. Ernest Rutherford, der fundamentale Arbeit zum Verständnis der subatomaren Teilchenwelt geleistet und unter anderem gezeigt hat, wie man durch radioaktiven Zerfall Atome in andere Atome umwandeln kann, hat die Nebelkammer als das “originellste und wunderbarste Instrument in der Naturwissenschaft” bezeichnet. Heutzutage verwendet man andere Methoden um Teilchen nachzuweisen. Aber für Jahrzehnte war die Nebelkammer das wichtigste Instrument das die Teilchenphysik hatte. Heute kann man sie immer noch sehen, in vielen Museen stehen solche Instrumente und zeigen die unsichtbare Welt der Atome. Man kann sich auch selbst eine bauen. Dazu braucht man nicht viel; ein Glas, ein bisschen Trockeneis, ein wenig starken Alkohol, schwarze Plastikfolie und eine Taschenlampe. Das Trockeneis – das man leicht im Internet bestellen kann – wird zu Schnee zerstoßen. Das gefrorene CO2 hat eine Temperatur von -80 Grad und wird mit der Plastikfolie bedeckt. Dann nimmt man das Glas, spült es mit dem Alkohol aus und stellt es auf die Plastikfolie. Die Luft mit den Alkoholtröpfchen kühlt ab und es bilden sich die Bedingungen unter denen Wolken entstehen können. Wenn man mit der Lampe waagrecht auf das Glas leuchtet und lange genug wartet, dann kann man irgendwann die feinen Nebelspuren sehen, die auch Wilson gesehen hat und die die Existenz der aus dem All kommenden kosmischen Strahlung anzeigen. Entsprechende Bauanleitungen kann man überall im Internet finden und es ist wirklich absolut faszinierend, den aus dem Nichts auftauchenden Spuren zuzusehen.
Wilson selbst hat bis an sein Lebensende weiter geforscht. Am Nebel – aber auch an Gewittern. Die haben ihn genau so fasziniert wie der Nebel. Er wollte Blitze verstehen und hat unter anderem die Existenz von “Sprites” vorhergesagt. Das sind Blitze, die über den Wolken nach oben ausschlagen, bis in eine Höhe von 100 Kilometern. Tatsächlich nachgewiesen konnte diese Art der Blitze aber erst nach Wilsons Tod. Er starb am 15. November 1959 und zum Abschluss hören wir uns noch an, was er in der Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreis gesagt hat:
“Im Herbst 1894 verbrachte ich ein paar Wochen auf dem Gipfel eines wolkigen schottischen Bergs, dem Gipfel des Ben Nevis. Morgen um Morgen sah ich dort die Sonne über einem Meer von Wolken aufgehen und den Schatten des Bergs auf den unter mir liegenden Wolken, umgeben von prachtvollen farbigen Ringen. Durch die Schönheit dessen, was ich sah, verliebte ich mich in die Wolken und entschloss, zu experimentieren um sie besser zu verstehen.”
Das ist Wissenschaft im besten Sinne: Der Wunsch, die Schönheit die man in der Welt sieht, zu verstehen.
]]>Wer mir heute das Lösungswort schickt, nimmt mit einem Los an der Verlosung teil.
Das war’s für diesen Sommer! 23 Tage lang gab es 23 Hinweise und jetzt sollte hoffentlich allen klar sein wie die richtige Lösung lautet! Ihr habt noch bis zum 02. September 2022 (8 Uhr MESZ) Zeit um mir eure Lösungen zu schicken; das gleiche gilt für die Lösungen zum Sonderrätsel für die meisten korrekt interpretierten Hinweise (und hier könnt ihr auch noch teilnehmen wenn ihr schon eine falsche Lösung abgeschickt habt). Ich hoffe ihr hattet alle viel Spaß – die Auflösung und die Bekanntgabe der Gewinner gibt es hier im Blog demnächst aber in jedem Fall noch im September!
Alle bisherigen Hinweise findet ihr hier.
]]>Sternengeschichten
In meinem Podcast sind vier neue Folge erschienen:
WRINT Wissenschaft
Mit Holger Klein habe ich einmal über Wissenschaft geplaudert:
Bücher
Gelesen habe ich das hier:
Sommerrätsel
Und hier sind noch mal alle August-Links zum Sommerrätsel:
Das wars. Sorry, aber es wird vermutlich noch länger weitergehen mit Sparprogramm im Blog.
]]>Wer mir heute das Lösungswort schickt, nimmt mit 2 Losen an der Verlosung teil.
]]>Kein Weltuntergang
Die Top-Empfehlung für den August (und ganz allgemein für jeden Zeitpunkt ) ist “Weltuntergang fällt aus: Warum die Wende der Klimakrise viel einfacher ist, als die meisten denken, und was jetzt zu tun ist” von Jan Hegenberg. Den kennen einige vielleicht von seinem Blog Graslutscher und seinen informativen und unterhaltsamen Analysen des diversen Quatsch der zu Themen wie Ernährung oder Mobilität in den Medien auftaucht. Jetzt hat Jan Hegenberg ein Buch geschrieben und es ist ein Buch, das ganz dringend gelesen werden sollte.
Wenn man sich ausführlich mit der Klimakrise beschäftigt, dann kann man schon mal ein wenig schlechte Laune kriegen. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen; immerhin mache ich ja seit über einem Jahr den Podcast “Das Klima”, in dem ich gemeinsam mit der Meteorologin Claudia Frick den kompletten, gut 10.000 Seiten langen Sachstandsbericht des Weltklimarats lese. Da steht alles drin, was die Wissenschaft über die Klimakrise und ihre Folgen zu sagen hat und das ist eher deprimierend. Durchaus zu recht; die Lage IST ernst und die Situation IST deprimierend. Aber man darf sich davon nicht unterkriegen lassen, denn sonst wird sich nichts ändern. Und ändern muss sich etwas!
Was sich ändern kann: Genau das erklärt Jan Hegenberg in seinem Buch. Es geht darin nicht um irgendwelche Utopien oder eine Science-Fiction-Zukunft in der wir alle in Harmonie und Einklang mit der Natur leben. Das Buch ist äußerst konkret und der Realität verhaftet und bezieht gerade daraus seine visionäre Kraft. Hegenberg erklärt sehr verständlich, gut recherchiert und belegt durch jede Menge wissenschaftliche Quellen wie wir mit dem, was wir jetzt schon wissen die Welt so transformieren können, um in naher Zukunft tatsächlich klimaneutral zu sein. Wir müssen nicht auf irgendeine mysteriöse Zukunftstechnologie warten, die all unsere Probleme lösen wird. Alles was wir brauchen, haben wir schon. Was fehlt ist der Mut und Wille, dieses vorhandene Wissen auch umzusetzen.
