Vor ein paar Tagen haben die Skeptiker nebenan noch einmal den Fall der Heilpraktikerin Renate Gampl und des von ihr vertriebenen, medizinisch nutzlosen, aber 5.900 Euro teuren Mittels „BG-Mun“ aufgegriffen. STERN-TV hatte im Sommer diesen Jahres darüber berichtet, der Film ist erschütternd.

Die Praxis der Heilpraktikerin existiert nach wie vor, ihr Angebot ist ein Vollsortiment der Scharlatanerie. Sie bietet nicht nur BG-Mun an, sondern z.B. auch „Vitalfeldtherapie“, „Scenartherapie“, „Airnergy“ und natürlich fehlt auch „Bioscan“ nicht. Dass Renate Gampl zeitweise auch noch mit einem Professorentitel, angeblich von der Viadrina in Frankfurt/Oder*, für ihre Angebote warb, mag man als Komik der besonderen Art sehen. Besonders dreist ist es auf jeden Fall: Die Viadrina hatte gegenüber STERN TV mitgeteilt, dass Frau Gampl weder dort studiert hat noch einen Professorentitel erhalten hat.

Renate Gampl und ihre Tochter, die ebenfalls in der Praxis als Heilpraktikerin tätig ist, sind fest in der örtlichen CSU verankert und haben über den regionalen „Gesundheits- und pflegepolitischen Arbeitskreis“ der CSU auch gute Beziehungen zu einflussreichen Landespolitikern der Partei. Die anderen Parteien sind natürlich ebenfalls nicht frei von solchen Lobbyisten der Irrationalität, wie man gerade erst wieder im bayerischen Landtag beobachten konnte.

Die politische Netzwerkarbeit der Alternativmedizin ist ausgesprochen effektiv. Man kann manches sicher so oder so sehen. Aber dass auch eindeutig abgründige Scharlatanerie so fest eingewoben in die politische Landschaft ist, macht doch etwas sprachlos.

Das Ausnutzen verzweifelter Menschen durch Scharlatane wie im vorliegenden Fall macht deutlich, wie vorsichtig man sein sollte, wenn man die „Wahlfreiheit“ von Patient/innen zur Verteidigung alternativmedizinischer Angebote gegen die evidenzbasierte Medizin ins Feld führt. Und mit Blick auf Bayern muss man sich fragen, ob Bayern in mancher Hinsicht nicht nur das Land von Laptop und Lederhose ist, sondern auch von CT und Bilsenkraut.

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Nachtrag 6.10.2019, zum Professorentitel:

Im diesem Stern TV-Video, bei Minute 7:44, wurde die Viadrina genannt.
In diesem Stern TV-Video, bei Minute 9:04, eine “Canceraid Church Nevada”.

Kommentare (12)

  1. #1 Herr Senf
    3. Oktober 2019

    CT ?? welche von den vielen Möglichkeiten soll ich mir hier denken?
    Irgendwas mit Ulm, das wäre aber BW und nicht BY?

  2. #3 borstel
    3. Oktober 2019

    Bitte kein Bilsenkraut-Bashing! Atropin ist ein klasse Zeug 😉 Das kann jeder Notarzt bestätigen.

  3. #4 pederm
    4. Oktober 2019

    Ja, aber weil er es günstigerweise mit Atropin aus der Ampulle, standardisiert und sauber, versucht, und nicht mit Bilsenkraut von der Kräuterhexe.

  4. #5 borstel
    5. Oktober 2019

    Och schade, neben dem Tavorleckstein und dem Ketanestvernebler wollte ich gerade den Stechapfelvaporizer patentieren lassen – männo!

  5. #7 Joseph Kuhn
    26. November 2019
  6. #8 noch'n Flo
    Schoggiland
    27. November 2019

    @ borstel:

    Lass bloss die Finger vom Stechapfel, den habe ich selber in böser Erinnerung.

    @ pederm:

    Derselbe Notarzt gerät dann aber ganz schnell ins Schwitzen, wenn er mal eine ganze Schulklasse auf Klassenfahrt in der Notaufnahme hat, die am Vortag auf einer Wanderung Bilsenkraut gefunden und sich am Abend daraus gemeinsam einen Tee gekocht haben (so original geschehen im Unispital GÖ vor gut 15 Jahren).

  7. #9 Joseph Kuhn
    31. Januar 2020

    Update:

    Aus der Schrobenhausener Zeitung: Die Heilpraktikerin ist in U-Haft: “Sie hat versucht, auf Beweismittel Einfluss zu nehmen beziehungsweise zu vernichten”, so die Staatsanwaltschaft.

  8. […] führen, bei dem jede Menge Ärger und nur bedingt Zustimmung in der Bevölkerung zu erwarten ist. Zumal die Alternativmedizin auch viel Sympathie in der Politik selbst genießt. Das Thema bleibt in der […]

  9. #11 Joseph Kuhn
    22. Juli 2022

    Update:

    Das Praxisangebot heute: https://www.naturheilpraxis-schrobenhausen.de/

    Vor einem Jahr begann der Prozess in Sachen BG-Mun vor dem Landgericht Ingolstadt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals, dass das Urteil für Februar diesen Jahres erwartet wird: https://www.sueddeutsche.de/bayern/schrobenhausen-heilpraktikerin-krebs-medikament-betrug-1.5325958

    Ob schon Februar ist?

  10. #12 Joseph Kuhn
    16. Juni 2023

    Urteil gefällt

    Drei Jahre Haft für die Heilpraktikerin, sechs Jahre für den Unternehmer: https://www.donaukurier.de/lokales/landkreis-neuburg-schrobenhausen/heilpraktiker-prozess-am-freitag-faellt-das-urteil-12114469