Vorgestern hat die Pressestelle des Ifo-Instituts, ein renommiertes Wirtschaftsforschungsinstitut der Leibniz-Gemeinschaft, die Weltpresse auf Deutsch und Englisch mit einer guten Nachricht beglückt: „Im Jahr 2020 ist bis zum 18. April keine Übersterblichkeit erkennbar.“ Alles nur Zufallsschwankungen, nicht mehr. Die Presse hat das übernommen, große und kleine Medien, solche mit Wissenschaftsredaktion und solche, bei denen eher Kleinanzeigen das Kerngeschäft ausmachen. Aber bis heute ist die Ifo-Analyse nicht veröffentlicht. Auf Nachfrage erhält man ein kurzes Papier mit einer guten Seite Beschreibung und mehreren Seiten Verlaufsgrafiken.

Das Ifo-Institut hat mit den Sterbefällen des Statistischen Bundesamtes, die auch hier schon mehrfach vorgestellt wurden, Sterberaten gebildet und die wöchentlichen Sterberaten für 2020 mit dem Durchschnitt der Jahre 2016-2019 verglichen. Man hat dem wöchentlichen Verlauf eine Sinuskurve als Baseline hinterlegt, dazu Konfidenzintervalle (80 %, 90 %, 95 %) gebildet und dann festgestellt, dass man nichts feststellen kann. Zufällig passt die Botschaft zum Anliegen der Wirtschaft, bei den Lockerungen des Shutdowns mutiger voranzuschreiten. Aber das ist sicher nur Zufall. Und um Zufallsschwankungen geht es in der Ifo-Analyse ja.

Mich erinnert das ein bisschen an Lehrer Bömmel aus der Feuerzangenbowle. „Wat is´n en Effekt? Da stelle ma uns mal janz dumm, und sagen, en Effekt is‘n jroßer, runder, schwarzer Raum mit zwei Löchern. Durch das eine kommt die Signifikanz rein, un das andere krieje ma späta.“

Die Frage ist, ob man sich im Zusammenhang mit der Übersterblichkeit so dumm stellen darf, als ob man gar nichts wüsste und daher Daten, ganz wissensfrei, als ob sie auf reinem Zufall beruhen könnten, daraufhin testet, wie wahrscheinlich sie tatsächlich rein zufällig sind. Das ist im Falle, dass man nichts weiß, die Standardprozedur: Wenn man Zufall nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen kann, sagen wir 80 %, 90% oder 95 %, dann gehen wir davon aus, dass da kein Effekt, sondern nur der Zufall am Werk war. Wie gesagt, das macht man, wenn man nichts weiß. Wenn man etwas weiß, übergeht man so dieses Vorwissen. Wenn in den Alpen ein Bus verunglückt und alle sterben, erhöht das nicht signifikant die Sterberate Bayerns. Aber das Busunglück hat trotzdem stattgefunden, das weiß man und das Busunglück wird nicht durch einen Signifikanztest unwirklich.

Man kann jetzt fragen, wissen wir das auch bei der Übersterblichkeit 2020? Das wissen wir, und zwar definitiv, weil die Sterbefälle, wie sie das Statistische Bundesamt berichtet und wie sie für die Ifo-Analyse verwendet wurden, eine Vollerhebung darstellen und keine fehlerbehaftete Stichprobe aus welcher Grundgesamtheit auch immer. Wir wissen auch, dass der Beginn der nachzählbaren Übersterblichkeit gut zum Verlauf der Epidemie passt, dass die neuerdings zu beobachtende Abnahme der Übersterblichkeit ebenfalls gut zum Verlauf der Epidemie passt, dass der Effekt also sogar eine inhaltlich aussagekräftige Form hat, übrigens in Bayern ebenso wie in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, also gewissermaßen unabhängigen Stichproben. Wir könnten uns bestenfalls darüber streiten, ob die Übersterblichkeit deswegen auf das Virus zurückzuführen sein muss oder ob das eine zeitlich zufällige Koinzidenz oder ein Confounding mit dem Verlauf der Epidemie sein könnte. Das müsste man in manchen Ländern durchaus in Rechnung stellen, wenn z.B. die Versorgungskapazitäten nicht gereicht haben und deswegen mehr Menschen gestorben sind. Auch bei uns wird auf lange Sicht die coronaassoziierte Exzesssterblichkeit möglichweise durch Effekte bestimmt, die durch die Krise bedingt sind, aber nicht direkt durch das Virus verursacht. Jetzt ist das noch nicht anzunehmen.

