(Zum Einlesen in die Thematik bzw. als Grundlage zum besseren Verständnis empfehle ich Einsteigern ein paar vorherige Artikel: zur Genexpression, zur forensischen RNA-Analyse und zum massiv-parallelen Sequenzieren (MPS))
Heute aus der Rubrik: Erfolgreich scheitern
Die Idee war, aufbauend auf dem Befund einer früheren Studie zum Nachweis von Kopfschüssen mittels RNA-Analyse [2], eine Methode zu finden, mit der sich auf Grundlage molekularbiologischer Evidenz die genaue Stelle einer Kopfverletzung, insbesondere einer Schußverletzung nachweisen läßt. Es gehen nämlich häufig unterschiedliche Arten und Ursachen von Kopfverletzungen mit verschiedenen typischen Verletzungsstellen einher. So sind beispielsweise Verletzungen am Hinterkopf sehr selten bei Suiziden mit Schußwaffen, hingegen häufig bei Tötungsdelikten (oder, wenn es richtig blöd läuft, beim Stochern im Wasser nach Leichenteilen mit einer Metallsonde [3]), bei bestimmten Unfällen wiederum werden typischerweise andere Stellen verletzt. Manchmal entstehen auch schwer interpretierbare Wundbilder durch untypische Schußverläufe [4]. Insofern wäre eine Methode, die bei der Kopftreffersublokalisation hilfreich ist, nicht nur von forensischem sondern auch von traumatologischem Interesse, insbesondere, wenn der Schädel einer verstorbenen Person völlig zerstört (oder die Leiche entfernt) wurde und die Verletzung nicht anhand des Schädels selbst, sondern lediglich durch Untersuchung von Anhaftungen an Waffen/Gegenständen/Fahrzeugen o.ä. oder von Spritzspuren, bei molekularballistischen Analysen speziell von Backspatter, rekonstruiert werden kann. Auch bei dieser Studie ging es also, wie bei fast all meiner Forschung aus den letzten Jahren, um die Kontextualisierung von Spuren, also die Einordnung in ihren Entstehenskontext.
Unser Untersuchungskollektiv bestand deshalb aus je 10 Proben aus den Frontal-, Temporal-, Parietal-, und Okzipitallappen beider Hirnhälften (Hemisphären) von insgesamt 10 Verstorbenen (5 M, 5 F; mittleres Alter 56,5 Jahre), die im Rahmen rechtsmedizinischer Obduktionen entnommen worden waren, wobei wir Individuen mit Kopfverletzungen, neurodegenerativen oder anderen bestätigten Hirnerkrankungen ausgeschlossen hatten.
Aus den Proben wurde RNA extrahiert, quantifiziert und qualitätsgeprüft und dann einer Sequenzierung des gesamten Transkriptoms zugeführt, wofür leistungsstarke MPS-Geräte eingesetzt wurden. Bei solchen Analysen entstehen enorm große Datenmengen, die ohne spezielle Softwares, rechenstarke Computer und bioinformatische Expertise nicht zu bewältigen sind. Deshalb übernahm an dieser Stelle „unser“ Bioinformatiker Lucas mit der Aufgabe, die Daten zu bereinigen, normalisieren und dann mit geeigneten Algorithmen nach in den Proben aus den einzelnen Hirnarealen nach mRNA-Markern mit spezifischer Expression zu suchen, also nach Markern, die möglichst stark möglichst nur in einem der Areale ausgeprägt werden und in den anderen nicht. Die Kriterien für die Auswahl geeigneter Kandidaten hatten wir ihm dafür vorgegeben.
Die Suche gestaltete sich schwieriger als gedacht, doch am Ende filterte Lucas aus über 1 Million differentiell regulierter RNAs eine Liste von 29 Kandidaten heraus, die die Kriterien erfüllten und damit zumindest theoretisch in Frage kamen. Dann jedoch folgte die Ernüchterung denn wir stellten fest, daß alle diese 29 Kandidaten in Proben aus dem Parietallappen nachgewiesen worden waren, so daß an dieser Stelle schon klar war, daß wir anhand der Daten kein Modell zur Unterscheidung aller vier Hirnareale würden erstellen können. Aber vielleicht konnten wir wenigstens eine Methode finden, um Spuren aus dem Parietallappen von Nicht-Parietallappen zu unterscheiden, auch das hätte noch einen forensischen Wert. Also sahen wir uns die Expressionsprofile aller 29 Kandidaten in verschiedenen Geweben mittels Ressourcen wie BioGPS und Protein Atlas (Hirn) an. Dabei zeigte sich, daß alle Kandidaten entweder zu gleichmäßig über oder aber in mehreren Regionen des Kortex exprimiert werden und daher für unseren Zweck ungeeignet waren. Zwei Kandidaten wollten wir uns dennoch genauer ansehen, PVALB und CDR2L, die diese im Kleinhirn stark exprimiert werden, welches anatomisch am Hinterhaupt liegt. Wir hatten noch die Hoffnung, so einen Weg zu finden, Proben aus dem Hinterhaupt von allen anderen Bereichen unterscheiden zu können; auch das wäre ja von forensischem Interesse.
Also entwarfen wir Primer für eine RT-PCR-Anreicherung der entsprechenden Genmarker und ihre Darstellung mittels Kapillarelektrophorese, nahmen noch einmal neue Hirnproben von drei weiteren verstorbenen Individuen und untersuchten und verglichen die Expression der beiden Marker in den vier Hirnarealen. Und das ist, was wir sahen:
Der eine Marker wurde also in allen Arealen etwa gleich stark, der andere gleich nicht exprimiert, womit sich beide als ungeeignet für unsere Zwecke erwiesen und wir uns endgültig geschlagen geben mußten.Dennoch waren wir entschlossen, die Studie zu veröffentlichen; dies ist nun geschehen und das ist auch gut und richtig so, denn obwohl das Ergebnis „negativ“ ist, mit anderen Worten: unsere Hypothese, daß sich Proben von Leichen aus forensisch relevanten Hirnarealen anhand ihrer mittels MPS gemessenen Genexpression zuverlässig unterscheiden lassen, sich als nicht zutreffend erwiesen hat, ist es wichtig, auch dieses Ergebnis anderen bekannt zu machen. Erstens, weil dann niemand diesen Studienaufbau wiederholen (und ebenfalls scheitern) muß und zweitens, weil wir überzeugt sind, daß die Ergebnisse einen generalisierteren Schluß zulassen; nämlich, daß Genexpressionsunterschiede zwischen biologisch/funktionell sehr ähnlichen aber nicht identischen Geweben so klein sind, daß sie in forensischem Probenmaterial (das bekanntlich von geringer Qualität ist) selbst mittels der derzeit besten Methode (MPS mit guter Sequenziertiefe) generell nicht differenzierbar sind. Wir sind hier also mit den vorhandenen Methoden und wegen der Degradation der RNA in forensischem Material an die Grenzen des Machbaren gestoßen und das ist zwar schade aber eben auch gut zu wissen und wert es mitzuteilen.
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Referenzen:
[1] Euteneuer, J., Moitinho-Silva, L. & Courts, C. Forensically relevant anatomical brain regions cannot be sub-differentiated by RNA expression analysis. Forensic Sci Med Pathol (2024). https://doi.org/10.1007/s12024-024-00787-7
[2] C. Lux, C. Schyma, B. Madea, & C. Courts (2014). Identification of gunshots to the head by detection of RNA in backspatter primarily expressed in brain tissue Forensic Science International DOI: 10.1016/j.forsciint.2014.01.016
[3] Kaliszan, M., Dalewski, W., Dawidowska, J., Gos, T., & Jankowski, Z. (2021). Fake gunshot wounds in the skull—post-mortem artifact caused by steel probe during police search for a missing body. International Journal of Legal Medicine, 135, 879-883.
[4] Shaqiri, E., Xhemali, B., Ismaili, Z., Sinamati, A., & Vyshka, G. (2017). An unusual lethal gunshot wound to the head. Medico-Legal Journal, 85(1), 51-54.
]]>Wer zu diesen Leuten gehört und wie die so ticken, kann man sich bei Youtube selbst ansehen (hier ist allerdings zu beachten, daß der Moderatorendarsteller leider weder sonderlich gut noch neutral ist, so daß kritische Nachfragen / Richtigstellungen an einigen Stellen unterbleiben; eine richtige Aufarbeitung findet sich deshalb im Anhang). Insgesamt ist die Auswirkung der neuen Vorstandsmehrheit auf den Verein, seine interne Stimmung und Diskussionskultur, sein Image und seine Außenwirkung nur als desaströs zu bezeichnen und ausgerechnet jetzt beginnt die heiße Planungsphase für die Skepkon.
Die GWUP veranstaltet jedes Jahr eine „Skepkon“ genannte, mehrtägige Tagung, wo man sich treffen, austauschen und vernetzen kann und im Rahmen derer immer auch ein umfangreiches Vortragsprogramm zu klassischen skeptischen Themen sowie zu Themen mit erweitertem skeptischen Bezug geboten wird (von der Skepkon 2013 hatte ich damals offiziell berichtet). Als noch frisches motiviertes GWUP-Mitglied wollte ich mich natürlich beteiligen und reichte einen Vortragsvorschlag mit dem Titel: „Forensische Molekularbiologie vs. CSI-Effekt und postmodernistischen Aktivismus“ (Abstract im Anhang) ein. Langjährige Leser werden sicher ahnen, welche Aspekte in diesem Vortrag zur Sprache gekommen wären. Von Berichten aus dem Organisationskomitee der Skepkon, dem auch Mitglieder des Wissenschaftsrats der GWUP angehören und das mühevoll und sorgfältig alle eingereichten Vortragsvorschläge sichtet, auswertet, diskutiert, abstimmt und dem Vorstand dann eine entsprechend priorisierte Liste vorlegt, weiß ich, daß mein Vortragsvorschlag auf Zustimmung gestoßen und zur Annahme empfohlen war.
Dennoch habe ich kürzlich eine Absage erhalten, ich darf auf der Skepkon nicht vortragen. Mein Vortragsvorschlag bzw. ich wurde also mit der woken Stimmehrheit des Vorstands und auf Antrag des neuen Vorstandsvorsitzenden gecancelt** – nicht aus sachlichen oder wissenschaftlichen Gründen, sondern offenbar wegen meiner Person und weil ich anderen Vereinsmitgliedern gegenüber „diverse interne und externe grob beleidigende Äußerungen“ getätigt hätte. Was nicht stimmt. Die Leser kennen meinen Stil, gelegentlich ruppig und sarkastisch, ja, gnadenlos gegenüber dummen Äußerungen und Ideen (nicht Personen), sicher, aber direkte, grobe Beleidigungen von Menschen lehne ich ab (dulde ich hier auch nicht bei anderen) und habe ich mir nicht vorzuwerfen. Auf Nachfrage meinerseits konnten keine Belege geliefert werden.
Da wir aber von Wokisten reden und diese Leute bekanntlich die Wirkung und nicht die Absicht einer Äußerung moralisch bewerten, ist für sie natürlich jegliche Kritik und auch eine abweichende Meinung bereits eine grobe Beleidigung und ich habe ja öffentlich, in diesem Blog aber auch auf Twitter, Kritik an der woken Truppe innerhalb der GWUP und ihren Machenschaften geübt. Es wurde also gecancelt, weil durch mich ein paar dieser Leute schon mal Aua an den Fühlis hatten. Ja. So habe ich auch geguckt.
Ein weiterer Referent, dessen Vortrag zur Annahme empfohlen worden war, Transmann und GWUP-Mitglied Till Amelung, wurde ebenfalls vom Vorstand gecancelt. Offiziell, weil er sich angeblich nicht ausreichend linientreu hinsichtlich der GWUP-Haltung zur „Satanic Panic“ verhalten/geäußert habe (seine Vergehen auf Twitter wurden von einer eigens mandatierten Vorstands-IM-Spürnase feinsäuberlich verfehlungsarchäologisch in einem „Dossier“ (haben die wirklich so genannt) zusammengestellt; Tills eigene Stellungnahme dazu findet sich im Anhang) und er deshalb ein Verschwörungsanhänger und für die GWUP nicht tragbar sei. In Wirklichkeit aber vertritt (ausgerechnet) Till bloß nicht die woke-orthodoxe und damit einzig zulässige Haltung zum Thema Trans und einen entsprechenden Vortrag von einer solchen Person konnte man natürlich nicht auf der Skepkon dulden.
Wir haben hier also weitere Belege für die ideologische Orthodoxiehörigkeit der neuen Vorstandsmehrheit, der offenbar jederzeit und ohne zu zögern nicht konforme Themen und Personen zu verwerfen bereit ist. Derartiges gab es nie zuvor in der GWUP.
Sehr kritisch sieht diese Entwicklung der letzten Zeit auch GWUP-Mitglied und -„fellow“ sowie Mitglied im Wissenschaftsrat, der von mir sehr geschätzte Edzard Ernst. In seinem Blog fragte er am 07.01., ob die deutschen Skeptiker „den Verstand verloren“ haben und schrieb über den neuen Vorstandsvorsitzenden der GWUP, daß dieser
“[…] interfered with the organizing committee’s decisions for the upcoming Skepkon conference in May 2024. He apparently insisted on removing presentations from some GWUP members who had been critical of his leadership.“
“[…] [sich] in die Entscheidungen des Organisationskomitees für die kommende Skepkon-Konferenz im Mai 2024 eingemischt haben [soll]. Er soll darauf bestanden haben, Präsentationen von einigen GWUP-Mitgliedern zu entfernen, die sich kritisch über seine Führung geäußert hatten.“ (deutsche Version)
außerdem habe er
“[…] repeatedly denied the GWUP’s scientific committtee to share material with the GWUP’s members.”
„[…] dem wissenschaftlichen Komitee der GWUP wiederholt die Weitergabe von Material an die Mitglieder der GWUP [verweigert]“ (deutsche Version)
Verständlicherweise ist Edzard darüber not amused und erwägt nun sogar, aus der GWUP auszutreten, was nicht nur absolut beschämend, sondern auch ein katastrophaler Verlust für die GWUP wäre (Edzard Ernst weiß übrigens selber auch sehr gut, wie es sich anfühlt, gecancelt zu werden: seine homöopathiekritische Haltung und die Belege, auf die er sie stützte, gefiel diesem äußerst esoterikaffinen, royalen britischen Riesenohren-Jogi so gar nicht, weshalb er seine unverdiente Macht mißbrauchte, um Druck auf Edzards Uni auszuüben, mit dem Ziel, ihn rauszuwerfen und seine Abteilung zu schließen).
Wie geht es nun weiter? In meinen Augen ist absehbar, daß dieser Zustand nicht viel länger tragbar ist, der Verein droht, entlang der woke-Front zu zerreißen, der Vorstand entzieht sich der Debatte, wiegelt ab, spielt herunter, schweigt und es wäre m.E. dringend nötig, die gesamte Vereinsöffentlichkeit darüber zu informieren und dazu zu befragen, deren Großteil, so schätze ich es ein, über dieses tiefe Zerwürfnis gar nichts weiß, weil er weder auf Twitter, dem GWUP-Forum noch der Mailingliste angemeldet ist. Ich vermute nämlich, daß nach wie vor die Woken unter den Mitgliedern, wie ja auch in der Gesamtbevölkerung, klar in der Minderheit sind und entsetzt über die Machenschaften dieser Leute wären. Sollte das wider Erwarten nicht so sein und sich die Mehrheit der Mitglieder wirklich wünschen, daß das W in GWUP nicht mehr länger für „wissenschaftlich“ sondern für woke stehen soll, dann wäre auch das gut zu wissen und dann könnten wir Gegner dieser Bewegung ja unsere Schlüsse daraus ziehen. Ich glaube das aber nicht und ich fände es am besten, wenn wir, die Mitglieder, bei nächster Gelegenheit, vielleicht auch in einer außerordentlichen Abstimmung, diese Leute aus dem Amt jagen und der GWUP eine Zukunft geben würden. Wer dabei helfen will, kann sehr gerne der GWUP beitreten, seine Stimme einbringen und auch unbedingt zur Mitgliederversammlung nach der Skepkon ’24 in Augsburg kommen.
Inzwischen gibt es übrigens eine eigene (unterstützbare) Gruppe innerhalb der GWUP, zu der ich auch gehöre und die sich „Informationsnetzwerk Skeptische Gesellschaft“ nennt (hier bei Twitter). Innerhalb dieser Gruppe können und dürfen alle Themen, auch „crictical social justice“-Aktivismus, Postmodernismus, Identitätspolitik und „kritische Studien“ kritisiert werden. Wer mit uns sachlich und wissenschaftlich diskutieren will, kann gerne das Forum besuchen und mitreden.
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Disclaimer, üblicher:
*Wenn ich „woke“, „Wokisten“ und ähnliche Permutationen verwende, meine ich den postmodernistischen “critical social justice”-Aktivismus-Kult, seine Anhänger und Dinge/Aktionen, die sich darauf beziehen oder daraus hervorgehen
**Ich spreche hier von “canceln”, obwohl mein Vortrag noch nicht offiziell angenommen war, weil mein Vortrag bereits vom zuständigen Gremium zur Annahme bestimmt war und dann aus ideologischen und persönlichen Gründen und um mir die Möglichkeit, zu sprechen, zu entziehen, vom Vorstand, das Votum des Gremiums ignorierend, verhindert wurde.
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Nachtrag am 13.02.2024: Dieser Artikel ist nun auch bei der Richard-Dawkins-Foundation erschienen.
Nachtrag am 01.03.2024: Auch der Skeptical Inquirer ist auf den Dawn of the GWUP aufmerksam geworden.
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Anhang:
Vortrag Edmüller: Sehr guter und empfehlenswerter Vortrag von A. Edmüller, sowie eine Rekapitulation von Edmüllers Vortrag, der Reaktion auf dessen Ankündigung sowie des Fallouts nach seinem Vortrag, es finden sich dort auch mehrere Links zu lesenswerten Beiträgen in Edmüllers Blog.
Nachtrag am 30.01.24: Hier ein aktueller Blogbeitrag von A. Edmüller zu der Sache mit einem Vorschlag an den GWUP-Vorstand.
Nachtrag am 15.02.24: Ein weiterer Beitrag von A. Edmüller, der sich bedankt für eine Entschuldigung der Resistance aus dem GWUP-Vorstand für die Schmutzkampagne des woken Teils des GWUP-Vorstands gegen ihn. (Mann, das ist so peinlich! Wir müssen diese Leute so schnell wie möglich loswerden!)
Nachtrag am 04.03.2024: Der (derzeit noch) Vorstandsvorsitzende der GWUP hat erklärt, daß er einen Antrag auf vorgezogene Neuwahl bei der nächsten Skepkon stellen werde. Andreas Edmüller greift das in seinem neuen Blogpost auf und legt dar, warum die Art der Ankündigung durch den Vorsitzenden schon problematisch und entlarvend ist (der Volltext der Ankündigung findet sich auch in dem Blogpost).
Beiträge zur Aufarbeitung der Wokitis in der GWUP und den Skepkon-Cancelungen:
Sinan mit André Sebastiani (aus der Resistance im Vorstand der GWUP), youtube
André Sebastiani mit Till Amelung (gecancelt vom Vorstand der GWUP), youtube
André Sebastiani mit Christian Weymayr (aus dem Organisationskomitee der Skepkon), youtube
André Sebastiani über die Cancelungen, SkepGes-Blog
André Sebastiani mit yours truly (gecancelt vom Vorstand der GWUP) , youtube
Abstract zu meinem Vortragsvorschlag: „Die Forensische Molekularbiologie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die mittels molekularbiologischer Methoden Spuren und Spurenbilder, die durch die Begehung von Straftaten entstanden sind, unter verschiedenen Fragestellungen analysiert und interpretiert. Seit ihren Anfängen Mitte der 80er Jahre hat sie sich längst zu einer für Polizei, Justiz, Rechtsprechung und mithin allgemeiner Rechtssicherheit unersetzlichen Disziplin entwickelt, ohne die viele Kriminalfälle nicht gelöst, Schuldige bestraft und Unschuldige entlastet werden könnten. Aber auch bei der Identifikation Verstorbener nach Katastrophen, Kriegen und Terroranschlägen, bei der Aufklärung jahrzehntealter „Cold Cases“ sowie dem Kampf für Gerechtigkeit zu Unrecht Verurteilter spielt die Forensische Molekularbiologie eine zentrale Rolle.
Trotz ihrer gesamtgesellschaftlichen Bedeutung ist ihre Finanzierung dennoch häufig nicht gesichert, was in ironischem Kontrast zum enormen öffentlichen Interesse an „Forensik“ und „True Crime“ steht, das sich im Erfolg unzähliger einschlägiger Krimis, CSI-Serien, Podcasts etc. abbildet. Gerade ihre verzerrte populärmediale Darstellung und deren irrationale öffentliche Wahrnehmung, die sie auch zum Gegenstand soziologischer Untersuchungen macht, erzeugen jedoch Dynamiken, die sich auf ihre Effektivität, Integrität und die Vermittlung ihrer Befunde auswirken können. Dazu gehören der sogenannte CSI-Effekt, aber auch ideologisch motivierte Aktivismen, die bestrebt sind, die Forensische Molekularbiologie zu „problematisieren“ und gemäß identitätspolitischer Doktrinen einzuhegen.
Entgegen postmodernistischen Auffassungen ist die Forensische Molekularbiologie jedoch ein neutrales, evidenzbasiertes Werkzeug zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen, das nicht Schuld beweisen, sondern der objektiven Wahrheitsfindung dienen soll und daher vor weiteren Kürzungen bew.ahrt und gegen popularisierende wie ideologische Zugriffe unbedingt verteidigt werden muß.“
]]>Übermorgen stirbt das Jahr 2023 aber heute vor 97 Jahren starb Rainer Maria Rilke.
Für mich der größte Lyriker deutscher Sprache (dessen Nachlass im letzten Jahr vom Marbacher Archiv erworben wurde und in zwei Jahren aufbereitet der Öffenrtlichkeit präsentiert werden soll):
Vielleicht, dass ich durch schwere Berge gehe
Vielleicht, dass ich durch schwere Berge gehe
in harten Adern, wie ein Erz allein;
und bin so tief, dass ich kein Ende sehe
und keine Ferne: alles wurde Nähe,
und alle Nähe wurde Stein.
Ich bin ja noch kein Wissender im Wehe,
so macht mich dieses große Dunkel klein;
bist Du es aber: mach dich schwer, brich ein:
dass deine ganze Hand an mir geschehe
und ich an dir mit meinem ganzen Schrein.
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und damit wünsche ich allen Lesern einen sanften und freudvollen Übergang ins neue Jahr, welches glücklicher sein möge und friedlicher! als das vergangene.
]]>Ablehnung Israels [mit] den üblichen antisemitischen Reflexen,
zu. Ich führte das darauf zurück, daß
Israel [alles] verkörpert, wodurch sich die ReLi legitimiert sieht: moslemische Opfer, westliche Einmischung, die Geschichte des Imperialismus und eine jüdische Verschwörung. Der Israel-Palästina-Konflikt ist daher auch ein Hauptinteresse der ReLi, da er so wunderbar dafür taugt, all ihre Vorurteile zu bestätigen, all ihre Prophezeihungen zu erfüllen und ihre Selbstgerechtigkeit zu nähren. Natürlich nicht, weil sich die ReLi um Menschenleben scheren würde, es gibt schließlich zahllose andere Konflikte und Tragödien auf der Welt, die viel schlimmer sind, sowohl den Maßstab als auch den historischen Hintergrund betreffend. Es geht der ReLi dabei auch nicht um die Leben von Moslems, denn von den seit 1948 getöteten Moslems entfallen gerade einmal 0,3 % auf den Konflikt mit Israel (allein in Pakistan wurden seit 1971 über 3 Mio. Moslems ermordet), sondern der Hass auf und die politische Opposition gegen Israel stellt lediglich den einzigen legitimen Weg für sie dar, ihren Antisemitismus unter dem Deckmantel des Anti-Zionismus auszudrücken.
Fünf Jahre später, anläßlich eines neuerlichen gewalttätigen Aufflammens des Nahostkonflikts, wies ich auf die moralische Asymmetrie zwischen Palästina/Hamas und Israel hin:
Zwischen Hamas und Israel gibt es einen fundamentalen moralischen Unterschied: Die Hamas – dokumentiert in ihrer eigenen Charta – verfolgt genozidale Ziele: sie sehnt eine Endzeit, die gemäß islamischer Prophezeiung den Tod aller Juden bringen wird, herbei. Der moralische Unterschied wird besonders deutlich, wenn man sich klar macht, daß wenn die Hamas die militärische Stärke Israels hätte, Israel und die Menschen darin heute schon nicht mehr existieren würden.
und legte auch dar, daß sich dieser moralische Unterschied auch in der Anwendung von Kampf- und Kriegstaktiken deutlich zeige, da die Hamas weiß,
daß mit vollkommener Sicherheit Raketenangriffe auf das Staatsgebiet von Israel von diesem mit Gewalt beantwortet werden, [sie] tut es aber trotzdem und nimmt Kollateralschäden in Gestalt vieler getöteter Zivilisten, Kindern und Frauen, nicht nur in Kauf, sondern instrumentalisiert diese im PR-Krieg gegen Israel. Hinzu kommen Selbstmordattentate, der Einsatz menschlicher Schutzschilde, Geiselnahmen und Morde und gezielte Angriffe auf Zivilistengebiete.
Zwei Jahre später, am 07.10.2023, verübt die Hamas den offenbar lange geplanten und an barbarischer Grausamkeit kaum zu übertreffenden, größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust, gegen den sich Israel seitdem, berechtigt und noch heute andauernd mit militärischen Mitteln verteidigt, wozu auch Prävention mit dem Ziel, die Hamas vollständig auszumerzen, gehört.
Seitdem demonstrieren aber auch woke Linke auf der ganzen Welt auf den Straßen aber auch an diversen Elite-Universitäten und im Bereich des Klimaaktivismus‘ gegen Israel, antisemitische Parolen brüllend und oft Seite an Seite mit sich mit Palästina solidarisch erklärenden Moslems, die unverhohlen und in Gegenwart von Kameras und Polizei die Auslöschung Israels und die vollständige Vernichtung aller Juden, die „ins Meer getrieben“ werden sollen, fordern.
Unmittelbar nach dem Angriff bejubelten und feierten Palästinenser-Organisationen die Greueltat offen auch auf deutschen Straßen. Und auch deutsche woke Linke erklären sich solidarisch mit Palästina, verharmlosen den Hamas-Massenmord als „Befreiungsschlag“ gegen die “Kolonisatoren” und verurteilen die völkerrechtlich zulässige Reaktion Israels als „Genozid“. Dabei werden dann das Existenzrecht Israels einerseits und islamisch (ja, islamisch, nicht islamistisch) verwurzelter Judenhass andererseits relativiert, in Deutschland! Und das alles, während noch Juden in Deutschland leben, ja sogar nach Deutschland, das sie als ihre Heimat empfinden und weil sie ihm wieder vertrauen, zurückgekehrt sind, die den Holocaust noch selbst er- und ein KZ überlebt haben!
Das macht mich wirklich fassungslos.
Vor Entsetzen.
Vor Ekel.
Vor Verzweiflung.
Vor Scham.
Bei dem Gedanken, wie sich eine Margot Friedländer fühlen muß, wenn sie im Fernsehen hört, daß seit den Hamas-Morden die Zahl antisemitischer Straftaten stark zugenommen hat und sieht, wie schon wieder Menschen in Deutschland, diesmal (vorwiegend migrantische) Moslems, brüllend und auf ihr „heiliges“ Buch pochend ihren und den Tod ihrer Familie fordern und schon wieder Deutsche, diesmal woke-pervertierte Linke, daneben stehen und nichts sagen oder gar zustimmend nicken und sich schon wieder Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen können, dreht sich mir der Magen um – ich finde das absolut untertäglich!
Als perversestmögliche Manifestation des Islamo-Gauchisme verbinden sich hier islamischer und woker Antisemitismus und es macht mich wütend, daß der deutsche Staat nun Antisemitismus by proxy ausübt, indem er sehenden Auges und trotz der seit Jahren beständigen und immer verzweifelteren Warnungen von Laokoons wie Hamed Abdel Samad, Hakim Ourghi, Ahmad Mansour, Mina Ahadi u.a. kaum etwas gegen politischen Islamismus in Deutschland unternimmt, gleichzeitig erklärte unversöhnliche und unerbittliche Feinde** der Juden in großer Zahl ins Land läßt und Gestalten wie den Hamas-Fan und Israel-Feind Erdogan auch noch hofiert und eine Bühne bietet.
Die Idiotie, Borniertheit und nur noch obszön zu nennende Ignoranz die dann in Gruppierungen bzw. Slogans wie „Queers for palestine“ Gestalt annimmt, ist emblematisch für große Teile jener drohnenhaft wirkenden, stumpfsinnig Parolen kreischenden Woke-Fußsoldaten einer verlorenen Generation, die man schütteln und ihnen die Realität für Homo- und Transsexuelle in Palästina vor Augen führen möchte, von denen viele sich vor der Verfolgung nach? genau: Israel flüchten, wo man sie aufnimmt und wo Menschenrechte auch für sie gelten.
Immerhin, ein paar mehr Menschen, darunter auch Politiker, sind nun aufgewacht und sehen den postkolonialen woken Kult, den im Islam verwurzelten Antisemitismus und die Gefahr, die für Juden von beiden ausgeht, nun kritischer. Man kann nur hoffen, daß das kein Strohfeuer sondern endlich der Beginn eines echten Umdenkprozesses ist. Sam Harris, selber jüdischer Herkunft, hat dazu einen aktuellen Podcast produziert (hier ein Transkript).
Er argumentiert darin, daß, was die Hamas tut, Terrorismus ist und daß ein Großteil des islamisch motivierten Terrorismus‘ im Übrigen gar nichts mit Juden zu tun hat: es gab um die 50.000 islamisch-terroristische Akte in den letzten 40 Jahren (und das ist vermutlich noch unterschätzt). 90% davon fanden in moslemischen Ländern statt. In dieser Zeit gab es 82 Attacken in Frankreich und über 2.000 in Paktistan.
Dazu Harris (Anm.: alle Übersetzungen von mir):
“Wollt Ihr, daß Frankreich mehr wir Pakistan wird? Dafür braucht man einfach mehr Dschihadisten. Man braucht einfach mehr Leute, die empfänglich dafür sind, zu Dschihadisten zu werden, was eine Transformation ist, die sehr schnell passieren kann – so schnell nämlich, wie neue Glaubenssätze und Überzeugungen sich im Geist einer Person festsetzen können. Man braucht einfach eine breite Gemeinschaft von Moslems, die den Dschihadismus nicht verurteilt und stillschweigend annimmt, daß die Theologie, die ihn legitimiert, wahr und perfekt ist und bis zum Ende der Welt sein wird. Man braucht einfach Millionen von Leuten, die Israel dafür kritisieren, daß es sich selbst verteidigt oder die den Tod von Karikaturisten fordern, die Mohammed zeichnen, aber keinen Pieps sagen über die täglichen dschihadistischen Grausamkeiten auf der ganzen Welt, die im Namen ihrer Religion begangen werden.“
Zur diesbezüglichen moralischen Verwirrung gewisser Teile unserer bzw. der westlichen Gesellschaft sagt er treffend:
„Ich bin nicht sicher, daß es eine Rolle spielt, daß Eure moralische Verwirrung daher rührt, daß Ihr eben einfach Juden hasst. Ob Ihr Antisemiten oder einfach nur Apologeten dieser Grausamkeiten seid, ist wahrscheinlich unerheblich. Der entscheidende Punkt ist, daß Ihr gefährlich im Unklaren über die moralischen Normen und politischen Sympathien seid, die das Leben auf dieser Welt lebenswert machen.
Hinzukommt, daß Euch das, von dem Ihr glaubt, daß es Euch wichtig ist, in Wirklichkeit unwichtig ist, weil Ihr nicht seht, daß die Hamas und Dschihadisten im Allgemeinen die Hauptursache all des Elends und der Dysfunktionalität sind, die wir sehen, nicht nur in Gaza sondern in der gesamten islamischen Welt. Gaza ist nur deshalb ein „Open-Air Gefängnis“, weil seine demokratisch gewählte Regierung eine Dschihadisten-Organisation ist, die begierig darauf ist, alle Palästinenser für das Vergnügen, Juden zu töten, zu Märtyrern zu machen.“
Und:
“Ein großer Teil der Welt schlug sich auf die Seite der Hamas schon bevor auch nur eine einzelne israelische Bombe gefallen war. Und das ist es, was so verblüffend, so gefährlich und so kritikwürdig ist.“
denn
“Es ist problemlos möglich, kritisch gegenüber Israel zu sein und sich für die Rechte der palästinensischen Bevölkerung einzusetzen, ohne zugleich im Unklaren über die Wirklichkeit islamischen religiösen Fanatismus‘ zu sein, oder die Bedrohung, die er nicht nur für Israel sondern für offene Gesellschaften überall darstellt.“
Er schlägt folgendes Gedankenexperiment vor, um sich das schiere Ausmaß und die Absurdheit der Realitätsverweigerung gegenüber der Verbindung von Islam und Terror, Gewalt und Judenhaß begreiflich zu machen:
“Es gibt keine direkte Verbindung zwischen den zentralen religiösen Texten des Christentums und der Vergewaltigung von Kindern. Aber nehmen wir einmal an, es wäre so. Stellen Sie sich einmal vor, das Alte Testament enthielte etliche Passagen, die jedem Priester, der ein Kind vergewaltigt, den Einzug ins Paradies verspricht. Und dann stellen Sie sich vor, daß nach einer endlosen Serie von Sexualverbrechen an Kindern in der katholischen Kirche mehr oder weniger jeder Journalist, Politiker und Uni-Experte leugnen würde, daß das irgend etwas mit den „wahren“ Lehren des Katholizismus zu tun hätte. DAS ist genau die unheimliche Situation, in der wir uns in Hinsicht auf den Islam befinden.“
Da Realitätsverweigerung (= epistemischer Relativismus) im Zentrum der identitätspolitischen Doktrin steht, nimmt es nicht wunder, daß wohlstandsverwahrloste woke Lemminge in ihrem selbstzerstörerischen, kulturmasochistischen Sündenstolz ein derartig fruchtbarer Nährboden für diesen Irrsinn sind.
Ich stimme Harris in allen Punkten zu und Konzepte und Begriffe wie „Islamophobie“ und „Antimuslimischer Rassismus“ (beide offensichtlich absurd und schon auf den ersten Blick gegenstandslos) und deren strategischer Einsatz helfen dabei, diesen kolossalen und fatalen Irrtum aufrechtzuerhalten und Kritik am Islam aber auch an Moslems, die sich nicht von den Fanatikern in ihren Reihen, von Gewalt und Judenhaß distanzieren, zu stigmatisieren.
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Was also bleibt? Wir leben 2023, 80 Jahre nach dem Holocaust, in einem Land, in dem als Reaktion auf eine völlig entartete (woke) Linke und eine heillos inkompetente Regierung die extreme Rechte bedenklichen Zulauf erhält, Antisemitismus allmählich wieder salonfähig wird, sich eine gespaltene Gesellschaft auf nichts mehr, nicht einmal auf das Existenzrecht Israels und unsere Pflicht, die Sicherheit jüdischer Mitbürger zu gewährleisten, einigen kann und in dem eine moslemische Minderheit wächst, deren Religion ihnen Judenhaß auferlegt und die knapp zur Hälfte ihre religiösen Gebote über das Grundgesetz stellen. Die entartete Linke verbietet Kritik an dieser Tatsache, die Rechte mißbraucht diese Kritik als Vehikel für Fremdenfeindlichkeit, beides verhindert eine gelingende Integration während der Blick in die Länder, aus denen so viele Moslems zu uns fliehen, zeigt, wie es dort aussieht, wo der politische Islam an der Macht ist.