Hegenberg konzentriert sich vor allem auf die Problematik der Energie und Mobilität. Wo kriegen wir unsere Energie her und wie bewegen wir uns fort, ohne dabei das Klima zu schädigen? Mit erneuerbaren Energie und nicht mehr mit privaten Autos, die fossile Brennstoffe tanken! Die Antworten selbst sind nicht überraschend; sie sind das, was Wissenschaft und Klimaschutz-Aktivist:innen schon seit Jahren sagen. Die Stärke von Hegenbergs Buch liegt darin, dass er sehr eindringlich aufzeigt, dass es auch tatsächlich möglich ist diese Ideen umzusetzen und dabei die üblichen Vorurteile ebenso verständlich entkräftet. Wir müssen die Wälder nicht abholzen, um überall Windräder aufzustellen. Es gibt keinen Grund, sich vor einer “Dunkelflaute” zu fürchten, bei der Sonnen- und Windenergie gleichzeitig für Wochen ausfallen. Wir müssen mit der Umstellung auf erneuerbare Energien nicht auf neue Speichertechniken warten. Die Rohstoffe für E-Autos sind nicht umweltschädlicher als die bei konventionellen PKWs. Und so weiter – Nach der Lektüre des Buches wird man feststellen, dass es nur einen Grund gibt, warum wir nicht längst damit angefangen haben, eine klimaneutrale Gesellschaft zu schaffen: Weil uns (und vor allem: Der Politik) der Mut dazu fehlt. Die das Buch abschließende Vision eines Tages im Jahr 2040 könnte uns vielleicht diesen Mut verleihen – sofern wir in der Lage sind, unsere Vorurteile abzulegen.
Lest das Buch! Vor allem dann, wenn ihr das Gefühl habt, dass man gegen diese ganze Klimakrise eh nix mehr unternehmen kann. “Weltuntergang fällt aus” ist das Gegenmittel gegen die – durchaus berechtigte – Angst vor der Klimazukunft.
Klimajournalismus
Auch das Buch “Medien in der Klimakrise”, das von der Initiave Klima vor acht herausgegeben worden ist, beschäftigt sich mit dem Klima. Und wie der Titel vermuten lässt, geht es um die mediale Darstellung der Krise. Es ist interessant, aber wer nicht selbst aktiv im Klimajournalismus tätig ist, wird damit eher wenig anfangen können. Die Texte der unterschiedlichen Autor:innen behandeln praktische Aspekte der Klimaberichterstattung und wenden sich daher eher an Journalist:innen und nicht so sehr an das mediale Publikum und die breite Öffentlichkeit. Thematisch ist das Buch naturgemäß divers, aber es dreht sich doch sehr häufig um das Problem der Darstellung der Klimakrise. Wie soll man die Krise medial darstellen? Ist es problematisch, wenn man sich auf die negativen Folgen des Klimawandels konzentriert? Und wenn ja, was kann man dagegen tun? Die Antwort, die sich durch alle Texte zieht lautet vereinfacht: Man soll nicht nur darüber berichten, was in Zukunft für Katastrophen auf uns warten. Sondern auch immer gleichzeitig konstruktive Lösungen aufzeigen. Das ist sicherlich richtig (siehe das, was ich gerade zum Buch von Jan Hegenberg geschrieben habe). Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich dieser These so vollumfänglich zustimme. Der Klimawandel IST die größte Krise der sich die Menschheit gegenüber sieht. Sie WIRD katastrophal werden, wenn wir nichts unternehmen und auch nicht angenehmen, wenn wir etwas tun (dann wird es nur weniger katastrophal als es sein könnte). Diese Situation muss korrekt dargestellt werden – und natürlich ebenso die notwendigen Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen. Aber wenn man bei jedem Text der einen negativen Aspekt der Klimakrise behandelt auch immer gleich dazu schreibt “Keine Sorge, da können wir etwas tun”, führt das vielleicht dazu, dass niemand etwas tut, weil alle der Meinung sind, dass eh schon etwas getan wird. Oder auch nicht – ich bin kein Journalist und insofern nicht die richtige Person, um das einschätzen zu können. Interessant ist das Buch auf jeden Fall, wenn auch nicht für alle.
Das Wasser dieser Welt
Wer gerne wissen möchte, wie sich unser Wissen über das Klima im Laufe der Zeit entwickelt hat, sollte unbedingt das Buch “Waters of the World: the story of the scientists who unravelled the mysteries of our seas, glaciers, and atmosphere — and made the planet whole” von Sarah Dry. Der Titel erklärt schon, worum es geht. Ausgehend vom 18. Jahrhundert (circa) beschäftigt sich Dry mit den Forscherinnen und Forschern denen wir unser Wissen über das Wasser der Welt zu verdanken haben. Und das Wasser ist eine gute Klammer: Es geht um die Erforschung der Gletscher; um das Wasser in den Wolken und der Atmosphäre; die Bewegung der Ozeane und ihre Strömungen und damit um all das, was wir heute als “Klima” bezeichnen würden. Nur im Zusammenspiel von Atmosphäre, Ozeanen und der Kryosphäre (also all dem, was gefroren ist: Gletscher, Polarregionen, usw) kann man das Klima wirklich verstehen (und die Flüsse, Seen, Wälder etc gehören natürlich auch dazu).
Das Buch von Dry orientiert sich vor allem an den Personen, die dieses Wissen gewonnen haben. Manche davon kennt man vielleicht – John Tyndall zum Beispiel; manche eher nicht, wie Joanne Malkus Simpson, die erklärt hat, wie Wolken funktionieren oder Henry Stommel, der die Ozenaströmungen erklärt hat. “Waters of the World” ist aber auch voll mit Wissen über Meteorologie, Ozeanographie und jeder Menge anderer cooler Wissenschaft. Es ist ein hervorragendes Buch und zeigt, wie wir im Laufe der Zeit aus lauter Puzzlestücken ein umfassendes Bild über unseren Planeten gewonnen haben.
Was ich sonst noch gelesen habe:
Das war die Lektüre im August. Im September wird es wieder neue Bücher geben; unter anderem eines an dem ich mitgeschrieben habe. Aber dazu in Kürze mehr!
Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.
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Sternengeschichten Folge 509: Osiris – ein verdampfender Planet
In dieser Folge der Sternengeschichten reisen wir zu Osiris, einem Planeten der sich knapp 160 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Obwohl, “Osiris” ist gar nicht der offizielle Name. Der lautet “HD 209458b”. Das klingt jetzt aber nicht so super und deswegen bleiben wir bei dem inoffiziellen Spitznamen, den die Forscherinnen und Forscher diesem Himmelskörper verliehen haben. Osiris ist ein extrasolarer Planet, als ein Planet, der nicht unsere Sonne umkreist sondern einen anderen Stern. In diesem Fall ist das der Stern mit der Bezeichnung HD 209458. Man findet ihn, wenn man am Himmel in das Sternbild Pegasus schaut. Allerdings nur mit einem Teleskop, mit bloßem Auge ist dieser Stern nicht zu sehen. HD 209458 ist ein kleines bisschen schwerer, größer und heißer als die Sonne und mehr oder weniger gleich alt wie unser Stern. Im großen und ganzen kann man ihn als sonnenähnlichen Stern bezeichnen, der die meiste Zeit über nicht weiter aufgefallen ist.