Darum ging es dem Ifo-Institut aber nicht, ihm ging es um die Übersterblichkeit an sich. Die ist im Konfidenzintervall untergegangen, wie übrigens auch die Übersterblichkeit in den heißen Sommertagen 2018 und wie so manches Busunglück. Das Ifo-Institut wäre gut beraten, nach zwei Tagen seine Analyse zu veröffentlichen und klar zu erläutern, was in diesem Fall mit der Nichtsignifikanz ausgesagt werden kann und was nicht. Nicht, dass man doch noch wie vor kurzem beim Statistischen Landesamt Nordrhein-Westfalen auf ungute Gedanken kommt, „shaping the economic debate“, zum Beispiel. Die Analyse sagt, so sehe ich es, lediglich, dass es bisher keine besonders große Übersterblichkeit gibt. “German mortality rate barely increases despite coronavirus outbreak”, so heißt es ja auch auf der Ifo-Homepage. Darüber besteht Konsens, das war das Ziel aller politischen Maßnahmen.

An diese Diskussion lässt sich übrigens eine interessante philosophische Frage anschließen: Wann wissen wir so viel über eine Sache, dass wir uns nicht wie Lehrer Bömmel verhalten sollten, wann noch nicht? Und sicher kann man kluge statistische Anmerkungen machen, das überlässt der einfache Datenhandwerker gerne den Fachleuten.

Kommentare (32)

  1. #1 RPGNo1
    23. Mai 2020

    Darf man dem ifo-Institut einen gewissen Wirtschaftsbias unterstellen, wenn sie den Zahlen des Statistische Bundesamts widerspricht? Den Herren Laschet und Lindner und auch so gewissen Coronavirus-VTlern dürften die Aussagen des ifo-Instituts jedenfalls willkommene Munition sein.

  2. #2 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. Mai 2020

    Das ist ja erfreulich, dass nicht mehr Menschen sterben als sonst. Die interessante Frage wäre jedoch, weshalb es keine Änderung gibt.

    Wirken die Massnahmen, oder war es falscher Alarm?

    Der Vergleich mit Schweden wäre entsprechend höchst hilfreich. Bei dem Zahlenunfug, der jedoch in den Medien berichtet wird, und den ganzen systematischen Fehlern beim Erheben wäre eigentlich nur noch eine Zahl zum Vergleich tauglich.

    Wieviele Personen sind nachweislich an COVID-19 (und nicht: mit COVID-19) verstorben?

    Wieviele waren es in Schweden pro 1000 Einwohner, und wieviele in Deutschland pro 1000 Einwohner?

    Und wie wurden diese Zahlen genau erhoben?

  3. #3 Uli Schoppe
    23. Mai 2020

    @RPGNo1 Politiker und VTler auf eine Stufe zu stellen finde ich gerade nicht angemessen. Obwohl ich die beiden nicht wählen würde 😉 Was den Wirtschaftsbias angeht: Ich habe auch einen. Derr sich nicht mit der Regierung deckt.

  4. #4 RPGNo1
    23. Mai 2020

    @Uli Schoppe

    Ich stelle VTler und Politiker nicht auf eine Stufe. Das Problem ist, dass beide Gruppen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, versuchen werden, aus den Nachrichten Nutzen zu schlagen.

  5. #5 Joseph Kuhn
    23. Mai 2020

    @ RPGNo1:

    “Darf man dem ifo-Institut einen gewissen Wirtschaftsbias unterstellen, wenn sie den Zahlen des Statistische Bundesamts widerspricht?”

    Es widerspricht ihm nicht, es interpretiert die Daten statistisch.

    @ Volker Birk:

    “Das ist ja erfreulich, dass nicht mehr Menschen sterben als sonst.”

    Das sagt das Ifo-Institut nicht. Es sagt, dass es keine statistisch signifikante Übersterblichkeit gibt. Die Frage ist, und ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, was ist damit eigentlich ausgedrückt?