Ob Israel wohl in Zukunft auch Flüchtlinge aus Deutschland aufnimmt? Ich hoffe es mal…
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Disclaimer, übliche:
*Wenn ich hier von “Linken” spreche, meine ich immer und ausschließlich identitäre oder “woke” Linke, also regressive, illiberale Linke, die einem postmodernistischen “critical social justice”-Aktivismus-Kult angehören; ich meine nicht liberale, “klassische” Linke
**Nein, natürlich sind nicht alle, wahrscheinlich nicht einmal die meisten in Deutschland lebenden Moslems judenfeindlich (als Faustregel gilt wohl: je besser integriert, je weniger gläubig, desto weniger antisemitisch); und ja, es haben auch Moslems und moslemische Organisationen die Hamas-Morde verurteilt; dennoch ist Antisemitismus bzw. Judenhass ganz eindeutig in Islam und Koran verwurzelt (als Beleg führe ich im Anhang einige judenfeindliche Stellen jenes Buchs auf) und ein individueller Moslem kann Juden nur trotz, nicht wegen seiner Religion nicht hassen.
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Anhang
Antijüdische Koranauszüge
„Unter denjenigen, die dem Judentum angehören, verdrehen manche den Sinn der Worte und sagen: „Wir hören, doch wir widersetzen uns“ und: „Höre!“, als ob du nicht hörtest „rāʿinā“, wobei sie mit ihren Zungen verdrehen und die Religion schmähen. Wenn sie gesagt hätten: „Wir hören und gehorchen“ […] wäre es wahrlich besser und richtiger für sie. Aber Allah hat sie für ihren Unglauben verflucht“ – Sure 4(46)
„Wegen Ungerechtigkeit derer, die dem Judentum angehören, hatten Wir ihnen gute Dinge verboten, die ihnen erlaubt gewesen waren, und weil sie viel von Allahs Weg abhielten, und (weil sie) Zins nahmen, wo es ihnen doch verboten worden war, und den Besitz der Menschen in unrechter Weise aufzehrten. Und Wir haben den Ungläubigen unter ihnen schmerzhafte Strafe bereitet.“ – Sure 4 (160-161)
„Sag: O Leute der Schrift, grollt ihr uns nur (darum), daß wir an Allah glauben und an das, was zu uns (als Offenbarung) herabgesandt worden ist und was zuvor herabgesandt wurde, und daß die meisten von euch Frevler sind? Sag: Soll ich euch kundtun, was als Belohnung bei Allah (noch) schlechter ist? – Diejenigen, die Allah verflucht hat und denen Er zürnt und aus denen Er Affen und Schweine gemacht hat und die falschen Göttern dienen. Diese befinden sich in einer (noch) schlechteren Lage und sind (noch) weiter vom rechten Weg abgeirrt. Wenn sie zu euch kommen, sagen sie: „Wir glauben“, wo sie schon mit Unglauben (behaftet) eintreten und auch noch mit ihm (behaftet wieder) herausgehen. Doch Allah weiß sehr wohl, was sie verbergen“ – Sure 4 (59-61)
„Und unter denjenigen, die dem Judentum angehören, unter ihnen gibt es manche, die auf Lügen horchen, die auf andere Leute horchen, die nicht zu dir gekommen sind. Sie verdrehen den Sinn der Worte, nach(dem sie an) ihrer (richtigen) Stelle (waren), und sagen: „Wenn euch dies gegeben wird, dann nehmt es an. Wenn euch dies aber nicht gegeben wird, dann seht euch vor.“ Wen Allah der Versuchung aussetzen will, für den wirst du gegen Allah nichts (auszurichten) vermögen. Das sind diejenigen, deren Herzen Allah nicht rein machen wollte. Schande gibt es für sie im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe“ – Sure 5(41)
Verflucht wurden diejenigen von den Kindern Isrāʾīls, die ungläubig waren, durch den Mund Dāwūds und ʿĪsās, des Sohnes Maryams. Dies dafür, daß sie sich widersetzten und stets übertraten. Sie pflegten einander nichts Verwerfliches, das sie taten, zu verbieten. Fürwahr, wie schlimm ist, was sie zu tun pflegten! Du siehst viele von ihnen diejenigen, die ungläubig sind, zu Vertrauten nehmen. Fürwahr, wie schlimm ist, was sie sich selbst vorausgeschickt haben; (es ist,) daß Allah ihnen gegenüber Sein Mißfallen zeigt; und ewig werden sie in der Strafe bleiben.“ – Sure 5 (78-80)
Und schließlich der Verweis auf den in der (chronologisch) vorletzten Sure 9 des Korans avisierten Vernichtungskampf gegen die Juden:
]]>„Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und nicht an den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und Sein Gesandter verboten haben, und nicht die Religion der Wahrheit befolgen – von denjenigen, denen die Schrift gegeben wurde –, bis sie den Tribut aus der Hand entrichten und gefügig sind! Die Juden sagen: „ʿUzair ist Allahs Sohn“, und die Christen sagen: „Al-Masīḥ ist Allahs Sohn.“ Das sind ihre Worte aus ihren (eigenen) Mündern. Sie führen ähnliche Worte wie diejenigen, die zuvor ungläubig waren. Allah bekämpfe sie! Wie sie sich (doch) abwendig machen lassen!“ – Sure 9(29-30)
Malta? Ja, Malta. Warum weiß ich auch nicht. Wetter (29°C und Sonne) und Stimmung luden selbst Mitte Oktober jedenfalls nicht unbedingt zum Drinnensitzen und wissenschaftliche Vorträge Anhören ein,
doch genau das war hier zwei Tage lang zu tun und für anderes kaum Zeit.
Was mir Malta übrigens gleich von Beginn an unsympathisch gemacht hat, ist das hier:
„Malta ist das einzige EU-Land und eines der wenigen Länder weltweit, in denen eine Abtreibung in jedem Fall verboten ist, auch wenn der Fötus nicht lebensfähig und/oder das Leben der Mutter in Gefahr und/oder die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung ist. Bei einem eigenmächtigen Schwangerschaftsabbruch drohen Frauen Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und drei Jahren.“ (Wiki, 2023)
Diese EU-unwürdige Barbarei dürfte ihren Ursprung wohl in einem ungustiös hohen Katholikenanteil von knapp 94% haben (man nehme sich dort gerne ein Beispiel an Deutschland). Daß Malta zudem die fünfthöchste Bevölkerungsdichte der Welt hat, mit anderen Worten vollgestopft mit rückständigen religiösen Eiferern, macht es nicht unbedingt besser. Aber darum soll es hier nicht gehen.
Den Auftakt der von der Firma Promega ausgerichteten Tagung machte John Butler aus den USA, im Vorstand der ISFG, der in einer Keynote eine sehr beeindruckende Arbeit [1] vorstellte, die er für INTERPOL zusammengestellt und im Rahmen derer er durch ein extrem aufwendiges Verfahren aus über 4.000 die wichtigsten 768 Publikationen in 26 verschiedenen Teilbereich im Feld der Forensischen Genetik ausfindig gemacht hatte.
Ein Schwerpunkt des Treffens war dann die Vorstellung erster Ergebnisse und Erfahrungen unabhängiger Wissenschaftler mit einem neuen Kapillarelektrophoresegerät, mit dessen Markteinführung Promega das zuvor bestehende Monopol einer anderen Firma, nennen wir sie TFS, gebrochen hat und an dem deshalb erhebliches Interesse in der Community bestand. Auch meine Arbeitsgruppe hatte (als erste in Deutschland) im letzten Jahr ein solches Gerät angeschafft und ich war unter denen, die auf Malta davon berichteten. Und obwohl unser Gerät
bzw. die Kombination von Gerät und Verbrauchsmaterial noch erhebliche Kinderkrankheiten aufwies und -weist (womit ich übrigen nicht hinter dem Berg gehalten habe), sind wir doch von dem Potential des Geräts, zwei Farbkanäle mehr, insgesamt nun 8 detektieren zu können, sehr angetan. Die vorherigen Geräte konnten nur 5 oder 6 Farben detektieren. Das hat den Vorteil, daß man die STR-Systeme nun auf mehr Farbkanäle verteilen und somit kürzer und das heißt robuster machen kann, was von großem Vorteil für die Analyse durch Umwelteinflüsse beschädigter Spuren sein kann. Ich hoffe sehr, daß alles bald reibungslos läuft und wir das Ding regelmäßig in unserer Fallarbeit einsetzen können.
Ein weiterer Schwerpunkt des Meetings lag auf der forensisch-molekularbiologischen Analyse von Knochen und wie man die DNA-Extraktion und -Analyse aus diesem Material verbessern kann und ich kann ein Liedchen davon singen, daß der Versuch, brauchbare DNA, insbesondere aus alten oder extremen Bedingungen ausgesetzten Knochen zu extrahieren, einen ganz schön auf Trab halten kann. Aus dem Vortrag meines Kollegen Walther Parson, der eine lange und erfolgreiche Geschichte mit sehr alten Knochen von sehr bedeutenden Leuten hat, daß die Automatisierung der sehr aufwendigen händischen DNA-Extraktion aus Knochen nur dann vergleichbar gute Ergebnisse bringt, wenn die DNA im Knochen noch nicht zu stark degradiert ist; bei Knochen mit erheblich fragmentierter DNA, von der in Walthers Labor regelmäßig die mitochondriale DNA untersucht wird, ist und bleibt aber nach wie vor Handarbeit angesagt…
Dann gab es noch ein Update zu den “Berner Steinen” (dazu gab es ja schon in Bielefeld dieses Jahr einen Vortrag): inzwischen hatten die Berner Kollegen auch Wurfexperimente gemacht und geprüft, ob sich die Reihenfolge, mit der verschiedene Leute einen Stein berührt haben, anhand der DNA-Analyse von Mischspuren von zwei Personen auf dem Stein nachweisen lässt, um so z.B. Behauptungen der Art zu prüfen: „Ich habe den Stein nicht geworfen, ich habe ihn XY gegeben und der hat ihn dann geworfen“. Das Ergebnis der Studie war, daß sich allein anhand der DNA-Befunde diese Unterscheidung nicht sicher treffen läßt. Die individuelle Neigung von Personen, DNA-haltiges Hautmaterial abzustreifen (sog. „shedder status“), kann hier höchstens einen schwachen Hinweis geben.
Auch V. Birne, die in Bielefeld über ihre Ergebnisse bei der Analyse von sterblichen Überresten in Mexico erzählt hatte, war auf Malta dabei und berichtete ebenfalls von neuen Entwicklungen in ihrem Projekt: es gibt jetzt ein neues Kooperationsprojekt namens „ID-Mex“, an dem sich auch das auswärtige Amt und die UNFPA beteiligen, um Mexiko bei der Identifikation seiner vielen unbekannten Toten (> 50.000!), die in erster Linie durch den Krieg gegen die Drogen bzw. Kartellkriminalität getötet wurden, zu unterstützen. V. Birne beschrieb nun den erfolgreichen Einsatz eines Extraktionroboters zur Verbesserung der DNA-Extraktion aus Knochen, Nägeln und Sehnen:
Ein dritter Kollege, dessen Projekt bereits in Bielefeld von seinem Doktoranden (s.u.) vorgestellt worden war (das ich aber in meinem Bericht nicht erwähnt hatte), M. Zieger aus Bern, zeigte eindrucksvolle Ergebnisse von einer in Bern entwickelten Methode, genannt „Total Human DNA Sampling“ (THDS) [2], um Tatortfußböden großflächig abzusaugen, das aufgesaugte Material zu sichern, aufzuteilen und von jedem Segment eine DNA-Analyse durchzuführen. Die Idee ist, auf diese Weise Zellen des Täters zu finden, wenn dieser sonst nirgends, z.B. am Opfer, Zellen hinterlassen hat. M. Zieger konnte zeigen, daß die Methode sehr gut funktioniert, schnell und günstig einsetzbar ist und empfahl, sie bei Kapitaldelikten auch standardmäßig einzusetzen: man würde dann Tatorte immer sofort und bevor andere Personen dort herumlaufen, absaugen und die Absaugfilter zunächst zurückstellen und könnte bei Bedarf, z.B. wenn sonst keine brauchbaren Spuren auffindbar sind, jederzeit auf sie zurückgreifen. Sehr coole Sache!
Ganz zum Schluß gab es noch einen Überraschungsgast: Chris Phillips, ein englischer Kollege, der aber schon ewig in Santiago de Compostela (wo 2024 die ISFG-Tagung stattfinden wird) in A. Carracedos Gruppe arbeitet, war zufällig auf Malta, erfuhr von dem Kongress und fragte, ob er vorbeikommen und etwas erzählen sollte. Sollte er und tat er auch
über die Vorschläge / Empfehlungen der ENFSI zur Vereinheitlichung der Nomenklatur für STR-Allele, die mittels massiv-parallelen Sequenzierens analysiert wurden (da ist die Allelbezeichnung wegen der ganzen zusätzlichen Sequenzinformation ja viel komplexer als bei der Standard-Analyse durch elektrophoretische Auftrennung) und natürlich ist es von zentraler Wichtigkeit, daß alle forensischen Labore identische Allele identisch benennen, sonst wären DNA-Profile nicht mehr untereinander vergleichbar und damit fast wertlos.
Nach dem offiziellen Ende des Meetings hatte die ausrichtende Firma einige Kollegen und mich noch zu einer sogenannten „focus session“ gebeten; sie haben uns dort eine neue Produktidee, zu der sie schon ein paar exploratorische Experimente gemacht hatten, vorgestellt und wollten unsere Meinung, Bedenken, Interesse und Feedback dazu erhalten. Ich fand, so viel darf ich hier sagen, die Idee gut, habe ein paar Gedanken dazu beigetragen und hoffe, die Firma verfolgt das weiter : )
Insgesamt war es wieder eine schöne, ausgezeichnet organisierte aber auch produktive und inspirierende Tagung an einem ungewöhnlichen Ort, der noch dazu eine kurze Rückkehr in den Sommer bot.
Nächstes Jahr soll es im November – als krasses Kontrastprogramm – nach Tromsø gehen, das nördlich des Polarkreises liegt und wo der letzte Sonnenuntergang des Jahres am 26. November ist und die zwei Monate lange Polarnacht beginnt. Die Tage werden da also ziemlich kurz sein…
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Referenzen
[1] Butler, J. M. (2023). Recent advances in forensic biology and forensic DNA typing: INTERPOL review 2019–2022. Forensic Science International: Synergy, 6, 100311.
[2] Neves, C., & Zieger, M. (2023). ” Total Human DNA Sampling”–Forensic DNA profiles from large areas. Forensic Science International: Genetics, 102939.
]]>Es muß im Interesse jedes freiheitlichen Rechtsstaats liegen, Justizirrtümer und Fehlurteile unbedingt zu vermeiden, dafür zu sorgen, daß sie so selten wie nur irgend möglich auftreten und sie, wenn sich eine Möglichkeit bietet, nachträglich aufzuheben und die Opfer zu kompensieren. Es versteht sich von selbst, daß dafür auch Ressourcen aufgewendet und Aufwand betrieben werden müssen und daß, wann immer die Wissenschaft zur Aufklärung einer Straftat beitragen kann, stets nur aktuellste und am besten von Daten gestützte wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden zur Anwendung kommen sollten.
Dieses Blog beschreibt seit vielen Jahren vor allem die Anwendung forensisch-molekularbiologischer Erkenntnisse und Methoden zum Zweck der objektiven Wahrheitsfindung und an Einrichtungen / Menschen, die zu dieser für die moderne Strafjustiz längst unersetzlichen Disziplin gehören, zu sparen oder sie gar abzuschaffen, habe ich als das verantwortungslose und gefährliche Versagen beklagt, das es ist.
Wie wichtig und effektiv eine – auch nachträgliche – Einbeziehung moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden zur Wahrheitsfindung und (Wieder)herstellung von Gerechtigkeit ist, sieht man z.B. am „Innocence Project“, das, in den 90er-Jahren in den USA gegründet, seitdem über 350 Freilassungen zu Unrecht Verurteilter erreichen konnte (in Deutschland gibt es übrigens seit einer Weile das ähnlich gelagerte „Projekt Fehlurteil und Wiederaufnahme“, zu dessen wissenschaftlichen Unterstützern ich gehöre).
Aber auch ein aktueller Fall aus Australien belegt hervorragend, wie wichtig es ist, wissenschaftliche Erkenntnisse auf dem aktuellen Stand der Forschung heranzuziehen, um Fehlurteile zu vermeiden oder sie, wie in diesem Fall, zu revidieren:
Kathleen Folbigg wurde vor 20 Jahren wegen Mordes an ihren vier Kindern (die Kinder waren zwischen 1989 und 1999 jeweils plötzlich verstorben) verurteilt und saß seitdem im Gefängnis. Sie hatte stets ihre Unschuld beteuert, alle Rechtsmittel und -wege waren ausgeschöpft, die einzige Möglichkeit, ihren Fall neu zu prüfen, war, den Gouverneur von New South Wales dazu zu bewegen, eine neue Untersuchung anzuordnen.
Bereits 2018 waren auf Auftrag der Anwälte Folbiggs ihr Genom und das ihrer verstorbenen Kinder sequenziert und dabei Mutationen im Calmodulin-2-Gen entdeckt worden, die Herzarrhythmien auslösen und womöglich den Tod der Kinder erklären konnten. Diese Befunde wurden allerdings nicht für ausreichend befunden, um den Fall neu aufzurollen. Daraufhin wandte sich 2019 Carola Vinuesa, die Genetikerin, die die Sequenzierungen durchgeführt hatte, an die Australische Academy of Science (AAS) und gewann sie zur Unterstützung einer Petition an den Gouverneur, Folbigg auf Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, die den Tod der Kinder erklären konnten, zu begnadigen. In Vorarbeit erschien sogar eine eigene Publikation zur Abgrenzung von Kindstötung von Tod durch Arrhythmien [1].
Der Gouverneur stimmte schließlich zu, bestimmte die AAS zur wissenschaftlichen Beraterin und der Fall wurde neu untersucht. Zu diesem Zweck empfahl die AAS 30 wissenschaftliche Experten aus der ganzen Welt, darunter den auf Calmodulin-Proteine spezialiserten M. Toft Overgaard, von denen ca. die Hälfte später auch im Prozess aussagten und Evidenz präsentierten. Auf diese Weise wurde die neuesten und besten wissenschaftlichen Erkenntnisse von den führenden Experten der Welt zum Teil in ausgeprägter Detailtiefe präsentiert – eine zuvor nie dagewesene Situation. An einem der Prozesstage erklärte etwa Toft Overgaard über fünf Stunden lang, wie genau Mutationen im Calmodulin-Gen die Funktionen des Calmodulin-Proteins beeinträchtigen können! Zwischendurch wurde die Untersuchung sogar pausiert, damit Toft Overgaard und Kollegen ihre Daten mit Befunden aus eigens für den Prozess durchgeführten Experimenten aktualisieren konnten.
Es ist dem australischen Justizssystem hoch anzurechnen, daß es diesen Aufwand betrieben hat. Denn am Ende befand man, daß es „erhebliche Zweifel an der Schuld von Frau Folbigg für jedes der ihr vorgeworfenen Verbrechen“ gebe und entließ Folbigg in die Freiheit. Nach der Untersuchung werden nun Justizreformen diskutiert, um ein „wissenschaftssensibleres“ Justizssystem zu schaffen und etwas wie die „Criminal Case Review Commission“, wie es sie in Großbritannien gibt, einzurichten. Die Kommission kann Fälle wieder aufnehmen, wenn es Fortschritte in der Wissenschaft gab und neue einschlägige Beweise und Erkenntnisse hervorgebracht wurden.
(In diesem Zusammenhang: Eines der bekanntesten Fehlurteile aus England war der Fall von Sally Clark, der auch meinen eignen ehemaligen Forschungsgegenstand, den plötzlichen Kindstod (SIDS), berührte. Leider hat sich Frau Clark von dem Unrecht, das ihr widerfuhr, nie erholt und ist an den Folgen 2007 gestorben.)
Ich finde, dieser Fall zeigt anschaulich, daß und wie Justiz und Wissenschaft zusammenarbeiten können und wie wichtig und entscheidend für die Gerechtigkeit eine solche Zusammenarbeit sein kann. Meines Erachtens ist dafür auch in Deutschland noch viel Spielraum. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, daß Richter, aber auch Staats- und Rechtsanwälte, mal abgesehen vom CSI-Effekt, oft nicht den aktuellen Stand bzw. die Möglichkeiten der modernen forensischen Molekularbiologie kennen (dabei gibt es sogar ganz vernünftiges Info-Material dazu) und bestimmte Methoden, wie die forensische RNA-Analyse oder die Begutachtung auf Aktivitätenebene, die entscheidende Informationen liefern können, daher häufig und meist zum Nachteil des Falls nicht zur Anwendung kommen. Wir versuchen zwar, mit Fortbildungen dagegen anzuarbeiten, aber stellen immer wieder fest, daß sich die Fortbildungsinhalte innerhalb der jeweiligen Communitys nicht suffizient multiplizieren und daher eine flächendeckende Kenntniserweiterung nicht gelingt.
Ich selber tue, was ich kann, um zu helfen, diese Situation zu verbessern: neben meiner Beteiligung an Wiederaufnahme (s.o.) soll auch unser neues Projekt, das im Oktober starten wird, dazu beitragen: ein wichtiges Element des Projekt ist die Dissemination, d.h. die aktive Verbreitung der neuen Erkenntnisse aber eben auch der Grundlagen zu DNA-Transfer und der Begutachtung auf Aktivitätenebne. Die mit dem Projekt betraute Doktorandin wird zu diesem Zweck nicht nur auf den üblichen Kongressen sprechen, sondern in ganz Deutschland unterwegs sein, um das notwendige Wissen so weit und so zugänglich wie möglich zu verbreiten. In Köln arbeiten wir zudem gerade an Kooperationsideen mit meiner Kollegin Anja Schiemann von der juristischen Fakultät, um auch eine akademische Schnittstelle zwischen forensischer Wissenschaft und Justiz (bzw. Rechtswissenschaft) zu etablieren. Eine erste Manifestation dessen wird eine gemeinsame Vorlesungsreihe sein, zu der auch zwei Kollegen aus meinem Heimatinstitut zu Wundballistik und Blutspurenanalyse sprechen werden und die am 24. Oktober mit einer Auftaktveranstaltung von Anja Schiemann und mir beginnen wird:
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Referenz:
[1] Brohus, M., Arsov, T., Wallace, D. A., Jensen, H. H., Nyegaard, M., Crotti, L., … & Schwartz, P. J. (2021). Infanticide vs. inherited cardiac arrhythmias. EP Europace, 23(3), 441-450.
]]>Diesmal mit Suchbegriffen aus der Kategorie: “Resterampe” (mit dem Besten, was noch so rumlag + zwei Bonusbegriffe)
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Was das hier sollte? Hier geht es zur ersten Folge und zur Erklärung.
Das soll es mit dieser Jux-Rubrik dann auch gewesen sein. Hat Spaß gemacht, aber ich halte jetzt lieber Abstand und es dabei mit Nietzsche: “Und wenn du lange genug in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.”
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der letzte offene Laber-Thread (OLT 37) hat die 1.000 Kommentar-Marke passiert, noch immer gibt es mich, Euch, die Scienceblogs und Euren Willen zur Macht zu “Sach ma”.
Hier ist nun ein frischer, neuer, die Nr. 38! Also, setzt Euch, nehmt Euch ein Banana-Split und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
P.S.: Der (funkelniegelnagelneue) offene Musik-Thread (OMT 3) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Heute vor 273 endete das Leben von Johann Sebastian Bach doch darum ist er unsterblich:
Das Stück ist natürlich nicht für Akkordeon komponiert worden, sondern für Orgel bzw. Cembalo, ich finde aber, daß der ganz spezielle, seufzende, atmende Klang des Akkordeons und die Art, wie sehr innig es gespielt werden kann, dem Stück eine zuvor für mich nicht erschlossene Tiefe und Tragik verleiht, die mich ganz besonders berührt hat.
Hier als Spotify-Link (gespielt von der nicht nur brillanten sondern auch noch sehr sympathischen (hatte einen kurzen Mailwechsel mit ihr) Mie Miki, hier auf YT (das Video oben habe ich gewählt, weil es auch gut und v.a. live ist))
Der Kommentarbereich darf sehr gerne als interaktiver Konzertsaal aufgefasst werden, in dem Ihr, liebe Leser, präsentieren könnt, warum Bach für Euch unsterblich ist
]]>ich wurde zart darauf hingewiesen, daß der gute alte OMT 2 in die Jahre (9 an der Zahl) und Ladevolumina gekommen sei; in der Tat hat er inzwischen ja auch knapp 1k Kommentare (mit Links und Videos) angesammelt. Laden und Scrollen in diesem Behemoth bzw. Leviathan von einem Thread sind daher inzwischen so schwerfällig geworden, daß es nun einen funkelniegelnagelneuen OMT gibt (also diesen hier), zu dem ich alle BeOMTe überzusiedeln ersuche und sich ansonten im Musikgeplauder nicht stören zu lassen
Danke.
]]>In Current Biology erschien kürzlich eine Studie von Begg et al. [1], die mit einer NGS-Analyse von DNA aus einigen seiner Haare dazu beigetragen haben, den Tod von Ludwig van Beethoven zu untersuchen, den ich ganz besonders verehre und dem und seinem 250. Jubiläum ich vor drei Jahren einen Artikel gewidmet habe. Beethovens wahre Todesursache ist nämlich nach wie vor ungeklärt und zahlreiche Hypothesen (, die sich aber lediglich auf historische Quellen stützen,) kursieren, die auch von verschiedenen erblichen Krankheiten ausgehen.
Begg und Kollegen untersuchten acht Haare aus der “Stumpff-Locke” (s. Abbildung), die Beethoven zugeschrieben wurden, und konnten 5, die zueinander passten, tatsächlich als authentisch bestätigen:
Dann extrahierten sie DNA aus den fünf Haaren und generierten Sequenzen daraus, die etwa zwei Drittel des gesamten Genoms Beethovens abbildeten. In diesen Sequenzdaten suchten sie dann nach bekannten Prädispositionen für Krankheiten.
Dabei fanden zwei spezielle Allele des PNPLA3-Gens (kodiert für eine Triacylglycerol-Lipase), die mit der Entstehung von Leberzirrhose assoziiert sind. Außerdem hatte Beethoven zwei verschiedene Varianten des HFE-Gens, die beide mit erblicher Hämochromatose, wodurch u.a. die Leber geschädigt wird, in Verbindung gebracht wurden. In Kombination mit Beethovens tüchtigem Alkoholkonsum stellten diese Prädispositionen für Lebererkrankungen natürlich ein erhebliches Risiko dar. Doch damit nicht genug, denn in der DNA aus Beethovens Haar fanden sich auch Sequenzen, die auf das Hepatitis-B-Virus zurückzuführen waren. Es ist nicht klar, wie Beethoven sich mit dem Virus infiziert hat; möglicherweise war es auch lange inaktiv und brach erst in den Monaten vor seinem Tod richtig aus. Diese ungünstige Kombination aus Präsdispositionen, einer Virushepatitis und heftigem Ethanolabusus, die der leitende Wissenschaftler T. Begg als einen „perfekten Sturm“ bezeichnete, deutet jedenfalls auf einen Tod durch Leberversagen nach Leberzirrhose hin. Das passt auch zu Berichten über einen Ikterus und geschwollene Gliedmaßen Beethovens kurz vor seinem Tod im März 1827, die beide Zeichen für eine versagende Leber sind.
Das Vorgehen der Forscher erinnerte mich ein bißchen an die sog. “molekulare Autopsie” (die ich kürzlich erst erwähnte): so bezeichnet man die molekulargenetische Untersuchung von DNA aus Blut, Gewebe oder auch Haaren einer verstorbenen Person auf das Vorliegen von krankheitsursächlichen genetischen Sequenzveränderungen. Ziel der modernen molekularen Autopsie in der forensischen Routine ist also die Aufklärung einer bislang ungeklärten Todesursache durch die Identifizierung einer genetischen Veränderung, die entweder selbst die Todesursache oder eine Prädisposition für den Tod darstellen kann (die Kollegen aus Frankfurt sind darauf spezialisiert).
Übrigens wurde bei der Gelegenheit auch Beethovens biogeographische Herkunft untersucht. Dabei resultierte, daß Beethovens Abstammung zu >99% europäisch war und sein Genom mit denen heutiger Deutscher clusterte (also Ähnlichkeiten aufweist); ein geographisches Clustering mittels geo-genetischer Triangulation platzierte Beethovens Genom, bzw. seine genetischen Vorfahren noch genauer nach Nordrhein-Westfalen in die Nähe des Rheins – kommt ja gut hin :). Durch diese Befunde kann wohl auch die immer noch herumgeisternde Behauptung, daß Beethoven irgendwie schwarze bzw. afrikanische Vorfahren gehabt haben soll, als endgültig widerlegt gelten.
Auch nach genetischen Ursachen für Beethovens Gehörleiden, das bekanntlich in völliger Taubheit endete, suchten die Forscher. Beethoven hätte das vielleicht gefreut, denn im sog. „Heiligenstädter-Testament“, einem Brief, den Beethoven 1802 (also lange vor seinem Tod) seinen Brüdern schrieb und in dem er auch sein Leid durch seine fortschreitende Ertaubung klagte, bat er diese:
„sobald ich Tod bin und Professor schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe“.
In Beethovens Genom fanden sich zwar keine (bekannten) Hinweise auf eine erbliche Taubheit (z.B. durch Morbus Paget). Die Ursache kann aber immer noch Otosklerose gewesen sein, wie manche vermuten, eine Erkrankung, für die man die genetischen Ursachen bzw. Voraussetzungen noch nicht kennt. Sollten sie in der Zukunft jedoch aufgeklärt werden, kann man in den nun ja frei verfügbaren Genomsequenzen Beethovens noch einmal nachschauen und vielleicht doch noch seinen Wunsch erfüllen, die Ursache seines größten Leids zu verstehen.
In vier Jahren wird sich Beethovens Tod zum 200. mal jähren – wir werden seiner gedenken und seine Musik feiern, denn unsterblich ist er längst!
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Referenz:
[1] Begg, T. J. A., Schmidt, A., Kocher, A., Larmuseau, M. H., Runfeldt, G., Maier, P. A., … & Krause, J. (2023). Genomic analyses of hair from Ludwig van Beethoven. Current Biology, 33(8), 1431-1447.
]]>Die GWUP gibt es schon lange, ich hielt sie immer für gut und wichtig und obwohl ich mich ihren Zielen und Methoden auch stets durchaus verbunden fühlte und fühle, bin ich erst im März dieses Jahres Mitglied geworden. Ich hatte das hier auch kurz verkündet und erklärt, daß ich
„[…] seit ich sie kenne, immer ein GWUP-Sympathisant war, […] [und] schon vor 10 Jahren als offizieller Berichterstatter von der GWUP-Tagung in Köln berichtet [hatte]. Ich war aber nie beigetreten, weil die GWUP ausgerechnet das offensichtlichste skeptische Thema, nämlich Religion, von ihrer Kritik ausgespart hatte; das fand ich immer etwas halbherzig und ich glaube, da wurde auch auf die Befindlichkeiten einiger religiöser GWUPler Rücksicht genommen, was ich natürlich ungünstig und heuchlerisch fand.“
Was hatte sich geändert? Ich war kurz zuvor von einer GWUP-assoziierten und aus GWUP-Mitgliedern bestehenden Gruppe, den „Skeptics in the pub“, für die ich schon einmal aufgetreten war und die mich für einen weiteren Auftritt angefragt hatten, gecancelt worden; auch das hatte ich hier kurz erzählt:
„[…] Jetzt wurde der Auftritt abgesagt und ich ausgeladen, weil ich Mitglied im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit bin! #kontaktschuld
Mit anderen Worten: sie canceln einen, weil (!) er Mitglied in einem eingetragenen Verein ist, der sich u.a. gegen Cancel Culture einsetzt.“
Genau mein Humor Das Lachen verging mir allerdings, als ich dann (u.a. auf Twitter, das ich sonst zu meiden versuche) feststellte, daß offenbar die Kölner SitP-Truppe keinesfalls bloß eine woke und in ihrer Ideologie nicht repräsentative Splittergruppe der GWUP ist, sondern daß sich diese Geisteshaltung, also der sog. „critical social justice“-Aktivismus (CSJ) schon tief in die GWUP hineingefressen hatte und die entsprechenden Protagonisten offenbar bemüht waren, zu verhindern, daß CSJ als offizielles GWUP-Thema und Gegenstand von Kritik gefaßt wird. Als Gegenposition dazu hatte Martin Mahner, Wissenschaftsphilosoph und GWUP-Urgestein, bereits einen sehr guten und lesenswerten Artikel dazu verfasst, warum CSJ und seine ideengeschichtliche Herkunft aus dem Postmodernismus sehr wohl ein GWUP-Thema ist und sein muß.
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: unter critical social justice verstehe ich einen Sammelbegriff für ein ursprünglich auf den Postmodernismus zurückgehendes, diesen aber pervertiert habendes, hochgradig zynisches Weltbild. CSJ-Vertreter denken (oder behaupten wenigstens), daß alle Menschen zueinander in einer Art Machtgefüge angeordnet bzw. gefangen sind und daß Elemente unserer Identität uns in diesem Gefüge mit verschieden guten Zugängen zur Macht positionieren. Wir lernen von Geburt an, unsere Position “auszufüllen” (sie nennen das Performanz), indem wir Macht durch uns selbst als Teil des Systems ausüben, oft ohne zu wissen, daß dieses Gefüge existiere. Indem wir unsere Rollen ausüben, erhalten wir somit die sozialen und kulturellen Vorannahmen aufrecht, die den Zugang zur Macht gewähren oder versperren. Wir sozialisieren uns selbst und andere dazu, die Ungerechtigkeiten des Systems zu akzeptieren, rechtfertigen unseren eigenen Zugang und rationalisieren den Ausschluss anderer. (Hier mal eine Erklärung zum Unterschied zwischen CSJ und Liberalismus).
Dieses hochkomplexe und letztlich zynische Konzept wird ohne jeden Beleg für unanzweifelbar wahr gehalten (während alles andere, insbesondere wissenschaftliche Erekenntnisse als grundsätzlich kontingent, maximal gleichwertig mit individuellen gefühlten Wahrheiten und bei Bedarf zu verwerfen gelten darf), Kritik oder Zweifel daran wird nicht gestattet (und in der Regel mit Exkommunikation bestraft). Darauf gründen inzwischen verschiedene akademische (aber eher unwissenschaftliche, s. Mahners Aufsatz und die grievance studies) Disziplinen, wie “queer theory”, “fat studies”, “critical race theory” usf., die nicht nur keine eigenen grundständigen Daten oder Erkenntnisse liefern, sondern häufig anerkannten, tausendfach bestätigten (z.B. historischen, medizinischen oder naturwissenschaftlichen) Fakten widersprechen.