Das hat sich am 9. September 1999 schlagartig geändert. Schon im August hat man erste Hinweise gefunden, dass dieser Stern von einem Planeten umkreist wird. Heute ist das keine große Sache mehr; wir kennen mehr als 5000 extrasolare Planeten und wissen, dass da draußen mindestens so viele Planeten wie Sterne sind. Aber 1999 hatte die Erforschung der extrasolaren Planeten gerade erst angefangen. Der erste davon wurde überhaupt erst Ende 1995 entdeckt. 1999 kannte man gerade mal gut zwei Dutzend davon. Jeder neu entdeckte Planet war eine große Sache. HD 209458 war aber extra aufregend und das hat mit der Art und Weise seiner Entdeckung zu tun.
Die ersten extrasolaren Planeten sind alle mit der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt worden. Davon habe ich ja früher schon mal erzählt; kurz gesagt nutzt man dabei die Tatsache aus, dass die Gravitationskraft eines Planeten den Stern, den er umkreist, ein klein wenig zum Wackeln bringt. Nicht viel; immerhin hat so ein Planet ja deutlich weniger Masse als ein Stern. Trotzdem, ein Stern der von Planeten umkreist wird, wackelt immer ein bisschen hin und her. Das kann man zwar nicht direkt beobachten (zumindest in so gut wie allen Fällen nicht). Aber wenn sich der Stern bei seiner Wackelei mal ein winziges Stück auf uns zu bewegt und dann wieder von uns fort, führt das dazu, dass sich auch das Licht verändert. Es wird – vereinfacht gesagt – mal ein wenig röter und mal ein wenig blauer. Genau aus dem gleichen Grund, aus dem sich auch die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert wenn es zuerst auf uns zu kommt und dann von uns weg fährt. Nur dass es hier eben eine Lichtwelle ist, die die Farbe verändert und keine Schallwelle bei der sich die Tonhöhe ändert.
Die Radialgeschwindigkeitsmethode war sehr erfolgreich bei der Suche nach extrasolaren Planeten. Ist sie immer noch; sie wird ja immer noch verwendet. Vor allem deswegen, weil man daraus die Masse des Planeten recht gut abschätzen kann. Je mehr Masse der Planet hat, desto stärker bringt er den Stern zum Wackeln. Und die Masse eines Planeten ist eine fundamentale Größe, wenn man die nicht kennt hat man kaum eine Chance zu verstehen, um was für einen Planeten es sich handelt. Was man darüber hinaus auch noch gerne kennen würde, ist die Größe des Planeten. Die sagt einem die Radialgeschwindigkeitsmethode aber leider nicht.
Deswegen hat man auch schon früh probiert, Planeten mit einer anderen Methode zu finden und zwar der Transitmethode. Auch von der hab ich schon oft erzählt; da geht es darum, dass man das Licht eines Sterns beobachtet und schaut, ob es in periodischen Abständen weniger wird. Denn wenn von uns aus gesehen ein Planet genau vor dem Stern vorbei zieht, verdeckt er dabei ein kleines bisschen Licht. Nicht viel, aber Helligkeiten können wir relativ genau messen. Und natürlich gilt hier: Je größer der Planet, desto mehr Licht kann er verdecken. Die Transitmethode sagt uns also direkt, wie groß der Planet ist. Dafür kann sie wiederum nichts über die Masse sagen. Und vor allem: Sie funktioniert nur dann, wenn wir zufällig von der Erde aus genau in die Ebene schauen, in der sich der Planet um den Stern bewegt. Man muss also sehr viele Sterne beobachten damit man eine Chance hat, einen zu finden der erstens von einem Planeten umkreist wird und bei dem wir zweitens im richtigen Winkel hinschauen um einen Transit zu sehen.
1999 hatte man mit der Transitmethode noch keinen Erfolg gehabt. Aber natürlich hat man bei allen damals bekannten Exoplaneten versucht, einen Transit zu beobachten. Die Chancen, dass von der Handvoll damals bekannter Planeten gerade einer dabei ist, der direkt vor seinem Stern vorüber zieht, war zwar gering. Aber zumindest hat man schon mal gewusst, DASS da überhaupt ein Planet ist. Genau das hat man aus Radialgeschwindigkeitsmessungen bei HD 209458 gewusst. Und am 9. September 1999 hat man dort dann auch einen Transit beobachtet. Die Helligkeit des Sterns wurde um 1,7 Prozent geringer und diese Mini-Sternenfinsternisse wiederholten sich periodisch, genau wie es für einen den Stern umkreisenden Planeten zu erwarten war.
Der Planet, der die offizielle Bezeichnung HD 209458b bekommen hat, war der erste, der mit der Transitmethode nachgewiesen werden konnte. Mit der Transitmethode UND der Radialgeschwindigkeitsmethode, was ganz besonders praktisch ist. Denn wenn ich weiß, wie groß der Planet ist und gleichzeitig auch seine Masse kennen, kann ich auch die Dichte berechnen und Rückschlüsse über seine Zusammensetzung ziehen. In diesem Fall war der Planet 1,35 mal so groß wie Jupiter, hatte aber nur gut 70% der Jupitermasse. Es muss also auf jeden Fall mal ein riesiger Gasplanet sein; ohne feste Oberfläche. Dass er gleichzeitig größer ist als Jupiter und weniger Masse hat, kann man durch seine Umlaufbahn erklären. Er befindet sich nur 7 Millionen Kilometer von seinem Stern entfernt. Zum Vergleich: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer; der sonnennächste Planet Merkur ist immer noch 58 Millionen Kilometer weit weg. HD 209458 b braucht deswegen auch nur 3,5 Tage für eine Runde um den Stern. Und durch diese Nähe wird er natürlich auch enorm aufgeheizt. Er ist mehr als 1000 Grad Celsius heiß und die Wärme führt dazu, dass sich das Gas aus dem er besteht ausdehnt.
