In fünf weiten Bögen schwingt sich die Kintai-Kyo-Brücke in Japan über den Nishiki-Fluss. Vor 335 Jahren wurde das spektakuläre Bauwerk errichtet.

i-b8257800032a4c57295faffceb2cdd0a-RGB_72ChinaBruecke03-thumb-500x333.jpg

Die Holzböcke unter dem ersten, flachen Brückenbogen sind kräftig umspült, wenn der Nishiki-Fluss Hochwasser führt.

Iwakuni, nur 40 Kilometer südwestlich von Hiroshima gelegen, ist heute eine mittelgroße Stadt in der Präfektur Yamaguchi, die seit dem Zusammenschluss mit sieben weiteren Gemeinden im Jahre 2006 etwa 150.000 Einwohner beherbergt. Die Altstadt liegt im Mündungsgebiet des Nishiki-Flusses, der in den Bergen des Hinterlands entspringt, durch das er sich mit einem Einzugsgebiet von 884 Quadratkilometern und 110 Kilometern Länge schlängelt: es ist der größte dieser Präfektur.

Iwakuni erreichte erst kurz nach der für die japanische Geschichte so entscheidenden Schlacht von Sekigahara vom 21. Oktober 1600 Bedeutung, als nämlich Hiroie Kikkawa, ein mit der Mori-Herrscherfamilie verwandter Feudalherr als erster Daimyo von Iwakuni den Auftrag erhielt, die landeinwärts gelegene Stellung zur Festung auszubauen. 1603 wird der Grundstein für die Burg gelegt, die bis 1608 an den Ufern des Nishiki-Flusses entstand. Die Festung liegt strategisch geschickt auf einer Anhöhe des Berges Shiroyama, der eine enge Flussschleife des Nishiki überragt. Der Ausbau zur Festung förderte die Entfaltung des Ortes zu einem aufblühenden Handels- und Kulturzentrum. Auf der rechten, engen Flussseite entstanden in diesen Jahren die Burg und die Häuser der Samurai, am gegenüberliegenden Ufer entwickelte sich eine Siedlung, in der sich die gewöhnlichen Krieger, Händler und Handwerker niederließen. Doch schon acht Jahre nach der Gründung wurde die Festung wieder geschleift, weil sie den Tokugawa-Herrschern ein Dorn im Auge war, deren militärische Strategie nur eine Festung in jeder Präfektur zuließ. Dem Daimyo blieb nur ein Palast an einem allerdings durchaus privilegierten Ort im Tal. Erst 1962 entstand auf dem Shiroyama wieder eine neue, jetzt aus Beton gebaute Burg, die für Touristen mit einer Seilbahn bequem zu erreichen ist. Die Häuser der Samurai sind in einem eigens angelegten Park zu besichtigen, auch ein hochattraktives historisches Museum, das Nishimura-Samurai-Museum fehlt nicht.

Weil auf dem rechten, engen Flussufer schließlich nicht mehr genügend Grundstücke für alle Samurai zur Verfügung standen, mussten sich immer mehr von ihnen auf der anderen Flussseite in der Nachbarschaft einfacher Leute ansiedeln. Vor allem für diese hochrangigen Krieger war eine schnelle und sichere Verbindung über den Fluss von existenzieller Bedeutung, bis im Jahr 1639 ein erster Holzsteg gebaut war. Nachdem dieser durch eine Flut im folgenden Jahr wiederum zerstört wurde, verbanden nur Fähren die Flussufer, eine Schwachstelle der Wehrsystems; da bei Flut auch dieser Fährverkehr eingestellt werden musste, war ein fester, dauerhafter Übergang über den Nishiki für das Bestehen der Siedlung der Samurai an beiden Ufern unverzichtbar. So wurde schließlich 1673 die Kintai-Kyo-Brücke als feste Verbindung zwischen der Stadt der Samurai auf der einen und der Stadt der einfachen Bürger auf der anderen Seite de Nishiki-Flusses gebaut. Doch sie diente nicht nur als praktisch-taktischer Übergang, sondern galt zugleich als symbolischer Ersatz für die 1615 geschleifte Burg. Von Anfang an ist die Brücke damit als metaphorischer Brückenschlag gedacht gewesen, der für Iwakuni die Wiederherstellung der einstigen, wenn auch kurzen Pracht der Festung bedeutet, die nun zwar politisch korrekt und daher friedlicher Natur ist, aber doch die Macht des Daimyo und seiner Samurais deutlich unter Beweis stellt, denn sie durfte bis 1868 natürlich nur von diesen genutzt werden. Diese Symbolik finden wir sowohl in der gewagten konstruktiven Lösung als auch in der zierlichen Anmutung der Brücke noch einmal verwirklicht. So deutet denn auch der Name der Brücke: »Kintai-kyo«, zu Deutsch »Brokatgürtel« oder »Brokatschärpe«, diskret und malerisch zugleich auf ihre unbeschwert gebogene und fein verzierte, dabei doch markante Silhouette hin.

Der Erbauer der Brücke ist der berühmte Hiroyoshi Kikkawa (1621-1679) der dritte Daimyo der Iwakuni-Sippschaft. Hiroyoshi war von seinem Entwurf derart bezaubert, dass er während der gesamten Bauzeit in Sichtweite der Baustelle Quartier bezog und dort verweilte, um den Baufortschritt persönlich beobachten und überwachen zu können. Nach beinahe vier Monaten war die Brücke am 1. Oktober 1673 fertig gestellt und konnte am 3. November desselben Jahres dem Verkehr übergeben werden.

Im Nishimura-Samurai-Museum ist ein eindrucksvolles Modell der Brücke zu sehen. Dort werden vor allem aber die historischen Zeichnungen der alten Baumeister aufbewahrt und die zeigen auf, dass sich an Materialwahl und Bauweise seit 1673 nichts geändert hat. Besonders stolz ist die Museumsleitung dort auf ein Holzkästchen mit einem Brückenplan des 18. Jahrhunderts auf dem ein Zettel mit einer Kalligrafie klebt, die daran erinnert, dass diesen Plan sogar der Tenno, der Kaiser Japans, eingesehen und gelobt hat.

– Dr. Dirk Bühler, Kurator der Abteilung Bauwesen des Deutschen Museums.

Einen Ausführlichen Artikel gibt es in der Zeitschrift Kultur&Technik, Ausgabe 3/2008.