Und genau hier kann und sollte die GWUP ansetzen! Sie kann skeptisch aber ganz neutral und ergebnisoffen mittels geistes- und naturwissenschaftlicher Methoden und auf Grundlage bewiesener Fakten Annahmen und Behauptungen, die diesem Weltbild aber auch diesen akademischen Betätigungsfeldern, sowie solchen Phänomenen wie “Gendersprache”, “DEI-Trainings” etc. zugrunde liegen, prüfen und ggf. Kritik daran üben. Diese wird dann, s. Mahners Aufsatz, von den CSJ-Vertretern antizipierbar nicht nur nicht zugelassen, sondern strategisch als rassistisch, faschistisch und xyz-istisch verfemt werden und zwar laut, schrill, hysterisch und öffentlichkeitswirksam und natürlich auf allen denkbaren Sozialen Medien. Das bedeutet also, daß die GWUP, wenn sie CSJ-Kritik betreibt, völlig vorhersehbar als “Nazi-Verein”, “rechtsradikal”, “weißes Überlegenheitskartell” etc. pp. (kleiner haben es diese Leute in i.d.R. nicht) bezeichnet werden wird. Das muß man, das muß die GWUP aushalten und es trotzdem und gerade deshalb zu tun, ist m.E. ihre vornehme Aufgabe. Man nehme sich ein Beispiel an Sokrates.
Doch genug des Abchweifs: ich hatte jedenfalls diese Entwicklung, in der ich die Gefahr einer Spaltung der GWUP und den Verlust ihrer Essenz sah, zum Anlaß genommen,
„[…] die “Flucht nach vorn” an- und der GWUP beizutreten, um nachzusehen, wie weit “critical social justice” (CSJ) sich darin schon verbreitet hat und 1. zu helfen, zu retten, was noch zu retten ist und 2. dazu beizutragen, eine offizielle (kritische, skeptische) Position der GWUP zu CSJ zu erarbeiten. CSJ ist zwar auch eine (politische) Religion [bzw. ein Kult] aber eben auch eine Ideologie, die auf völlig verkorksten, irrationalen Grundannahmen fußt, antiwissenschaftlich und brandgefährlich ist und es braucht unbedingt vernehmbare kritische Stimmen, die sich nicht einschüchtern lassen und dagegen sprechen und mehrere Leute, die dafür in Schulterschluß gehen können. Einer davon will ich sein.“
Mein Beitritt wurde auf Twitter erwartungsgemäß von den entsprechenden Leuten entsprechend unherzlich aufgenommen, während andere sich solidarisch oder erfreut zeigten und mich freundlich willkommen hießen.
Im April verkündete dann Gründungsmitglied und langjähriger und hochverdienter GWUP-Vorstandsvorsitzender Amardeo Sarma, daß er bei der nächsten Wahl nicht mehr kandidieren und für das Amt zur Verfügung stehen werde. Diese Wahl sollte im Rahmen der nächsten Mitgliederversammlung (die immer zusammen mit der GWUP-Jahrestagung stattfindet) abgehalten werden.
Obacht, ab jetzt kann ich nur noch aus zweiter Hand berichten, da ich selbst bei jener Versammlung am 20.05. nicht anwesend sein konnte; offenbar hatte die woke Koterie innerhalb der GWUP eine Art Putsch Spezialoperation vorbereitet und erfolgreich durchgeführt, so daß eine ihnen genehme (selbst wohl weniger aus Wokelahoma, mehr aus Opportunistan stammende) Person zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt wurde. Der HPD hat zwei Artikel dazu, die besser als ich Auskunft über Details und Hintergründe geben (und die mehreren Teilnehmern der Versammlung zufolge, die mir davon berichtet hatten, akkurat sind), und ich will ein paar Zitate daraus wiedergeben:
„Vor der Wahl wurde die Diskussion über Vereinsinterna von einer Gruppe von Mitgliedern dominiert, die unbegründete Anschuldigungen gegen die Vereinsführung erhob. Trotz der schwerwiegenden und vehement vorgetragenen Vorwürfe wurden die Anschuldigungen nicht belegt oder konkretisiert. […]
Amardeo Sarma, der langjährige Vorsitzende, der nicht erneut für das Amt kandidierte, warnte vor möglichen negativen Auswirkungen auf die Zukunft der GWUP.“
und
„Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) ist bekannt für sachliche Analyse gewagter Behauptungen. Am vergangenen Samstag hingegen erlebten die Mitglieder eine Inszenierung, nach deren Ende sich die Frage nach der Zukunft der Skeptikerorganisation stellt. Was auf der Ebene der Phrasen nach “Inklusion” und “Diversität” klingt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als Orientierung nach rechts und Abkehr vom kritischen Anspruch.“
Das klingt alles ziemlich übel und gewissermaßen auch zynisch, da eine vollständige Spaltung und Zerstörung der GWUP, die mit ihren Zielen in diesen „postfaktischen“ Zeiten “gefühlter Wahrheiten” ja eigentlich wichtiger ist, denn je, von den Putschisten Spezialoperateuren anscheinend billigend in Kauf genommen wurde und wird, nach dem (unterstellten) Motto: „Besser keine GWUP als eine woke-kritische GWUP.“ Die konzertierte und anscheinend klandestin vorbereitete Operation, die hier den Berichten zufolge ausgeführt wurde, erinnert mich jedenfalls erheblich an die Taktiken und Vorgehensweisen von CSJ-Aktivisten zur Übernahme von Institutionen, die in [1] (hier eine Kurzversion) beschrieben werden.
Trotz dieser überaus häßlichen Episode bin ich immer noch überzeugt, daß die GWUP wichtig ist und dringend gebraucht wird und daß neben den Humbug-Klassikern auch CSJ-Kritik darin ein wesentliches Element sein kann und muß. Ich glaube auch nicht, daß die Putschisten Spezialoperateure die mehrheitliche Haltung innerhalb der GWUP widerspiegeln (so wie CSJ auch nicht die Haltung in der Bevölkerung repräsentiert).
Wenn nun also der neue Vorstand wirklich versuchen sollte, CSJ-Kritik offiziell aus der GWUP zu verbannen, dann müssen wir Widerstand leisten! Es könnten, wie nach meiner eigenen Cancelung, dann auch jetzt „Jetzt erst recht“-GWUP-Beitritte skeptischer, liberaler und CSJ-kritischer Menschen und der Schulterschluß mit uns Mitgliedern, die wir schon hier stehen, helfen, zu verhindern, daß CSJ-Kritik(er) in der GWUP mundtot und sie selbst damit obsolet gemacht wird.
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Referenz:
[1] C. Pincourt, J. Lindsay. Counter Wokecraft: A Field Manual for Combatting the Woke in the University and Beyond. 2022. ISBN-13 : 979-8536815038
]]>Wer selber schon einmal einen solchen Antrag ausgebrütet, geschrieben, eingereicht und monatelang auf eine Entscheidung gewartet hat, weiß, wieviel Arbeit das ist und wie großartig man sich nach einer solchen positiven Nachricht fühlt – da gibt es dann auch schonmal eine Runde Jubel und (alkoholfreier Kinder-)Sektkorkenknallen :-)))
Im Herbst dieses Jahres werden wir mit der Bearbeitung des Projekts beginnen, das auf drei Jahre ausgelegt ist; wir, das sind nicht nur meine Mitarbeiterin Annica und ich, sondern auch eine neue Doktorandin, die sich hauptamtlich dieses Projekts annehmen wird und eine Gruppe von von mir sehr geschätzten und handverlesenen Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen der forensischen Genetik, d.h. aus anderen universitären Abteilungen (an Instituten für Rechtsmedizin) aus Deutschland und der Schweiz, zwei Landeskriminalämtern, dem Bundeskriminalamt und einem Privatlabor.
Und worum geht es nun in dem Projekt? Und was ist überhaupt „Nukleinsäuretransfer“? Zu DNA-Transfer habe ich ja vor einiger Zeit schon einen Zweiteiler geschrieben (der gerne zum besseren Verständnis des Folgenden noch einmal nachgelesen werden mag). Für den Antrag habe ich aber das Wort „Nukleinsäure“ verwendet, weil neben DNA- ausdrücklich auch der Transfer von RNA (ebenfalls eine Nukleinsäure) im Projekt betrachtet werden soll: die forensische Analyse von RNA ist ja, wie Stammleser wissen werden, seit vielen Jahren mein Forschungsschwerpunkt, zum Transfer von RNA im Kontext von Spurenentstehung ist im Gegensatz zu DNA jedoch noch sehr wenig bekannt.
Und warum Rationalisierung? In unserem Artikel von 2019 [1], mit dem (übersetzten und bewußt etwas provokanten) Titel „Zum DNA-Transfer: der Mangel an und die Schwierigkeit von systematischer Forschung und wie man es besser machen könnte“ (, der bis heute übrigens schon >60 mal zitiert wurde,) hatten Annica und ich gewissermaßen beklagt, daß die zu DNA-Transfer verfügbaren Forschungsarbeiten sehr unsystematisch, häufig schlecht miteinander vergleichbar und zudem von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Wenn wir eine Chance haben wollen, in der Zukunft Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Spurenbildern unter Einbeziehung von Nukleinsäure-Transfer durchführen zu können (, was ja immer wichtiger wird), brauchen wir eine Möglichkeit, Daten systematischer und standardisiert zu erzeugen zu erfassen, zu kuratieren und hinsichtlich ihrer Qualität zu prüfen, mit anderen Worten: wir müssen die Forschung in diesem Bereich rationalisieren. Unser Projekt soll dieses Ziel verfolgen.
Und Grundlegung? Uns war schon zu Beginn des Antragschreibens völlig klar, daß wir dieses riesige Thema, das von weltweitem Interesse und rasant wachsender Relevanz ist, nicht innert 3 Jahren abschließend würden bearbeiten können. Wir wollten aber auch nicht bloß noch ein weiteres Projekt zur Aufklärung spezifischer Transfer-Mechanismen durchführen (das haben wir ja auch schon mal gemacht [2]). Ziel sollte stattdessen sein, eine Grundlage zu schaffen, um eine wie oben beschriebene standardisierte Datensammlung (sowohl für DNA als auch für RNA) überhaupt erst einmal zu ermöglichen, dann zu beginnen (zusammen mit unseren Kooperationspartnern) und parallel im ganzen Feld um Kenntnisnahme und Mitwirkung dabei zu werben, weil nur durch die Mitwirkung vieler, am besten aller Gruppen, die an diesem Thema arbeiten und forschen, die Chance besteht, eine Datensammlung hinreichender Größe und Qualität zu schaffen, auf die dann auch alle frei zugreifen können.
Also, drückt uns die Daumen, daß alles klappt und das Projekt ein Erfolg wird! Es könnte wirklich helfen, die Objektivität juristischer Beurteilungen und damit die Rechtssicherheit zu verbessern und davon würden viele Menschen profitieren! Im Herbst geht es los und ich halte Euch hier auf dem Laufenden!
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Referenzen:
[1] Gosch, A., & Courts, C. (2019). On DNA transfer: the lack and difficulty of systematic research and how to do it better. Forensic Science International: Genetics, 40, 24-36.
[2] Gosch, A., Euteneuer, J., Preuß-Wössner, J., & Courts, C. (2020). DNA transfer to firearms in alternative realistic handling scenarios. Forensic science international: genetics, 48, 102355.
]]>der letzte offene Laber-Thread (OLT 36) hat die 1.000 Kommentar-Marke passiert und es war auch nicht der letzte hier in den immer noch existierenden Scienceblogs.
Hier ist nun ein frischer, neuer, die Nr. 37! Also, setzt Euch, nehmt Euch ‘nen Keks oder eine Sauerteigstulle und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Doch genau heute befinden wir uns auch in der Schnittmenge religiös motivierter Verbote der großen drei Monotheismen, die, je nachdem wo man sich befindet, auch Nichtreligiöse und Konfessionsfreie betreffen, denn zur Zeit ist auch Ramadan, der moslemische “Fastenmonat” (das schreibe ich in “”, weil man sich bei diesem “Fasten”, sobald es dunkel ist, ungehemmt den Bauch vollschlagen und am Ende des “Fastens” sogar zugenommen haben kann ;D) und das jüdische Pessach. Der Ramadan wird in einigen islamischen Ländern mit Zwang durchgesetzt, aber auch in Israel werden, für mich überraschenderweise, bestimmte Vorschriften zu Pessach auch Säkularen und Glaubensfreien aufgezwungen:
Einem Gesetz aus dem Jahr 1986 zufolge dürfen gesäuerte Speisen in der Pessach-Woche auch nicht öffentlich verkauft werden. Die Bäckereien machen deshalb dicht, in den Supermärkten wird die Ware verhängt. […] Das neue Gesetz zielt nun darauf ab, auch die Krankenhäuser keinerlei Krümel-Kontamination mehr auszusetzen. (Quelle)
Der Grund für dieses Verbot ist, daß beim angeblichen Auszug aus Ägypten vor Tausenden Jahren die ausziehenden Israeliten keine Zeit mehr hatten, richtig Brot zu backen, so mit gesäuertem Teig und so, und deshalb darf man sich als Atheist oder säkularer Israeli im Jahr 2023 in Israel Mitte April logischerweise keine Stulle im Laden kaufen. Wahrscheinlich hatte auch keiner der Israeliten beim Ausziehen bequeme Sneaker an – da stellt sich mir natürlich die Frage, warum es an Pessach nicht auch ein absolut angebrachtes Sneaker-Verbot gibt.
Wenn der Ramadan im Hochsommer liegt, die Nächte kurz und die Tage heiß sind, freuen sich Ärzte aber auch Arbeitskollegen über die hitze- und dehydrationshalber kollabierenden Moslems, die mit größter Selbstverständlichkeit dem Gebot gefolgt sind, auch bei 40°C im Schatten nicht einmal Wasser zu trinken (wenn sie dann allerdings kollabiert sind, gelten sie als krank und dürfen dann natürlich das Fastengebot ignorieren… bis sie wieder fit sind… – alles sehr sinnvoll also).
Wenn man sich das alles nüchternen Geistes vergegenwärtigt, kommt man, zumindest ich, aus dem verärgerten, ungläubigen Kopfschütteln nicht mehr heraus. Wegen ausgedachter Dinge, die ausgedachte Leute vor Ewigkeiten angeblich gesagt/getan haben und an die bestimmte Gruppen von Leuten irrationalerweise und ohne Belege glauben (wollen) und daraus irgendwelche zufällig und arbiträr anmutenden Ge- und Verbote ableiten, sollen Leute wie ich, die nichts damit zu tun haben und haben wollen, vom Staat (!) gezwungen werden, mich auch danach zu richten.
Warum ist es den Religiösen so wichtig, auch alle anderen, selbst wenn sie selbst die Minderheit der Bevölkerung ausmachen, wie in Deutschland und Israel, dazu zu zwingen, ihren Zirkus mitzumachen? Und wie würden sie es finden, wenn man ihnen mal den Mumpitz einer anderen Minderheitenreligion aufzwingen würde? Keinen Alkohol, kein Schweinefleisch und kein gesäuertes Brot in Deutschland? Kein Wasser an einem Sommertag in Israel? Das Geschrei wäre enorm, die Heuchelei auch. Scheint, als wären wir hier doch noch ein ganzes Stück von einem säkularen Staat entfernt… da wir Nicht-Christen inzwischen die Mehrheit in Deutschland sind, wird es nach mehr als hundert Jahren höchste Zeit, die Ketten zu sprengen, die religiösen Tentakeln und Verflechtungen in unseren Gesetzen zu kappen und endlich die Kirchenrepublik Deutschland zu Grabe zu tragen. Man entsinne sich Nietzsches und begreife: Gott hat’s hinter sich.
So, jetzt muß ich aber los, ich möchte heute noch tanzen, “Das Leben des Brian” schauen (vielleicht stelle ich einen Beamer im Park auf), dabei mit der Liebsten in der Sonne liegen und ein reichlich mit Speck und Käse belegtes Brot aus feinstem Sauerteig genießen Hier die Kurzform
Oder ich gehe in Köln mit den Humanisten demonstrieren gegen religiös motivierte Verbote.
So oder so: Ich wünsche allen einen schönen Tag!
]]>Zur Erinnerung: Der historische und aktuelle Hauptzweck des Spurenworkshops ist, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensisch-molekularbiologische Labore vorzustellen und zu diskutieren. Inzwischen ist die Veranstaltung, die tatsächlich einmal als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der auch immer etliche wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.
Das letzte Mal “in echt” waren wir in München, haarscharf bevor “C-Wort” richtig ausbrach und alle Tagungen u.ä. abgesagt wurden. Meine (Ex-)Doktoranden Jan und Annica hatten damals über die Korrelation von Schussdistanz, Wundprofil und DNA-Ausbeute aus Spuren von Backspatter aus dem Waffeninneren (ein molekularballistisches Thema) bzw. über die Variabilität der Spurenprofilzusammensetzung an Schusswaffen durch DNA-Transfer in realitätsnahen alternativen Handhabungsszenarien gesprochen.
Dieses Jahr ging es also nach “Bielefeld”. Ich war wie schon 2020 am Donnerstag vor Ort, um zwei Fortbildungsveranstaltungen (zu RNA und DNA-Transfer) für die Kollegen (mit) zu gestalten. Außerdem nehme ich, seit ich im Januar von meinen UFG-Kollegen als ein Vertreter der Rechtsmedizin dafür gewählt wurde, als neues Mitglied der Spurenkommission an deren Sitzungen teil. Abgesehen von virtuell trifft sich die Kommission traditionell im Rahmen des Spurenworkshops, so auch dieses Mal am Freitagmorgen. Gegen Mittag begann dann das normale Programm.
Vorweg: die Begeisterung und Freude vieler Kollegen einander wieder persönlich begegnen und sich austauschen zu können aber auch über die hervorragende Organisation vor Ort war mit Händen zu greifen. Bei letzterer war meine Kollegin Dr. Jane F. Silvery (ihre Geschichte findet sich übrigens auch hier) federführend, wofür sie beim Gesellschaftsabend am Freitag im Lokschuppen auch gebührlich gefeiert wurde:
Zur Einführung sprach neben dem Tagungspräsidenten
auch der Richter Jens Gnisa, der nicht nur die wissenschaftliche Arbeit und die Fortschritte in unserem Fach gelobt hat, sondern auch die Genervtheit vieler Kollegen (mich eingeschlossen) über das derzeit leider bestehende Verbot teilt, das verhindert, daß in Deutschland im Rahmen von „erweiterten DNA-Analysen“ (s. StPO §81e) bei Ermittlungsarbeiten auch die biogeographische Herkunft von Spurenlegern bestimmt werden kann. Ich hatte 2019 darüber berichtet und meine Einschätzung mitgeteilt, daß es sich bei dieser Auslassung
„wahrscheinlich um einen politisch-korrekt eingeschüchterten Zurückzuckreflex des Gesetzgebers […], womöglich u.a. als Reaktion auf den Aktionismus“
bestimmter ideologisch motivierter Lobbygruppen gehandelt hat. Das denke ich auch heute noch und hoffe, daß dieser Fehler in Zukunft korrigiert wird, u.a. weil so auch die anderen FDP-Merkmale (Haut-, Augen- und Haarfarbe sowie Lebensalter) besser bestimmt und v vor allem kontextualisiert werden könnten.
Das eigentliche Programm war bunt gemischt, es gab Vorträge zu NGS, zur methylierungsbasierten Altersschätzung, zur genetischen Diagnostik beim plötzlichen Herztod („molekulare Autopsie“), zur Bestimmung von Körperflüssigkeiten (mittels RNA-Analyse oder methylierungssensitiver Restriktionsendonukleasen (MSRE)) u.v.a.m.
Vorträge, die ich besonders interessant oder spannend fand:
Die Kollegin A. Sorg aus Bern hatte sich, anläßlich eines Gerichtsurteils, das diese Möglichkeit zur Erklärung eines vermeintlich belastenden DNA-Befundes anheimstellte, mit DNA auf Steinen und der Frage befaßt, wieviel Hintergrund-DNA auf draußen herumliegenden, also umweltexponierten Steinen nachweisbar ist. Dafür ist sie über Monate viele Stunden durch Bern gelaufen, klaubte 108 Steine vom Boden auf, dokumentierte genau Fundort,
Eigenschaften und Wetter (zur Fundzeit) und analysierte sie im Labor. Sie kam zu dem Ergebnis, daß auf 6,5 % der Steine gut auswertbare DNA-Profile nachweisbar waren und daher in der Tat Hintergrund-DNA auf Steinen bei der Bewertung vor Gericht berücksichtigt werden sollte (wenn z.B. ein Stein zum Einwerfen einer Scheibe oder Einschlagen eines Schädels verwendet wurde). Außerdem fand sie, daß Temperatur und Porosität des Steins jeweils indirekt proportional zur erhaltbaren DNA-Menge waren. Sehr interessante und gerade zum Thema DNA-Transfer relevante Ergebnisse also!
Der Vortrag „Identifizierung von Verstorbenen in Mexiko – Hand- und Fußgelenkssehnen als alternatives DNA-Material?“ von V. Birne aus Frankfurt war auch sehr interessant, wenngleich auch bedrückend, da hier die grausamen Folgen des Kriegs gegen die Drogen in Mexico sehr deutlich wurden. In der vorgestellten Studie wurde nämlich untersucht, ob sich bei aus Massengräbern in Mexico (, worin die von Drogenkartellen ermordeten und zerstückelten Opfer entsorgt werden,) geborgenen menschlichen Überresten Hand- und Fußgelenkssehnen als alternative DNA-Quelle eignen. Zusätzlich wurde geprüft, ob sich handelsübliches und auch in Mexico leicht erhältliches und preisgünstiges Tafelsalz (NaCl) als Konservierungsmittel eignet, um eine längere Lagerung und spätere DNA-Analyse zu ermöglichen. Es zeigte sich, daß beide Hypothesen bestätigt werden konnten: aus 38 von 42 Sehnenproben konnten vollständige oder doch für eine Identifizierung geeignete DNA-Teilprofile erstellt werden und das Einlegen in Salz erhöhte deutlich die meßbare DNA-Konzentration (auch nach 6 Monaten noch) sowie leicht die Vollständigkeit der zu erhaltenden DNA-Profile im Vergleich zu unbehandelten Proben. Bei all diesen Arbeiten und dem Transport des Gewebematerials von Mexico nach Frankfurt mußten natürlich ganz erhebliche administrative, ethische und logistische Schwierigkeiten überwunden werden und die Sprecherin erhielt dafür am Ende der Tagung auch den „Peter M. Schneider Young Scientist Award“, den wir als Spurenkommission dieses Jahr (in Andenken an Peter Schneider) eingeführt und zum ersten Mal vergeben haben. Dazu Gratulation!
Übrigens/natürlich war auch meine Gruppe wissenschaftlich wieder gut im Programm vertreten. Kathrin, die gerade ihren Master zu einem Thema der forensischen RNA-Analyse bei uns macht, hielt ihren ersten Vortrag auf einer Tagung und stellte Daten vor, die sie bei der Etablierung einer verbesserten (und vor allem schnelleren) Methode zur RNA-Extraktion aus forensischem Spurenmaterial gesammelt hatte.
Annica präsentierte eindrucksvolle erste Ergebnisse aus ihrem Projekt zum „Molekularen Alibi“ (ich hatte vor einer Weile ja erzählt, daß wir eine neue DFG-Förderung dafür erhalten hatten) unter dem Titel: „TrACES of Time: Transcriptomic Analyses for the Contextualization of Evidential Stains – Identifizierung von mRNA-Markern zur Bestimmung des Tageszeitpunkts einer Spurendeposition“ [1]. Das Projekt wird sie noch bis Mitte 2024 beschäftigen.
Jan, mein ehem. Doktorand, der seine Arbeit im Bereich Molekulare Ballistik gemacht hatte und seit Ende 2021 Gutachter in der Abt. f. forens. Genetik der Rechtsmedizin Kiel ist, hielt den finalen Vortrag zur inzwischen ausgelaufenen Förderung der Molekularen Ballistik und erklärte, daß und warum eine „Lokalisierung von Kopfschüssen“ anhand der „Subdifferenzierung forensisch relevanter Hirnregionen mittels Untersuchung differentieller RNA- Expression“ [2] nicht möglich ist (das ist ja auch ein valider, wichtiger Befund!). Er überzeugte nicht nur mit einem wieder einmal sehr unterhaltsamen Vortrag, sondern auch mit seinem exzellenten T-Shirt-Geschmack:
Kollege Olli Krebs aus Hamburch (seine Geschichte findet sich auch hier), hielt dann schließlich den allerletzen Vortrag am Samstag. Er hatte sich dafür extra und gegen den ausdrücklichen Rat seiner Gemahlin ein überaus kleidsames Hawaiihemd mit bunten aufgedruckten Schädeln zugelegt, das er, schon am Podium stehend, erst einmal auspackte und anzog (so viel Zeit mußte sein!),
um uns, derartig passend gewandet, die „Angst vor alten Knochen“ zu nehmen. Olli, der viel Erfahrung mit DNA-Analysen aus Knochen hat (kommt ja aus der Anthropologie), beschrieb uns seine in Jahren optimierte Methode (ein „Trick“ sei, besonders feines Knochenmehl mit sehr hoher Oberfläche zu erzeugen) und berichtete von ein paar Knochenfunden, bei denen er sie erfolgreich einsetzte. Ein Knochen, der ihm besonders alt vorkam, bei dem die Methode aber dennoch funktionierte, wurde schließlich C14-radiodatiert, wobei sich herausstellte, daß der Knochen ca. 2.700 Jahre alt war! Ich war beeindruckt (und überzeugt, daß Ollis Methode recht gut funktioniert).
So ging der 43. Spurenworkshop in „Bielefeld“ (das überzeugend seine Existenz vortäuschte ;-)) zu Ende, der deutlich besonderer und besser war, als diese Beschreibung vermuten läßt und viel Gelegenheit bot, Neues zu lernen, Bekanntes zu vertiefen und neue Ideen zum Ausprobieren zu entwickeln. Außerdem habe ich natürlich wieder viele nette Menschen, bekannte und neue, getroffen, was mich stets besonders freut. Nächstes Jahr geht es dann nach Frankfurt am Main. Ich werde da sein
Nachtrag am 30.03.2023:
Es gibt jetzt sogar ein schickes Video mit ein paar Eindrücken aus Bielefeld:
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Referenzen
[1] Gosch, A., Bhardwaj, A., & Courts, C. (2022). TrACES of time: Transcriptomic Analyses for the Contextualization of Evidential Stains–towards estimating the time of deposition. Forensic Science International: Genetics Supplement Series, 8, 314-316.
[2] Euteneuer, J., Moitinho-Silva, L., & Courts, C. (2022). Towards localizing head shots–Forensic sub-differentiation of anatomical brain regions by differential RNA expression. Forensic Science International: Genetics Supplement Series, 8, 178-180.
]]>Beobachtung 1: Seit ihrer Gründung hat sich die AfD in den inzwischen 10 Jahren ihrer Existenz immer weiter nach rechts bewegt, es gab Spendenskandale, unsägliche Sprüche ihrer (An)führer, die Berichte über (Ex-)Nazis in ihren Reihen häufen sich und inzwischen ist sie für den Verfassungsschutz ein rechtsextremer Verdachtsfall. Dennoch erhält die AfD bei der Sonntagsfrage (während ich das schreibe, ist der 4.2.23) 15%, 5% mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Sie werden also immer extremer und zugleich immer beliebter. In Berlin sind kürzlich wohl sogar Tausende ehemalige Wähler der Linken direkt zur AfD übergegangen!
Wie ist das zu erklären? Natürlich weder dadurch, daß im September 2021 10% der Wähler rechtsextrem waren, noch daß in den letzten 1,5 Jahren zusätzlich 5 % der Wähler rechtsextrem geworden sind. Ich bin auch nicht überzeugt, daß die Krisen der letzten Jahre (v.a. “C-Wort” und der Ukraine-Krieg) die einzigen Erklärungen für diese Entwicklung sind.
Meine Erklärung (zumindest eines Teils dieser Entwicklung) konnte man in den USA, die uns in solchen kulturellen Phänomenen ja gerne 5-10 Jahre voraus sind, bereits 2016 in Gestalt der Wahl Trumps beobachten und meine Gedanken dazu habe ich damals auch schon aufgeschrieben: daß diese für ein politisches Amt – und erst recht das mächtigste der Welt – maximal ungeeignete menschliche Groteske gewählt wurde, lag auch (und in vermutlich nennenswertem Maße) an einer Gegenreaktion gegen die damals in den USA bereits grassierende und als übergriffig, bevormundend und in ihren Verfemungsreflexen als extrem anmaßend empfundene woke Ideologie, die von der Wählerschaft vor allem mit den Demokraten in Verbindung gebracht wurde, während sie gleichzeitig wahrnahm, wie deutlich sich Trump ostentativ und konträr dazu davon abgrenzte (und selbst nach seiner verheerenden ersten Amtszeit trug in meinen Augen dieser woke-Abstoßungseffekt zu seiner Fast-Wiederwahl bei). Hinzukommt, in den USA wie in Deutschland, daß sich Angehörige der „Arbeiterklasse“, eigentlich traditionelle Demokraten- bzw. SPD/Linke-Wähler, zusehends von diesen Parteien nicht mehr vertreten, wenn nicht gar vor den Kopf gestoßen und verraten fühlen, weil diese sich nicht mehr um „Klassen“ und „Klassismus“ kümmern und um die Stärkung von Arbeiterrechten und Rechten für Menschen mit geringem Einkommen bemühen, sondern nun in erster Linie die woke-konformen Identitätsgruppen („Rasse“, „Gender“, Sexualität) bedienen.
Inzwischen ist nämlich “woke” (präziser als Critical Social Justice-Aktivismus zu bezeichnen, hier mehr zum Hintergrund) auch in Deutschland voll angekommen, mit Cancel Culture und Twitter-Shitstorms, Identitätspolitik auf Steroiden, Gender-Unfug und -Nötigung (eine Spezialität des deutschsprachigen Raums, die interessanterweise im englischsprachigen Raum keine Rolle spielt), einem völlig hysterischen, regelrecht blindwütigen Transsexuellen-Aktivismus mit Boykott-Aufrufen von Videospielen (,die in einer fiktionalen Welt spielen, die auf Büchern basiert, deren Autorin mal was auf Twitter geschrieben hat, das jemandem nicht gefallen hat) und einer von vielen wahrgenommenen Einengung des Korridor des Sag- wenn nicht Denkbaren.
Wer zum Beispiel für eine gewisse Eingrenzung und Regelung von Einwanderung ist, wird sofort und ohne Bewährung als Rassist (,was natürlich schon konzeptionell unsinnig ist,) und Fremdenfeind verfemt, wer zwei (und nicht mehr) biologische Geschlechter des Menschen und überhaupt einen Unterschied zwischen Männern und Frauen wahrnimmt (und damit dem breiten Konsens der Wissenschaft folgt), ist “transphob” (was immer das sein soll), wer Übergewicht Übergewicht nennt und es für gesundheitlich bedenklich hält (und damit dem breiten Konsens der Medizin folgt), ist “fettphob” (was immer das sein soll), wer als Weißer gerne mal Jazz auf seinem Instrument spielt, Tamales in der Pfanne brät oder Dreadlocks trägt, macht sich der ” kulturellen Aneigung” schuldig, hat man als Weißer eine farbige Partnerin, exotisiert man sie bloß und ist deshalb Rassist oder mindestens Kolonialist, hat man aber eine weiße Partnerin, lehnt man wohl Farbige ab und ist sowieso Rassist (auch als ‘double bind’ oder ‘Kafka trap’ bezeichnet), besteht man in Diskussionen auf Regeln, Belege und Beweise und will “gelebte Erfahrung” und “gefühlte Wahrheiten” nicht als gleichwertige Belege anerkennen, begeht man “epistemologische Ungerechtigkeit” und sollte sich mal besser seiner “weißen Privilegien” und “alternativer Wissenssysteme” bewußt werden, ist man zufällig schwarz und besteht auf wissenschaftliche Belege für eine Behauptung, ist man ein “Onkel Tom” und hat Rassismus schon “internalisiert”. Und so immer weiter und so fort. Das geht bis hin zur in der Empfehlung des Berliner AStA an Frauen, nach sexuellen Übergriffen doch besser nicht die Polizei zu rufen, impliziten Täter-Opfer-Umkehr.
Ich übertreibe also nicht, wenn ich sage, daß dem Grotesken und Absurden hier nach unten keinerlei Grenzen gesetzt sind (wohin dieser Weg führen kann, mag dieses komplett übergeschnappte Beispiel aus den USA belegen) und habe das schon mal (in Anlehnung hieran) als “Courts’ Law” formuliert: man kann Parodien von woke nicht von “Original-woke” unterscheiden.
So entsteht der Eindruck eines permanenten Gegängelt-, Drangsaliert- und Gemaßregeltwerdens und eine Wahrnehmung des gesellschaftlichen Raumes, daß man immer und überall auf Eierschalen geht, weil es für jede Interaktion (aber auch Untätigkeit), inzwischen schon für bloße Blicke, komplexe, undurchsichtige, kafkaeske Regeln und Verbote gibt. Überall lauern Tretminen mit hyperempfindlichen Auslösern (“Triggern”) für hysterische Reaktionen und Shitstorms, jede Äußerung birgt das Potential, von mindestens einer “unterdrückten Identitätsgruppe” (derer es dank “Intersektionalität” unzählige gibt) als XYZ-istisch gebrandmarkt und dafür gecancelt, bedroht, angegeriffen und/oder gekündigt zu werden, weil sich irgendwer dadurch “verletzt”, “beleidigt”, “marginalisiert” oder auch nur “unsicher” fühlt oder wenigstens überzeugt ist, jemand anders könne sich vielleicht so fühlen. Und da eine wohlwollende Hermeneutik (, für die ich immer plädiere,) bekanntlich ein Luxus ist, den sich nur privilegierte Gruppen leisten können und es, Kant (idealerweise gleich auch im Lehrplan) überwindend, für ihre moralische Bewertung nicht mehr auf Absicht und Motiv einer Handlung/Äußerung sondern ausschließlich auf ihre vollständig vom Empfänger bestimmte Auswirkung ankommt, kann kaum noch etwas bedenkenlos gesagt werden, auch kein Kompliment und kein Lob.
Was ich selber von Woke / Critical Social Justice-Aktivismus / regressiven Linken halte, habe ich schon anderenorts dargelegt und um meine Haltung dazu soll es hier auch gar nicht gehen, sondern um Prognosen, die ich abgeben möchte und die auf die oben gemachte und folgende Beobachtungen und Annahmen beruhen:
Beobachtung 2: Im Moment gibt es nur eine Partei im Bundestag, die sich dieser ganzen woken Entwicklung mit “Cancel Culture”, Gendern, “Dekolonialisierung” von Lehrplänen und anderen schlagzeilenträchtigen Themen wie geschlechtsanpassenden OPs schon für Kinder, woke Anpassung von Kinderbüchern etc.pp. ganz eindeutig und plakativ widersetzt, klare Kritik daran übt und zudem zusagt, etwas dagegen zu unternehmen, wenn man sie wählt und das ist – leider – die AfD. (Ich glaube auch, daß wenn diese Leute nicht so ineffizient, insuffizient, panne, korrupt, vertrottelt und zerstritten wären und ihren Nazi-Klumpatsch etwas subtiler halten würden, als das z.B. Bernd Höcke immer wieder tut, sie schon heute deutlich mehr Stimmen und Sitze im Parlament hätten.)
Jetzt zu meiner Prognose, bzw. zu meinen Prognosen:
Prämisse / Annahme: es gibt einen erheblichen und wachsenden Widerwillen bis hin zu regelrechter Abscheu in der Bevölkerung gegen Woke & Co. und die oben skizzierten Auswüchse, der aber nicht oder wenig sichtbar wird, weil nicht bei Twitter und in den Haupt- und Leitmedien kaum vertreten und dann meist stigmatisiert. Es gibt bis zur nächsten Wahl keine weiteren globalen Krisen/Katastrophen, die das Ergebnis zu Gunsten extremer Parteien verzerren würden.