Osiris ist aber nicht nur deswegen außergewöhnlich, weil er als erster Planet mit der Transitmethode entdeckt wurde. Seine zweite Besonderheit hat mit seinem Spitznamen zu tun. 2003 und 2004 hat das Hubble-Weltraumteleskop den Planet beobachtet und dabei in seiner Umgebung jede Menge Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff gefunden. Der Planet war quasi von einer Wolke aus diesen Atomen umgeben, die fast dreimal so groß war wie der Planet selbst. Der Grund dafür ist wieder einmal die enorme Nähe zwischen Stern und Planet. Die Energie des Sterns heizt die äußeren Schichten der planetaren Atmosphäre auf; die Gasteilchen bewegen sich immer schneller und schneller. Einige so schnell, dass sie nicht mehr von der Gravitationskraft des Planeten festgehalten werden können. Sie entkommen ins All und bilden dort eine Wolke. Durch die Bewegung des Planeten um den Stern entsteht so eine Art “Schweif”, den der Planet hinter sich her zieht. Oder anders gesagt: HD 209458 b verliert ständig einen Teil seiner Masse, er verdampft quasi und pro Sekunde sausen 100.000 bis 500.000 Tonnen Wasserstoff aus seiner Atmosphäre ins All. Er hat vermutlich so schon gut 7 Prozent seiner ursprünglichen Masse verloren. Und hier kommt jetzt Osiris ins Spiel: Das ist ja der ägyptische Totengott, der von seinem Bruder Seth zerstückelt und überall im Land verteilt worden war. Aber keine Sorge, Osiris war ja ein Gott und man hat die Stücke wieder ausgegraben und zusammengesetzt und alles war wieder gut. Nur ein Stück haben sie nicht mehr gefunden, aber das hat offensichtlich nicht gestört. Jedenfalls haben sich die Forscherinnen und Forscher dadurch irgendwie inspiriert gefühlt und weil der Planet ja auch quasi Stücke von sich selbst verliert, haben sie das Ding inoffiziell “Osiris” genannt.
Wir wissen heute, dass ein verdampfender Planet wie Osiris kein Einzelfall ist. So etwas passiert immer, wenn ein Gasplanet seinem Stern zu nahe ist. Aber ein Planet, der so schön groß ist und seinem Stern so nahe ist eine super Glücksfall für die Beobachtung. Normalerweise kann man die Atmosphäre eines extrasolaren Planeten schwer bis gar nicht untersuchen. Aber bei Osiris hat es immer wieder geklappt und man dort zum Beispiel schon Kohlendioxid und Methan nachgewiesen. Wir wissen, dass es dort Wolken gibt, so wie auch in der Atmosphäre des Jupiters. Und Stürme! 2010 konnte man messen, dass sich Teile des Gases in der Atmosphäre von Osiris mit gut 7000 km/h bewegen. Das ist ein ordentlicher Wind und er wird durch die Temperaturunterschiede zwischen der hellen, heißen und der dunklen, kühlen Seite des Planeten verursacht.
2021 konnte man in der Atmosphäre von Osiris auch komplexere Moleküle nachweisen, nämlich Wasser, Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Methan, Ammoniak und Acetylen. Daraus kann man ableiten, dass es in der Atmosphäre neben jeder Menge Wasserstoff auch Kohlenstoff und Sauerstoff geben muss und – das war eine neue Erkenntnis – mehr Kohlenstoff als Sauerstoff. Und das ist insofern interessant, weil das bedeuten muss, dass der Planet in einer kühleren Ecke entstanden ist als jetzt. Die Details würden jetzt zu weit führen – aber die diversen Moleküle und Atome sind bei der Entstehung eines Planetensystems nicht gleichmäßig um den Stern herum verteilt. Vor allem in unmittelbarer Nähe des jungen und heißen Sterns gibt es weniger Zeug, weil die Strahlung das in der Gegend verteilt. Wenn Osiris also jetzt so viele Verbindungen mit Kohlenstoff in der Atmosphäre hat, dann muss er weiter entfernt entstanden und erst später so nah an den Stern gerückt sein.
Osiris ist kein Planet, auf dem Leben existieren kann. Aber die Erforschung der Exoplaneten ist ja weit mehr als nur die Suche nach einer “zweiten Erde” oder außerirdischem Leben. Es geht darum zu verstehen, was dort draußen alles existieren kann. Und Osiris ist ein absolut faszinierendes Forschungsobjekt. So etwas wie diesen verdampfenden Riesenplaneten gibt es in unserem Sonnensystem nicht. Wir haben viel aus der Erforschung von Planeten wie Osiris gelernt; wir haben gelernt wie Planeten funktionieren und wie man ihre Atmosphären erforschen kann. Vor allem aber haben wir gelernt: Das Universum da draußen ist voller wunderbarer Überraschungen und wenn wir nur aufmerksam genug hinschauen, dann finden wir dort jede Menge Dinge, die es bei uns nicht gibt und von denen wir nicht mal dachten, dass es sie geben kann, bevor wir sie gefunden haben. So wie Osiris, der Planet, der einen Schweif aus seiner eigenen Atmosphäre hinter sich durchs All zieht.
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Sternengeschichten Folge 508: Die Arecibo-Sternwarte
Das große Radioteleskop der Arecibo-Sternwarte kennt man aus dem Hollywoodfilm “Contact” mit Jodie Foster. Oder aus dem James-Bond-Film “GoldenEye”. Oder aus einer Folge der Serie “Akte X”. Die Sternwarte ist aber nicht nur ein beeindruckender Hintergrund für Action- und Science-Fiction-Filme. Sondern ein Ort, an dem über Jahrzehnte hinweg beeindruckende Astronomie betrieben worden ist. Obwohl es ursprünglich für ganz und gar nicht wissenschaftliche Zwecke konstruiert worden ist.
Nach dem zweiten Weltkrieg haben die USA und die Sowjetunion ihre atomaren Raketen aufgerüstet. Und natürlich auch überlegt, wie sie einen Raktenangriff des jeweils anderen Landes abwehren können. Dazu muss man zuerst einmal wissen, dass eine Rakete im Anflug ist. Die Forschungseinrichtung des amerikanischen Verteidigungsministeriums hat sich überlegt, dass so eine Rakete, die durch die Atmosphäre saust, dort entsprechende Effekte auslösen muss. Die Moleküle der Luft müssten dadurch ionisiert werden, soll heißen: Die Atome verlieren Elektronen aus ihren Atomhüllen. Das müsste man eigentlich mit einem Radioteleskop nachweisen können; mit so einem Teleskop sollte man auch die entsprechende Schicht der Erdatmosphäre besser erforschen können, denn darüber wusste man in den 1950er Jahren auch noch nicht viel. Vor allem für letzteres, also die Erforschung der sogenannten “Ionosphäre” der Erde hat man deswegen eine entsprechende Einrichtung gebaut.