    “Wieviele Personen sind nachweislich an COVID-19 (und nicht: mit COVID-19) verstorben?”

    Sie meinen, nach einer eingehenden wissenschaftlichen Untersuchung, für jeden einzelnen Sterbefall in Deutschland akribisch geprüft, ob das Virus z.B. beim Diabetiker nur dazu kam, oder das Leben um mehr als einen Schwellenwert, sagen wir, 1 Monat, verkürzt hat? Und ob die Lungenembolie von Herrn X, bei man eigentlich nicht an Corona dachte, nicht doch auf das Virus zurückgegangen sein könnte, also schnell noch posthum testen, dann obduzieren? Ist das so Ihre Vorstellung von “nachweislich”?

    Ich denke, man sollte die Übersterblichkeit ernst nehmen. Es gibt derzeit keine plausible alternative Erklärung für die zusätzlichen Sterbefälle und ihre Verlaufskurve als Corona. Bis zum 26. April also ca. 7.000 Sterbefälle, die wohl auf Corona zurückgehen, wenn auch nicht “nachweislich” im Sinne von “jeder Fall einzeln wissenschaftlich geprüft”. Die Übersterblichkeit in Schweden seit Mitte März wird auch nicht auf andere Effekte zurückzuführen sein, die Betten haben dort auch ausgereicht.

  6. #6 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. Mai 2020

    @Joseph: wie habe ich den Eindruck erweckt, dass ich das Thema etwa nicht ernst nehmen würde?

    Pathologische Untersuchungen finden ja jetzt statt, da das RKI sie nicht mehr ablehnt. Ich gehe mal davon aus, dass man beispielsweise im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, aus dem die Kritik am RKI ja kam, in der Lage ist, die notwendigen Untersuchungen auch durchzuführen. Dasselbe traue ich selbstverständlich auch anderen Pathologen zu.

    Die Massnahmen haben auch unerwünschte Effekte. Die Krankenhäuser stehen zwar derart leer, dass einige Kurzarbeit angemeldet haben, aber das hat auch den Grund, dass Leute, die ernsthaft krank sind, nicht zum Arzt gegangen sind. Es gibt nun einige Ärzte, die darauf hinweisen, dass dadurch Leben riskiert werden.

    Was spricht denn gegen eine Untersuchung des Sachverhaltes?

  7. #7 Uli Schoppe
    23. Mai 2020

    @RPGNo1 Es klang halt so an 🙂 Und ich werde das Gefühl nicht los das sich da Politik und Nachrichten gegenseitig beschleunigen: Warum ist es erwähnenswert das sich 7 Leute in einem Essensgeschäft angesteckt haben? (Es werden mehr sein^^ ) Ein r0 von 15 bei Masern nehmen wir doch auch immer mit bei den Anthroposophen. Weil es geht.

  8. #8 rolak
    23. Mai 2020

    Die verlinkte PresseMitteilung klingt wie übelstes Verscheißern. Oder hat denen keiner gesagt, daß ‘kaum erhöht’ kein Synonym zu ‘innerhalb der [üblichen] Bandbreite’ ist?
    Oder wäre es etwa erleichternd für Schmerzpatienten, zu erfahren, daß sich die Intensität des zu Ertragenden kaum erhöht habe, weil die Änderung innerhalb der zu erwartenden Bandbreite läge – wenn es zB um eine Verdoppelung geht?

  9. #9 Horst
    23. Mai 2020

    @Volker Birk: *An* und nicht *mit* Covid-19 sind ähnlich viele Menschen gestorben, wie *am* Rauchen gestorben sind. Ungefähr gar keine.

    Weder Rauchen noch Covid-19 sind deswegen automatisch harmlos.

  10. #10 RPGNo1
    23. Mai 2020

    @Joseph Kuhn

    Es widerspricht ihm nicht, es interpretiert die Daten statistisch.

    Ok, danke für die Korrektur.

  11. #11 Joseph Kuhn
    23. Mai 2020

    @ Volker Birk:

    “Was spricht denn gegen eine Untersuchung des Sachverhaltes?”