Prognose 1: Wenn die C-Parteien klug und weitsichtig sind, überlassen sie Widerstand gegen Woke & Co. nicht weiter der AfD, entkoppeln das Thema von deren Rechtsextremismus und der damit verbundenen Stigmatisierung und positionieren sich so auch wahrnehmbar gegen die Ampel, die sich dazu bräsig weiterhin nicht oder sogar eher zustimmend positioniert. In diesem Fall, so meine Prognose, werden sie bei der nächsten Bundestagswahl einen krachenden Sieg einfahren (während die AfD einen erheblichen Stimmenverlust verzeichnen wird), weil der Großteil der Anti-Woke-Wähler zu den C-Parteien überwechseln wird, froh, vom Extremismus der AfD wegzukommen (,die dann wieder nur noch von den Ex-NPDlern, Reichsbürgern, QAnon-Anhängern und eben ein paar waschechten Rechtsextremen gewählt wird) und dennoch politische Position gegen Woke beziehen zu können.
Prognose 2: Wenn die C-Parteien das nicht tun/verstehen und Woko Haram ungehemmt weiter wütet, wird der “Trump-Effekt” auch in Deutschland eintreten und noch meßbar mehr Leute werden, manche mit zugehaltener Nase und den Würgereiz unterdrückend, die AfD wählen, die daraufhin eine wesentliche, vielleicht die zweitstärkste Kraft im Bundestag wird und die politische Landschaft in Deutschland somit vor ein gewaltiges Problem stellen wird.
_________
Ich hoffe, ich liege falsch, denn ich finde beide Prognosen ziemlich übel, Nr. 1 lediglich etwas weniger schlimm als Nr. 2.
Aber was denken die Leser? Wie wird sich die AfD entwickeln und warum? Wird Woke und der Widerstand dagegen eine politische Rolle spielen?
P.S.: während ich schon dabei war, diesen Beitrag zu schreiben, hatte Sinan drüben auf seinem Kanal ein thematisch sehr ähnliches Video hochgeladen, das ich sehr empfehle!
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Nachtrag am 04.08.2023: hat also nur 6 Monate gedauert von Prognose
“AfD wählen, die daraufhin eine wesentliche, vielleicht die zweitstärkste Kraft im Bundestag wird“
bis zu:
( Statista hat ähnliche Daten). Ich hasse es, so schnell Recht bekommen zu haben Übrigens würden nicht nur 23% der Wähler die AfD wählen, 34%, ein ganzes Drittel, lehnt inzwischen zumindest deren Regierungsbeteiligung nicht mehr ab. Also, Wokaholics & Co., nur weiter so! “Absolute Mehrheit” is the limit!
]]>der letzte offene Laber-Thread (OLT 35) hat schon längst die 1.000 Kommentar-Marke passiert weil ich dachte, es sei der letzte und auch das Ende dieses Blogs auf dieser Plattform.
Wie Ihr seht, gibt es uns und auch den OLT noch – Totgesagte leben länger oder so… im Moment ist die Situation wo/wie/wann “es” weitergeht, nicht leicht überschaubar, aber da ich hier noch posten kann, gibt es heute einen neuen OLT für Euch
Also, setzt Euch, nehmt Euch ‘nen Keks und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Übermorgen stirbt das Jahr 2022 aber heute vor 96 Jahren starb Rainer Maria Rilke.
Für mich der größte Lyriker deutscher Sprache (dessen Nachlass kürzlich vom Marbacher Literaturarchiv erworben wurde und bald der Öffentlichkeit zugänglich sein wird :)) )
XII. Sonett
Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfende Geist, welcher das Irdische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.
Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte;
wähnt es sich sicher im Schutz des unscheinbaren Grau’s?
Warte, ein Härtestes warnt aus der Ferne das Harte.
Wehe -: abwesender Hammer holt aus!
Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
und sie fuhrt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt und mit Ende beginnt.
Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung,
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne
will, seit sie lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.
–R.M. Rilke
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und damit wünsche ich allen LeserInnen einen sanften und freudvollen Übergang ins neue Jahr, welches glücklicher sein möge, als das vergangene.
Ob und wie es hier weitergehen wird, weiß ich noch nicht. So oder so: wir sehen uns wieder… auf der anderen Seite!
]]>Obwohl die Strafverfolgung und Rechtsprechung in Deutschland eine hoheitliche Aufgabe darstellen, ist die Existenz der universitären forensisch-genetischen Labore nicht gesichert. Dies gipfelte jüngst in der geplanten Schließung des renommierten forensischen DNA-Labors des Instituts für Rechtsmedizin an der Berliner Charité, welche nur nach massiver Intervention aus Wissenschaft und Politik zu einer Schrumpfung und letztlich teilweisen Privatisierung des Labors abgewendet werden konnte.
Der Erhalt und die Erfüllung der vielfältigen Aufgaben der universitären Abteilungen für forensische Genetik ist an vielen Standorten zumindest mittelbar von der Zuweisung von Untersuchungsaufträgen durch Ermittlungsbehörden abhängig. Die Anwendung von EU-weiten Vergabeverfahren auf forensisch-genetische Analysen hat eine zentrale kostenbetonte Ausschreibung von sog. „Spurenpaketen“ zur Folge. Da die UFG als öffentliche Forschungseinrichtungen im privatwirtschaftlichen Wettbewerb nicht konkurrieren können, resultiert daraus zunehmend eine Beauftragung preisgünstigerer Privatlabore.
Neben hochwertigen Dienstleistungen garantieren die universitären forensisch-genetischen Labore wissenschaftliche Forschung und technologische (Weiter-)Entwicklung neuer und bestehender Methoden. Dabei bieten sie häufig auch komplexe und kaum automatisierbare Untersuchungsverfahren an, deren Implementierung sehr aufwendig ist, die jedoch entscheidend für Ermittlungen und die Aufklärung schwerster Straftaten sein können. Hierunter fallen spezielle Verfahren, deren Bereitstellung für ein Hochdurchsatzlabor in der Regel keinen finanziellen Anreiz bieten, wie z.B. die forensische DNA-Phänotypisierung[1], molekularbiologische Altersschätzung[2] (gem. §81 e Abs. 2 StPO), forensische RNA-Analyse[3] sowie Untersuchungen zum indirekten DNA-Transfer[4].
Sowohl die anwendungsbezogene Forschung, als auch die an der Berufsrealität ausgerichtete wissenschaftliche Aus-, Fort- und Weiterbildung beziehen ihre Anregungen und Orientierung aus den konkreten Fragestellungen des Rechtslebens und bedürfen zur Durchführung eines ausreichend großen und repräsentativen Untersuchungsumfangs an fallbezogenen Laboranalysen und Begutachtungen.
Die derzeitige Entwicklung führt zu einer Monopolisierung von DNA-Analysen in privater Hand und zu einem Herabwirtschaften der universitären Infrastruktur mit weitreichenden Folgen. So würde die wettbewerbsinduzierte Ausgrenzung der UFG-Labore von der Auftragsvergabe mittelfristig zu einem Stillstand in Forschung und Entwicklung, einem Mangel in der Lehre und in der Ausbildung von Nachwuchskräften und zu einem massiven Innovationsrückgang führen. Dies würde schlussendlich in reduzierten Möglichkeiten bei der Aufklärung von Straftaten und auf lange Sicht in einer Gefährdung der Rechtssicherheit münden. Ein konkretes Beispiel ist die unsichere Zukunft der wissenschaftlichen Y-Chromosom-Haplotyp-Referenzdatenbank (YHRD; https://yhrd.org), welche seit 2001 vom rechtsmedizinischen DNA-Labor der Berliner Charité kuratiert wurde. Diese einzigartige, kostenlos verfügbare Datenbank wird von den meisten Institutionen weltweit, die mit DNA-Merkmalen auf dem Y-Chromosom (z. B. Y-STR[5], Y-SNP[6]) arbeiten, genutzt, um eine zuverlässige Häufigkeitsschätzung für eine konkret nachweisbare Merkmalskombination zu ermöglichen. Nur auf einer solchen Basis können Sachverständige überhaupt eine wissenschaftlich begründete Aussage zum “Beweiswert” einer Spur-Person-Übereinstimmung für Polizei und Justiz liefern.
Wir, die Vertreter der Universitären Forensischen Genetik, möchten öffentlich auf diese besorgniserregende Situation aufmerksam machen. Ein weiterer Abbau bzw. Rückbau der rechtsmedizinischen Institute und universitären DNA-Labore muss im Sinne der Gewährleistung von Forschung, Ausbildung und Lehre, akademischen Kompetenzerhalt, sowie der Entwicklung neuer Technologien unbedingt verhindert werden. Die Lösungsansätze liegen auf der Hand: eine gesetzlich geregelte Bestandssicherung universitärer Abteilungen für Forensische Genetik sowie eine Änderung der Ausschreibungspraxis unter Einbezug von Wissenschaft und Forschung als Zuschlagskriterien und/oder eine Mindestanzahl von Laboruntersuchungen als garantierte Grundauslastung für die universitär angesiedelte Forensische Genetik.
Zur Klärung von Fragen und für weiterführende Gespräche stehen ausgewählte Vertreter der UFG gerne zur Verfügung.
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[1] DNA-Phänotypisierung erlaubt Rückschlüsse auf äußere Merkmale einer Person
[2] molekularbiologische Altersschätzung erlaubt Rückschlüsse auf das biologische Alter einer Person
[3] Die forensische RNA-Analyse wird eingesetzt, um Information über Tatumstände, z.B. den Entstehenskontext einer Spur zu gewinnen
[4] Indirekter DNA-Transfer bezeichnet die Übertragung von DNA einer Person durch eine andere Person oder mittels eines Gegenstandes auf eine weitere Person oder einen Gegenstand
[5] Y-STR: variabel ausgeprägte DNA-Abschnitte auf dem männlichen Y-Chromosom (sog. short tandem repeats)
[6] Y-SNP: variabel ausgeprägte DNA-Einzelbausteine auf dem männlichen Y-Chromosom (sog. single nucleotide polymorphisms)
]]>“dominant, Western knowledge”, “White systems of knowledge”, “co-existing different knowledge systems”, “Western statistics”, “White establishment backlash”, “White male supremacy”,
was allesamt Indikatorbegriffe / buzzwords aus der Critical Theory / Critical Social Justice-Ideologie sind [II].
Soweit mir bekannt ist, ist das der erste öffentliche Versuch woker Ideologen über eine unserer Zeitschriften in unser Feld vorzudringen. Aus diesem Grund hatte ich mich hingesetzt und einen Brief an den Herausgeber der Zeitschrift geschrieben und zur Veröffentlichung eingereicht, damit dieser gefährliche Unsinn nicht einfach unwidersprochen bleibt. Ich hatte auch einige Kollegen gefragt, ob sie sich an der Erwiderung beteiligen wollten, aber entweder fanden sie den Artikel nicht anstößig bzw. problematisch oder sie hatten nicht den Mut…
Der Brief wurde von Science and Justice nicht zur Veröffentlichung angenommen, bzw. “gecancelt” denn
nature, tone and manner in which your letter is presented does not appear to provide a constructive and balanced argument on which the discussion of decolonisation within the forensic science curriculum can be advanced and fostered
Über diese, v.a. in Anbetracht des völlig aberwitzigen Artikels, auf den ich geantwortet habe, absurde und heuchlerische Begründung mußte ich doch erheblich schmunzeln. Gewundert hat es mich aber nicht, ich schätze, daß die fast sämtlich aus England stammende Herausgeberschaft schon stramme Woke-Soldaten sind (sonst wäre der urspr. Artikel nie angenommen worden). Aus diesem Grund habe ich meinen Brief hier verfügbar gemacht und hier im Blog gibt es ihn nun in deutscher Übersetzung. Er beginnt mit folgendem Orwell-Zitat:
“Zu guter Letzt würde die Partei verkünden, daß zwei und zwei fünf ergibt, und man würde es glauben müssen. Es war unvermeidlich, daß sie diese Behauptung früher oder später aufstellte: die Logik ihrer Position verlangte es. Ihre Philosophie leugnete nicht nur die Gültigkeit der Erfahrung, sondern sogar die schiere Existenz der äußeren Realität.”
-G. Orwell, “1984”
Sehr geehrter Herausgeber,
ich schreibe Ihnen, um meine tiefe Besorgnis und mein Bedauern darüber zum Ausdruck zu bringen, daß der Artikel mit dem Titel “Approaches to decolonising forensic curricula” von A.S. Chaussée et al. in Science & Justice zur Veröffentlichung angenommen wurde, aber auch über den Inhalt und die offensichtlich ideologischen und aktivistischen statt wissenschaftlichen Absichten und Ziele dieses Artikels, der unangemessenerweise als “Bericht über die berufliche Praxis” kategorisiert wird, obwohl er keineswegs “die Zusammenarbeit zwischen Berufen, die die Ergebnisse von Ermittlungen oder der Strafjustiz verbessern; die Entwicklung und Umsetzung von Qualitätsstandards für die Forensik und den Tatort” oder “die Auswirkungen verfahrenstechnischer, politischer oder kultureller Veränderungen auf Mitarbeiter in operativen forensischen oder polizeilichen Umgebungen” (wie von Ihrer Zeitschrift gefordert) beschreibt.
Stattdessen wird ganz unverhohlen dafür geworben, postmodernistische Theorie (mit großem T) und Aktivismus zur Dekonstruktion des “Westens” in die MINT-Fächer im Allgemeinen und die Lehre der forensischen Wissenschaften im Besonderen einzubringen, für die ich im Folgenden nur die forensische Genetik und Molekularbiologie vertrete.
Zuerst einmal muß ganz deutlich darauf hingewiesen werden, daß die Autoren bzw. ihre Ideologie versuchen, ihren Adressaten einen postmodernistischen epistemologischen Relativismus aufzuzwingen, der sich aus der Standpunkttheorie [1] ableitet. Die Standpunkttheorie, die aus marxistischen Ideen und ihrer postmodernistischen Adaption hervorgegangen ist, geht davon aus, daß Autorität in individuellem Wissen und in der persönlichen Perspektive des Einzelnen verwurzelt ist. Ihre Befürworter bezweifeln, daß es eine objektive Wahrheit gibt, von der jedoch die meisten Wissenschaftler glauben, daß sie durchaus existiert, und daß die Wissenschaft in kleinen, stetigen Schritten, dabei hin und wieder Fehler machend und vom Weg abkommend, sich aber schließlich selbst korrigierend und auf den richtigen Weg zurückbringend, danach strebt, jener immer näher zu kommen. Indem die Autoren jedoch wissenschaftlich bewiesene oder überprüfbare Wahrheiten als “dominantes, westliches Wissen” oder gar “weiße Wissenssysteme” stigmatisieren, scheinen sie zu argumentieren, daß Wissen provinziell, wenn nicht gar willkürlich und inhärent politisch ist und daß es so etwas wie “meine Wahrheit” gibt, die genauso gut ist wie “Deine Wahrheit” (“koexistierende unterschiedliche Wissenssysteme”) und keine davon muß sich dabei an Fakten und Evidenz messen lassen (ironischerweise ist diese Form eines postmodernistsichen kulturellen Masochismus’ eine typisch westliche Ideologie, die von westlichen Denkern erfunden wurde, die stark von westlicher Philosophie durchdrungen waren). Ich persönlich kann mir nichts Spaltenderes, Unwissenschaftlicheres, Anti-rationaleres vorstellen, und auch nichts Gefährlicheres und Zersetzenderes für das öffentliche Vertrauen, insbesondere in die forensische Wissenschaft.
Diese Position wird auch von Baron und Ejnes widergespiegelt, die in einer kürzlich erschienenen Ausgabe des NEJM schrieben:
“In der Ära der sozialen Medien und der stark politisierten Wissenschaft wird die “Wahrheit” zunehmend von der Allgemeinheit bestimmt: Wenn genügend Menschen etwas mögen, teilen oder glauben, werden andere es als wahr akzeptieren. Diese Art der Wahrheitsfindung beruht nicht auf wissenschaftlichen Methoden […] und ist nicht unbedingt hilfreich dabei, festzustellen, ob ein Gebäude einstürzt, ob Ihre Bremsen Ihr Auto zum Stehen bringen – oder ob ein Medikament oder ein Impfstoff wirkt.” [2]
oder, in unserem Fall, ob die richtige Person für ein Verbrechen verurteilt wird oder nicht. Es ist offensichtlich, daß Chaussée et al. darauf abzielen, die Wissenschaft zu politisieren und die wissenschaftliche Epistemologie zu untergraben, indem sie einer Modeerscheinung des angewandten Postmodernismus folgen, die sich in Ländern wie den USA und Großbritannien in den Geisteswissenschaften bereits weit ausgebreitet hat und nun, wie die Autoren selbst erklären, auf die MINT-Fächer abzielt.
Sie sprechen sogar von “westlicher Statistik”, als ob es auch eine “nicht-westliche Statistik” gäbe, oder anstatt einfach “Statistik” zu sagen; in der Tat gehen einige Befürworter/Aktivisten der postmodernistischen Theorie ja sogar so weit, die Gültigkeit der Mathematik selbst in Frage zu stellen und sie als “kolonial”, “rassistisch” usw. zu bezeichnen [3], indem sie behaupten, daß “die Kultur der weißen Vorherrschaft sich im Mathematikunterricht zeigt, wenn von den Schülern verlangt wird, ‘ihre Arbeit vorzuzeigen'”, da dies “die Anbetung des geschriebenen Wortes verstärken würde” [4]. Manche schrecken nicht einmal davor zurück, ihre Axiome wie 2 + 2 = 4 als bloß ein weiteres “hegemoniales Narrativ” zu “dekonstruieren”. Das Orwell-Zitat zu Beginn meines Schreibens diente also nicht nur der Einstimmung, sondern soll auch daran erinnern, daß “1984” als Warnung nicht als Instruktion gelesen werden sollte.
Folgerichtig zitieren die Autoren dann auch eine Quelle, die dazu aufruft, “die Wissenschaften ganz abzuschaffen und neu anzufangen, als den einzig legitimen Weg zur Dekolonisierung”. Und während sie diese Position wohl als “extrem” anerkennen (nicht falsch, wohlgemerkt!), stellen sie jedoch die bloße Ablehnung dieser ganzen “Dekolonisierungs-” und “DtC”-Nummer als vergleichbar extrem dar, wie die “Abschaffung” der gesamten Wissenschaften, was natürlich absurd und höchst unaufrichtig ist.
Aus Passagen wie diesen wird deutlich, daß die Position, die Chaussée et al. vertreten, keineswegs auf Beweisen beruht, sondern ideologisch verwurzelt ist und sich stattdessen auf “Ideenwäsche” (engl. “idea laundering”*; z.B. “Weißheit” (engl. “whiteness”) usw.) stützt: Würde man sie fragen, ob sie überhaupt Belege für viele der expliziten Behauptungen und impliziten Annahmen in ihrem Artikel haben, z. B. daß Wissenschaft/STEM irgendwie “kolonialistisch” oder nicht “gerecht” (Anm. CC: im Original wurde “equitable” verwendet) oder ein Auswuchs “dominanten, westlichen Wissens” sei, würde ich erwarten, daß sie antworten, daß man gar nicht zu fordern habe, derlei vorzulegen, und daß die schiere Aufforderung selbst “kolonialistisch” sei und nur eine weitere Manifestation eines “White establishment backlash” oder eines “privilege preserving pushbacks“, der “White Talk” [5] und “kognitive Ungerechtigkeit” und was des Theorie-Jargons noch mehr ist, hervorbringe. Das macht ihre Position natürlich nicht nur unbeweisbar (was in der Kritischen Theorie eher als intellektuelle Tugend denn als Laster angesehen wird) und unanfechtbar, sondern erzeugt auch einen Zirkelschluss, der in vernünftigen und rationalen Auseinandersetzungen das Ende eines Arguments bedeuten würde.
So bleiben die Autoren in ihren Forderungen nach der Notwendigkeit einer Dekolonisierung der Geschichte der forensischen Wissenschaft, nach der Beseitigung der “weißen männlichen Vorherrschaft” und nach einem Ende der “Feier des Genies einzelner weißer Männer” auch eher vage, verweisen jedoch auf vermeintliche kolonialistische Sünden, Schriften und Haltungen von Pionieren der forensischen Wissenschaft, oder, wie sie es ausdrücken, “‘Väter’ der forensischen Wissenschaft, die blindlings als Protagonisten akzeptiert werden, ohne die Degenerationsbewegung darzustellen, die einen Großteil ihrer Arbeit motivierte”, wie Francis Galton und Hans Gross. Dies sollte nach Ansicht der Autoren untersucht oder “demontiert” werden, aber sie erklären nicht und liefern keine Beweise dafür, inwiefern dies für die Anwendung der von Galton, Gross und anderen Wissenschaftlern formulierten Grundsätze und entwickelten Methoden von Bedeutung wäre.
Ich hingegen würde behaupten, daß eine Idee, ein Konzept, ein Gedanke entweder richtig oder falsch ist. Rassistische Vorstellungen etwa sind nicht nur falsch, sondern geradezu absurd, weil es aus genetischer Sicht beim Homo sapiens keine Rassen, sondern nur unterschiedliches Aussehen oder Äußerlichkeiten gibt, und Äußerlichkeiten irgendeinen “Wert” zuzuschreiben oder daraus Vorurteile abzuleiten, ist offensichtlich aberwitzig. Was aber “kolonialistische” Konzepte/”Artefakte” sein sollen, bleibt im Dunkeln. Sind alle Konzepte aus der Kolonialzeit “kolonialistisch”? Und wer darf das nach welchen Kriterien entscheiden und warum sollten wir den Autoren und anderen postkolonialen Theoretikern in dieser Frage die Deutungshoheit zugestehen? Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß Ideen unabhängig von ihren Urhebern zu bewerten sind und auch, daß eine Idee eines Menschen aus der Kolonialzeit, egal ob er den Kolonialismus für gut oder schlecht hielt, nur richtig oder falsch sein kann, d.h. entweder sie funktioniert (z.B. STR-Profiling und Infinitesimalrechnung) oder nicht (z.B. Phrenologie und Homöopathie) und für den forensischen Lehrplan und für die Notwendigkeit, daß Studenten, bestimmte Ideen und Konzepte lernen, um als Forensiker arbeiten zu können, spielt es nicht die geringste Rolle, wer die zu lernende Idee hatte oder welche Vergehen oder welche seiner/ihrer Charakterschwächen eine kleinliche, exzessiv betriebene “Verfehlungs-Archäologie” ans Licht gebracht haben mag.
Bemerkenswert ist hier auch, daß die Autoren ein erhebliches Maß an Heuchelei an den Tag legen, da ihre eigene Ideologie und ein zentraler Gedanke jener Theorie, daß alles und jeder in einem imaginären System von Machtbeziehungen gefangen sei, auf den französischen Philosophen Michel “Macht-Wissen” Foucault zurückgeht, dessen postmodernistische Philosophie gesellschaftliche Machtstrukturen und Etiketten über Individuen und ihre Bemühungen stellt, und schließlich auf Karl Marx, also zwei entschieden weiße, westliche Männer von übler Reputation, von denen letzterer ein Rassist [6] und Antisemit [7,8] war und ersterer “kolonialistisch inspirierten” Kindesmißbrauch begangen hat und damit in die Fußstapfen von André Gide und anderen trat [9]. Beide wurden jedoch von den Befürwortern der Theorie offenbar nie als “dekolonialisierungsbedürftig” eingestuft. An solchen Auslassungen und Doppelstandards wird erkennbar, daß der postmodernistische Aktivismus nicht einfach eine neue moralische Vision entwirft, sondern versucht, dem Westen eine politische Vision aufzuzwingen, in der nur bestimmte Figuren (,die der Westen gefeiert hat, ) zu Fall gebracht werden, während jene Figuren, die den westlichen Kulturtraditionen am kritischsten gegenüberstanden, von derselben Behandlung verschont bleiben.
All das zusammengenommen ist aus meiner Sicht als Hochschullehrer für eine forensische Wissenschaft der Grund, aus dem, wie die Autoren sich anscheinend fragen, “sich die forensische Wissenschaft nicht stärker an Dekolonialisierungsdebatten beteiligt”: Wir haben Wissenschaft statt Ideologien zu lehren und keine Zeit für solchen Unsinn.
“Es ist in der Regel zwecklos, Menschen, die in ihrer Unwissenheit das Gefühl moralischer Überlegenheit genießen, Fakten und Analysen zu vermitteln.”
– Thomas Sowell
Disclaimer: Es sollte (kann aber heutzutage wohl nicht) selbstverständlich sein, daß nichts von dem, was ich geschrieben habe, in Frage stellt, daß Rassismus und Überbleibsel des Kolonialismus oder besser kolonialistische Attitüden immer noch existieren, immer noch als ein Problem angesehen und mit geeigneten Maßnahmen, wo immer möglich, angeprangert, bekämpft oder neutralisiert werden sollten. Es gibt jedoch keinerlei Belege dafür, daß ein zynischer Postmodernismus, kritische XYZ-Theorien, der Krieg gegen “den Westen” und die Ideen der Aufklärung oder irgendetwas in dieser Art in dieser Hinsicht hilfreich sind, während es im Gegenteil zahlreiche Belege dafür gibt, daß sie schädliche Auswirkungen haben.
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* idea laundering: Ideen (von denen einige sogar einen wahren Kern haben können) als Wissen ausgeben, als ob diese Begriffe Tatsachen über die Welt und die soziale Wirklichkeit beschreiben würden, mit dem Ziel, sie zu kanonisieren. Idea laundering beginnt oft damit, daß ein aktivistischer Wissenschaftler Gleichgesinnte um sich schart, die dann eine akademische Zeitschrift gründen, in deren Mittelpunkt diese Idee steht. Andere Wissenschaftler veröffentlichen in dieser oder einer ähnlichen Zeitschrift und zitieren sich dann gegenseitig in einer Art Echokammer. Eine Idee wie “whiteness” geht dann auf der einen Seite hinein und kommt auf der anderen Seite als “Wissen” heraus. Aktivisten können dann auf eine Reihe “wissenschaftlicher” Artikel in ideologisch homogenen begutachteten Zeitschriften verweisen, um zu rechtfertigen, daß sie dieses “Wissen” an Studenten weitergeben, damit diese die so ‘gewaschenen’ Ideen dann ihrerseits weiter verbreiten.
Referenzen zum Brief
[1] G. Pohlhaus, Knowing communities: An investigation of Harding’s standpoint epistemology, Social Epistemology 16 (2002) 283–293. https://doi.org/10.1080/0269172022000025633.
[2] R.J. Baron, Y.D. Ejnes, Physicians Spreading Misinformation on Social Media – Do Right and Wrong Answers Still Exist in Medicine?, N. Engl. J. Med. 387 (2022) 1–3. https://doi.org/10.1056/NEJMp2204813.
[3] A pathway to equitable math instruction, 2021. https://equitablemath.org/?utm_medium=email&utm_source=govdelivery (accessed 5 August 2022).
[4] A pathway to equitable math instruction: Dismantling Racism in Mathematics Instruction, 2021. https://equitablemath.org/wp-content/uploads/sites/2/2020/11/1_STRIDE1.pdf (accessed 5 August 2022).
[5] A. Bailey, ‘White Talk’ as a Barrier to Understanding Whiteness, in: G. Yancy (Ed.), White Self-Criticality beyond Anti-racism: How Does It Feel to Be a White Problem?!, Lexington Books, 2014, pp. 37–57.
[6] N. Weyl, Karl Marx, racist, Arlington House, New Rochelle, N.Y., 1980.
[7] K. Marx, “Zur Judenfrage” (1844), in: Säkularisierung, Suhrkamp, 2020, Berlin, 2020.
[8] H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Von d. Verf. übertr. u. neubearb. Aufl., Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/M., 1957.
[9] M. Campbell, The Sunday Times “French philosopher Michel Foucault ‘abused boys in Tunisia” (28 March 2021 (accessed online 29 July 2022)).
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Referenzen zum Artikel:
[I] Chaussée, A. S., Winter, J., & Ayres, P. (2022). Approaches to decolonising forensic curricula. Science & Justice.
[II] Pluckrose, H., & Lindsay, J. A. (2020). Cynical theories: How activist scholarship made everything about race, gender, and identity—and why this harms everybody. Pitchstone Publishing (US&CA).
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Hat Spaß gemacht Schon angehört? Wie fandet Ihr’s?
]]>In der Folge geht es um das Phantom von Heilbronn und ich liefere die forensisch-genetische Expertise zum Thema. Weitere Gäste sind der Kriminalist Axel Petermann und der Journalist Helmut Buchholz von der Heilbronner Stimme.
Falls sich das jemand ansieht, gerne mal hier berichten, wie Ihr es fandet.
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Bildquelle: Grafik / Zeichnungen: Ulrike Käcker
]]>Und den Pinnökel:
und das Lincoln Memorial vor dem Reflektierbecken:
Der Kongress fand in einem riesigen Hotel statt, das über vier gewaltige Untergeschosse verfügt, wo ausreichend Platz für die Hauptveranstaltung mit >700 Delegierten, verschiedene Workshops, die Industrie-Aussteller und die Posterwände (es gab über 200 Stück) war. Über die Einrichtung / Farben dort läßt sich sicher streiten, aber was wirklich richtig mies war und auch allenthalben einen recht schlechten Eindruck hinterlassen hat, war das Catering für unsere Tagung: in den Kaffeepausen gab es, wenn man Glück hatte, gearde soviel eines brackwasser- und kernbrennelementkühlflüssigkeitsartigen, nur sehr entfernt kaffeeähnlichen Heißgetränks, daß jeder einen Pappbecher davon bekommen konnte (einige Leute sind stattdessen zum Starbucks im Erdgeschoss gegangen (ja, den gab’s) und haben viel Geld bezahlt, um wenigstens irgendwas, ggf. sogar Kaffee, zu trinken zu bekommen). Und zum Mittagessen gab es Pappkartons mit ‘ner Stulle, ‘nem Apfel, ‘ner kleinen Tüte Chips und ‘ner Büchse Pepsi drin. Alles wirkte knauserig und abgezählt und sehr sehr ungastlich, kein (!) Vergleich etwa zu Prag.
Aber ich war da ja nicht zum essen, sondern um was zu lernen (habe einen DNA-Transferworkshop besucht), Forschung zu präsentieren und mir die Forschung der Kollegen präsentieren zu lassen. Und so war auch meine Kölner Gruppe (inzwischen schon über ein Jahr!) mit insgesamt 4 Präsentationen (von 4 Leuten) sehr gut vertreten, wir hatten Poster zu drei Projekten:
und einen Vortrag:
Es gab natürlich wieder viele interessante Vorträge und Poster, allerdings fand ich die Schwerpunkte dieses Kongresses weniger ansprechend als in den Vorjahren, da es viel um genetische Herkunft (Ancestry) und Abstammung (Paternity) ging und weniger um Spurenkontextualisierung, wie RNA-Analyse, DNA-Transfer etc. was ich ja persönlich spannender finde.
Besonders interessant fand ich daher einen Vortrag zum Einsatz von Bayes-Netzwerken (BN) in Fällen, in denen auch die Identifikation von Körperflüssigkeiten (was, wie geneigte Leser wissen, eines meiner eigenen Forschungsinteressen ist) eingesetzt wird. BN werden im Moment häufig genutzt, um alternative Erklärungen zum Zustandekommen von Spurenbildern unter Einbeziehung von möglichen DNA-Transferereignissen darzustellen und mathematisch zu vergleichen. Das Prinzip läßt sich auch auf Aussagen zum Vorhandensein (oder Fehlen) von bestimmten Spurenarten ausweiten. Im Gegensatz zu den bisher üblichen binären Aussagen (z.B.: Sperma-Vortest war positiv, Spur enthält also Sperma) kann der Einsatz von BN nun eine probabilistische Aussage zur Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ergebniskonstellation (positive Vortests, bestimmte DNA-Menge in Spur etc.) unter Annahme einer bestimmten Hypothese (“Es gibt Sperma in der Spur” vs. “Es gibt eine unbekannte Substanz in der Spur”) ermöglichen [1]. Die Gruppe hat sogar eine App programmiert, mit der man solche Berechnungen durchführen kann. Schaue ich mir auf jeden Fall näher an.
Ein thematischer Schwerpunkt mit fünf Präsentationen, dessen Teil auch Jans Vortrag war, war die forensische Altersschätzung anhand der Analyse von Methylierungsmustern. Hier ging es unter anderem um die Vielfalt der Methoden, ihre Vergleichbarkeit und Einschränkungen und ihre Anwendung auf Material von Leichen und Hautproben. Außerdem wurde eine ziemlich futuristisch anmutende “Micro-Fluidic”-Variante (genannt “µCD”) zur schnelleren und effizienteren Durchführung solcher Untersuchungen vorgestellt. Seid Methylierungsanalyse zur Altersbestimmung auch von meinem eigenen Labor durchgeführt wird (seit ich in Köln bin nämlich), interessiere ich mich natürlich noch mehr dafür und sehe mich auch immer gerne nach möglichen Verbesserungen, Erweiterungen oder anderen Modifikationen um.
Faszinierend fand ich einen Vortrag aus München, der sich mit modernen forens.-genetischen Methoden zur Identifikation von mehr als 1 Mio. gefallener deutscher Soldaten (WWII) befasste, die nicht mehr anhand ihres Militärabzeichens identifiziert werden konnten, das die deutschen Soldaten damals trugen. Zu diesem Zweck wurde sogar eine neue Datenbank, die “German Genetic Database of Fallen Soldiers” gegründet. Anhand forensischer DNA-Phänotypisierung und der Schätzung der biogeographischen Herkunft anhand paternaler und maternaler Marker können heute solche Identifizierungen noch immer gelingen. Bei solchen Untersuchungen kann auch ein Tool helfen, das in einem weiteren Vortrag vorgestellt wurde [2], denn um männliche Abstammungslinien zu rekonstruieren, muß man den nächsten gemeinsamen Vorfahren durch Analyse von Y-chromosomalen STR-Systemen schätzen und mit dem Tool der Gruppe aus Leuven geht das jetzt deutlich besser.
Ein besonderes Schmankerl war natürlich die “Special Session: OJ Simpson Trial Panel”, in der ein paar der originalen Verfahrensbeteiligten, darunter Rockne Harmon ,der damals Staatsanwalt war und die Sachverständigen Robin Cotton (DNA) und Bruce Weir (Biostatistik) zusammen mit einem ehem. US-Richter (Christopher Plourd) über den Fall diskutierten. Es ist mehr als 25 Jahre her (1995), dass O.J. Simpson vom Mord an seiner Ex-Frau und deren Freund freigesprochen wurde und doch bleibt dieser Fall einer der berüchtigtsten Strafprozesse in der amerikanischen Geschichte (weil alles dafür spricht, daß Simpson den Mord begangen hat und zivilrechtlich ja auch deshalb verurteilt wurde). Dieser “Jahrhundertprozess” hat dazu beigetragen, Kriminologie und forensische Wissenschaft ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, sowie die Art und Weise, wie Geschworene und forensische Experten mit DNA als Beweismittel vor Gericht umgehen, nachhaltig verändert und gleichzeitig die Notwendigkeit verbesserter Maßnahmen für den Umgang mit Beweismitteln am Tatort und im Labor ans Licht gebracht. Bei der Panel-Diskussion kam natürlich nichts Neues heraus, aber es war sehr spannend und interessant, den Fall noch einmal in der Darstellung der Teilnehmer präsentiert zu bekommen.