Und zwar auf der Insel Puerto Rico in der Karibik, die ein sogenanntes “US-amerikanisches Außengebiet” ist, also vereinfacht gesagt zwar zu den USA gehört, aber kein eigener Bundestaat ist und auch nicht bei den Wahlen zur Präsidentschaft mitwählen darf. 15 Kilometer südlich der Hafenstadt Arecibo jedenfalls wurde 1963 das Arecibo Ionospheric Observatory eröffnet. Man hat sich dafür eine sogenannte “Doline” ausgesucht, eine Sinkhöhle – also eine Art Krater im Boden, der entsteht, wenn Wasser unterirdische Gesteinsschichten im Laufe der Zeit auflöst und das Gestein darüber dann einstürzt. In Arecibo fand man ein besonders schönes und großes dieser natürlichen Löcher; ideal um dort eine große Radioschüssel reinzustellen. Allerdings nicht so ein Teil, wie man es sich auf den Balkon stellt, wenn man Satellitenfernsehen empfangen will. Beziehungsweise schon so ein Teil, zumindest im Prinzip so ein Teil. Nur eben sehr viel größer: Die Schüssel in Arecibo hatte einen Durchmesser von 305 Metern. Sie bestand aus 38.778 Aluminiumteilen, jeweils circa 1 mal 2 Meter groß und alle individuell ausrichtbar um die optimale Form der Schüssel zu erreichen. Dieses riesige Ding lag also in der Doline; unbeweglich. Andere Radioteleskope können bewegt und auf bestimmte Positionen am Himmel ausgerichtet werden. Beim Arecibo-Teleskop war das nicht möglich. Aber so wie man mit einem simplen Spiegel noch keine Astronomie betreiben kann, reicht eine simple Schüssel auch nicht für ein Radioteleskop. Man braucht ja auch irgendwas, dass die in der Schüssel gesammelte und fokussierte Radiostrahlung auffängt, auswertet und weiterleitet. Dieser Empfänger war ein knapp 820 Tonnen schweres Ding, das über der Schüssel an Seilen aufgehängt war und bewegt werden konnte. Je nachdem wo genau der Empfänger über der Schüssel hing, konnte er einen anderen Teil der Strahlung auffangen und das hat es möglich gemacht, zumindest ein bisschen Einfluss darauf zu nehmen, welche Region am Himmel beobachtet wird.
Das ist natürlich ein bisschen vereinfacht dargestellt; aber die Details würden jetzt zu weit führen. Mit dem Teleskop in Arecibo hat das Verteidigungsministerium also seine Forschung durchgeführt – und irgendwann wieder damit aufgehört. Man übergab das Ding der National Science Foundation, die es dann von der Universität Cornell betreuen ließ. In den 1970er Jahren wurde es ein wenig umgebaut, damit man damit auch sinnvolle astronomische Forschung betreiben konnte und seitdem hat man dort genau das gemacht.
Genau so wie es in einer einzige Podcastfolge nicht möglich ist, alle technischen Details der Arecibo-Sternwarte zu erklären, kann ich natürlich auch unmöglich alle Forschungsergebnisse aufzählen. Das, was jetzt kommt, ist also nur ein kurzes “Best of Arecibo”.
Eines der frühesten Ergebnisse war die Bestimmung der Rotationsperiode von Merkur im Jahr 1964. Bis dahin dachte man, dass Merkur genau so lange für eine Drehung um seine eigene Achse braucht wie für eine Runde um die Sonne. Messungen in Arecibo haben aber gezeigt, dass Merkur nur 59 Tage für eine Drehung braucht. Was immer noch sehr lange ist, aber doch ein wenig kürzer. 1974 entdeckte die beiden Astronomen Russel Hulse und Joseph Taylor mit dem Arecibo-Teleskop den Doppelpulsar PSR B1913+16. Das war eine wirklich spektakuläre Sache! Ein Pulsar ist ja ein schnell rotierender Neutronenstern. Und ein Neutronenstern ist das, was von einem großen Stern übrig bleibt, wenn der sein Leben bei einer Supernova-Explosion beendet. Ein Neutronenstern ist nur ein paar Dutzend Kilometer groß, hat aber immer noch so viel Masse wie die Sonne. Es sind extrem kompakte, dichte Objekte und das wusste man auch vorher schon. Aber jetzt hat man zwei von diesen Dingern gefunden, die einander umkreisen. Und Albert Einstein hatte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorhergesagt, dass es so etwas wie Gravitationswellen geben muss. Wenn zwei sehr dichte Objekte einander umkreisen, dann rütteln sie quasi so stark an Raumzeit, dass sich diese Wellen im Raum selbst ausbreiten. Was dabei auch passiert: Die Objekte, die die Gravitationswellen verursachen, müssen dabei Bewegungsenergie verlieren. Oder anders gesagt: Wenn zwei einander umkreisende Neutronensterne WIRKLICH Gravitationswellen aussenden, dann müssen sie dabei einander immer näher kommen. Tun sie das, dann umkreisen sie sich in immer engeren Abstand und immer schneller. Man kann so einen Doppelpulsar zwar nicht direkt beobachten und dabei zuschauen, wie er das tut. Da diese Objekte aber in eigentlich sehr regelmäßigen Abständen Radiostrahlung aussenden – und warum sie das tun habe ich in den Folgen 355 und 401 erklärt – kann man es zumindest indirekt sehen. Aus der Beobachtung dieser Radiopulse kann man bestimmen, wie groß der Abstand zwischen den beiden ist. Und weil man diese Radiopulse auch noch sehr genau messen kann, kann man auch kleine Änderungen bestimmen. Genau das haben Hulse und Taylor getan und ihre Messungen haben exakt den Vorhersagen von Albert Einstein entsprochen. Das war zwar kein direkter Nachweis von Gravitationswellen – der kam erst im Jahr 2016 – aber es war ein sehr, sehr deutlicher indirekter Nachweis, das Einstein recht gehabt hat und die beiden haben für diese Entdeckung im Jahr 1993 den Physik-Nobelpreis bekommen.
Mit dem Arecibo-Teleskop konnte man in den 1980er Jahren die Oberfläche der Venus zumindest zum Teil kartografieren. Das ist gar nicht so einfach, denn der Planet ist immer von einer dicken Wolkendecke umgeben. Normale Teleskope können da nicht durchschauen. Und die Venus sendet natürlich auch keine Radiostrahlung aus. Das Arecibo-Teleskop hat aber nicht nur einen Empfänger für Radiowellen – es kann auch welche aussenden. Und die Venus ist nahe genug, um das astronomische sinnvoll einsetzen zu können. Man schickt – sehr vereinfacht gesagt – Radiostrahlung von der Erde zur Venus, wartet bis sie dort reflektiert werden und misst dann mit dem Teleskop den Zeitpunkt an dem sie wieder auf der Erde zurück sind. Aus der Zeit kann man den Abstand berechnen und wenn man das sehr genau macht, kann man nicht nur den Abstand zwischen Venus und Erde berechnen sondern auch Höhenunterschiede auf der Venusoberfläche messen. Unterschiedliche Gesteinsarten sind auch unterschiedlich gut darin, Radiostrahlung zu reflektieren und damit kann man nicht nur sehen, ob da ein Berg steht oder nicht, sondern zum Beispiel auch feststellen, ob das Gestein alt oder jung ist. Und wenn man sehr junges Gestein findet, ist das ein Anzeichen dafür, dass da irgendwo mal in der jüngeren Vergangenheit Vulkanismus stattgefunden hat… – genau das hat man auf der Venus gefunden.