    Sie meinen, ob etwas gegen Obduktionen spricht? Aus meiner Sicht nicht. Aber die Frage, wie viele Menschen an Corona gestorben sind, werden Obduktionen nicht beantworten. Dazu müsste man alle seit Mitte März Gestorbenen, nicht nur die positiv Getesteten, obduzieren. Und selbst dann stünde die Zahl der Coronatoten vermutlich nicht “nachweislich” fest, so eindeutig wird das auch die Pathologie bei multimorbiden Patienten nicht immer ermitteln können.

    Oder meinen Sie die Untersuchung der Übersterblichkeit? Dagegen spricht auch nichts. Wir diskutieren hier doch ausgiebig darüber, wie man das in sinnvoller Weise tun kann.

  12. #12 Uli Schoppe
    23. Mai 2020

    @rolak Ich denke Du hast gerade erfasst worum es an dieser Stelle geht….
    Geh mal raus in meine Werkhalle umd Du bist erstaunt, die sehen alle keine Pandemie. Weil alle so vernünftig waren als Abstandsregeln im Gespräch waren die einzuhalten. Und das gemacht haben was vernünftig möglich ist. Ohne die Sheriffs vom Ordnungsamt. Ohne Gesetz, ohne Zwang.

  13. #13 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2020/05/22/seuchenbuchtricks-2/
    23. Mai 2020

    @Volker Birk:

    Wieviele Personen sind nachweislich an COVID-19 (und nicht: mit COVID-19) verstorben?

    Wenn Dich die Frage so interessiert, dann solltest Du doch von dem Hamburger Pathologen (Puschel o.s.ä.) gehört haben, der Autopsien an seinem KKH angestellt hat, und darauf kam, dass 96% derjenigen, die mit Corona gestorben sind auch an Corona gestorben sind, 4% an was anderem.

    Ich meine anfangs mit ca. 50 Fällen, später nochmal und konnte seine ersten Ergebnisse bestätigen.

    Also wohl nichts, was sich skandalisieren lässt. Und das ist doch jetzt schon seit Wochen bekannt.

  14. #14 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. Mai 2020

    Vermutlich kann man das Thema nicht mehr ohne Emotionen diskutieren. Das Niveau der Diskussion ist dazu bereits viel zu emotional.

    Ich wünsche allen ein schönes Wochenende!

  15. #15 nouse
    23. Mai 2020

    “Es sagt, dass es keine statistisch signifikante Übersterblichkeit gibt. Die Frage ist, und ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, was ist damit eigentlich ausgedrückt?”

    Es sind 2020 nicht mehr Menschen gestorben als in vergleichbaren Zeiträumen vorhergehender Jahre.

    Aber das wusstest Du doch, oder?

    Wenn Du die Methodik anzweifelst (die anscheinend gar nicht veröffentlich ist), kannst Du doch eigene Berechnungen durchführen? Die Daten sind ja da.

    Interessanter fände ich, wie man hier einen P Wert findet. Permutiert man? Kannst Du da was zu schreiben?

    • #16 Joseph Kuhn
      23. Mai 2020

      @ nouse:

      “Es sind 2020 nicht mehr Menschen gestorben als in vergleichbaren Zeiträumen vorhergehender Jahre.”

      Das ist nicht die Frage, um die es geht. Es geht um die Frage, ob Corona zu einer Übersterblichkeit geführt hat. Da sind die Monate Januar und Februar irrelevant. Wie schon mindestens so oft wie mindestens gesagt.

      “Aber das wusstest Du doch, oder?”

      Selbstverständlich. Ich bin ja nicht doof.

      “Wenn Du die Methodik anzweifelst … kannst Du doch eigene Berechnungen durchführen? Die Daten sind ja da.”

      Das habe ich inzwischen drei vier mal getan, für alle drei vier Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes, zuletzt gestern: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2020/05/22/coronakrise-uebersterblichkeit-ruecklaeufig-2/

      “Interessanter fände ich, wie man hier einen P Wert findet. Permutiert man? Kannst Du da was zu schreiben?”