Einen Vortrag fand ich hingegen nicht nur fehl am Platze sondern regelrecht ärgerlich: “Ethics as Lived Practice: Anticipatory capacity and ethical decision- making in forensic genetics“. Die britische Sprecherin dozierte mit einer Attitüde ziemlich unappetitlicher, woker Selbstgerechtigkeit von oben herab, daß die forensische Genetik ja ganz toll und wichtig sei, ABER häufig von uns nur “dünne Ethik” (= kurzsichtige Fokussierung auf Verfahren und die Betrachtung von Privatheit als einziges ethisches Anliegen und Technologie als bloßes Werkzeug) praktiziert werde und Ethik bei uns nicht oft genug “gelebte Praxis” sei. Belege dafür blieb sie schuldig, wie auch Ideen, wie man ihre persönlichen Vorstellungen einer ausreichend “dicken” (?) Ethik mit unserer sowieso schon viel zu knapp bemessenen Zeit und hohen Arbeitslast vereinbaren soll, die dazu führt, daß nur ein Bruchteil der Kollegen in der forensischen Genetik überhaupt zum Forschen kommt. Super nervige und übergriffige Nummer, fanden auch alle Kollegen, die ich auf den Vortrag ansprach >:-(
Bei der Hauptversammlung der ISFG-Mitglieder am Donnerstagabend schließlich wurde unter anderem nicht nur Peter Schneider fast einstimmung für gleich zwei Ämter gewählt :’-( , es wurde auch der Veranstaltungsort der ISFG Tagung 2026 bestimmt (2024 stand schon fest, da werden wir nach Santiago de Compostela gehen und nein, ich werde nicht den “Camino machen”). Beschämenderweise hatte die ISFG die Bewerbung Dubais akzeptiert und mithin ernsthaft erwogen, dort, wo man Menschenrechte nur als männlicher, heterosexueller, moslemischer Araber genießt, wo es, wie auch in Katar, Beispiele moderner Sklaverei gibt und wo Homosexualität verboten und mit Haftstrafe bedroht ist (s. auch Reisewarnung des ausw. Amtes) unseren Kongress stattfinden zu lassen. Ach ja, bevor das jetzt einer behauptet: Frauen sind dort nicht gleichgestellt, nur weil sie Autofahren und ein Geschäft gründen dürfen. Ich zitiere (und übersetze) mal:
Häusliche Gewalt ist in den VAE legal, weil der Islam es einem Ehemann erlaubt, seine Frau und minderjährige Kinder zu züchtigen oder zu disziplinieren. Leider nimmt die Polizei die Anzeigen von Frauen, die sich an die Polizei wenden, nicht immer ernst, weil sie als häusliche Privatangelegenheit betrachtet werden. Ehefrauen sind verpflichtet, ihren Ehemännern zu gehorchen. Vergewaltigungsopfer, die um Unterstützung bitten, können wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs angeklagt werden, was in den VAE illegal ist und unter Strafe gestellt wird.
Reizend, nicht wahr? Der perfekte Ort für einen Kongress, gell? Das andere Angebot kam aus Montreal und zum Glück stimmten die Delegierten mit überwältigender Mehrheit für die schöne Stadt im Osten Kanadas; ich freue mich schon darauf, in vier Jahren dorthin zu reisen (nach Dubai wäre ich nämlich nicht gegangen).
Sehr gut hat mir aber das Motto des Kongresses “In Science We Trust” gefallen, das nicht nur inhaltlich richtig ist, sondern in einem Land wie den USA sicher auch mit politischem Spin gedacht worden war.
Und in zwei Jahren, vorausgesetzt es passiert / eskaliert nicht wieder irgendwas, geht es dann zum 30. Jubiläum unseres Kongresses, wie erwähnt, in den Nordwesten von Spanien nach Santiago de Compostela. Freu mich schon drauf
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Referenzen:
[1] Samie, L., Champod, C., Delémont, S., Basset, P., Hicks, T., & Castella, V. (2022). Use of Bayesian Networks for the investigation of the nature of biological material in casework. Forensic Science International, 331, 111174.
[2] Claerhout, S., Vanpaemel, S., Gill, M. S., Antiga, L. G., Baele, G., & Decorte, R. (2021). YMrCA: Improving Y‐chromosomal ancestor time estimation for DNA kinship research. Human Mutation, 42(10), 1307-1320.
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Zum ersten Mal sprach ich 2010 am Flughafen in Zürich mit ihm, als ich noch ziemlich neu im Feld war und so wie er gerade vom Spurenworkshop zurückkam. Ich wußte noch wenig, kannte noch niemanden, niemand kannte mich und natürlich war Peter nett, geduldig und freundlich, gab mir gute Ratschläge und nahm sich Zeit für mich (seinen “neuen Nachbarn” in Bonn, wo ich ja damals arbeitete). 11 Jahre (und viele Gespräche und Begegnungen) später dann begrüßte er mich herzlich in “seiner” Abteilung, die er bald mir überlassen würde, wenn er in den wohlverdienten Ruhestand ginge.
Peter war, seit ich mich erinnern kann, immer so eine Art graue Eminenz im Feld der forensischen Genetik, das er durch wirklich unermüdliche ehrenamtliche Tätigkeit in Kommissionen, Gesellschaften, Vereinen etc. (zusätzlich zu seiner Arbeit in der Rechtsmedizin) ganz entscheidend mitgeprägt und zu seiner Fortentwicklung und der Mehrung seines Ansehens beigetragen hat. Dafür können wir ihm nicht genug danken.
Ich habe Peter sehr geschätzt, als Wissenschaftler, als Kollegen aber auch als Menschen; ich mochte seine Freundlichkeit und Zugewandtheit, schätzte seine Integrität und Kompetenz und seit ich von seiner schweren Erkrankung wußte, habe ich ihn für seine Willenskraft, Contenance und seine absolut stoische Würde im Umgang damit und mit den immer größeren Einschränkungen, die er erdulden mußte, und den eher trüben Aussichten auch bewundert. Bis zuletzt leitete er Workshops (dieses Frühjahr noch; er vertrat, noch gezeichnet von der Therapie seiner eigenen Erkrankung, sogar spontan einen Kollegen, der krankheitshalber ausgefallen war), reiste und betreute seine Doktoranden (obwohl er längst Pensionär war). Man kann sagen, daß er seine Arbeit, das Fach und den Austausch mit Kollegen auf der ganzen Welt liebte und (zumindest zu einem nennenswerten Teil) auch dafür lebte. So wundert es nicht, daß er von Kollegen weltweit geachtet, geschätzt und respektiert wurde und vielen von ihnen in jahrelanger Freundschaft verbunden war.
Peter las auch mein Blog, was mich natürlich geehrt hat und hat sogar gelegentlich kommentiert, z.B. zu diesem heißen Thema. Selbst da blieb er freundlich, ich habe ihn auch nur ganz selten mal genervt erlebt, z.B. wenn er für das e-book “Acupuncture” um einen wissenschaftlichen Beitrag gebeten wurde. Und Peter so:
“[…] Do you really believe that a serious scientist would waste an article on this dubious project? Please leave me alone with your book project!”
Ich hab’ es gefeiert
Nun bin ausgrechnet ich, der ehemalige Außenseiter, der eher zufällig in die forensische Genetik stolperte, sein Nachfolger in Köln. Ich bin mir der großen Fußstapfen, die er hinterlassen hat, natürlich bewußt. Ich glaube, ich werde auch gar nicht erst versuchen, darin zu gehen, sondern meinen eigenen Pfad zu bahnen, mich dabei aber an Peters Spur und Vorbild zu orientieren und davon leiten zu lassen.
Am 08.09.2022 ist er mit 67 Jahren nun viel zu früh gestorben und er wird uns allen, jedem, der ihn kannte, Freunden, Mitarbeitern und Kollegen und vor allem unserem Fach schrecklich fehlen und ganz sicher unvergessen bleiben!
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Nachtrag am 08.09.2023: Heute jährt sich Peters Tod zum ersten Mal. Die Betroffenheit über und Anteilnahme an seinem Tod in der gesamten auch internationalen forensisch-molekularbiologischen aber auch rechtsmedizinischen Community war enorm! Wir hier in Köln hatten am 31.05. dieses Jahres, Peters Geburtstag, ein “Peter Schneider Symposium” veranstaltet, das neben der Nachwuchsförderung (wir haben Workshops für junge Wissenschaftler angeboten) und dem wissenschaftlichen Austausch und Vorstellung neuer Ergebnisse – beides war Peter immer sehr wichtig gewesen – auch dem Andenken an Peter und sein Lebenswerk sowie dem Austausch von Geschichten und Erinnerungen an ihn und Momente mit ihm diente. Es kamen Gäste aus der ganzen Welt, die weiteste Anreise war von Australien! Eminenzen wie Peter Gill und Angel Carracedo und sogar Peters Doktorvater, Christian Rittner (inzwischen > 80 Jahre alt), trugen Vorträge bei. Auch seine engsten Familienmitglieder gaben uns mit ihrer Anwesenheit die Ehre, was uns ganz besonders gefreut hat und so war das Ganze eine besonders schöne, warme und auch wissenschaftlich erfolgreiche Veranstaltung.
Aber auch die ISFG hat Peters kürzlich erst bei ihrer “2023 Summer School” mit einer “Online Tribute Session” gedacht:
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Viele Grüße aus dem (lange ersehnten) Urlaub! Ich war schon in San Francisco, wo ich unter anderem viel Cable Car gefahren bin,
weil die Straßen da so steil sind (s. Titelbild). Heute melde ich mich kurz aus Las Vegas, ja, von hier:
Ist ein toller Urlaub bisher, was vor allem an den Nationalparks liegt, die ich schon besucht habe (Yosemite, Grand Canyon, Valley of Fire):
Die Natur dort ist unbeschreiblich schön und hat mir überwältigende, unvergessliche Erlebnisse und Anblicke geboten :’-)
Dies nur als kleines Lebenszeichen. Morgen verlasse ich Las Vegas und fahre wieder in die Natur (endlich)! Von der Tagung in Washington berichte ich dann später!
Bis dahin macht’s gut!
]]>der letzte offene Laber-Thread (OLT 34) hat schon längst die 1.000 Kommentar-Marke passiert und lädt nur noch schwerfällig. Also gibt es heute einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch in ‘ne Eiswanne, nehmt Euch ‘n Calippo und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Im August werden wir übrigens den 29. ISFG-Weltkongreß Washington besuchen
Agent Orange ist abgewählt (was ich mir ja als Vorbedingung gesetzt hatte, als ich von der letzten Tagung in Prag erzählt hatte, um die USA überhaupt zu betreten) und inzwischen ist es August, ich habe endlich Urlaub und morgen geht es es also wirklich los, Richtung Westen. Also ganz weit Richtung Westen, genaugenommen sogar an die Westküste der USA, denn vor Washington will ich ein bißchen echten Urlaub machen, so mit planschen im Pazifik, rumfahren in einer Spritschleuder, Einkaufen in Chinatown, Bäume und Berge angucken und raufklettern in Nationalparks und Spare Ribe essen in nem Trucker-Imbiss am Highway. Und so.
Danach geht es dann den halben Weg zurück nach Washinton zur Tagung, von der ich natürlich berichten werden. Wenn ich kann, heißt das, denn die USA sind ja doch momentan ein wenig ungemütlich, so mit der Abtreibungsdebatte und -protesten, den noch stärker verwässerten Waffengesetzen, den ganzen Trump-Fundies auf 180 und “Civil War 2.0” brüllend (nach der FBI-Razzia in dessen Bude), den brennenden Nationalparks… und Krieg und Pandemie ham wir ja auch noch…
Egal jetzt. Ich freue mich sehr darauf. Und schön isses da (trotz mancher Menschen) ja offenbar nun wirklich!
So long! Ich schreib Euch später!
]]>Heute vor 272 Jahren starb Johann Sebastian Bach und darum ist er unsterblich:
Der Kommentarbereich darf sehr gerne als interaktiver Konzertsaal aufgefasst werden, in dem Ihr, liebe Leser, präsentieren könnt, warum Bach für Euch unsterblich ist
]]>Beginnen wir mit der Gegenwart. Was wollte ich überhaupt in Halle? Da habe ich die 17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Abstammungsbeobachtung DGAB besucht (von der 12. in “Bielefeld” hatte ich mal ausführlicher berichtet). In Halle war ich übrigens auch schonmal und zwar zum 33. Spurenworkshop (auch davon gab es damals einen Bericht). Als Sachverständiger für Abstammungsbegutachtung muß man sich zum Kompetenzerhalt regelmäßig fortbilden, wozu auch der Besuch solcher Tagungen gehört, weswegen es wichtig ist, dort teilzunehmen, auch wenn, wie ich schonmal beschrieben habe, diese Tagungen „naturgemäß nicht das wissenschaftliche Niveau haben […], wie etwa die ISFG-Tagungen“ oder der Spurenworkshop. Dennoch war es interessant, zudem ist es immer nett und hilfreich, Kollegen, insbesondere nach langer online-only-Phase, persönlich treffen und sprechen zu können und außerdem ist Halle (gerade im Sommer) eine schöne Stadt und allemal einen Besuch wert: wenn man da ist, kann man z.B. Hallorenkugeln essen, ein Selfie mit Händel machen
oder gleich seinen Besuch so abpassen, daß man zu den Händelfestspielen kommt.
Die letzten Wochen waren durch verschiedene Reisen etwas zerstückt, seit heute geht es normal und hoffentlich etwas ruhiger weiter in der Rechtsmedizin Köln, wo ich, was ich fast nicht glauben kann, jetzt schon mehr als ein halbes, fast ein dreiviertel Jahr lang arbeite. Mir geht und gefällt es dort (noch immer) gut. Ich bin inzwischen mit den Prozessen und Abläufen besser vertraut, habe schon bestimmte Anpassungen vorgenommen, die erste Akkreditierungsüberwachung ist auch bereits gut überstanden (wir werden den Umfang unserer akkreditierten Verfahren deutlich erweitern können) und bis auf daß wir für die Leute, die wir in meiner Abteilung sind, doch etwas arg viel zu tun haben, ist eigentlich alles bestens. Ich mag das Institut, meine Abteilung und mein Team, naja und Köln ist eben meine Stadt und ich bin hier zu Hause.
Auch die Forschung läuft indes auf Hochtouren und ich muß Euch dringend mal auf den neuesten Stand meiner Projekte bringen, bei denen, wir Ihr sehen werdet, es einen deutlichen Schwerpunkt auf RNA gibt:
Im August werden wir übrigens den 29. ISFG-Weltkongreß Washington besuchen, wo wir auch ein paar der oben erwähnten Projekte präsentieren werden. Ich muß allerdings sagen, daß, obwohl ich mich natürlich auf den Kongreß und auch ein paar Ferientage dort freue, ich auch mit etwas Sorge in Richtung USA blicke, die ich derzeit auf einem verheerenden Pfad sehe, auf dem die Abwahl Trumps womöglich nur eine temporäre Verlangsamung, andere würden sagen: Öl ins Feuer ist: nicht nur ist es überaus erschreckend, was derzeit das Komitee zum versuchten Staatsstreich und den mörderischen Folgen am 6.1.21 herausarbeitet, auch die finstere Saat, die Trump als Morgengabe für die Stimmen der Fundamentalchristen im Supreme Court gesät hat, ist aufgegangen: nicht nur hat dessen konservative Mehrheit, obwohl das Blut des letzten Schulmassakers noch nicht getrocknet ist, soeben das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit zum Grundrecht und damit alle gesetzlichen Einschränkungen (in Staaten wie Kalifornien und New York) davon als nichtig erklärt, er hat, wie von mir schon befürchtet, tatsächlich auch das seit 50 Jahren anerkannte Grundrecht auf Abtreibung gekippt und damit die Rechte vieler Millionen Amerikanerinnen empfindlich beschnitten, was ich für eine schlimme Schande und einen unbeschreiblichen Skandal halte, u.a. weil Abtreibungsverbote völlig offensichtlich religiös motiviert sind, die Trennung von Religion und Staat aber in den USA zentrales Element der Verfassung ist. Das Land entwickelt sich mithin immer mehr zu einem an zahllosen gesellschaftlichen, politischen, sozialen und ideologischen Fronten bitter und unversöhnlich geteilten und zusehends instabilen Zwei-Phasengemisch, voller radikalisierter, vollständig epistemiologisch abgeschotteter und dabei gewaltbereiter, waffenstarrender „Patrioten“ und sonstiger Fundamentalisten, das, so mein Eindruck, jederzeit auseinanderfallen bzw. in einen offenen, gewalttätigen Konflikt abgleiten kann und ich hoffe wirklich, daß ich den Trip ohne Schußwunden überlebe…
Neben RNA (und Schußwaffen) habe ich mich aber auch weiter mit DNA-Transfer beschäftigt – da kommt man einfach nicht mehr drum herum. So war ich erst kürzlich in Mainz, wo ich im Rahmen einer Fortbildungsreihe einen Vortrag gehalten und an einer Podiumsdiskussion teilgenommen habe, und wo im Kollegenkreis dieses komplexe und durchaus kontrovers aufgefasste Thema bearbeitet wurde. Es geht vor allem um die Frage, wie man damit bei Gericht umgehen soll, wie weitreichend man sich als Sachverständiger äußern sollte und ob man bei der derzeitigen Daten- und Erkenntnislage bezifferte Wahrscheinlichkeiten zur Enstehung bestimmter Spurenbilder bei Annahme alternativer Hypothesen anbieten sollte (meine Meinung: auf keinen Fall!). Auch in Deutschland gibt es inzwischen Empfehlungen und Leitlinien, wie man als Sachverständigen in Gutachten und bei Gericht Betrachtungen auf Aktivitätenebene, also zum Entstehungskontext (und eben nicht der Quelle) einer Spur, vornehmen und daß man sich nicht mit „kann man nicht ausschließen, mehr kann man nicht dazu sagen“ begnügen sollte [1,2].
Für eine Revision in einem Mordfall, mit der sich der BGH zu befassen hatte und in dem es auch um Betrachtungen zu indirektem DNA-Transfer als möglicher Mechanismus zur Spurenentstehung ging, weshalb der BGH mich noch zu Kieler Zeiten um ein Gutachten in der Sache gebeten hatte, ist vor Kurzem das Urteil ergangen. Der BGH hat darin, u.a. unter Bezugnahme auf mein Gutachten, das Urteil des Landgerichts Cottbus aufgehoben (kann man hier nachlesen). Das Landgericht hatte zuvor einen Angeklagten vom Vorwurf des Mordes und des Raubes mit Todesfolge freigesprochen. Daraufhin hatte der Generalbundesanwalt eine Revision der Staatsanwaltschaft vertreten, die sich auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt hatte.
Aber DNA-Transfer bleibt auch darüber hinaus ein ständiges Thema und immer mehr Kollegen haben regelmäßig bei Gericht damit zu tun. Ich habe mir dafür bzw. für eine inzwischen zusehends häufiger zu beobachtende Strategie bei Gericht den Begriff „die Silberkugel der Transferbehauptung“ ausgedacht, die inzwischen fest zum Standardarsenal vieler Strafverteidiger gehört. Man kann immer einmal versuchen, diese Kugel in die Hypothese der Anklage zur Entstehung einer belastenden Spur zu schießen und zu schauen, ob sie umfällt. Aus Sicht der forensischen Genetik, deren Ziel es ist, zur Wahrheitsfindung durch Aufklärung des Entstehenskontexts biologischer Spuren anhand physikalischer Evidenz beizutragen, brauchen wir wirklich dringend mehr und bessere Forschung, um (indirekten) DNA-Transfer postulierende Hypothesen besser und zuverlässiger bewerten zu können, als es im Moment möglich ist. Wir hatten dazu schon ein Review und eine Arbeit beigetragen [3,4], ich schließe aber nicht aus, daß wir uns auch auf diesem wichtigen Gebiet noch an der Forschung beteiligen werden.
Ach ja, auch für’s Fernsehen habe ich wieder einmal was gemacht, diesmal für die Sendung “Verbrechen von nebenan“. Kennt das jemand? Da muß es wohl auch einen Podcast zu geben (ich sehe und höre sowas ja nicht). Ich kannte das jedenfalls nicht, fand es aber ganz nett dort. Es war eine recht aufwendige Produktion, so mit Maske, Kostüm, mehreren großen Kameras, komplexer Beleuchtung etc. und ich bin gespannt, wie am Ende die fertige Sendung aussieht. Man hat mir gesagt, daß das so ab September irgendwann gesendet werden soll, ich sage Bescheid, wenn ich mehr weiß…
Stay tuned
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Referenzen:
[1] Vennemann, M., Oppelt, C., Grethe, S., Anslinger, K., Fimmers, R., Schneider, H., … & Schneider, P. M. (2021). Möglichkeiten und Grenzen der forensischen DNA-Analyse unter dem Gesichtspunkt verschiedener Szenarien zur Spurenentstehung. Rechtsmedizin, 31(5), 395-404.
[2] Förster, R., Vollack, K., & Zimmermann, P. (2022). Mögliche indirekte Übertragung von DNA-Spuren. Rechtsmedizin, 1-7.
[3] Gosch, A., & Courts, C. (2019). On DNA transfer: the lack and difficulty of systematic research and how to do it better. Forensic Science International: Genetics, 40, 24-36.
[4] Gosch, A., Euteneuer, J., Preuß-Wössner, J., & Courts, C. (2020). DNA transfer to firearms in alternative realistic handling scenarios. Forensic science international: genetics, 48, 102355.
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]]>der letzte offene Laber-Thread (OLT 33) hat schon längst die 1.000 Kommentar-Marke passiert und lädt nur noch schwerfällig. Also gibt es heute einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch, nehmt Euch eine Virgin Colada und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>besorgniserregenderweise vielerorts und auf der Welt wieder erstarkende Tendenzen zur Regression ins Mittelalter, zum Sturmlauf auf Grundrechte und zur Abwicklung von Frauenrechten […] auch wieder/immer noch in den USA, wo es durch Einführung neuer gesetzlicher Regelungen religiösen Fundamentalisten in einigen Bundesstaaten gelungen ist, Abtreibungen praktisch fast unmöglich zu machen,
festzustellen seien. Nach Texas und Mississippi hat nun gerade Oklahoma fundamental-rechts überholt und sich das schärfte Abtreibungsgesetz der USA gegeben:
Das Gesetz verbietet Abtreibungen mit nur sehr wenigen Ausnahmen, etwa zur Rettung des Lebens der Mutter sowie nach Vergewaltigung oder Inzest, die den Strafverfolgungsbehörden gemeldet worden sind. Bürger erhalten die Möglichkeit, Ärzte zu verklagen, die Abtreibungen vornehmen – oder jeden, der dabei hilft. Die vier Abtreibungskliniken des Bundesstaates haben ihren Dienst in Erwartung des neuen Gesetzes bereits eingestellt (Quelle)
Das kommt einem de-facto-Verbot von Abtreibung gleich und ich hatte es ja schon einmal erwähnt: mit der momentan gültigen und durch Roe v. Wade charakterisierten Auslegung der US-Verfassung, die ganz klar ein Recht auf Abtreibung erkennt und Verbote, auch de-facto-Verbote immer wieder verhindert hat, wäre dieses Gesetz (und auch andere strenge Gesetze in anderen evangelikalen Staaten der USA) sicher nicht vereinbar und würde vom dortigen Supreme Court (SCOTUS) gekippt werden müssen, wenn z.B. die Demokraten dagegen Verfassungsbeschwerde einlegen würden (etwa, wie auch beim texanischen Gesetz, über das ich auch berichtet hatte).
Doch diese Klagen werden wohl nicht mehr zum Erfolg führen. Ich schrieb im Dezember ’21:
ob das einen wie aktuell gegeben konfigurierten SCOTUS von einer eigentlich verfassungswidrigen Sichtweise abhalten wird, bleibt – ironischerweise – spannend, eine Entscheidung soll nicht vor Juni 2022 fallen.
Es ist noch nicht Juni und eine offizielle Entscheidung gibt es noch nicht, aber kürzlich wurde durch eine undichte Stelle bekannt, daß der SCOTUS unter Ausnutzung der von Trump ermöglichen Mehrheit fundamentalchristlicher (und den Senat bei der Befragung über ihre wahren Motive offenbar belogen habender) Richter tatsächlich plant, nach knapp 50 Jahren Roe v. Wade zu kippen und damit den Weg für nahezu vollständige Abtreibungsverbote zu öffnen, die voraussichtlich in mindestens 26 der 50 US-Staaten verhängt werden werden, und zwar, obwohl die große Mehrheit auch der republikanisch wählenden US-Amerikaner für legale Abtreibung ist:
somewhere between 85 and 90 percent, according to most polls — think abortion should be legal in at least some circumstances. (Quelle)
Daß eine solche Entscheidung nicht nur die US-Gesellschaft noch mehr zerreißen und entzweien würde, als es ohnehin schon der Fall ist (einige sehen schon den nächsten Civil War am Horizont), sondern auch den Rechtsstaat USA in Richtung Mittelalter zurückschleudern würde, ist auch daran abzulesen, daß Verafssungsrichter Alito, dessen Papier geleakt worden war, sich in seiner Meinungsäußerung mehrfach auf einen Richter aus dem 17. Jhdt. bezog, dessen Rechtsphilosophie zentral zugrunde lag, daß es die Freiheit von Männern zu sehr bedrohe, wenn man Frauen einklagbare Rechte auf/über ihren eigenen Körper, einräumte. Über Vergewaltigung schrieb das Herzchen:
“an accusation easily to be made and hard to be proved and harder to be defended by the party accused, tho never so innocent.” (Historia Placitorum Coronae: The History of the Pleas of the Crown)
Und Vergewaltigung in der Ehe könne kein Verbrechen sein, denn:
“For by their mutual matrimonial consent and contract, the wife hath given herself up in this kind unto the husband which she cannot retract.” (Historia Placitorum Coronae: The History of the Pleas of the Crown)
Also genau der richtige Mann mit genau der richtigen Attitüde, auf den man(n) im Jahr 2022 Urteile über Abtreibung und Grundrechte von Frauen stützen sollte.
Es bleibt abzuwarten, ob die durch den Leak entzündeten Wut und Entsetzen und der öffentliche Widerstand gegen das offensichtlich völlig antidemokratische, theokratische und antihumanistische Ansinnen des SCOTUS, ein monströses Erbe des Monstrums Trump, dessen Entscheidung noch abwenden oder abmildern kann, oder ob wirklich nächsten Monat der erste, gewaltige Schritt eines langsamen antisäkularen, antizivilisatorischen Erosionsprozeß’ auch in den USA getan wird, der, wie z.B. die SCOTUS-Richterin Sonia Sotomayor befürchtet, mit Verboten von Abtreibung bloß beginnen könnte:
The logic of that legal earthquake, Justice Sonia Sotomayor predicted, would produce a jurisprudential tsunami that could sweep away other precedents, too.
Ü (CC): Die Logik dieses juristischen Erdbebens würde, wie Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor vorhersagte, einen “Rechtsprechungs-Tsunami” auslösen, der auch andere Entscheidungen hinwegfegen könnte (Quelle)
Gefährdet könnten demnach auch Entscheidungen sein, auf die Roe und Casey sich bei der Verteidigung des Rechts auf Abtreibung stützten, darunter die gleichgeschlechtliche Ehe (Obergefell v. Hodges) oder die Ehe zwischen verschiedenen “Rassen” (Loving v. Virginia).
Na dann,
lasciate ogni speranza voi ch’entrate!
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Update am 25.06.2022: Jetzt ist es passiert. Sie haben es wirklich getan. Sie haben die in den Augen vieler die Trennung von Religion und Staat vorschreibende Vorgabe der US-Verfassung ignoriert und wirklich und wahrhaftig “Roe v. Wade” gekippt, womit das jahrzehntelange Ansinnen der Fundamentalchristen Erfolg hatte. Wie zu erwarten, beginnen sich nun die rechtskonservativen Staaten gegenseitig rechts mit Abtreibungsverboten zu überholen: Missouri und Alabama haben soeben Abtreibung nun auch bei Inzest und Vergewaltigung verboten, lassen es nur noch im äußersten medizinischen Notfall zu. Mal sehen, welcher Staat der erste ist, der auch das verbieten wird. Eine entsetzliche wenngleich absehbare und konsequente Entwicklung.
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]]>Könnt’ ja mal reinschauen
(und wer’s gelesen hat: wie fandet Ihr’s?)
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Die Mehrheit sind nun wir Nicht-Christen:
„Es ist eine historische Zäsur, da es im Ganzen gesehen, seit Jahrhunderten das erste Mal in Deutschland nicht mehr “normal” ist, Kirchenmitglied zu sein“, sagt Sozialwissenschaftler Carsten Frerk
Wenn diese Zahlen bestätigt werden und da der Austrittstrend anhält, ist davon auszugehen, gibt es neben keiner moralischen (die gab es nie) auch keine demokratische Legitimierung mehr für christlich motivierte Sonderrechte und -verbote in Deutschland (keine Sorge, liebe Christen, ich bin gegen jegliche religiösen Sonderrechte, auch die von „den Anderen“, also bitte kein fatwa envy). Diese, aber auch Adolfs Reichskonkordat, müssen also spätestens jetzt abgeschafft werden:
Christen sind nun in Deutschland eine Minderheit (ich schreibe das einfach zu gern ) und wir müssen jetzt und endlich ein säkulares Land werden, in dem die christlichen Kirchen (vor allem diese) nirgendwo mehr mitzubestimmen zu -regeln und zu -sprechen haben. Sie, ihre zutiefst unmoralischen menschen-, leibes-, lust- und vernunftfeindlichen Lehren und ihr makaberes Symbol von Folter und Tod müssen endlich und endgültig raus aus den Krankenhäusern, raus aus den Schulen, raus aus den Ethikräten, raus aus den Gerichtssälen, raus aus den Ämtern, raus aus den Unis, raus aus den Kindergärten, raus aus der Politik dieses Landes – sie sollen nach dem gleichen Recht und Strafrecht behandelt werden, wie wir alle anderen auch und nur auf das Leben und die Brieftaschen derer einen Einfluss haben dürfen, die das wider besseres (Ge)Wissen wirklich und ehrlich so wollen.
Vielleicht gibt es mit der derzeitigen politischen Konstellation ja doch die Chance, daß jemand die Lage und damit den dringenden Handlungsbedarf erkennt. In NRW sind demnächst Wahlen, da könnte man sich ja schonmal positionieren…
Übrigens und zum Schluß: Haben schon alle den neuesten Klopper der Kath. K. (diesmal aus meiner Heimatstadt, wo sie ja immer noch den durchaus bescholtenen Wölki rummurksen lassen) gehört:
“Das Erzbistum Köln hat insgesamt 1,15 Millionen Euro bezahlt, um Ausgaben im Zusammenhang mit den Spielschulden eines Geistlichen auszugleichen. […] Die Mittel sind laut Erzbistum Köln zum Teil aus einem Sondervermögen entnommen worden, aus dem auch die Zahlungen an Opfer von sexuellem Missbrauch geleistet werden.” Quelle
Ja…ich weiß…kannste Dir nicht ausdenken…
Wie schon mehrfach gesagt: ich finde es schlicht unerträglich, daß in diesem Land auch Nicht-Christen, also inzwischen die Mehrheit, gezwungen sind, durch ihre Steuergelder diesen schamlosen, selbst schnurrbartzwirbelnde Comicbösewichte verlegen machenen Verbrecherverein zu finanzieren.
Wenn Deutschland eine Demokratie sein will und sein soll, dann muß das enden. Jetzt.
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Die Änderung der StPO sieht vor, daß künftig auch Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie das Alter einer tatverdächtigen Person im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung aus der DNA ausgelesen werden dürfen.
Man bezeichnet diese Untersuchungen auch als forensische DNA-Phänotypisierung. Kurz nach der Anpassung der StPO an die Moderne hatten wir damals noch in Kiel damit begonnen, eine Methode zur Vorhersage der Haut-, Haar- und Augenfarbe zu etablieren und inzwischen läuft sie dort ganz gut. Auch hier in meiner (nicht mehr so ganz) neuen Abteilung in Köln bieten wir diese Untersuchungsform an. Die molekulargenetische Grundlage besteht (wie unter obigem Link nachzulesen) in der Typisierung verschiedener, mit den möglichen Ausprägungen der oben genannten äußerlich sichtbaren Eigenschaften assoziierter Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP). Die Typisierungsdaten werden dann mit einem speziellem Alogrithmus (z.B. diesem) ausgewertet. Ausführlicher ist das in meinem Artikel von 2014 noch einmal nachzulesen.
Aber was ist mit dem Alter? In vielen kriminalistischen Lagen kann es zwischen sehr interessant bis entscheidend sein, das Alter einer tatbeteiligten Person zu kennen, z.B. um bestimmte Personengruppen als Täter auszuschließen oder um Ermittlungen zu konzentrieren und zu priorisieren.
Die Bestimmung des Alters aus der DNA wird ja ausdrücklich auch in der StPO erlaubt,
Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden. (StPO, §81e, Molekulargenetische Untersuchungen)
doch das Lebensalter einer Person kann nicht durch SNP-Analyse abgeschätzt werden, da sich deren Konfiguration mit fortschreitender Zeit nicht ändert. Stattdessen schaut man sich zur Schätzung des Alters einer Person das Methylierungsmuster ihrer DNA an und weil wir hier in Köln auch diese Methode bereits in der Fallarbeit einsetzen, möchte ich heute mal darüber berichten, wie das eigentlich funktioniert (die klassischen, anthropologischen bzw. bildgebenden Methoden der Altersschätzung sind hier nicht Gegenstand der Betrachtung).
Hinweis: Um den Artikel besser nachvollziehen zu können, z.B., wenn man gerade über das Wort “Methylierungsmuster” gestolpert ist, empfehle ich sehr die vorherige Lektüre dieses Basics-Artikels.
Die Voraussetzung für die molekulargenetische Altersschätzung ist logischerweise irgendeine meßbare Struktur, Muster, Vorgang etc., die sich mit dem biologischen Alter einer Person (das bei den meisten Menschen mehr oder weniger mit dem chronologischen Alter übereinkommt) in einem systematischen Verhältnis befindet, so, daß man von der Messung des letzteren und bei Kenntnis des mathematisch darstellbaren Verhältnisses ersteres berechnen oder besser schätzen kann, was dann einen Rückschluß auf das chronologische Alter zuläßt.
Was aber heißt hier “meßbar”? Wie mißt man die Methylierung von DNA? Es gibt dafür unterschiedliche Methoden, die verbreitetsten sind die differentielle enzymatische Spaltung von DNA mit methylierungssensitiven Restriktionsendonuleasen (MSRE) gefolgt von PCR, Affinitiäts-Capturing von methylierter DNA und die Natriumbisulfit-Konversions-Sequenzierzung. Nur die letztgenannte werden wir uns hier näher ansehen, denn sie erlaubt eine quantitative Bestimmung des Methylierungsgrads von DNA-Stellen (CpG-Inseln) und ist auch die Methode, die wir selbst anwenden.
Die Bisulfit-Konversion beruht darauf, daß sie nicht-methylierte Cytosin-Basen in der DNA in Uracil umwandelt, welches statt zu G(uanin) wie Cytosin zu A(denin) wie Thymin komplementär ist.
Methylierte Cytosine hingegen werden nicht in Uracil umgewandelt, die angehängte Methylgruppe (CH3) schützt sie gewissermaßen vor dem Bisulfit. Nach einer vollständigen Konversion sind also alle nicht-methylierten Cytosine in einem DNA-Molekül zu Uracil umgewandelt worden. Wird nun von der DNA eine Kopie, wie z.B. in einer PCR, gefertigt, werden im komplementären Strang gegenüber den Uracilen Adenine eingebaut, die Basensequenz der Kopien verändert sich also gegenüber dem Original.