Mit den Messungen des Arecibo-Teleskops hat man Eis in den Kratern auf dem Merkur gefunden; eine erstaunliche Entdeckung angesichts der Tatsache, dass es sich um den sonnennächsten Planeten handelt, der überall enorm heiß ist. Aber es gibt eben manche Krater, in die das Sonnenlicht nie fällt. Eine weitere große Entdeckung habe ich schon in Folge 355 ausführlich erklärt: Auch dabei ging es um die Untersuchung von Pulsaren und dabei hat man entdeckt, dass einer davon von Planeten umkreist wird. Auch wenn das keine “echten” Planeten sind, die einen “echten” Stern umkreisen, sondern das, was von einem Stern nach seinem Tod übrig bleibt, war das eine beeindruckende Entdeckung die Anfang der 1990er Jahren gemacht wurde.
Das Arecibo-Teleskop hat in den 1980er Jahren das erste Mal die Form eines Asteroiden bestimmt; auch hier ist das wieder durch das Aussenden und wieder Empfangen von Radiostrahlung gelungen. Man hat die Magnetfelder von Sternen gemessen, Moleküle in der Staubhülle von Kometen untersucht, ferne Galaxien erforscht und jede Menge mehr. So wie im Film “Contact” hat man mit dem Teleskop auch tatsächlich nach Radiobotschaften von Außerirdischen gesucht und 1974 sogar eine Botschaft hinaus ins All geschickt, die deswegen auch den Namen “Arecibo-Botschaft” trägt – aber das ist eine andere Geschichte für eine andere Folge.
Ich habe vom Arecibo-Teleskop immer in der Vergangenheitsform gesprochen. Das hat einen Grund – denn das Teleskop gibt es nicht mehr. Beziehungsweise steht es schon noch rum. Zumindest das, was noch übrig ist… Schon 2017 ist es durch den Hurrikan Maria stark beschädigt worden und es war schwer, die Finanzierung für die Reparatur und den Weiterbetrieb aufzutreiben. Zusätzlich bekam das Teleskop Konkurrenz durch FAST, das “Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope”. Es wurde 2016 in China in Betrieb genommen und hat – wie der Name ja auch schon sagt – einen Durchmesser von 500 Metern. In Südafrika wurde 2021 das Square Kilometre Array Observatory gegründet, ein Verbund aus Radioteleskopen die zusammen einen Spiegel mit einer Fläche von einem Quadratkilometer bilden. Das einstmals größte Einzelteleskop der Welt war nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik – aber immer noch ein super Instrument und man hatte definitiv vor, es weiter zu betreiben.
Aber am 10. August 2020 war Schluss. Die Astronomin Sravani Vaddi war in dieser Nacht gerade dabei dabei, die Galaxie NGC 7469 zu beobachten um dort die Kollision zweier supermassereicher schwarzer Löcher zu erforschen. Sie war nicht vor Ort; die Beobachtung lief automatisch ab und wurde per Computer überwacht. Der meldete auf einmal, dass das Teleskop nicht mehr richtig ausgerichtet war. Der Fehler ließ sich aus der Ferne nicht beheben. Und auch später vor Ort nicht mehr. Denn eines der Stahlseile, die den schweren Empfänger sichern sollten war plötzlich gerissen. Die Empfangseinheit wurde beschädigt, die Schüssel bekam ein Loch. Der Betrieb wurde vorerst mal eingestellt um zu überlegen, wie man das ganze wieder reparieren kann. Am 6. November 2020 riss dann aber noch ein Seil. Jetzt beschloss man, dass man so nicht weiter machen kann; es war davon auszugehen, dass die Seile zu schwach sind, um eine Reparatur noch möglich zu machen und dass das Observatorium nicht mehr betreten werden kann. Es wäre zu gefährlich; man würde es abreißen müssen. Das hat es aber dann am 1. Dezember 2020 von selbst erledigt. Fast gleichzeitig sind am frühen Morgen gleich zwei Seile gerissen und die ganze über 800 Tonnen schwere Empfangseinheit ist auf die Schüssel gefallen. Jetzt war das Arecibo-Teleskop endgültig und total zerstört. Fast 60 Jahre nach seiner Inbetriebnahme war es vorbei.
Es gibt Pläne, ein neues, besseres Teleskop an der gleichen Stelle wieder aufzubauen. Aber selbst wenn das geschieht, wird es noch dauern. Die Astronomie wird auch ohne das Arecibo-Teleskop ihrer Arbeit nachgehen können. Aber das Instrument auf der Karibikinsel war eben nicht nur ein wichtiges Teleskop in der Geschichte der astronomischen Forschung. Sondern auch ein einzigartiges kulturelles Phänomen, das nicht umsonst in so vielen Filmen und Büchern aufgetaucht ist. Die Astronomie wird es nicht vergessen.
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Sternengeschichten Folge 507: Mit dem Sonnensegel durch den Weltraum
In den Sternengeschichten habe ich immer wieder über Raumfahrt gesprochen. Die absolut überwiegend gewaltige extreme Mehrheit der Objekte im Universum können wir natürlich niemals erreichen. Das geht nur bei denen in unserem eigenen Sonnensystem und auch da ist es schwer genug. Es ist ja nicht damit getan, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und in den Weltraum zu kommen. Das klappt mit Raketen ja ganz gut, auch wenn es immer noch teuer, kompliziert und fehleranfällig ist. Aber wenn man dann mal im Weltraum ist, will man ja auch irgendwo hin und andere Himmelskörper erforschen. Den Mond, den Mars, einen Asteroid oder sonst irgendwas von dem, was dort draußen ist. Und dazu braucht man irgendeinen Antrieb. Zumindest in der Praxis, in der Theorie würde es ja auch – fast – ohne gehen. Denn zum Glück gibt es ja die Newtonschen Axiome. Diese fundamentalen Gesetze der Bewegung lernt man schon in der Schule und die erste dieser drei Regeln lautet: “Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird”. Oder, ein bisschen weniger kompliziert: Wenn sich etwas bewegt, dann hört es erst dann auf sich zu bewegen, wenn eine Kraft dafür sorgt.