      Im Prinzip könnte ich was dazu schreiben, im Detail nein, weil etwas unklar ist, was “hier” in dem Fall meint. P-Wert für was konkret? Für altersspezifische Hazard-Ratios? Für Abweichungen von einer modellierten Baseline? Für die Frage, ob die Übersterblichkeit 2020, die Übersterblichkeit ab Mitte März oder sonst etwas von was auch immer abweicht? Aber p-Werte und Konfidenzintervalle hängen bekanntlich zusammen, daher hilft vielleicht das erst mal weiter, z.B. wird da der Punkt mit dem Vorwissen auch angesprochen: https://scienceblogs.de/gesundheits-check/2017/12/16/der-p-wert-hat-bewaehrung/. Für vertiefende Fragen wenden Sie sich bitte an Ihren Statistiker oder Biometriker oder fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.

      Was genau war eigentlich Ihr Anliegen?

  16. #17 Viktualia
    23. Mai 2020

    @Bömmel – ich kann es nicht glauben, dass die so dreist sind.
    (Ich hab eben noch nebenan gefragt, ob eine einstellige Erhöhung mit “Über” kompatibel sei. Hatte noch zuviel “Vertrauen in die Konfidenz”, wenn ich das jetzt mal so ausdrücken darf.)

    Wenn ich ein Konfidenzintervall von 80% habe, brauche ich eine Steigerung der (durchschnittl.) Sterblichkeit von mindestens 21% um überhaupt was zu sehen – das habe ich jetzt (endlich) richtig verstanden, oder?

    “Wann dat Loch op der eene Sick Zehn Zenntimeta jros es, moss et op der annere Sick mieh wie Zwölleff hann, domet jet errros kütt.” (Konfidenzfaktor 80%)
    (Unn dat Loch up de iierschte Sick ess esu jros wie dat, wat fröter erruss jekun es.)

    Ein wenig polemisch ausgedrückt möchten die 160.000 Tote “vertraulich behandeln” (20% der jährlichen 10% der Bevölkerung) bevor es ein “Lob für die Vorsicht” gibt, soso.

    Ich hoffe, ich irre mich.
    Oder anders ausgedrückt, was bitte soll mich das Lehren?
    (Ausser, dass es im Bömmelschen Universum schwarze Löcher mit verschieden dicken Bloodwürschje gibt….)

    • #18 Joseph Kuhn
      23. Mai 2020

      @ Viktualia:

      “Wenn ich ein Konfidenzintervall von 80% habe, brauche ich eine Steigerung der (durchschnittl.) Sterblichkeit von mindestens 21% um überhaupt was zu sehen – das habe ich jetzt (endlich) richtig verstanden, oder?”

      Nein. Das sind 80 Äpfel und 21 Birnen. Aber eine Statistik-Nachhilfe kann ich beim besten Willen in Kommentarform nicht organisieren. Es gibt wirklich gute Bücher zum Einlesen, vorgestern hier z.B. empfohlen: Razum, O., Breckenkamp, J., Brzoska, P.: Epidemiologie für Dummies. Weilheim, Wiley, 3. Auflage 2017, oder etwas mehr Richtung Statistik: Kuckartz U. et al. Statistik. Eine verständliche Einführung. Wiesbaden, VS, 2010. Beide gut verständlich.

      Den Rest Ihres Kommentars habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden, z.B. wo Ihre 160.000 Toten herkommen (ist das die Gesamtzahl des ersten Quartals?), was Sie mit “20% der jährlichen 10% der Bevölkerung” meinen und was Sie eigentlich sagen wollen.

      Vielleicht sollte ich noch einmal ganz klar sagen: An der Aussage des Ifo, dass sich gemessen an den genannten Schwellen keine Auffälligkeit bei den Sterbewahrscheinlichkeiten 2020 zeigt, ist nichts falsch. Für falsch halte ich nur die Schlussfolgerung, die auch in der Presse häufig so wiedergegeben wurde: “Im Jahr 2020 ist bis zum 18. April keine Übersterblichkeit erkennbar.”

  17. #19 Viktualia
    23. Mai 2020

    @”Lehren” – vielleicht solte ich (für die linear denkenden Akademiker hier) dabei sagen, dass ich natürlich auch realisiert habe, dass “die Wursch auch 8 Zentimeter” haben kann, also auch 160.000 Überlebende mehr als üblich nicht auffallen.
    (Aber um Bömmel so was in den Mund legen zu können, muss ich mich erst abregen.)