Anschließend werden die kopierten DNA-Fragmente sequenziert, häufig wird dafür die sogenannte „Pyrosequenzierung“, bei der es sich um eine Variante des NGS handelt (und auf die ich hier nicht im Detail eingehen kann, sonst wird es zu kompliziert), eingesetzt. So kann man die Stellen, an denen sich methylierte Cytosine befunden haben, durch Vergleich mit einer Referenzsequenz (bei der Cytosine statt Thyminen stehen) erkennen und zusätzlich genau messen, zu welchem Grad, zu wieviel % eine Stelle im Genom methyliert ist (es ist nicht in allen Zellen die DNA identisch methyliert, wenn z.B. in der Hälfte der in einer Probe enthaltenen Zellen eine bestimmte CpG-Stelle in der DNA methyliert ist, dann wäre ihr Methylierungsgrad 50%).
Durch umfangreiche Studien mit vielen Probanden unterschiedlicher Lebensalter hat man herausgefunden, bei welchen CpG-Stellen im Genom der Methylierungsgrad mit dem Alter auf welche Weise korreliert:
und zudem möglichst nicht auch noch von anderen äußeren oder inneren Faktoren beeinflußt wird. Andere Studien (z.B. von meinem Mitarbeiter Jan [1]) beschreiben Verbesserungen oder Erweiterungen der Methode, außerdem gab es bereits mehrere technische Ringversuche [2,3] und die methylierungsbasierte Altersschätzung ist inzwischen sogar als Modul beim GEDNAP-Ringversuch anwählbar. Die meisten Erkenntnisse zum Zusammenhang von Alter und Methylierungsgrad gibt es bisher für die Körperflüssigkeiten Blut und Speichel doch auch für Sperma gibt es schon erste Daten [4].Grundsätzlich kann man sagen, daß die Methode gut funktioniert und eine halbwegs robuste forensische Altersschätzung ermöglicht. Die typische Genauigkeit liegt hier bei +/- 3-5 Jahren und die Streuung ändert sich mit dem vorhergesagten Altersbereich. Bestimmt wird hier meist zur Beschreibung des Fehlerbereichs die „mean absolute deviation“ (MAD) oder der „mean absolute error“ (MAE) des geschätzten Alters. Die Methode eignet sich daher nicht, um das exakte Alter einer Person, z.B. bei der Frage, ob jemand noch 17 und minderjährig oder schon 18 ist, zu bestimmen, ist aber für die forensische Charakterisierung tatbeteiligter Personen dennoch sehr interessant.
Auch die mathematischen Methoden und Modelle, die verwendet werden, um aus den gemessenen Methylierungsdaten Schätzwerte für das Alter abzuleiten, sind zu vielfältig und zu kompliziert, als daß ich sie hier erklären könnte (bei einigen könnte ich es auch fachlich nicht, um ehrlich zu sein), aber wen es interessiert, möge gerne selber recherchieren zu multivariaten linearen und quadratischen Regressionsmodellen (MLRM bzw. MQRM), Support Vector Regressionsmodellen (SVRM), zu Maschinenlernalgorithmen wie Random Forest Regression (RFR; ich habe dazu mal laienhaft beschrieben, wie das in etwa funktioniert) und Generalisierten Regressions Neuronalen Netzwerken (GRNN).
In der Praxis funktioniert es dann so, daß wir z.B. aus einer getrockneten Blutprobe von einem Tatort, deren Urheber sich trotz zuvor bestimmten DNA-Profils nicht ermitteln läßt, das Alter und bei Bedarf die Ausprägungen äußerer Merkmale bestimmen und diese Information kann die Polizei dann in ihre Ermittlungsarbeit einfließen lassen.
Übrigens ist die Methylierungsanalyse nicht die einzige (aber im Moment eben die beste) Möglichkeit zur molekularen forensischen Altersschätzung: ich bin derzeit Kooperationspartner eines EU-geförderten Projekts namens “RNAgE” bei dem es um die Schätzung des Lebensalters anhand der Analyse differentiell exprimierter RNAs (#forensische RNA Analyse) geht. Im Moment sind wir noch mitten in der Datenauswertung, aber später werde ich hier im Blog sicher über die Ergebnisse des Projekts berichten.
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Referenzen:
[1] Fleckhaus J, Schneider PM. Novel multiplex strategy for DNA methylation-based age prediction from small amounts of DNA via Pyrosequencing. Forensic Sci Int Genet. 2020 Jan;44:102189. doi: 10.1016/j.fsigen.2019.102189
[2] Holländer, O., Schwender, K., Böhme, P. et al. Forensische DNA-Methylierungsanalyse. Erster, technischer Ringversuch der Arbeitsgruppe „Molekulare Altersschätzung“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin; Rechtsmedizin 31, 192–201 (2021). https://doi.org/10.1007/s00194-021-00492-7
[3] Naue, J., Pfeifer, M., Augustin, C., Becker, J., Fleckhaus, J., Grabmüller, M., … & Böhme, P. (2021). Forensische DNA-Methylierungsanalyse. Zweiter, technischer Ringversuch der Arbeitsgruppe „Molekulare Altersschätzung“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin; Rechtsmedizin, 31(3), 202-216.
[4] Lee HY, Jung SE, Oh YN, Choi A, Yang WI, Shin KJ. Epigenetic age signatures in the forensically relevant body fluid of semen: a preliminary study. Forensic Sci Int Genet. 2015 Nov;19:28-34. doi: 10.1016/j.fsigen.2015.05.014.
[5] Freire-Aradas, A., Phillips, C., & Lareu, M. V. (2017). Forensic individual age estimation with DNA: from initial approaches to methylation tests. Forensic science review, 29(2).
[6] Maulani, C., Auerkari, E.I. Age estimation using DNA methylation technique in forensics: a systematic review. Egypt J Forensic Sci 10, 38 (2020).
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der letzte offene Laber-Thread (OLT 32) hat schon die 1.000 Kommentar-Marke passiert und lädt nur noch schwerfällig. Also gibt es heute einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch, nehmt Euch einen Schokoishtarhasen und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Zum Fall:
Das Opfer war eine 21-jährige Frau, die an Karneval mit geschwollenem, blutverschmiertem Gesicht aufgefunden worden war und angab, von einem verkleideten Mann mit der Faust mehrfach ins Gesicht geschlagen worden zu sein, außerdem habe er sie mit dem Finger vaginal penetriert und sie zu oralem Geschlechtsverkehr gezwungen. Sie konnte den Täter gut beschreiben, wobei behilflich war, daß er ein auffälliges Kuh-Kostüm getragen hatte:
Zufälligerweise war zuvor ein Mann in einem ebensolchen Kostüm von der Polizei kontrolliert worden, wobei auch seine Personalien erfasst worden waren. Dadurch konnte er kurz nach der Tat in seiner Wohnung angetroffen werden und mithin zeitnah eine Spurensicherung erfolgen, obgleich der Verdächtige die Tat zunächst abstritt.Spurensicherung und Befunde:
Das Verletzungsbild des Opfers passte zu dessen Schilderungen; der Verdächtige wies an den Knöcheln der rechten Hand Schwellungen und Schürfverletzungen auf, die mit der Beibringung wuchtigter Fausthiebe vereinbar waren. Vom Opfer wurden zudem gynäkologische Abstrichproben genommen, vom Verdächtigen wurden Abriebe des Penis gefertigt, sowie der Handflächen und Finger. Zudem wurden Fingernägelabschnitte genommen und das Kuhkostüm asserviert. Die gesammelten Asservate wurden am Institut für Rechtsmedizin molekulargenetisch untersucht.
Kleiner Einschub: das Opfer hätte sich auch entscheiden können, zunächst keine Anzeige zu erstatten, aber sich trotzdem und wichtigerweise rechtsmedizinisch untersuchen und fachgerecht Spuren sichern zu lassen, in dem es von der Möglichkeit der Vertraulichen Spurensicherung Gebrauch gemacht hätte (ich hatte über das Angebot in SH berichtet), die natürlich auch in NRW angeboten wird. (Bitte gerne überall erzählen und weiterverbreiten, daß dieses Angebot existiert!)
DNA-Analyse: Von den gynäkologischen Abstrichen wurden y-chromosomale DNA-Profile erstellt. Da es zu keiner penilen Penetration und damit Ejakulation gekommen war, war davon auszugehen, daß nur wenige Epithelzellen vom Finger des Täters an den Abstrichen vorhanden waren, so daß nicht zu erwarten war, daß vor dem starken Vordergrund weiblicher DNA des Opfers ein autosomales Profil des Täters zu rekonstruieren gewesen wäre. Da Frauen kein Y-Chromosom haben, kann das y-chromosomale Profil eines Mannes auch bei deutlichem Überschuß weiblicher Zellen noch gut darstellbar sein. Und in der Tat konnte ein vollständiges Y-chromosomales Profil an den Abstrichen dargestellt werden, daß identisch mit dem Profil des Verdächtigen (bzw. mit diesem in männlicher Linie verwandten Männern) war. Für die biostatistische Bewertung dieser Übereinstimmung wurde die YHRD (genau, diese superwichtige Datenbank, über die wie wir schon sprachen) genutzt und so gezeigt, daß eine zufällig Übereinstimmung überaus unwahrscheinlich war.
An dem Kostüm fanden sich Sekretspuren, die durch immunchromatographische Schnelltests als Speichel und Sperma identifiziert werden konnten. Eine DNA-Analyse ergab ein Mischprofil mit mindestens drei Beiträgern, darunter das Opfer und der Verdächtige. Die DNA-Analyse der Abriebe der Hand des Verdächtigen und der Fingernägel ergab abermals Mischprofile, zu denen das Opfer und der Verdächtige beigetragen hatten.
RNA-Analyse: Bei den Abrieben der Hand und den Fingernägeln des Verdächtigen war jedoch der Kontext der Spurenentstehung entscheidend. Die DNA des Opfers allein hätte nicht bewiesen, daß der Verdächtige es wirklich mit den Fingern vaginal penetriert hatte, die DNA hätte ja auch auf andere Weise, etwa durch einen Händeschütteln dort hingelangen können. Aus diesem Grund war von diesen Abrieben eine DNA/RNA-Ko-Extraktion durchgeführt worden, so daß man DNA und RNA aus denselben Proben parallel analysieren und die Ergebnisse später integrieren konnte.
Die RNA-Analyseprozedur beruhte auf der Methode von Lindenbergh et al. [2], die jedoch noch etwas angepasst worden war. Die Methode ermöglicht es, aus einer RNA-Präparation gezielt in cDNA umgeschriebene, spezifische mRNA-Äquivalente für die Körperflüssigkeiten Blut, Speichel, Sperma, Vaginalsekret, Menstrualblut und Nasensekret zu detektieren (wenn sie denn vorhanden sind). Die folgende Tabelle zeigt, wieviele RNA-Transkripte welcher Gene für die einzelnen Körperflüssigkeiten hierfür betrachtet werden:
Es gibt in dieser Multiplex-Anreicherungs-PCR auch noch einen zusätzlichen Marker für Geschlecht (XIST), der eine Plausibilitätskontrolle darstellt. Die „Housekeeping“-Kontrollen dienen als Positivkontrollen, die anzeigen, ob die Methode grundsätzlich funktioniert hat.Und hier ist beispielhaft das Ergebnis der Analyse eines Abriebs vom rechten Mittelfinger des Verdächtigen:
Man sieht, neben sporadischen und damit inkonklusiven Ergebnissen für andere Körperflüssigkeiten wie Blut und Samenflüssigkeit, einen durchgängigen Nachweis zweier vaginalschleimhautspezifischer Marker in allen vier von vier Replikaten. Dies ist als positiver Befund zu werten, dem Finger haftete also Vaginalsekret an, das man aufgrund der DNA-Befunde dem Opfer zuordnen konnte. Somit konnte die Spur in ihren Enstehenskontext eingeordnet werden, der, wie das Opfer beschrieben hatte, darin bestand, daß der Verdächtige mit dem Finger vaginal in sie eingedrungen war.
Fazit: Durch eine schnelle Reaktion des Opfers und der Polizei, verbunden mit einer rasch erfolgten Spurensicherung, sowie der Rechtsmedizin konnte in diesem Fall ein umfangreiches, mehrdimensionales Spurenbild gesichert werden, anhand dessen sich die Tat und die davon umfassten Einzelstraftaten (schwere Körperverletzung, sexuelle Mißhandlung, orale Vergewaltigung) evidenzbasiert rekonstruieren ließen. Die Bearbeitung des Falles profitierte dabei natürlich erheblich von der transdiziplinären Vernetzung in der Rechtsmedizin (das Opfer wurde von Rechtsmedizinern untersucht, die von ihm sowie vom Verdächtigen und dessen Kleidung genommenen Proben analysierten die forensischen Molekularbiologen), die einer ihrer charakteristischen Vorteile ist.
Außerdem ist der Fall ein anschauliches und durchaus typisches Beispiel für den Nutzen und die Bedeutung von über die Standard-DNA-Analyse hinausweisende, kontextualisierende Untersuchungsformen wie die forensische RNA-Analyse. Hier wären zwar auch die DNA-Befunde allein schon sehr belastend für den Verdächtigen gewesen, es begegnen uns aber regelmäßig Fallkonstellationen, in denen für eine vollständige Tathergangsrekonstruktion die RNA-Analyse unabdingbar ist.
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Referenzen:
[1] Neis, M., Siegel, S., Banaschak, S., & Schneider, P. M. (2021). Schwere sexualisierte Gewalt–Aufklärung eines Falls durch Kombination aus DNA-und mRNA-Analyse. Rechtsmedizin, 1-6.
[2] Lindenbergh, A., de Pagter, M., Ramdayal, G., Visser, M., Zubakov, D., Kayser, M., & Sijen, T. (2012). A multiplex (m) RNA-profiling system for the forensic identification of body fluids and contact traces. Forensic Science International: Genetics, 6(5), 565-577.
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Verdient ist das angesichts der Größe seiner Entdeckung und Idee, die zur Formulierung der Evolutionstheorie geführt hat, allemal. Aber angesichts prominenter Zweifler und des Wiedererstarkens antiwissenschaftlicher Religiöser auch immer noch bitter nötig. Immerhin scheinen selbst die Religiösen zu ahnen, daß ihr absurder Glaube nicht so wirklich kompatibel mit der Evolutionstheorie ist [1] – insofern trifft es sich natürlich gut, daß es für letztere so viel Evidenz gibt
Feiern können wir ihn, indem wir an ihn denken, wieder mal eines seiner Bücher (oder ein Buch über ihn oder seine weltverändernde Idee) hervornehmen, ein paar seiner Zitate lesen (s. Bild) oder indem wir uns an Darwin-bezogenem Humor erfreuen :).
Oder ein Video schauen:
Außerdem gibt es hier einen schönen Beitrag des Deutschlandfunks (zum Hören oder Lesen).
Alle dürfen mitmachen! In den Kommentaren hier bitte ausschließlich Geburtstagsglückwünsche, thematisch passende Buchempfehlungen und/oder Darwin-Zitate oder Darwin-Humor posten! Danke
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Referenzen:
[1] Barnes, M. E., Dunlop, H. M., Sinatra, G. M., Hendrix, T. M., Zheng, Y., & Brownell, S. E. (2020). “Accepting evolution means you can’t believe in god”: atheistic perceptions of evolution among college biology students. CBE—Life Sciences Education, 19(2), ar21.
]]>Und da passierte es eines Abends in einem der Bedienstetenzimmer, daß Dina und Ron, der ein Auge auf sie geworfen hatte, einander näher kamen. Doch es war nur eine einmalige Sache, Dina liebte immer noch Xaver, der sie nicht verstieß, als sie ihm beichtete, daß das Kind, „Renc“, das sie neun Monate später gebar, Rons war. So wurde Renc getauft und wurde den jüdischen Riten unterzogen. Xaver machte eine steile Karriere in der Fabrik, heiratete Dina im Februar 1889 und adoptierte den anderthalbjährigen Renc. Ron machte ihnen ein großzügiges Hochzeitsgeschenk und unterstützte die junge Familie nach Kräften, die später noch den Jungen Arles und zwei weitere Kinder bekam.
Auch Renc wurde Schmied, dem Wunsch seines Vaters folgend, zog später mit seinem Halbbruder Arles in den ersten Weltkrieg, überlebte, nur um zur Nazizeit wegen seiner jüdischen Abstammung in größte Gefahr zu geraten, wo er miterleben mußte, wie direkte Nachbarn ins Konzentrationslager gebracht wurden. Irgendwie gelang es Renc, sich um den geforderten Abstammungsnachweis herumzumogeln, indem er den Verlust von Dokumenten vorschob und Nachweise für die Taufe einiger seiner Vorfahren beibrachte. Die wahre Abstammung Rencs von Ron wurde als großes Familiengeheimnis gehandelt, das er den nachfolgenden Generationen erst auf dem Sterbebett anvertraute.
In der Gegenwart ließen nun Abkömmlinge von Renc und Arles ihr Erbgut analysieren, um das ehemalige Geheimnis endgültig und mittels DNA-Beweises zu bestätigen. Der Bericht zu diesem spannenden Fall ist in Forensic Science International [1] publiziert. Beginnen wir mit dem (vermuteten) Stammbaum der Familie:
Damit diese Analyse irgendeine Aussicht auf Erfolg haben kann, braucht man jedoch auch DNA der möglichen gemeinsamen Vorfahren, idealerweise von Renc, Arles und Ron. Die aber waren natürlich lange tot und begraben und ihre DNA war mit ihnen verschwunden. Oder? Vielleicht nicht ganz, denn es gab noch Postkarten von allen dreien, sowie von einem Enkel „Sepp“ von Josef, Xavers Bruder, die von Hand zu Hand weitervererbt worden waren und obwohl diese zum Teil über 100 Jahre alt waren, so klebten darauf doch Briefmarken, die womöglich von den Verstorbenen angeleckt worden waren und somit in ihrer Leimschicht, geschützt zwischen Marke und Karte, ein paar DNA-Moleküle bargen.
Damit versuchte man es. Zunächst gaben MV (im Alter von 97), TV, KK und FK Speichelproben ab für -eine STR-Analyse (Tip zum besseren Verständnis: Lektüre der Serie zur Forensischen Genetik). Außerdem beauftragten die genannten vier und UR, eine Enkelin Arles‘, noch eine Analyse bei „My Heritage“ in Auftrag, um den Anteil ihrer wahrscheinlich von Aschkenasim stammenden DNA zu ermitteln.
Von den Speichelproben wurden autosomale und y-chromosomale DNA-Profile erstellt, von den Postkarten von Renc (n = 4), Arles (n = 3), Ron (n = 1) und Sepp (n = 2), wurden die Briefmarken erst mit Wasser von äußeren Verschmutzungen gereinigt und dann vorsichtig über Wasserdampf von den Karten gelöst. Mit Wattestieltupfern wurde sowohl von den Markenrückseiten als auch den korrespondierenden Stellen auf den Postkarten Abriebe gefertigt und diese in die DNA-Extraktion gegeben. Parallel wurden 2 Marken von Ron und 2 von Renc mittels eines Schnelltests auf α-Amylase geprüft, ein Enzym, das v.a. in Speichel vorkommt.
Schauen wir uns die Ergebnisse an:
Schnelltestbefunde
Es gab tatsächlich positive Ergebnisse bei den Marken von Renc, was nicht nur darauf schließen läßt, daß sie angeleckt wurden, sondern auch zeigt, daß ein Speichelnachweis mit dieser Methode auch nach 100 Jahren noch funktioniert! Bei Rons Marken hingegen waren die Ergebnisse sehr schwach oder negativ. Das könnte darauf hindeuten, daß sie nicht angeleckt sondern auf dem Postamt mittels eines Schwamms befeuchtet wurden.
Autosomale DNA-Befunde
Es war nicht ganz einfach, von den Briefmarken gute DNA-Profile zu bekommen, doch es ist tatsächlich gelungen! Dennoch sind die oben aufgeführten Profile von Renc und Arles Kompositprofile, die sich aus mehreren Replikaten zusammensetzen und wie man sieht, ist Rencs Profil sogar unvollständig, da nicht alle Merkmale rekonstruiert werden konnte. Kein Wunder, bei so alter und degradierter DNA. Für die eine Karte von Ron ist es trotz großer Mühe gar nicht gelungen, ein brauchbares DNA-Profil zu erhalten – vielleicht, weil sie, wie der Vortest andeutet, nicht angeleckt wurde und lediglich DNA von ein paar Hautzellen enthielt. Man mußte also mit dem arbeiten, was man hatte: Das geschulte Auge sieht sofort, daß sich zwei der im Stammbaum postulierten Abstammungsverhältnisse ohne weiteres bestätigen lassen: Die DNA von Rencs Karte stammte wirklich vom Vater von MV, somit war geklärt, daß die Karte wirklich von Renc kam, während MV sicher als Mutter des TV gelten kann. Eine biostatistische Berechnung bestätigt ferner, daß KK und FK Vollbrüder sind. Die Geschwisterschaft Rencs und Arles‘ ist hingegen nicht eindeutig, die entsprechende LR ist lediglich 7, das Ergebnis somit inkonklusiv: wir können anhand dieser Daten nicht sagen, ob Renc und Arles wie angenommen Halb- statt Vollbrüder sind (Renc wäre dann ebenfalls Xavers Sohn). Wir müssen uns die y-chromosomalen Merkmale ansehen.
Y-chromosomale DNA-Befunde
Zur Erinnerung: Y-Chromosomen haben nur Männer und sie werden unverändert (also ohne Rekombination) in der männlichen Linie weitevererbt. Wenn also Renc und Arles von verschiedenen Vätern abstammen, sollten sie unterschiedliche y-chromosomale Merkmale haben, sind sie Vollbrüder, wären ihre Merkmale identisch:
Und hier finden wir den Schlüssel zum Fall und zum Familiengeheimnis: wir sehen zunächst, daß von Ron nur ein paar Merkmale darstellbar waren, von denen auch nicht sicher ist, ob sie von Ron oder einem Postbeamten, der die Marke aufgeklebt hat, stammen. Wir sehen nebenbei auch, daß auch die y-chromosomalen Befunde die Bruderschaft von KK und FK bestätigen. Doch der wichtigste Befund hier ist natürlich, daß Renc, Arles und Sepp identische Y-Chromosomen und damit sehr wahrscheinlich einen gemeinsamen männlichen Vorfahren haben, nämlich den Vater von Xaver und Josef. Mit Hilfe der YHRD (genau, diese superwichtige Datenbank, über wie wir schon sprachen) kann man berechnen, wie selten der gemeinsame Haplotyp ist (kein Treffer in >98.000 Datensätzen) und wie häufig er in der Population geschätzt wird: 2,7 x 10-4, also einmal in 3.750 Männern. Es ist damit 3.750 mal wahrscheinlicher, daß Renc und Arles Vollbrüder statt Halbbrüder sind, die Vollbruderschaftswahrscheinlichkeit beträgt 99,97 % – ein so hoher Wert wird gewöhnlich als ausreichender Beweis angesehen. Damit hätte sich das angebliche Familiengeheimnis als großer Irrtum herausgestellt: es war Xaver, nicht Ron, der zusammen mit Dina den Renc gezeugt hatte.
Doch es gibt noch mehr Daten, nämlich die Analysen von My Heritage:
Wenn wir für Dina und Ron 100 % Aschkenasim-DNA annehmen und für Xaver 0 %, dann sehen wir im blauen Arm (= Ron und Arles sind Vollbrüder) bei den erwarteten Werten (links) für Arles und Renc jeweils 50 %, für MV 25 % und für UR, TV, FK und KK jeweils 12,5 %. Im grünen Arm (= Ron und Arles sind Halbbrüder = Familienlegende) sind es für Renc 100 %, für MV 50% und für UR, FK und KK jeweils 25 % (Arles und UR interessieren hier nicht).
Rechts sehen wir die tatsächlich beobachteten Werte und auch diese liegen sehr viel näher an den erwarteten Werten des blauen als des grünen Arms, was die These stützt, daß Arles und Renc in der Tat Vollbrüder und Abkömmlinge nur eines aschkenasischen Elternteils waren.
FAZIT: Es ist hier also gelungen, 125 Jahre nach der vermeintlichen „Affaire“ mit Hilfe der DNA im getrockneten Speichel unter 100 Jahre alten Briefmarken, den Familienstammbaum zu rekonstruieren und, so muß man sagen und für die Familie überraschenderweise, zu korrigieren. Solche Untersuchungen mögen vielleicht auch in Zukunft, wenn niemand mehr Briefmarken ableckt, noch möglich sein, denn eine ganz aktuelle Studie zeigt, daß man auch von den modernen selbstklebenden Marken erfolgreiche DNA-Analysen durchführen kann [2].
Insgesamt ein sehr spannender und lehrreicher Fall, der zeigt, wie gut inzwischen die forensisch-genetischen Methoden sind und einen auf Ideen bringt, was noch alles möglich sein oder werden könnte…
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Referenzen:
[1] Haas, C., Körner, C., Sulzer, A., & Kratzer, A. (2022). 19th century family saga re-told by DNA recovered from postcard stamps. Forensic Science International, 330, 111129.
[2] Ruprecht, R., Suter, R., Manganelli, M., Wehrli, A., Ender, M., & Jung, B. (2022). Collection of evidence from the reverse side of self-adhesive stamps: A combined approach to obtain dactyloscopic and DNA evidence. Forensic Science International, 330, 111123.
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]]>der letzte offene Laber-Thread (OLT 31) hat schon die 1.000 Kommentar-Marke passiert und lädt nur noch schwerfällig. Also gibt es heute einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch, nehmt Euch ein kreisförmiges Feingebäck und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Übermorgen stirbt das Jahr 2021 aber heute vor 95 Jahren starb Rainer Maria Rilke.
Für mich der größte Lyriker deutscher Sprache.
Buddha
Als ob er horchte. Stille: eine Ferne…
Wir halten ein und hören sie nicht mehr.
Und er ist Stern. Und andre große Sterne,
die wir nicht sehen, stehen um ihn her.
O er ist alles. Wirklich, warten wir,
daß er uns sähe? Sollte er bedürfen?
Und wenn wir hier uns vor ihm niederwürfen,
er bliebe tief und träge wie ein Tier.
Denn das, was uns zu seinen Füßen reißt,
das kreist in ihm seit Millionen Jahren.
Er, der vergißt, was wir erfahren,
und der erfährt, was uns verweist.
–R.M. Rilke
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und damit wünsche ich allen LeserInnen einen sanften und freudvollen Übergang ins neue Jahr, welches glücklicher sein möge, als das vergangene.
]]>Einen schönen 24.12. allen LeserInnen.
Heute abend feiern wahrscheinlich die meisten von Euch und auch ich Weihnachten mit der Familie (unfasslicherweise immer noch mit und trotz “C-Wort” und hoffentlich ohne Jesus & Co.). Und zu Weihnachten gehört für mich neben, eben, Familie und viel gutem Essen – diesmal gibt es bei uns u.a. etwas, was man in Perú traditionell zu Weihnachten genießt – unbedingt auch schöne Musik. Und damit niemand auf Kinderchöre, Engelbert oder gar “das hier” zurückgreifen muß, habe ich in den letzten Jahren ja schon ein paar Alternativen angeboten.
Damit mache ich dieses Jahr weiter. Es geht los mit einem österreichischen Lied, dessen liebe Melodie, die aus dem 17-18 Jhdt. stammt, mir besonders gut gefällt:
gibt es auch für die Orgel (Spotify-Link)
Für die ganz ruhigen, andächtigen Momente habe ich hier einen Chorgesang aus der griechischen Orthodoxie. Wunderschön und entrückend:
Und weil es einfach eine schöne, anheimlende Melodie hat und es dafür gar kein Gesinge braucht, kommt hier noch “Still still still” als instrumentale Version:
Sooo und zum Schluß wieder etwas Schmissigeres von den Klezmonauts, die eine sehr coole, irgendwie witzige, klezmerige Version von “God rest ye merry gentlemen” zu bieten haben:
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Und damit wünsche ich allen LeserInnen friedliche Feiertage, frei von Streit, körperlichen (Sars-CoV2) und mentalen (Götzen) Viren, dafür mit Familie, Freunden, gutem Essen und schöner Musik (s.o.).
(Und falls sich jemand fragt, warum ausgerechnet so jemand wie ich Weihnachten feiert: das kann man hier nachlesen.)
]]>ethische Bedenken gegen eine Abtreibung erst dann sinnvoll [sind], wenn sich ein Bewußtsein entwickelt hat,
da wir so sicher wie möglich gehen sollten, daß der Abbruch beim Embryo bzw. Fötus keinen Schmerz und damit kein Leid verursacht. Somit ist der Zeitraum von 3 Monaten nach Empfängnis, in dem in halbwegs zivilisierten und Frauenrechte achtenden Ländern Abtreibungen legal bzw. straffrei durchgeführt werden können, gut und sehr vorsichtig gewählt.
Deutschland zählt zwar zu diesen Ländern, doch beschämender- und religiös motiviertem Betreiben zuzuschreibenderweise findet sich der Abtreibungsparagraph noch immer im Strafrecht, gleich neben den Tötungsdelikten wie Mord und Totschlag. Damit ist Abtreibung eine Straftat im Ruch eines Tötungsdelikts, das unter bestimmten Voraussetzungen eben bloß nicht bestraft wird. Daß das (und auch das gerade erst nach einem Eklat angepasste „Werbeverbot“ nach §219a) schändlich, beleidigend und belastend für Betroffene, rückständig und dringend reformbedürftig ist, liegt auf der Hand und das wird inzwischen auch vehement eingefordert, z.B. am jährlichen International Safe Abortion Day.
Aber wenigstens ist es in Deutschland noch möglich, straffrei eine sichere Abtreibung durch einen Arzt vornehmen zu lassen und es gibt es auch soweit ich weiß keine ernstzunehmenden politischen Bestrebungen, das zu ändern, nicht mal in der rechten Ecke (CDU/AfD) scheint das anzustreben. Ich hoffe ferner, daß wir mit dem ersten konfessionsfreien und keine religiöse Formel bei der Vereidigung gesprochen habenden Bundeskanzler auch zukünftig gegen als Politik getarnten religiösen Fanatismus gefeit sind. Leider gibt es besorgniserregenderweise vielerorts und auf der Welt wieder erstarkende Tendenzen zur Regression ins Mittelalter, zum Sturmlauf auf Grundrechte und zur Abwicklung von Frauenrechten und zwar nicht nur in katholisch dominierten Ländern wie etwa Peru oder Paraguay, wo nicht einmal nach einer Vergewaltigung eine Abtreibung erlaubt ist, oder Polen (was wollen/sollen die nochmal in der EU?), sondern auch wieder/immer noch in den USA, wo es durch Einführung neuer gesetzlicher Regelungen religiösen Fundamentalisten in einigen Bundesstaaten gelungen ist, Abtreibungen praktisch fast unmöglich zu machen. Die Folgen vorenthaltener Abtreibungen und unerwünschter Elternschaft werden indes durch viele Studien belegt und umfassen häufig Angststörungen, Gewalt in der Partnerschaft, Hindernisse bei Ausbildung und dem Erreichen beruflicher Ziele sowie ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Komplikationen bis hin zum Tod.
Wie schlimm diese Regelungen sind, möchte ich kurz anhand des sog. „Heartbeat bill“ („Herzschlag-Gesetz“) des Texas Senate illustrieren, das auf die „National Association of Christian Lawmakers“ (muß man noch mehr wissen?) zurückzuführen ist: Dieses verbietet Abtreibung nach 5-6 Wochen nach Einsetzen der letzten Menstruation, lange vor der eigenständigen Lebensfähigkeit und oft bevor die Frau überhaupt weiß, daß sie schwanger ist. Und zwar auch nach Vergewaltigung und auch bei Gefährdung des Lebens der Frau. Durch dieses Gesetz sind somit ca. 80% der zuvor legalen Abtreibungen verboten. Besonders verwerflich, pervers geradezu ist, daß Bürger aufgerufen sind, an Abtreibungen beteiligte Personen anzuschwärzen: Jeder Privatbürger in Texas kann Anzeige erstatten gegen jeden, der Abtreibungen, die gegen dieses Gesetz verstoßen würden, durchführt, dabei unterstützt oder diese ermöglicht und erhält auch noch 10.000 $ für jede auf diese Weise verhinderte Abtreibung! Ok…. ich warte kurz, bis alle den Mund wieder zugeklappt und die hochgekommende Kotze runtergeschluckt haben… Und auch Mississippi hat ein neues Gesetz erlassen, das Abtreibung bereits nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet.
In den USA hat dieser Wahnsinn allerdings Methode, denn solche Gesetze wie in Texas oder Mississippi wurden von konservativen Republikanern natürlich absichtlich so streng formuliert, daß sie notwendig mit einer Art Grundrecht auf Abtreibung kollidieren, das in den USA aus einer Entscheidung des SCOTUS aus dem Jahr 1973 abgeleitet wird: „Roe v. Wade“. Man erwartet, daß die neuen Gesetze von „Pro-Choice“-Vertretern vor eben jenem SCOTUS angefochten werden und daß dieser, der von Trump in seiner Amtszeit mit gleich drei neuen erzkonservativen und ausdrücklich gegen das Recht auf Abtreibung eingestellten Richtern besetzt wurde (,was übrigens der Grund war, daß Fundamentalchristen und Evangelikale ihn gewählt haben), daraufhin das Urteil zu Roe v. Wade revidieren oder doch so stark abwandeln wird, daß es kaum noch effektiv Verbote von Abtreibung abwehren kann.
Zusätzlich perfide daran ist, daß sich mittels Argumente und Evidenz und entgegen der Behauptung verschiedener Republikaner nicht belegen läßt, daß lege artis durchgeführte Abtreibungen unsicher, schädlich für die Gesundheit oder das berufliche Vorankommen von Frauen wären. Im Gegenteil. Korrekt und leitliniengerecht durchgeführt sind Abtreibungen sicher [2] und die Sterberate bei Geburten ist sogar 14 mal so hoch wie bei korrekt durchgeführten Abtreibungen [3]. Hinzukommt, daß Frauen, die Abtreibungen hatten, nicht häufiger von Depressionen oder Angststörungen betroffen waren, als Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen wollten, aber nicht konnten [4]. Frauen, auf die letzteres zutraf, gaben hingegen häufiger an, von chronischen Kopf- und Gelenkschmerzen betroffen zu sein, als Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen hatten [5]. Der generelle Tenor aus mehr als 40 Artikeln aus begutachteten Fachzeitschriften ist, daß im Durchschnitt die Durchführung einer Abtreibung nicht schädlich für die geistige und körperliche Gesundheit von Frauen ist, wohingegen die Versagung einer Abtreibung in negativen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen resultierte.
Daß Abtreibungsverbote sich darüber hinaus unverhältnismäßig negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit sowie den sozioökonomischen Status schwarzer Frauen auswirkt (von 100.000 derer 44 bei der Geburt sterben, was 4 mal so hoch ist wie der Durchschnitt in Ländern mit hohen Durchschnittseinkommen) stimmt zwar, ist aber Republikanern vom Kaliber Trump sicher wurscht, wenn nicht als angenehmer Nebeneffekt willkommen (hat ja bei „C-Wort“ auch schon gut funktioniert). Weitere Links und Quellen dazu, insbesondere auch zu den Folgen unsicherer Abtreibungen (die unweigerlich dann auftreten, wenn es keine Möglichkeit zu legalen Abtreibungen gibt) finden sich im Anhang.