Das klingt auf den ersten Blick ein wenig seltsam. Hier auf der Erde sehen wir ja, dass jede Bewegung irgendwann aufhört. Ein Fahrrad rollt nicht für immer weiter wenn es mal in Bewegung ist, so schön das auch wäre. Aber das es nicht weiterrollt, liegt eben an einer Kraft die auf das Rad wirkt. In dem speziellen Fall ist das unter anderem die Reibung zwischen den Reifen und der Straße und die Reibung zwischen dem kompletten Rad und der Luft. Im Weltall aber gibt es keine Luft und keine Straße. Und damit auch – erstmal – keine Kraft, die der Bewegung eines Fahrrads etwas entgegen setzen könnte. Eine Raumsonde, die mit einer gewissen Geschwindigkeit im leeren Raum des Weltalls angeschubst wird, bewegt sich für alle Zeit mit dieser Geschwindigkeit weiter. Ok, das stimmt nicht ganz. Es gibt ja trotzdem noch Kräfte. Zum Beispiel die Gravitationskraft der Planeten und Sterne und die kann auch eine Raumsonde abbremsen. Aber im Prinzip könnte man eine Sonde einfach zu einem anderen Planeten “werfen”. Man muss vorher nur ganz genau ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung die Sonde die Erde verlassen muss um im richtigen Moment an der Stelle im Sonnensystem anzukommen, wo sie hin soll. Und dann würde sie auch dort hin gelangen. In der Praxis kann man ein Raumfahrzeug aber nicht so enorm exakt starten; es gibt neben der Gravitation noch andere Kräfte die die Bewegung stören können (dazu später gleich mehr) und deswegen muss man die Bewegung einer Sonde immer wieder mal korrigieren damit sie am Ende dort landet, wo sie soll. Und dazu braucht man einen Antrieb.
Klassischerweise wird dafür ein Raketenantrieb verwendet, der die anderen beiden Newtonschen Axiome ausnützt. Nämlich: Will man die Bewegung eines Objekts verändern, braucht es dafür eine Kraft. Und: Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus, so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A. Wir wollen jetzt aber die Newtonschen Axiome nicht im Detail betrachten; das habe ich ja schon in Folge 285 der Sternengeschichten gemacht. Aber sie erklären, wie Raketen funktionieren: Wenn wir etwas – zum Beispiel ein Gas – am einen Ende eines Triebwerks mit einer gewissen Geschwindigkeit ausstoßen, dann bewegt sich das Triebwerk mit allem was daran befestigt ist, in die andere Richtung. Und genau das macht man in der Raumfahrt. Man macht es bei den großen Raketen, mit denen die Raumsonden ins All gebracht werden und man macht es mit den kleineren Steuerdüsen, die die Bahn der Sonde später korrigieren. Gas wird ausgestoßen und je nachdem wie genau man das macht, ändert man die Bahn.
Das Prinzip funktioniert gut; das Problem dabei ist aber offensichtlich: Wenn der Tank leer ist, geht nichts mehr. Man muss das Gas, das man ausstoßen will, mit ins All nehmen und da es dort keine Tankstellen gibt, kann man nicht mehr steuern, wenn es aufgebraucht ist. Es gibt natürlich auch andere Methoden um Raumsonden zu steuern und wenn man es richtig anstellt, dann muss man die Bahn auch nicht allzu oft korrigieren. Aber je weniger Treibstoff man ins All mitnehmen muss, desto besser. Denn desto leichter ist das Raumfahrzeug und desto einfacher und vor allem billiger kann man es ins All befördern. Andererseits gilt aber auch: Je weniger man die Bahn korrigieren kann, desto weniger flexibel ist man. Dann kann es unter Umständen auch sehr lange dauern, bis man das Ziel erreicht. Und die Zeit, in der man die Mission durchführen kann, ist begrenzt.
Ideal wäre es also, wenn man eine Raumsonde mit einem Antrieb steuern könnte, der keinen Treibstoff braucht. Und bevor jetzt jemand meint, sowas könnte es nicht geben: Natürlich geht das! Auf der Erde nutzen wir solche Antriebe schon seit langer Zeit. Segelboote brauchen keinen Treibstoff, sie brauchen nur Segel und Wind und kommen damit überall hin. Schön und gut, aber was hilft uns das im Weltall – da gibt es ja, wie ich vorhin ja auch gesagt habe, keinen Wind. Das stimmt – aber auch dort kann man “segeln” und zwar nicht mit der Kraft des Windes, sondern mit der des Lichts.
Und damit wir verstehen, wie so ein “Lichtsegel” funktioniert, müssen wir kurz auf die elektromagnetische Strahlung schauen. Denn genau das ist Licht ja. Und elektromagentische Strahlung kann eine Kraft ausüben. Licht kann “drücken” und auch das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Denn Licht hat ja keine Masse und kein Gewicht, oder? Wie soll das einen Druck ausüben?
Es stimmt schon, dass Licht im alltäglichen Sinn keine Masse hat. Aber Licht hat auf jeden Fall Energie! Und seit Albert Einstein wissen wir, dass Masse und Energie nur zwei unterschiedliche Dinge sind, das selbe Phänomen zu betrachten. Was Masse hat, hat Energie und was Energie hat, hat auch Masse, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem wir das gewohnt sind. Licht mag masselos sein, aber Licht bewegt sich und in dieser Bewegung steckt jede Menge Energie und damit auch Masse. Vor allem hat Licht einen Impuls; so bezeichnet man die physikalische Größe mit der man den Bewegungszustand eines Objekts beschreiben kann. Je mehr Masse und je schneller, desto größer der Impuls. Der Impuls hängt also auch von der Geschwindigkeit ab. Und die Geschwindigkeit ist eine physikalische Größe, die eine Richtung hat. Etwas bewegt sich nicht einfach nur, es bewegt sich auch immer in eine bestimmte Richtung. Und weil der Impuls von der Geschwindigkeit abhängt, hat auch der Impuls eine Richtung.
Ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil das wichtig ist. Dazu müssen wir nochmal zurück zu den Newtonschen Axiomen. Das zweite davon kann auch so formulieren: Eine Kraft ist eine Veränderung des Impulses. So. Und jetzt schauen wir uns mal Licht an, dass sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Dieses Licht hat dann natürlich einen Impuls und dieser Impuls natürlich auch eine Richtung. Jetzt trifft dieses Licht auf eine reflektierende Fläche und wird – was auch sonst – reflektiert. Das Licht ändern also seine Richtung und damit ändert sich auch der Impuls. Und wenn sich der Impuls ändert, wird eine Kraft ausgeübt. Das ist Newtons zweites Axiom und genau das ist der Grund, warum es so etwas wie einen Strahlungsdruck gibt. Oder etwas anderes gesagt: Wenn man einen Spiegel ins All hängt und dann Licht darauf fallen lässt, wird dieses Licht einen Druck darauf ausüben und den Spiegel bewegen. Genau so wie der Wind auf das Segel eines Bootes drückt und es dadurch übers Wasser fahren lässt.