Da also alle verfügbare Evidenz belegt, daß es in jeder Hinsicht vorteilhaft ist, wenn Frauen, die Bedarf nach einer Abtreibung haben, diese auch durchführen lassen und zudem ein Angebot dafür in Wohnortnähe vorfinden können, muß ein Gericht wie der SCOTUS für ein Verbot bzw. eine Einschränkung von Roe v. Wade diese Evidenz „umgehen“ und statt dessen auf eine Revision des sog. „viability standards“ (also eben nicht mehr eventuelle Folgen einer Abtreibung) abstellen, wodurch Abtreibungen bislang bis zu einem Zeitpunkt erlaubt sind, ab dem ein Fötus außerhalb der Gebärmutter überleben könnte. Wenn also die Möglichkeit von Abtreibungen daran geknüpft wird, ab wann ein Fötus als Person gelten muß/kann, befindet man sich in einer definitorischen Grauzone, die religiöse Fundamentalisten (und im SCOTUS sitzen welche davon) wahrscheinlich so streng wie nur möglich auslegen würden. Und damit wäre man wieder bei der Frage: „Ab wann ist es ein Mensch?“ bei der Beantwortung derer sich eine säkulare Gesellschaft gegen religiös motivierte Griffe nach der Interpretationshoheit entschieden und unerbittlich zur Wehr setzen muß. In den USA kann man sich dafür auf den ersten Verfassungszusatz berufen – ob das einen wie aktuell gegeben konfigurierten SCOTUS von einer eigentlich verfassungswidrigen Sichtweise abhalten wird, bleibt – ironischerweise – spannend, eine Entscheidung soll nicht vor Juni 2022 fallen.
Grundsätzlich sehe ich bei staatlichen Einschränkungen des Grundrechts von Frauen über ihren eigenen Körper zu entscheiden übrigens eine Parallele zur Drogenpolitik. Es ist völlig klar und offensichtlich, daß Menschen immer Drogen genommen haben, nehmen und nehmen werden. Überall, zu allen Zeiten und in jedem Land. Keine Prohibition, keine Strafen, keine Drohungen, keine Verfolgung und Stigmatisierung von Konsumenten hat das verhindert und wird es je verhindern. Es handelt sich beim Rausch ganz offenbar um ein menschliches Grundbedürfnis und dieses stillen zu dürfen (wie immer: ohne andere zu schädigen), muß ein Grundrecht sein bzw. Art.2 GG sollte es eigentlich ermöglichen, staatlichen Zugriff darauf abwehren: staatliches Handeln kann dieses Recht nicht streitig machen, es muß sich auf Regelungen beschränken, die lediglich Schaden von Dritten abwenden sollen (wie bei Alkoholkonsum, der ja auch nicht verboten ist).
So auch bei Abtreibungen: eine Frau, die auf keinen Fall ein Kind zur Welt bringen will, mit dem sie schwanger ist, wird einen Weg finden, die Schwangerschaft abzubrechen (oft unter erheblicher Gefährdung, s. Anhang), ob der Staat das erlaubt oder nicht. Wenn sie diese Entscheidung früh genug fällt (s.o.), entsteht Dritten kein Schaden und muß diese Entscheidung über ihren eigenen Körper ihr Grundrecht sein. Der Staat hat darin nicht nur nicht einzugreifen, er muß dafür Sorge tragen, daß die Frau ihr Recht sicher und ohne sich zu gefährden, in Anspruch nehmen kann.
Man kann also nur hoffen und den US-Amerikanern wünschen, daß mit diesem SCOTUS und damit Erbe Trumps und der anstehenden Entscheidung zur Abtreibung nicht ein langsamer zivilsatorischer, antisäkularer Erosionsprozess beginnt, den sich dann wieder andere Länder als Vorbild nehmen.
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Referenzen:
[1] Foster, D. G. The Turnaway Study: Ten Years, a Thousand Women, and the Consequences of Having — or Being Denied — an Abortion (Simon & Schuster, 2021).
[2] National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. The Safety and Quality of Abortion Care in the United States (National Academies Press, 2018).
[3] Raymond, E. G., & Grimes, D. A. (2012). The comparative safety of legal induced abortion and childbirth in the United States. Obstetrics & Gynecology, 119(2), 215-219.
[4] Ralph, L. J., Schwarz, E. B., Grossman, D., & Foster, D. G. (2019). Self-reported physical health of women who did and did not terminate pregnancy after seeking abortion services: a cohort study. Annals of internal medicine, 171(4), 238-247.
[5] Jones, R. K., & Jerman, J. (2017). Population group abortion rates and lifetime incidence of abortion: United States, 2008–2014. American journal of public health, 107(12), 1904-1909.
Anhang:
safe Engage: Abortion – Facts and Figures
Doctors without borders: Unsafe Abortion: A forgotten emergency
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der letzte offene Laber-Thread (OLT 30) hat schon wieder fast die 1000 Kommentare (Stand gerade: 998) erreicht und lädt nur noch schwerfällig. Also gibt es heute einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch, nehmt Euch einen Gewürzspekulatius (jap, ist schon wieder so weit) und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
ACHTUNG: Wenn Ihr wollt (stimmt das untereinander ab), könnt Ihr, falls Euch das Thema nachvollziehbarerweise schon wieder/immer noch extrem nervt, hier eine “C-Wort”-freie-Zone erklären. Wer aber ausdrücklich über C-Wort & Co. zu parlieren wünscht, kann sich zu einem einzelnen Joseph in die letzte (weil bereits geimpfte KommentatorInnen enthaltenden) Ausgabe des C-Wort-OLTs gesellen.
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Dieses imaginäre Aufatmen wenn nicht – seufzen habe ich überall auf dem „21st European Forensic DNA Group Meeting“, das dankenswerterweise und „against all odds“ von der Firma Promega organisiert wurde, wahrgenommen, auch an mir selber. Zugegen waren wieder Kollegen aus vielen europäischen Ländern, selbst ein paar britische Ex-Europäer waren dabei Auch meine letzte Tagung mit körperlicher Anwesenheit ist tatsächlich fast zwei Jahre her.
Der Tagungsort hätte nicht besser zu diesem Neubeginn passen können, denn wir waren in Nizza an der Côte d’Azur in Südfrankreich, direkt am Meer, wo es auch im November gerne noch warm, hell und sonnig ist. Das Ganze fand mitten in der Altstadt im schönen, altehrwürdigen Hotel Aston La Scala statt, wo man beim Essen einen sensationellen Ausblick hatte (s.o.). An einem Abend gab es zudem eine interessante Stadtführung, bei der man Nizza auch erschmecken konnte, denn wir bekamen an verschiedenen Orten u.a. exotische Eissorten (ich hatte Lavendel), Olivenpaste und -öl, Socca und so eine Art Zwiebelkuchen zu verkosten.
Doch bei aller Wiedersehens- und Endlichmalausdemhauskommensfreude gab es natürlich auch ein gehaltvolles wissenschaftliches Programm in Form von Vorträgen und einer Auswahl von Postern:
Den Anfang machte Walther Parson, der auf mtDNA spezialisiert ist, mit einem eindrucksvollen, aber auch erschütternden Vortrag, denn er berichtete von der Untersuchung der Überreste des ehemaligen Vernichtungslagers der Nazis in Sobibor, an der verschiedene Fachleute, darunter Anthropologen und auch forensische Genetiker beteiligt waren. Die Arbeiten dort hatten im Jahr 2000 begonnen, 2013 hatte man die Reste der Gaskammern gefunden aber auch 10 unerwartete intakte Skelette entdeckt. Man hatte zuerst angenommen, daß es sich bei diesen um die Überreste polnische Partisanen, die sich gegen das Sowjetregime gestellt hatten, gehandelt hatte, weil Aussagen ehemalige Insassen des Camps zufolge die Opfer der Nazis kremiert worden waren. DNA aus den Knochen wurde dann u.a. im Labor von W. Parson in Innsbruck analysiert und die mitochondriale aber auch y-chromosomale DNA-Analyse ergab, daß die Überreste entgegen der vorigen Annahmen wahrscheinlich von aschkenasischen Juden und damit Opfern der Nazis stammte.
Damit gelang der erste forensisch-genetischer Beweis für Holocaust-Verbrechen in Ostpolen [1]. Die Überreste wurden, jüdischer Tradition folgend, in Anwesenheit eines Rabbiners an ihrem Fundort neu bestattet.
Aber auch Lutz Roewer, der Experte für den anderen forensisch bedeutenden haploiden Marker, das Y-Chromosom, ist und den ich im Zusammenhang mit der Schließung an der Charité schon erwähnt hatte, hielt einen Vortrag. Er erläuterte verschiedene Herangehensweisen bei der Interpretation y-chromosomaler STR-Befunde – das wird in verschiedenen Ländern nämlich durchaus unterschiedlich gehandhabt:
(für Deutschland wird das hier empfohlen)
Es hat aber wohl niemanden gewundert, daß Lutz zum Schluß auch noch auf die Querelen um seine YHR-Datenbank, die es am Ende bis in Science geschafft hatten, zu sprechen kam. Wen Details dazu interessieren, mag auch hier noch einmal nachlesen.
Ein Vortrag, der mich besonders interessierte, kam von B. Bekaert aus Leuven und befasste sich mit der forensischen Analyse des Thanatotranskriptoms (RNA-Population, die aus Transkriptionsaktivität nach dem Tod des Organismus entsteht) und der Möglichkeit, aus der differentiellen, post-mortalen Genexpression mittels geeigneter Algorithmen das post-mortem-Intervall zu berechnen.
Das klappte schon ganz ordentlich,
aber Bekaert wies zurecht darauf hin, daß die Anzahl der Probanden (7) noch sehr begrenzt und zudem in einem eher hohen Altersbereich angesiedelt war und daß auch die erfassten PMI-Werte nicht sehr unterschiedlich waren. Dennoch ist der Ansatz hoch interessant und m.E. wert, weiter verfolgt zu werden. Ich habe ja schon öfters erzählt, wie spannend ich grundsätzlich die Möglichkeit des Einsatzes der forensischen RNA-Analyse bei der Rekonstruktion zeitlicher Aspekte einer Tat finde und besonders den Einsatz post-mortaler Transkription zu diesem Zweck finde ich faszinierend. Übrigens – in diesem Zusammenhang: auch unsere RNAgE-Gruppe (ich bin Kooperationspartner eines EU-geförderten Projekts zur „RNA-basierten molekularen Alterseingrenzung von Spurenverursachern“) hat in Nizza erste, noch unpublizierte Ergebnisse unserer Arbeit vorgestellt – hier ist unser Poster:
Am zweiten Tagungstag begann C. Proff vom BKA mit einem Bericht über die desaster victim identification (DVI)-Aktivitäten des BKA (die haben da eine eigene Abteilung (IDKO)) nach der Flukatastrophe im Juli, der in NRW und Rheinland-Pfalz insgesamt 190 Menschen zum Opfer gefallen sind. Erst zeigte er ein paar verheerende Vorher-Nachher-Bilder, dann beschrieb er, wie schwierig und aufwendig die Untersuchungen v.a. hinsichtlich des Bedarfs an Kommunikation und Abstimmung waren, insbesondere, da man natürlich so schnell wie möglich den Hinterbliebenen eine Auskunft geben wollte, und wie es ihnen am Ende gelungen ist, alle Verstorbenen zu identifizieren. Rheinland-Pfalz hatte bereits am 15.7. die Hilfe der IDKO erbeten, Leichen wurden in die Rechtsmedizin Mainz gebracht und es wurde sogleich mit der post-mortem-Datensammlung begonnen und erste DNA-Proben (aus Gewebeabrieben, Fingernägeln, Rippenknorpel, Achillessehnen, Zähnen und Knochen) genommen, die DNA-Analyse begann am 17.7. Am Ende liefen alle Informationsflüsse und Daten (also aus ante-mortem- und post-mortem-Datensammlungen, DNA-Profilen etc.) bei der IDKO zusammen. Die mußte dann koordinieren, zusammenführen, ordnen und anhand von Fingerabdrücken, Gebißprofilen, Abgleich mit Vergleichsprofilen lebender Angehöriger bzw. Vergleichsmaterial (z.B. persönliche Gegenstände der Vermissten) die Identifizierung der Leichname durchführen:
Wie sehr man sich dort ins Zeug gelegt hat, kann man daran ablesen, daß es in über 70% der Fälle gelungen war, in nur 1-2 Tagen das DNA-Profil fertigzustellen. Im Rahmen der Arbeiten konnten jedoch vier Leichen zunächst nicht identifiziert werden. Später stellte sich heraus, daß diese Toten von der Flut aus ihren Gräbern auf einem Friedhof fortgespült worden waren!
Der Kollege M. Zieger aus Bern stellte eine interessanten Studie vor, im Rahmen derer sie Spuren von Einbruchstatorten systematisch ausgewertet hatten, hinsichtlich der Frage, wie häufig (in %) diese eigentlich von berechtigten Personen stammen und ob es Orte in Wohnungen nach Einbruch gibt, an den mit höherer Wahrscheinlichkeit Fremd-DNA (z.B. des Täters) finden läßt (gibt es: es sind die Fensterscheiben). Die Toblerone, die der Kollege, für denjenigen ausgelobt hatte, der die o.g. Prozentzahl am besten schätzen konnte ging an einen verdienten Gewinner, dem sie sehr gut geschmeckt hat
Und hier die Lösung:
Auch yours truly war wieder mit von der Partie. Ich habe angesichts des 10-jährigen Geburtstags der Molekularen Ballistik einen kleinen Jubiläumsvortrag mit Rückblick, Werkschau, ein paar Tips zur Anwendung und einem Ausblick auf künftige Forschungsgelegenheiten gehalten.
Ich habe diese Gelegenheit aber auch genutzt, um zu erklären, warum es wichtig ist, überhaupt über Schußwaffen zu forschen, sowie, um für die regelmäßigere und verbreitetere Anwendung molekular-ballistischer Methoden bei der routinemäßigen Untersuchung von Schußwaffen nach deren Einsatz gegen Menschen zu werben. Ich glaube, daß derzeit noch zuviel auswertbares Beweismaterial in den Waffen übersehen wird.
Insgesamt war es eine schöne, interessante Tagung an einem grandiosen Ort, die sich wie eine Befreiung angefühlt hat (bzw. wie ein kurzes Atemholen, da ja gerade wieder alles in die Wicken geht…) und ich freue mich, daß ich da sein konnte. Das 22. European Forensic DNA Group Meeting soll in Dubrovnik stattfinden. Könnte man ja auch mal hin…
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Referenzen:
[1] Diepenbroek, M., Amory, C., Niederstätter, H. et al. Genetic and phylogeographic evidence for Jewish Holocaust victims at the Sobibór death camp. Genome Biol 22, 200 (2021). https://doi.org/10.1186/s13059-021-02420-0
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Ich weiß, hier war lange Funkstille, daher: keine Sorge, ich lebe noch! Aber so ein Umzug, Möbelkäufe und -aufbauten (v.a. durch einen Heimwerkermuffel wie mich), der ganze Verwaltungskram und natürlich die neue Arbeit und das Ankommen dort haben mich doch so in Beschlag genommen, daß für anderes wenig bis kaum Zeit blieb.
Heute daher erst einmal ein kurzes Lebenszeichen: ich bin also tatsächlich im Rheinland, meiner alten und neuen Heimat angekommen und wohne nun in der Nähe von Köln, so nah aber doch, daß ich mit der Straßenbahn (oder wenn mich der Hafer sticht: mit dem Rad) zur Arbeit fahren kann (oben sieht man den morgendlichen Ausblick vom Balkon :)). Auf letzterer gibt es natürlich unglaublich viel zu tun, zu lernen (die ganzen neuen Namen!), zu regeln, zu beantragen, einzurichten, zu besprechen etc. Dennoch kann ich schon sagen, daß mir das neue Institut, mein Büro, die neuen Kollegen und meine neue Abteilung gut gefallen und ich mich hier wohl fühle. Ich glaube, daß ich hier sehr gut werde arbeiten, aber auch forschen und lehren können und ich freue mich schon auf neue, aber auch die Fortsetzung bereits begonnener Projekte, darunter die kürzlich begonnene Arbeit am “molekularen Alibi” mittels forensischer RNA-Analyse aber auch der Kopfschußdiferenzierung als Teilprojekt der molekularen Ballistik. Besonders toll fand ich, daß ich mit letzterer hier werde weitermachen können, weil wir eine zugelassene Beschußanlage direkt hier im Keller haben. Ist das nicht famos?!
Ansonsten ist es, auch wenn mir die Nähe zum Meer jetzt schon fehlt,
sehr schön, wieder in vertrauter örtlicher aber auch menschlicher Umgebung zu sein und endlich (!) wieder einen funktionierenden und der Bezeichnung würdigen ÖPNV zur Verfügung zu haben. Und Köln ist eben doch ein anderes Pflaster als Kiel, es gibt einfach deutlich mehr von… eigentlich allem (z.B. fünf Restaurants mit peruanischer Küche vs. 0 in Kiel)- aber vor allem ist man hier geographisch nicht mehr so abgeschnitten, z.B. ist es in Zukunft keine Weltreise mehr für mich, zu einem vernünftigem Flughafen zu kommen
Es hat übrigens auch schon die Übergabe meiner Verbeamtungsurkunde im Rektorat der Uni Köln stattgefunden; ich mußte sogar schwören:
und ein paar Scherzkekse hatten mir für diesen Tag extra ein T-Shirt geschenkt (passend zum Cord-Jacket):
Ihr seht also, ich bin in Köln angekommen und wohlauf und bald schon werde ich hier wieder etwas schreiben können!
Bis dahin, Tschö, ne?
]]>ich bin immer noch voll im Umzugsstress, habe aber gemerkt, daß der letzte offene Laber-Thread (OLT 29), schon wieder die 1000 Kommentare voll gemacht hat und nur noch schwerfällig lädt. Also gibt es heute endlich einen frischen leeren OLT. Auf diesem könnt Ihr sehr gerne und wie gewohnt Eure Gespräche fortsetzen.
Also, setzt Euch, nehmt Euch ein Regencape, ein Wassereis und laßt uns ‘ne Runde plaudern!
ACHTUNG: Wenn Ihr wollt (stimmt das untereinander ab), könnt Ihr, falls Euch das Thema nachvollziehbarerweise schon/immer noch extrem nervt, hier eine “C-Wort”-freie-Zone erklären. Wer aber ausdrücklich über C-Wort & Co. zu parlieren wünscht, kann sich zu einem einzelnen Joseph in die letzte (weil bereits geimpfte KommentatorInnen enthaltenden) Ausgabe des C-Wort-OLTs gesellen.
Es gilt weiterhin: der/diejenige, der/die in allen OLTs zusammen die meisten Kommentare geschrieben hat, darf sich offiziell “OLT Schnatterhand” nennen Und ja, das bedeutet, daß dieser wichtige Titel gelegentlich den/die BesitzerIn wechseln könnte.
P.S.: Der offene Musik-Thread (OMT) nebenan wird parallel weiterlaufen und auch auf Gespräche über (nicht nur klassische!) Musik beschränkt bleiben. Das heißt nicht, daß wir hier nicht auch über Musik plaudern können, aber wer keinen Bock auf die ganzen anderen Nerdthemen hat und sich nur für Musik interessiert, gehe am besten dorthin.
]]>Im Folgenden nun also die Berichte, in denen ich jeweils Punkte (Studienfächer, Stationen, Entscheidungen und Entwicklungen), die ich für wichtig für den Weg der jeweiligen Person halte, markiert habe. Ich fand sie allesamt schön und anschaulich geschrieben und habe sie daher unverändert hier übernommen. Am Ende habe ich lediglich jeweils einen kurzen, abschließenden Kommentar angefügt.
“Qua CV und Qualifikation bin ich als bald promovierter Biochemiker im Bereich der Forschung zu viraler Gentherapie zuhause. Im Laufe meines Grundstudiums habe ich mich (zu stark) von meinen Modulverlaufsplänen leiten lassen. So hangelte ich mich von den sich im Biochemischen Institut anbietenden, geradezu aufdrängenden Bachelor- und Masterarbeiten von Krebsforschung über Autoimmunerkrankungen bis hin zu eben meiner Promotion im Bereich viraler Gentherapie im kardialen Kontext.
Mich hat im Laufe meiner zugegebenermaßen bisher jungen Forschungskarriere zunehmend frustriert, dass der klassische Forschungsalltag viel zu sehr davon geprägt ist, dass man auf Teufel komm raus Kausalitäten sucht, wo höchstens Korrelationen vorliegen. Dass man sich und seine Daten zu häufig gnadenlos aufbauschen muss, um Vor- und Anträge erfolgreich zu gestalten. Und dass man höchst selten Kapitel genüsslich zuklappen kann – schließlich eröffnet eine mühsam erkämpfte Antwort meist mindestens drei neue Fragestellungen.
Meine molekularbiologischen Kenntnisse und Fähigkeiten wollte und will ich dennoch nicht über die berufliche Bordplanke werfen und so stieß ich endlich auf die forensische Genetik, die genau den wissenschaftlichen Rahmen bietet, den ich mir persönlich wünsche. In diesem Bereich herrscht die oberste Priorität, äußerst exakt mit seinen Ergebnissen und Befunden umzugehen – nötigenfalls natürlich auch negativ. Die Arbeit ist zutiefst sinnerfüllt, weil er keinen diffusen, sondern sehr konkreten und hohen Anliegen wie beispielsweise der Aufklärung von Straftaten oder der Identifizierung von Verstorbenen dient. Und schließlich bietet die Forensik mit seinem akkreditierten Charakter ein Arbeitsumfeld mit klaren Strukturen und einem hohen Anspruch an Transparenz.
Ich mache mir keine großen Illusionen darüber, dass mir all dies sehr wahrscheinlich zu spät aufgefallen ist, um mich beruflich gegen einschlägig ausgebildete und erfahrene Leute in diesem großartigen, aber recht nieschigen Feld behaupten zu können. Und so bereue ich ziemlich, das Pferd während meines Studiums nicht von hinten aufgezäumt zu haben: überlegen, wo man LANDEN will und sich dafür dann gezielt qualifizieren.
Christopher B., M.Sc., Doktorand der Biochemie an der Uni Kiel
Christopher ist die forensische Genetik bzw. seine eigene Faszination dafür vergleichsweise spät in seiner akademischen Ausbildung aufgefallen. Seine Einschätzung, daß es seine Chancen nicht verbessert, später in diesem Feld arbeiten zu können, wenn man erst gegen Ende der Doktorarbeitszeit in einem ganz anderen Feld Kontakt mit der Forensischen Genetik aufnimmt, ist wohl leider nicht unzutreffend. Was Leuten wie Christopher dann fehlt, ist die forensische Erfahrung, nicht die genetischen Kenntnisse oder Fähigkeiten im Labor. Um zu beginnen, erstere zu sammeln, hat Christopher seine Promotionsarbeit kurz pausiert und ein wissenschaftliches Praktikum mit eigenem kleinen Projekt an unserem Institut absolviert (daher seine Einblicke, die er oben schildert). Wenn er sich entscheidet, nach Abschluß seines Dr. weiterhin zu versuchen, in unserem Feld Arbeit zu finden (und damit meine ich Arbeit auf einem Niveau, wo man Promovierte einstellen würde), wird es trotzdem wahrscheinlich nicht einfach für ihn werden. Aber hey, unmöglich ist nichts, s. yours truly 😉
“Nach einer früh entdeckten Begeisterung für Naturwissenschaften im Allgemeinen und Biologie und Chemie im Besonderen habe ich mich für ein Studium der Biochemie und Molekularbiologie an der CAU Kiel entschieden. Nach den ersten Jahren und einer Bachelorarbeit im Bereich der Grundlagenforschung wurde mir klar, dass mich vor allem die Anwendung naturwisschenschaftlicher Prinzipien auf Fragestellungen aus dem „alltäglichen Leben“ begeisterte und ich begann mich nach Forschungsfeldern mit hohem Anwendungsbezug umzusehen. Das Feld der forensischen Molekularbiologie, welches auf Basis humangenetischer und molekularbiologischer Methoden einen objektiven Beitrag zur Beantwortung kriminalistischer Fragestellungen leistet, hat mich schnell besonders fasziniert.
So wählte ich im Master verschiedene, für die forensische Molekularbiologie relevante Studienmodule (wie etwa Humangenetik oder Biostatistik) und jobbte nebenher als HiWi in einem Labor für ancientDNA-Analysen. Weiterhin wollte ich gerne eine Masterarbeit im Institut für Rechtsmedizin des UKSH schreiben, da ich wusste, dass die dortige Abteilung für forensische Genetik spannende Forschungsfelder wie Molekulare Ballistik und Forensische RNA-Analyse bearbeitet. Nach mehrfachen Interessensbekundungen und einigem Hin und Her auf Grund der geringen verfügbaren finanziellen Mittel erhielt ich schließlich die Möglichkeit, meine Masterarbeit in der forensischen Molekularbiologie zu dem spannenden und hochaktuellen Thema des DNA-Transfers zu schreiben. Neben der Forschungsarbeit konnte ich spannende Einblicke in die Fallarbeit und weitere forensisch-genetische Forschungsfelder erhalten. Insgesamt zog sich meine Masterarbeit dadurch zwar ein gutes Stück über die Regelstudienzeit hinaus, ich habe dabei jedoch viele wertvolle Erfahrungen sammeln können.
Die Arbeit machte mir extrem viel Spaß und ich wollte gerne alles daran setzen, weiter auf dem Feld arbeiten zu können. In diesem Bestreben wurde ich zwar tatkräftig von meinem Abteilungsleiter unterstützt, Forschungsförderungsanträge für meine Promotionsstelle wurden jedoch zunächst allesamt abgelehnt (die forensische Molekularbiologie „konkurriert“ bei Förderungsgeldern mit Projekten aus der Medizin, zum Beispiel auch der Tumor- oder Entzündungsforschung, denen häufig eine höhere Relevanz und somit mehr Forschungsgelder zugeschrieben werden). Zum Glück durfte ich in dieser Zeit der Antragsstellung und Warterei auf die Antragsbearbeitung (durchschnittlich weit mehr als 6 Monate) weiter als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forensischen Genetik arbeiten und an einem zwar nicht Promotions-geeigneten, aber dennoch sehr interessanten Projekt zur forensischen DNA-Phänotypisierung mitwirken. In dieser Zeit ist dann schließlich – über zwei Jahre nach Einreichung des ersten Antrags zur Forschungsförderung – ein Forschungsprojekt durch die DFG bewilligt worden, sodass ich nun seit Mai 2021 an dem sehr spannenden Thema der forensischen Tageszeitpunktsbestimmung (ein weiterer Aspekt der Spurenkontextualisierung, der durch die forensische RNA-Analyse ermöglicht werden könnte), forschen darf (Promotionsprojekt).”Annica G., M.Sc., Doktorandin der forensischen Molekularbiologie am Institut f. Rechtsmedizin, Uni Kiel
Annica ist also seit der Masterarbeit in Kontakt mit dem Feld und hat danach noch viel Zeit und Arbeit investiert und Wartezeiten in Kauf genommen, um die Chance, eine Promotionsgelegenheit zu bekommen, zu verbessern, was schließlich gelungen ist. Um diese zu vollenden, wird sie auch ihren Wohnort verändern und ihre Heimat verlassen. Wenn sie die Promotion erfolgreich abgeschlossen haben wird, wird sie bereits über jahrelange Erfahrung als forensische Molekularbiologin mit Spezialkenntnissen, einschlägige Publikationen und Kontakte mit vielen Leuten im Feld verfügen. Ihre Chancen, später irgendwo dauerhaft als forensische Genetikerin arbeiten zu können, schätze ich daher als sehr gut ein.
“Mein Weg in und durch die Forensische Genetik– Vor gefühlt einer ewigen Zeit, quasi wie in einem anderen Leben, war in der Tat die Wissenschaft gar nicht meine erste berufliche Wahl. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich Medizin studieren – was mit einem eher mittelmäßigem Notenschnitt natürlich mit einer mir bevorstehenden, nicht zu vermeidenden beachtlichen Sammlung von Wartesemestern verbunden war. Neben diversen anderen Dingen über die Jahre habe ich dann auch in Köln einen auf Medizinstudienplatzwartende ausgerichteten Lehrgang zum „Biomedizinischen Assistenten“ entdeckt. Als Zusatzqualifikation stand auch „Molekularbiologie und Molekulare Medizin“ in dessen Curriculum, wo ich dann zum ersten Mal mit Molekularbiologie und forensisch-biologischem Arbeiten in Kontakt kam. Dies hat sofort mein Interesse geweckt und mir auch viel Spaß gemacht. Als dann als Gastdozent ein gewisser Cornelius Courts aus (damals) der Rechtsmedizin Bonn zu uns gekommen ist und einen Vortrag über Forensische Genetik gehalten hat, wurde mein Interesse dann auch konkreter. Wir hatten uns sofort aufgrund ähnlich gelagerten und nach außen sichtbaren musikalischen Vorlieben gut verstanden, und er hat mich dann auch auf die Existenz des Studiengangs „Naturwissenschaftliche Forensik“ aufmerksam gemacht, welcher damals noch recht frisch an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg angeboten wurde. Bei nächster Gelegenheit habe ich mich dann neben Medizin auch dort beworben und wurde durch meine zahlreichen Wartesemester auch direkt zugelassen. Ich habe den Studienplatz dann auch angenommen, selbst wenn es nach all den Jahren nicht leicht war, von der Medizin abzulassen. Im Laufe des Studiums, welches neben der von mir sehnlichst erwartenden forensischer Biologie und Kriminalistik den Fokus vor allem auf Chemie und Materialwissenschaften legte, wurde mir sehr klar, dass ich auch auf jeden Fall in der Forensischen Biologie bleiben und mich dorthin spezialisieren möchte. Durch meine bereits vorhandenen Kontakte zu Cornelius konnte ich dann auch in seiner Abteilung in Bonn meine Bachelorarbeit anfertigen und erste Erfahrung in einem „richtigen“ forensischen Labor sammeln. Der Wille dort auch in Zukunft zu arbeiten war da, allerdings ebenso die Gewissheit, dass der nun anstehende weitere Weg aber nicht leicht werden würde. Immerhin sind die beruflichen Möglichkeiten in der Forensik begrenzt. Mein weiterer Bildungsweg musste mir also eine Vertiefung in die Biologie gestatten, um zumindest grob in der Thematik zu bleiben, gemäß des Falls, dass es in der Zukunft keine Stellen in forensischen Instituten für mich gäbe. Dazu gibt es keinen entsprechenden Forensik-Master in Deutschland, und die Bio-Credits aus dem Bachelorstudium waren nicht so zahlreich, um problemlos für einen (Molekular-)Biologischen Masterstudiengang zugelassen zu werden. Glücklicherweise hat es nach einigen Rückschlägen und Ablehnungen dann mit einem Masterstudienplatz in „Molecular Life Sciences“ in Jena funktioniert. Nachdem ich dort meine molekularbiologischen Sporen verdient und den Abschluss gemacht hatte, war es wiederum eine recht glückliche Fügung, dass Cornelius – diesmal schon in Kiel – mir eine Doktorandenstelle über Drittmittel im Bereich der „Molekularen Ballistik“ anbieten konnte – er hat darüber schon in diesem Blog berichtet! Nun bin ich fertig promoviert und beginne bald, demütig aber froh, in Kiel als stellv. Abteilungsleiter eine Stelle für die Routinearbeit in der Forensischen Genetik: tatsächlich genau die Arbeit, die mir am meisten Spaß macht. Wohlwissend, dass ich dahin durch viel Geduld, noch mehr Glück, eine Tonne Vitamin B und mit mehr Schweiß und Tränen als ich hier berichten könnte gelangt bin! Per Aspera ad Astra…”
Jan E., Dr. rer. nat., wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin des UKSH
Jan ist seinem durch einen Vortrag geweckten Interesse an forensischer Genetik sehr konsequent gefolgt – immerhin hat er dafür ein Fach, auf das er schon länger gewartet hatte, sausen lassen – indem er zunächst naturwissenschaftliche Forensik studiert und seine Bachelorarbeit gleich zu einem forensischen Thema an einem Institut für Rechtsmedizin geschrieben hat. Seine Lücken in Molekularbiologie und Genetik, die der Bachelorstudiengang leider mit sich brachte, hat er durch ein Masterstudium gefüllt, ist aber für die Doktorarbeit in die forensische Genetik/Rechtsmedizin zurückgekehrt. Er war bereit, dafür seine Heimatregion zu verlassen und erst weit in den Osten und dann hoch in den Norden zu ziehen. Er hat gerade seinen Dr. fertig, aber durch seine inzwischen jahrelange Erfahrung in forensischer Genetik mit Spezialkenntnissen in molekularer Ballistik war er der ideale Kandidat für eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Rechtsmedizin des UKSH.
“Getreu dem Motto „Nur die inneren Werte des Menschen zählen“, welches ich als Abiturientin in mein Jahrbuch kritzelte, begab ich mich nach meinem Schulabschluss, mit der genauen Vorstellung Päläogenetikerin zu werden, auf Studienplatzsuche. Ziemlich schnell musste ich feststellen, dass solche Studiengänge wie „Forensik“ und „Anthropologie“ im deutschen Bildungssystem nur selten vorkommen oder aber die Jobchancen in den Bereichen nicht gutstanden. Also startete ich ein allgemeines Biologiestudium und spezialisierte mich im Hauptstudium, um meinem Traum näher zu kommen, auf die Fächer Genetik und Anthropologie. Im Rahmen der Vorlesungen in diesen Schwerpunktfächern wurden auch Themen aus dem Bereich der Forensik angeschnitten. Ich wurde neugierig und besuchte alle Vorlesungen, die vom Institut für Rechtsmedizin angeboten wurden, und belegte Rechtsmedizin sogar als nicht-biologisches Prüfungsfach (ja, im Diplomstudiengang war sowas noch möglich!). Nach längerer Wartezeit konnte ich sogar einen der raren und heiß begehrten Praktikumsplätze im DNA-Labor am Institut für Rechtsmedizin ergattern. Mit viel Eigenengagement und langem Atem konnte ich nach zahlreichen Bewerbungen (und ebenso vielen Absagen aus Kapazitätsgründen) eine Zusage für ein weiteres Praktikum im Bereich der forensischen Entomologie verbuchen. Das war der game changer: Das Praktikum mündete in eine Diplomarbeit am selbigen Institut und diese wiederum verhalf mir zu meiner Promotionsstelle in der Forensischen Genetik in einem anderen renommierten Institut. Mittlerweile schaue ich auf über zehn Jahre Erfahrung im Bereich der Forensik zurück und bin überzeugt, dass wohl doch nicht nur die inneren Werte zählen! Vielmehr verhalf mir eine Mischung aus Hingabe für die Forensische Genetik (um es mit den Worten eines Kollegen zu sagen „Ich liebe Elektropherogramme.“), Netzwerk, das ich mir in den Jahren im Fach aufgebaut habe, (die Gruppe der Forensiker ist sehr familiär) und sorgfältiger Arbeit gepaart mit dem Quäntchen Glück – über Umwege – letztlich doch an mein Ziel zu gelangen!”
Galina K., Dr.rer.nat., Sachverständige für forensische DNA-Analyse in einer amtl. Kriminaltechnikstelle
Galina hat Ihre gesamte Ausbildung/Studium auf eine Karriere in der forensischen Biologie (später: Genetik) ausgerichtet und zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Diplomarbeit) bereits Kontakt mit dem Feld aufgenommen. So konnte sie auch eine Promotionsstelle mit einem forensisch-genetischen Projekt an einem Institut für Rechtsmedizin bekommen, nach Abschluß derer und mit bereits jahrelanger Erfahrung ausgestattet sie sich mit sehr guten Chancen auf entsprechende Stellen bewerben konnte. Auch Galina mußte aber mehrfach den Ort wechseln, um zu promovieren und später im Beruf arbeiten zu können. Sie hat die Rechtsmedizin verlassen und ist seit mehreren Jahren auf ihrer jetzigen Stelle im “Amt”.