Jetzt müssen wir nur noch schauen, wie groß die Kraft ist um die es hier geht und ob man in der Raumfahrt damit überhaupt etwas anfangen kann. Wir wissen recht gut, wie viel Sonnenstrahlung auf die Erde trifft, das können wir ja direkt messen. Im erdnahen Weltraum sind das circa 1370 Watt pro Quadratmeter was, wenn man die entsprechende Rechnung anstellt, einer Kraft von 4 Mikronewton auf eine entsprechend reflektierende Oberfläche entspricht. Das klingt nach wenig. Das ist auch wenig. Das ist eine Beschleunigung von 0,4 Millimeter pro Sekunde pro Sekunde. Hätten wir also ein Sonnensegel im All das einen Quadratmeter groß ist, dann würde es mit einer Geschwindigkeit beschleunigen, die ungefähr der Geschwindigkeit entspricht, mit der ein Gletscher fließt. Und das auch nur, wenn das Segel keine Masse hat und kein Raumfahrzeug daran hängt.
Aber! Erstens kann man ja auch Segel bauen, die größer als ein Quadratmeter sind. Und zweitens dürfen wir nicht das erste Newtonsche Gesetz vergessen: Da oben ist nichts, was bremst! Auch eine kleine Beschleunigung kann groß werden, wenn man nur ein bisschen warten. Das 1-Quadratmetersegel aus dem Beispiel wird in der ersten Sekunde um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunden nochmal um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunde wieder. Und so weiter. Klar, die Stärke der Sonnenstrahlung wird schwächer, je weiter sich das Ding von der Sonne entfernt. Aber die einmal erreichte Geschwindigkeit bleibt; sie wächst immer weiter, je länger die Sonne auf das Segel leuchtet.
Ein Sonnensegel ist eine tolle Sache. Im Gegensatz zum Wind auf der Erde, der mal weht und mal nicht, scheint unser Stern immer. Im Weltall gibt es keine Flaute. In der Theorie ist es also absolut möglich, ein Sonnensegel zu bauen, ins All zu bringen und damit Raumsonden von A nach B zu fliegen. Das wusste man schon im späten 19. Jahrhundert; das hat schon Konstantin Tsiolkovsky vorgeschlagen, also der Mann, der die Grundlagen der konventionellen Raketentechnik entwickelt hat. Und dass Licht tatsächlich einen Druck ausüben kann, der Dinge bewegt, hat man ebenfalls schon im 19. Jahrhundert experimentell nachgewiesen. Bis man das Konzept aber auch in der Praxis erfolgreich ausprobieren konnte, hat es dann noch ein wenig gedauert. Es gab diverse Tests dazu auf der Erde; erste Experimente im Weltall haben nicht funktioniert – aber das hauptsächlich aufgrund Problemen mit der Rakete.
Erfolgreich war man dann im Jahr 2010. Die japanische Raumfahrtagentur hat IKAROS ins All geschickt, eine Raumsonde die mit vollen Namen “Interplanetary Kite-craft Accelerated by Radiation Of the Sun” heißt. Diese Sonde bestand im Wesentlichen nur aus einem Sonnensegel, das aber immerhin 173 Quadratmeter groß war. Das Segel ist ein Quadrat mit einer Kantenlänge von gut 14 Metern und natürlich hat man dieses riesige Teil nicht am Stück in eine Rakete gebracht. Das Segel besteht aus einer Kunsstofffolie die nur 7,5 Mikrometer dick ist. Das gesamte Ding wiegt nur 2 Kilogramm und wurde zusammengefaltet in die Rakete gebracht. Im All wurde es in Rotation versetzt und durch die Fliehkräfte hat sich das Segel dann entfaltet. Natürlich war da nicht einfach nur eine Plastikfolie, die dann unkontrolliert durchs All wabert. Es gab im Segel auch LCD-Panels, deren Reflexionsvermögen man verändern konnte, was wiederum das Verhalten des gesamten Segels beeinflusst und damit eine Steuerung möglich macht. Und zusätzlich waren auch noch ein paar kleine Detektoren inkludiert, die interplanetaren Staub messen; ein bisschen Wissenschaft muss ja auch sein.
Im Mai 2010 flog IKAROS ins All, im Juni war das Segel entfaltet und betriebsbereit und im Dezember hatte man es erfolgreich bis zur Venus gesteuert. Dort ist sie aber nur vorbeigeflogen; richtige Forschung hätte man sowieso nicht machen können, weil keine Instrumente mit dabei waren. Aber die Mission hat auf jeden Fall gezeigt, dass Sonnensegel durchaus in der Lage sind, Raumsonden von Planet zu Planet zu fliegen!
Nach IKAROS gab es noch diverse andere erfolgreiche und gescheiterte Missionen zur Erprobung von Sonnensegeln. Bis sie standardmäßig in der Raumfahrt eingesetzt werden, wird es noch ein wenig dauern. Aber es wäre überraschend, wenn diese Technik irgendwann NICHT in großem Maßstab genutzt wird. Ein Sonnensegel ist leicht und wenn es nicht unbedingt besonders schnell gehen muss, ist es ein idealer Antrieb für Reisen im Sonnensystem. Und WENN es schnell gehen muss, kann man auch hier ein wenig nachhelfen. Man könnte zum Beispiel starke Laser auf der Erde installieren und sie von dort auf das Sonnensegel richten. Denn was die Sonne kann, kann ein Laser natürlich auch und wir könnten das Segel damit ein wenig stärker beschleunigen.
Und wenn wir irgendwann zu einem anderen Stern reisen wollen, dann bleibt uns vielleicht keine andere Möglichkeit. Denn diese Reisen dauern so lange, dass wir gar nicht genug Treibstoff mitnehmen könnten. Wenn wir aber ein Sonnensegel ausreichend stark anschieben, dann hat es beim Verlassen des Sonnensystems vielleicht eine ausreichend hohe Geschwindigkeit, um es in ein paar Jahrzehnten bis zu einem anderen Stern zu schaffen. Zumindest theoretisch wäre das möglich; ob es aber auch tatsächlich passiert ist eine ganz andere Frage. Aber es ist schon irgendwie eine schöne Vorstellung, dass wir das Universum irgendwann einmal so erforschen, wie auch die Erforschung der Erde begonnen hat: Mit Weltraum-Segelbooten, die das dunkle Meer des Kosmos durchkreuzen und von einer Sternenlichtinsel zur nächsten segeln.
Wer mir heute das Lösungswort schickt, nimmt mit 21 Losen an der Verlosung teil.
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