“Dass ich mal in der Rechtsmedizin lande, hätte ich mir nach der Schule auch nicht träumen lassen. Schon allein, weil ich gar nicht wusste, was das eigentlich ist. Klar, “Quincy” war bekannt, aber da hörte mein Wissen zur Forensik auch auf.
Ich hatte in der Schule viel Spaß an Naturwissenschaften und dabei ganz besonders an Biologie. Deshalb hatte ich mich schon ab etwa der 10. Klasse für ein Bio-Studium entschieden. Nach meinem (eher mittelmäßigen) Abi wurde ich von der ZVS an die Uni Göttingen verteilt, was für mich als Küstenkind ein wenig sonderbar war…so weit weg von Strand und Meer. Aber es gibt ja kein schöner Leben als Studentenleben, weshalb ich dann schnell festgestellt hab, dass der Studienort eher nebensächlich ist 😉
Das Studium (damals noch prä-Bachelor/Master) begann mit vier Semestern Grundstudium. Da biss man sich einmal quer durch alle Bereiche der Biologie und die anderen MINTs, damit eine gewisse Grundlage für die Entscheidung bestand, was man ab dem fünften Semester im Hauptstudium denn gerne vertiefen möchte.
Eigentlich ging ich einst mit dem Entschluss in das Bio-Studium, mich genauer mit Biochemie zu beschäftigen…was ich aber nach wenigen Stunden Biochemie schnell verworfen habe^^. Da mir auch Genetik Spaß gemacht hat, wollte ich dann das gerne als Hauptfach wählen, aber auch da war mir schnell klar, dass die Materie für mich etwas zu “trocken” war. Also habe ich nebenher noch ein paar freiwillige Praktika in der Humangenetik eingeworfen, wo es mir deutlich besser gefiel. Diagnostik und Forschung für konkrete Fragestellungen, die Patienten helfen, fand ich viel besser als Grundlagenforschung oder abstrakte Forschungsvorhaben. Aber da Humangenetik ein medizinisches Fach ist und ich als Biologe zuerst mal einen Abschluss vorweisen muss, damit ich dort quereinsteigen kann, half das bei der Entscheidung auch nicht weiter. Zumindest hatte ich neben den Pflichtfächern auch noch genug Zeit für Vorlesungen und Praktika anderer Fachbereiche, die mich einfach nur interessiert haben. Wie sich aber über die Jahre gezeigt hat, lohnt es sich wirklich, den Kopf auch mal aus dem eigenen (Fach-)Schneckenhaus zu stecken und sich inspirieren zu lassen. Ob es nun Geologie, Astrophysik oder Notfallmedizin ist, man kann später von diesem Wissen zehren und es auch konkret anwenden. Wobei die Möglichkeiten eines solchen “Studium generale” wohl heutzutage arg beschränkt sind. Leider.
Dennoch blieb mir also die Frage nach dem Hauptfach. Entwicklungsbiologie fand ich auch total interessant…aber der Professor war ein schrecklicher Choleriker und hat schon in der Vorlesung ständig Leute zusammengefaltet. Bei dem wollte ich nun auch nicht die nächsten Jahre verbringen. Rein zufällig begleitete ich eine Kommilitonin zu einer Vorlesung in die Anthropologie. Dazu gab es zwar im Grundstudium eine Vorlesung, die mich aber nicht so mitgerissen hatte. Aber jetzt wurde es interessant: In Göttingen liegt einer der Schwerpunkte auf der molekulargenetischen Analyse von alter DNA (aDNA) aus Knochen in alten Grabzusammenhängen. Damit konnten dann Fragestellungen zu Verwandtschaften geklärt werden, die bei der rein anthropologischen Begutachtung nur vermutet werden können. Also Genetik…und Knochen…und konkrete Fragestellungen! Genau meins. 🙂 So kam ich zu meinem Hauptfach. Als Nebenfach habe ich mir dann Humangenetik anerkennen lassen und als nicht-biologisches Nebenfach Physik.
Neben der Genetik wurden im Hauptstudium natürlich auch die klassischen anthropologischen Bereiche abgehakt. Ich habe also Skelette wieder zusammengesetzt und deren Alter, Geschlecht und sonstige Körpermerkmale abgeschätzt (Osteologie), einiges über unsere frühen Vorfahren gelernt (Paläoanthropologie) und Affen beobachtet und deren Verhalten analysiert (Verhaltensforschung). Hängengeblieben bin ich allerdings bei der Genetik und anderen Analysen im Labor. Und weil der Weg von der aDNA aus mittelalterlichen Knochen nicht weit ist zur nicht ganz so alten DNA aus Knochen oder anderen Geweben, war das Labor schon damals in die GEDNAP(German DNA Profiling)-Ringversuche der Spurenkommission eingebunden.
Und weil die nicht weit entfernt lag und mir das Thema irgendwie interessant vorkam, habe ich während der Hauptstudiums auch noch diverse Vorlesungen in der Rechtsmedizin angehört. So war ich dann tief drin im forensischen Sumpf und kam irgendwie auch nicht mehr heraus^^
Nach Abschluss des Studiums bin ich dann wieder in den Norden zurück und habe in Hamburg nach einer Stelle gesucht. Leider war die Anthropologie in Hamburg nicht sehr DNA-affin und in der Rechtsmedizin gab es keine Stelle, weshalb es mich zuerst einmal in die medizinische DNA-Diagnostik verschlagen hat. Bei einer privaten Firma, die für niedergelassene Ärzte DNA-Analysen für diverse genetisch bedingte Erkrankungen angeboten hat, sollte ich eine neue Methode zur SNP-Analyse etablieren.
In dieser Zeit habe ich mir wieder einmal Vorlesungen in der Rechtsmedizin angehört und das Thema erschien mir immer interessanter. Zumal ich mit der Zeit etwas verärgert darüber war, dass in der Privatwirtschaft die Wissenschaft dem Profit untergeordnet wird. Irgendwann habe ich dann einfach gewechselt (in die Rechtsmedizin, Anm. CC) . Weil es immer noch keine Stelle gab, habe ich erst ein paar Monate als Praktikant meinen Fuß in die Tür gesetzt und danach einige Jahre als HiWi gearbeitet. Wie üblich mit vielen unbezahlten Überstunden.
Inzwischen bin ich als Wissenschaftler angestellt, aber eine Stelle gibt es auch nach über 10 Jahren immer noch nicht. So ist es leider wie in vielen Bereichen der Naturwissenschaften, dass man sich von Befristung zu Befristung hangelt und dabei meist auch mehreren Töpfen bezahlt wird. Wer einen festen Job mit guter Bezahlung und festen Arbeitszeiten sucht, ist hier eher fehl am Platz.
Andererseits hat man eine extrem spannende, abwechslungsreiche Tätigkeit mit hoher Verantwortung. Es ergeben sich immer wieder Ansätze aus den Fällen und Fragestellungen durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft, etwas zu erforschen. Neben der Arbeit im Labor kommt man auch mal in den Sektionssaal, fährt an Tatorte und geht als Sachverständiger zu Gericht. Langeweile kommt garantiert nicht auf. Man sollte allerdings ein wenig leichenfest sein.
Im Gegensatz zu meiner Arbeit in der klassischen Anthropologie hat meine Arbeit konkrete Auswirkungen. Wenn man den Ermittlungsbehörden wichtige Hinweise liefern kann oder einer Familie Gewissheit und die sterblichen Überreste eines Verwandten, ja, selbst wenn es “nur” um eine simple Vaterschaft geht, ist es schon ein tolles Gefühl, wenn man helfen konnte.”
Oliver K., Dipl.-Biol., wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin des UKE Hamburg
Olli hat über Genetik, Humangenetik und Anthropologie an der Uni sein Interesse geformt, Kenntnisse gesammelt und wurde so “empfänglich” für die Rechtsmedizin bzw. die Aufgaben der forensischen Genetik dort. Er war nach nach der Uni nach kurzem Abstecher in die Wirtschaft dann so entschlossen, dort als forensischer Genetiker zu arbeiten, daß er viele Entbehrungen auf sich genommen hat (keine bis schlechte Bezahlung, prekäre Verträge etc.) und gleichzeitig sich selber unentbehrlich gemacht hat, so daß er unbeirrt jetzt schon mehr als 10 Jahre im Job ist. Immerhin konnte er im Institut in seiner Heimat bzw. zumindest im Norden unterkommen. (Wenn Ihr ihn mal trefft: quetscht ihn aus, er hat viele sehr spannende Geschichten auf Lager :))
„Wie man forensischer Genetiker wird“. Tja, wenn ich das wüsste. Seit mehreren Jahren versuche ich in dieses spannende Fachgebiet zu wechseln. Ende offen! Daher kann ich hier eigentlich nur berichten, wie man es offenbar NICHT anstellen sollte. Oder ist mein Weg am Ende vielleicht gar nicht so verkehrt?
Nach der Schule studierte ich Biologie und promovierte im Anschluss an mein Diplom im Bereich Evolutionsbiologie. Momentan baue ich unbefristet und in Vollzeit in einem medizinischen Labor als wissenschaftliche Leitung die molekulargenetische Diagnostik im Bereich Blutkrebs mit auf und kümmere ich mich um die Coronasequenzierung mittels Next Generation Sequencing.
Gegen Ende meiner Promotionszeit entwickelte sich in mir der Wunsch, in eine angewandte und den Menschen direkt nutzbringende Richtung umzuschwenken. Als ich bei meinen Recherchen auf die Forensische Genetik stieß, hatte ich das Gefühl „Das ist es!“. Abgesehen von einer Toxikologievorlesung waren mir forensische Themen an der Uni nie begegnet. Ich fand Figuren wie „Abby“ aus NCIS oder Quincy zwar schon immer sympathisch, hätte mir diese Thematik aber nie als Möglichkeit einer realen beruflichen Zukunft zugestanden. Schließlich soll man ja „etwas Vernünftiges“ lernen – nicht, was der gemeine Fernsehzuschauer gerade in amerikanischen Serien cool findet. In meiner Bewerbungsphase fing ich an, zusätzlich zu den ausgeschriebenen Stellen, nach und nach Initiativbewerbungen durch die ganze Republik bis einschließlich Innsbruck, Rotterdam und Den Haag zu schicken (RM, LKÄ, private Labore). Meine persönliche Liste der forensischen Labore wuchs parallel zum Stapel der Absagen. Immerhin – ein Gutachter an einer Rechtsmedizin (und zufällig Autor dieses Blogs ;-)) stellte mir in seiner Absage die Möglichkeit eines Praktikums in Aussicht. Yeahy, ein unbezahltes Praktikum als frische Frau Dr., die endlich mit ihrem angesammelten Wissen Geld verdienen will… Letztlich nahm ich ein paar Monate später doch etwas kleinlaut meinen Mut zusammen und den Hörer in die Hand. Kurz darauf wurde ein Kennenlerntermin vereinbart und DER war dann gewissermaßen die Initialzündung.
Zu Hause im stillen Kämmerlein ein paar Kriminaltechnikbücher lesen und sich auszumalen, wie man nett ein paar DNA-Profile auswertet oder tatsächlich das erste Mal mit anderen Menschen über Schusskanäle und Spermiennachweise auf gesicherten Textilien zu fachsimpeln, während drei Räume weiter echte Leichen seziert werden, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Jetzt war ich heiß! Vor meinem Praktikum besuchte ich noch den Spurenworkshop in Jena, weil ich wissen wollte, mit welcher Spezies ich es mit den forensischen Biologen so zu tun bekommen würde. Während meines Praktikums versuchte ich natürlich an Eindrücken mitzunehmen, was ging. Mit den gesammelten Erfahrungen und einem ersten (und anerkannten) forensischen Kontakt im Lebenslauf wurde ich in der Folge zumindest öfter zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Letztlich gingen die Stellen aber doch immer an Kandidaten mit „mehr Erfahrung“. Dass ich während meiner Doktorarbeit STRs nicht nur angewandt, sondern Primer dafür selbst entwickelt hatte – noch dazu für einen Nicht-Modellorganismus – und durch meinen fachlichen Hintergrund Erfahrung in komplexen statistischen Modellen mitbrachte, interessierte leider nicht wirklich. Auch machen meiner Erfahrung aus diversen Gesprächen mit behördlichen Mitarbeitern nach formale Kriterien (Stichwort „Über-“ bzw. „Fehlqualifizierung“) den Einstieg über praktische Stellen als Technische Assistentin oder Sachbearbeiterin Spurensicherung für studierte und gar promovierte Wissenschaftler nahezu unmöglich.
Sich erst nach der Promotion für den Einstieg in die Forensik zu entscheiden und damit in einen Fachbereich, in dem man selbst und auch der Doktorvater unbekannt ist, fordert einiges an Geduld, Frustrationstoleranz und Einsatz. Mehrere Absagen pro Woche über einen Zeitraum von vielen Monaten hinweg muss man auch seelisch erstmal wegstecken. Ob sich das Ganze am Ende lohnt? Wir werden sehen.
Anna R., Dr. rer. nat., wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Labor für molekulargenetische Diagnostik
Anna hat in meinen Augen genau das gemacht, was man machen muß, um zumindest eine Chance zu haben, wenn man erst nach der Promotion zur forensischen Genetik kommen will. Sie hat sich ein (unbezahltes) Praktikum in einer entsprechenden Abteilung ergattert (,das sie nur bekommen hat, weil wir wußten, daß sie Laborarbeit und genetische Kenntnisse schon drauf hatte), war auf einem sehr wichtigen Kongress, hat genetzwerkt, Bewerbungen in der ganzen Republik verschickt an Rechtsmedizinen und KÄ. Nebenher arbeitet sie sich durch einschlägige Bücher und Paper und bleibt mit der Community in Kontakt. Sie besitzt also die von ihr selbst genannten Geduld, Frustrationstoleranz und Einsatzwillen und wir wünschen ihr sehr, daß sich das bald auszahlt und sie den Sprung ins Feld schafft!
“Zahlreiche Serien, Bücher und der Tatort ließen mich davon träumen forensische Genetikerin zu werden, weshalb ich bereits in der Oberstufe eine Facharbeit über die forensische Entomologie geschrieben habe. Damals wusste ich noch nicht, dass man hierfür Biologie studieren kann, weshalb ich zunächst traurig war, nicht den nötigen NC im Abitur für Medizin erreicht zu haben. Mittels Losverfahren startete ich schließlich im April 2008 mein Diplom-Studium der Biologie an der Universität Mainz und konnte mich glücklicherweise in meinem Hauptstudium u.a. auf die forensische Genetik/Rechtsmedizin spezialisieren. Ich habe dabei jede freie Minute genutzt, um Einblicke in die Forensik zu bekommen, weshalb ich meine Semesterferien damit verbracht habe, mehrwöchige Praktika an den rechtsmedizinischen Instituten Mainz, Frankfurt und Köln zu absolvieren. Meine Diplomarbeit durfte ich an der Rechtsmedizin Köln bei Prof. Schneider anfertigen, wo mir neben einem sehr spannenden Thema nochmals ganz neue Möglichkeiten geboten wurden. Ich wurde in die forensische DNA-Analytik eingearbeitet, durfte Obduktionen besuchen und merkte sehr schnell, dass genau das meine Leidenschaft war. Dieser Scienceblog, ich entdeckte ihn zufällig im Internet, verhalf mir u.a. dazu, in meiner forensisch genetischen Diplom-Prüfung die Note 1,0 zu erzielen ( :-), Anm. CC). Nach dem Studium im August 2014 arbeitete ich einige Monate als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Prof. Schneiders Labor an einem spannenden RNA-Projekt. Leider gab es für mich im Anschluss nicht die Möglichkeit, meine Promotion anzufertigen, weshalb ich mich ab April 2015 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor Dr. Wisplinghoff mit onkologischen Fragestellungen und der Pränataldiagnostik beschäftigte. Im Januar 2017 bekam ich schließlich die Möglichkeit, meine Doktorarbeit bei der Labcon-OWL GmbH (Bad Salzuflen) in Kooperation mit der Rechtsmedizin Ulm anzufertigen und gleichzeitig als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abstammungsanalytik zu arbeiten. Zu meinen aktuellen Forschungsschwerpunkten gehören neben der forensisch-molekularen Identitäts- und Körperflüssigkeitsbestimmung mittels Next-Generation Sequencing derzeit auch die SARS-CoV-2-Diagnostik. Heute, einige Jahre später, leite ich bereits eigenverantwortlich die forensische Genetik der Labcon-OWL und bekleide darüber hinaus die Position der stellvertretenden Abteilungsleiterin unserer Routinediagnostik mit mehr als 60 Mitarbeiter*innen. Damals hätte ich mir nie vorstellen können, meinem Ziel so nahe zu kommen, aber ich habe mir mehr als bewiesen, dass es sich lohnt an seine Träume zu glauben.”
Janine F. S., Dipl.-Biol., wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Labcon-OWL GmbH
Jane hatte schon sehr früh eine starke Affinität zur forensischen Biologie/Genetik, so daß sie schon in der Schulzeit begann, Arbeiten darüber zu schreiben. Danach hat sie ein geeignetes Studium begonnen und sich währenddessen extrem zielstrebig und örtlich beweglich Gelegenheiten gesucht, Praktika zu absolvieren und forensisch zu arbeiten, so daß sie später auch ihre Diplomarbeit über ein forens.-genetisches Thema machen konnte. Nach ihrer Doktorarbeit, die derzeit die Arbeit in einem kommerziellen Diagnostik-Labor mit der Rechtsmedizin/forens. Genetik verbindet, wird sie sehr gut aufgestellt sein, um entweder im Privatlaborsektor zu bleiben (wo sie auch forens.-genetisch arbeiten könnte) oder sich wieder Richtung universitäre forensische Genetik zu orientieren.
Nachtrag am 11.08.2021:
“Wie vermutlich bei vielen, kam das erste Interesse an dem Themengebiet Forensik bei mir durch die Lektüre von Kriminalromanen. Auch wenn das darin vermittelte Bild oft nicht der Realität der Arbeit eines Forensikers entspricht, sprach mich die Möglichkeit, durch objektive Analysen etwa ein Puzzlestück zur Aufklärung von Straftaten beizutragen oder Familienverhältnisse aufklären zu können an.
Da es einen Studiengang “Forensik” in Deutschland zu dem Zeitpunkt noch nicht gab und ich mir ein Medizinstudium nicht vorstellen konnte, entschied ich mich für den Studiengang Biologie, um die naturwissenschaftlichen Grundlagen zu erlernen. Nach dem Vordiplom erkundigte ich mich dann, ob die Möglichkeit bestünde, Rechtsmedizin als nicht-biologisches Nebenfach zu belegen. Obwohl ich an meiner Uni zu diesem Zeitpunkt die erste Studentin mit diesem Antrag war, wurde dem glücklicher-weise zugestimmt und so konnte ich in die forensische Toxikologie, Entomologie und Genetik hineinschnuppern. Aufgrund dieser Praktika und durch ein Auslandssemester im Studiengang Forensic Science verfestigte und spezifizierte sich mein Ziel und als es Zeit für die Diplomarbeit war, fragte ich bei der Forensischen Genetik an der Rechtsmedizin in Bonn an. Nachdem ich zunächst zähne-knirschend eine Absage hinnehmen musste, bekam ich zwei Wochen später doch noch eine E-Mail, die in etwa besagte: „Wir haben vielleicht doch ein interessantes Projekt, aber dafür müsstest Du ins Ausland”. Und so kam es, dass ich meine Diplomarbeit an der Rechtsmedizin Bonn verfasste und die praktische Laborarbeit in einem anerkannten Labor in den Niederlanden durchführen durfte.
Durch diesen sprichwörtlichen Fuß in der Tür bekam ich nach erfolgreich abgeschlossenem Studium in der Bonner ForGe ein sehr interessantes Promotionsthema angeboten, welches ich sofort zusagen und beginnen wollte – nur leider ließ die Finanzierung auf sich warten. So überbrückte ich fast 1,5 Jahre als Praktikantin, mit Vorversuchen und kleineren Projekten. Eine Zeit in der durchaus von Freunden und Familie mal nachgefragt wurde, ob nicht vielleicht doch ein anderes Fachgebiet, in dem man leichter an Stellen käme, auch interessant sein könnte. Aber ich war noch nicht bereit meinen Traum aufzugeben und das Warten sollte sich lohnen: die Finanzierung durch die DFG wurde genehmigt und einige Jahre, ein tolles Projekt, viele Erfahrungen und einen Umzug nach Kiel später war die Doktorarbeit geschafft.
So sehr ich die Arbeit an den rechtsmedizinischen Instituten mochte, wurde mir mit der Zeit aber klar, dass ich mich auf Dauer mehr in der Routine-Fallarbeit als in der Forschung sah. Daher bewarb ich mich einige Monate nach meiner Verteidigung auf die Stellenausschreibung eines Landeskriminalamtes, und bin heute glücklich meinen Platz als Sachverständige „im Amt“ gefunden zu haben.
Zusammenfassend würde ich sagen war der Weg hierher eine Mischung aus Zielstrebigkeit, Geduld, viel Arbeit, vielen Umzügen und einer ordentlichen Portion Glück und passendem Timing.”
Eva S., Dr. rer. nat., Sachverständige für forensische DNA-Analyse an einem Landeskriminalamt
Evas Weg ist also dem von Galina sehr ähnlich: auch Eva war von Anfang an auf das Ziel “Forensische Genetik” fokussiert, verfolgte es konzentriert und hat sogar als Pionierin Rechtsmedizin als zweites Nebenfach im Rahmen des Biologie-Studiums durchbekommen. Wie Annica hat dann auch Eva Ausdauer und Durchhaltevermögen bewiesen, um auf Drittmittel für ihr Promotionsprojekt zu warten. Und wie viele andere war auch Eva bereit, ihre Heimat zu verlassen, um ihr Ziel zu erreichen. Dafür war sie, nachdem sie mit mir nach Kiel gegangen war, hier ihr Projekt (mit Verlängerung) zuendegeführt, den Dr. fertig und schon viel Erfahrung in der Routine gesammelt hatte, sehr gut aufgestellt, um die (wie sie inzwischen gemerkt hatte) präferierte Stelle an einem KA (, das übrigens auch nicht nahe Evas Heimat ist,) zu bekommen.
#Ende des Nachtrags#
Alle bisherigen waren Beispiele aus Deutschland. Zum Kontrast habe ich auch eine Schweizer Kollegin um Ihre Geschichte gebeten:
“Mein beruflicher Werdegang hat mit einer Berufslehre angefangen. Ich bin also hochoffiziell gelernte Drogistin 🙂 Nach vier Jahren Lehre wollte ich aber doch noch «ein bisschen mehr» und habe zwei Jahre berufsbegleitend die Berufsmatura absolviert. Nebenbei habe ich in der Drogerie weitergearbeitet.
Die Berufsmatura hat es mir anschliessend erlaubt, an die Fachhochschule zu gehen. Nach drei Jahren hatte ich den «Bachelor of Science in Molecular Life Sciences» in der Tasche. In einer Genetikvorlesung hatte ich das erste Mal von der forensischen Genetik gehört und war gleich Feuer und Flamme dafür.
Anschliessend hat es mich doch noch an die Universität verschlagen, wo ich den «Master of Biology, Genetics» abschliessen konnte. Für die Bachelor- sowie die Masterarbeit bekam ich die Chance, in zwei verschiedenen Instituten für Rechtsmedizin an spannenden Projekten zu arbeiten.
Am vielversprechenden Projekt meiner Masterarbeit durfte ich anschliessend im Rahmen meiner Doktorarbeit weiterarbeiten. Nun bin ich seit zwei Jahren an einem Institut für Rechtsmedizin als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und gleichzeitig absolviere ich die Weiterbildung zur forensischen Genetikerin (offizieller Fachtitel der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin).”
Ina S.*, Dr. sc. nat., wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem universitären Institut für Rechtsmedizin (*Name geändert, Anm. CC)
Ich weiß nicht genau, wie die Lage in der Schweiz ist, glaube aber zu wissen, daß es dort keine mit unseren KÄ vergleichbaren Behörden gibt und es gibt natürlich deutlich weniger Institute für Rechtsmedizin mit Abteilungen für forensische Genetik. Letztere müssen dann auch die ganzen Spuren aus Kriminalfällen bearbeiten und einige der Abteilungen sind deshalb in Routine- und Forschungsbereiche aufgeteilt. Dennoch wird es wegen der kleineren Zahl an Instituten vermutlich weniger Stellen für forensische Genetiker geben. Insofern passt Inas Werdegang, der nur insofern etwas untypisch ist, als sie vor dem Studium erst noch eine Ausbildung gemacht hat, ins Bild: auch sie hat sehr früh ihr Interesse für das Fach entdeckt und dann ganz gezielt Bachelor-, Master- und Doktorarbeit im Feld geschrieben. Nicht verwunderlich also, daß sie gleich nach dem Dr. eine Stelle als forensische Genetikerin an der Uni/Rechtsmedizin bekommen hat.
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P.S.: falls noch andere von Euch, die schon mit uns Kontakt hatten und/oder sich in der gleichen Situation befinden/befanden, hier mitlesen: bitte sehr gerne in den Kommentaren Eure eigenen Erfahrungen/Empfehlungen berichten.
]]>Ich habe mir deshalb gedacht, daß ich vielleicht einmal meine persönlichen Überlegungen, Erfahrungen, Empfehlungen und “Warnungen” hier aufschreiben sollte. Daß wir im Feld nichts mit Leuten anfangen können, die dem CSI-Effekt aufgesessen sind und eher sensationalistisches Interesse an statt realistische Vorstellungen von dem Fach haben, sage ich nur der Form halber dazu.
Kurz zum Überblick: Forensische Genetiker findet man in Deutschland vor allem an (meist aber nicht immer universitätsangebundenen) Instituten für Rechtsmedizin mit einer Abteilung für forensische Genetik, an allen Landeskriminalämtern, dem Bundeskriminalamt und in privat geführten Laboren für forensisch-genetische Dienstleistungen. Diese Standorte unterscheiden sich hinsichtlich des Aufgabenspektrums der dort tätigen Forensischen Genetiker v.a. in Bezug darauf, ob und in welchem Umfang zusätzlich zu Routine- und Verwaltungstätigkeiten auch Lehr- und Forschungsaufgaben zu bewältigen sind. Ich persönlich kenne mich v.a. im Bereich der universitären, rechtsmedizinassoziierten Forensischen Genetik aus. Kommentare von KollegInnen aus den anderen Zweigen sind hier daher herzlich willkommen.
Ich beginne mit meiner eigenen Geschichte, die ein besonders gutes Beispiel ist, wie man es nicht machen sollte:
Ich habe 2003 mein Biologie-Diplom gemacht mit einer Arbeit über adenovirusbasierte Gentransfervektoren zur Expression eines P. falciparum-Proteins (sollte ein Impfstoff werden, also absolut kein Bezug zur Forensik). Die Promotion ging über die molekulare Pathogenese primärer Lymphome des ZNS (spannend, aber absolut kein Bezug zur Forensik) und in meiner Doktorandenzeit habe ich aus Interesse nebenbei eine einschlägige Vorlesung an der Uni Köln für Biologen besucht, in der auch Forensische Genetik vorkam. Fand ich ganz interessant, mehr aber auch nicht. Als ich 2008 nach Ende der Promotion begann, mich etwas ziellos herumzubewerben (ich wollte eigentlich weg von der Uni, mehr Richtung Industrie), gab es eine Ausschreibung an der Uniklinik Bonn für eine Stelle am Institut für Rechtsmedizin in der Abteilung für “Hämogenetik” (wie es damals ungenauerweise noch hieß). Ich bewarb mich (mit so einer “kann man sich ja mal angucken”-Haltung), bekam tatsächlich die Stelle und begann dort als Molekularbiologe mit 0 Minuten Erfahrung in forensischer Genetik als Abteilungsleiter. Ich sage es nochmal: das war ein Ausreißer, ist völlig untypisch und absolut keine empfehlenswerte Strategie zur Maximierung der Chancen, wirklich eine Arbeit in diesem Bereich zu bekommen!
Im Gegenteil: Die beste Empfehlung, die ich habe, deren Befolgung am ehesten zum Erfolg füht, ist, so früh wie irgend möglich mit dem Feld und den Leuten darin in Kontakt zu kommen und forensische Erfahrung zu sammeln. Bemüht Euch frühzeitig um Praktika an einem Landeskriminalamt oder einem Institut für Rechtsmedizin und versucht, schon die Bachelorarbeit, spätestens die Masterarbeit an einer solchen Institution zu schreiben. Besorgt Euch die grundlegenden Lehrbücher, schaut nicht CSI, lest Paper und geht zu Kongressen wie dem Spurenworkshop. Auf letzterem treffen sich jährlich forensische Genetiker aus dem ganzen deutschsprachigen Bereich, ideal zum Kennenlernen und Netzwerken. Es ist übrigens nicht nötig, einen dedizierten Forensik-Studiengang (z.B. den hier) zu wählen. Man lernt darin zwar schon früh forensische Konzepte und verschiedene forensische Disziplinen kennen, in der Regel sind aber die Grundlagen für Molekularbiologie zu schwach, um damit wirklich später als forensischer Molekularbiologe arbeiten zu können. Es reicht, sich im Bachelorstudium gute Grundlage in Biologie und Genetik draufzuschaffen. Ein Masterstudium zur Vertiefung von Mol.Biologie und Genetik ist darüber hinaus immer extrem ratsam. Die forensische “Denkweise” und die Spezialitäten dieses Feldes kann man später genausogut bei Praktika in entsprechenden Instituten erlernen.
Hinweis: Ihr müßt auch örtlich flexibel sein und davon ausgehen, daß Ihr in Wohnortnähe keine Stelle finden werdet oder später in der Karriere den Ort wechseln müsst (mich hat es z.B. von Bonn nach Kiel verschlagen und demnächst wieder nach Köln).
Empfehlungen für Leute, die noch nicht mit einem Studium begonnen haben: Befasst Euch jetzt schon mit den theoretischen Grundlagen des Faches, lest dieses Blog, besorgt Euch Lehrbücher (die meisten sind auf Englisch, für Rechtsmedizin gibt es aber auch gute auf Deutsch), seid gut in Englisch, arbeitet auf einen NC hin, der es Euch erlaubt, ein Fach zu studieren, das Euch Grundlagen für den Beruf vermittelt (Biologie, Genetik, Molecular Life Science, Nat. wiss. Forensik o.ä.). Wenn Ihr schon eine Ausbildung habt, kann das sogar ein echter Vorteil sein. Wenn Ihr z.B. MTA, BTA, Laborant o.ä. seid, wird man Euch eher zutrauen, selbständig im Labor zu arbeiten und Euch schneller interessante Dinge zu tun geben.
Empfehlungen für Bachelor-Studenten (einschlägiges Studienfach): beginnt, Paper und Reviews aus dem Feld zu lesen (es ist hart am Anfang aber es muß sein und je früher Ihr damit anfangt, desto besser), bemüht Euch unbedingt um Praktika und um eine Bachelorarbeit in/über ein/er forens.-genetischen Arbeitsgruppe/Thema. Übt bei jeder Gelegenheit Pipettieren und sauberes Arbeiten.
Empfehlungen für Master-Studenten (einschlägiges Studienfach): vertieft Eure Kenntnisse in Genetik/Molekularbiologie, lest nebenher mehr Originalliteratur aus dem Feld, bemüht Euch unbedingt um Praktika und eine Masterarbeit in/über ein/er forens.-genetischen Arbeitsgruppe/Thema, vielleicht könnt Ihr in die Gruppe, in der Ihr die Bachelorarbeit gemacht habt, zurückkehren? Schaut Euch schon während der Masterarbeit nach einer Doktorandenstelle um. Und zwar in ganz Deutschland!
Empfehlungen für Doktoranden (forensisch-genetisches Thema): Nutzt die Zeit maximal aus! Publiziert, so gut es geht, helft mit in der Routine, so viel Ihr könnt und man Euch läßt (dokumentiert, was Ihr gemacht/gelernt habt: Methoden, Geräte, Gutachten, bei denen Ihr mitgearbeitet oder die Ihr alleine erstellt habt etc.), guckt Euch alle Ringversuche ganz genau an und lernt daraus, geht zu Tagungen (zur Not im Urlaub auf eigene Kosten!) und hört, seht, lernt, netzwerkt und sobald wie möglich: haltet selbst Vorträge oder stellt Poster aus. Feilt neben Eurem Englisch auch an Eurem Deutsch (mündlich und schriftlich): in Gutachten und bei Gericht wird Deutsch geschrieben und gesprochen. Befasst Euch mit dem Qualitätsmanagement (es ist zwischen tödlich langweilig und absolut nervig, aber es MUSS sein und Ihr MÜSST wissen, worum es dabei geht). Beteiligt Euch an der Lehre, betreut Praktikanten, Bacheloranden und Masteranden. Kurz: nehmt so viel mit und sammelt so viel Erfahrung wie nur irgend möglich. Werdet Euch klar, ob Ihr später eher forschen, lehren und daher an der Uni bleiben (mit all den Ungewissheiten, befristeten Stellen und sonstigen prekären Dingen, die das mit sich bringt) oder Euch lieber Richtung KA oder Privatlabor, wo Euch deutlich mehr Routinearbeit erwartet, orientieren wollt. Oder wollt Ihr ins Ausland? Dann informiert Euch erst recht ganz besonders gut, was da gefordert wird. So oder so: wenn Ihr nach der Arbeit die Gruppe verlassen müsst/wollt, bittet um ein Empfehlungsschreiben.
Empfehlungen für Studenten/Doktoranden (aus anderen Fächern): Solltet Ihr zuende studieren/promovieren oder (jetzt noch) das Fach wechseln? Ganz schwer zu sagen. Abbrechen/wechseln würde ich nur, wenn Ihr wirklich absolut sicher seid, daß Ihr in Eurem Fach nicht glücklich werdet und auf Grundlage gründlicher Recherche (dazu sollten (neben der Lektüre aller Artikel dieses Blogs ;)) auch Gespräche mit Leuten aus dem Feld zählen) unbedingt in die Forensische Genetik wollt und idealerweise bereits irgendwo ein Angebot für eine Arbeit/Promotion im Feld habt. Die Fallhöhe für diesen Schritt ist natürlich umso höher, je weiter Ihr schon in Eurer Ausbildung gekommen seid. Nach einem Jahr Bachelorstudium ist es sicher kein Problem, am Ende der Doktorarbeit schon eher.
Empfehlungen für Post-Doktoranden (ohne forensische Vorerfahrung): Ihr habt es tendentiell am schwersten, denn wenn Ihr nicht mit einem neuen Studium von vorn beginnen wollt, sind Eure Mitbewerber auf die eher raren Stellen im Feld (an einer Rechtsmedizin oder einem KA) sehr häufig Leute mit jahrelanger einschlägiger Erfahrung und Empfehlungsschreiben aus dem Feld. Sich ohne Erfahrung gegen die durchzusetzen, ist zwar nicht unmöglich aber überaus unwahrscheinlich. Am besten ist es wahrscheinlich, sich einen sicheren Job zu suchen und sich von diesem aus nebenher weiterzubilden (Paper lesen, Kongresse besuchen, Urlaub für Praktika nutzen etc.) und hartnäckig auf alle Stellen zu bewerben, die angeboten werden… bis es eben klappt oder man keine Lust mehr hat.
Das war der erste Teil meiner kleinen “Berufsberatung” für Menschen, die forensische Genetiker werden wollen. Im zweiten Teil frage ich Leute, die es schon oder aber auf dem Weg dahin sind, nach ihrem Werdegang.
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Heute vor 271 Jahren starb Johann Sebastian Bach und darum ist er unsterblich:
Der Kommentarbereich darf sehr gerne als interaktiver Konzertsaal aufgefasst werden, in dem Ihr, liebe LeserInnen, präsentieren könnt, warum Bach für Euch unsterblich ist
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