  18. #20 nouse
    24. Mai 2020

    “Im Prinzip könnte ich was dazu schreiben, im Detail nein, weil etwas unklar ist, was “hier” in dem Fall meint. P-Wert für was konkret? Für altersspezifische Hazard-Ratios? Für Abweichungen von einer modellierten Baseline?”

    Die Aussage ist “Die Sterblichkeit 2020 unterscheidet sich nicht signifikant von der Sterblichkeit 2019 (2018)”.

    Da hinter muss ja irgendein Test stehen, sonst gäbe es keine Konfidenzintervalle bzw. kein P. Wie vergleicht man solche Aufnahmen miteinander?

    Ich habe das hier gefunden: https://www.euromomo.eu/how-it-works/methods/ Da ist das ganz gut erklärt.

  19. #21 nouse
    24. Mai 2020

    “Wenn ich ein Konfidenzintervall von 80% habe, brauche ich eine Steigerung der (durchschnittl.) Sterblichkeit von mindestens 21% um überhaupt was zu sehen – das habe ich jetzt (endlich) richtig verstanden, oder?”

    Ein KI ist das Werteinvall, in dem sich der wahre Wert einer Messung, zB ein Mittelwert, “versteckt”. “Verstecken” deshalb, weil Du wahrscheinlich nie genug Messungen machen kannst, um diesen wahren Wert fehlerfrei festzustellen. Du kannst zB nicht alle Deutschen fragen, wieviel Bier sie trinken. Also schätzt Du das ab auf der Grundlage von vllt. 1000 Leuten, nämlich durch den Mittelwert und die Streuung der Werte um diesen Mittelwert. Daraus lässt sich das KI berechnen. Dieses Werteinvall bezieht sich dann auf (imaginäre, unendliche) Wiederholungen Deines Experiments, zB wenn Du immer wieder 1000 andere Deutsche nach ihrem Bierkonsum fragen würdest. Und Du musst Dir noch wünschen, mit welcher Wahrscheinlichkeit Dein Konfidenzintervall den “wahren” Wert enthalten soll. Oft sind das 95%. Je breiter das KI, desto grösser waren die Streuungen innerhalb Deiner Stichprobe, dH vermutlich war Deine Stichprobe zu klein.

    Wenn also irgendwo steht “Mittelwert ist 10 (95% CI [8, 12]”, dann liest Du “Mit 95% Wahrscheinlichlichkeit befindet sich der “wahre” Mittelwert zwischen 8 und 12.” Das ist viel genauer als “10 (95% CI [6, 14]”.

    Oder noch besser interpretiest du das Ergebnis als “Immer wenn ein zukünftiges Experiment einen Wert zwischen 8 und 12 findet, wird dieses Experiment zu 95% ein richtiges Ergebnis aufweisen”.
    Ist also ein Mass für die Präzision Deiner Messung.

    Das Konfidenzintervall hat eine total nützliche Eigenschaft, wenn man zwei Populationen miteinander vergleichen will, zB den Bierkonsum von Deutschen mit dem von Franzosen.
    Überlappen sich die KIs für beide Gruppen kann man – ohne irgendein Testverfahren zu bemühen – daraus schliessen, daß kein signifikanter Unterschied vorliegt, dH der Bierkonsum zwischen Deutschen und Franzosen wäre statistisch nicht voneinander unterscheidbar.
    Andere, eng verwandte Angaben zur Verlässlichkeit einer Messung, die Standardabweichung und der Standardfehler erlauben das nicht!

  20. #22 Viktualia
    24. Mai 2020

    @nouse – Danke, “Immer wenn ein zukünftiges Experiment einen Wert zwischen 8 und 12 findet, wird dieses Experiment zu 95% ein richtiges Ergebnis aufweisen”. – (Das ist viel genauer als “10 (95% CI [6, 14]”.) – da kann ich wenigstens “sehen” wo mein Denkfehler liegen könnte.
    Was ich ansonsten ergoogeln kann, verstehe ich (noch) nicht ganz, bzw. bin nicht auf die Abkürzungen und ihre Bedeutungen geeicht. (Aber dass sich “80%, bzw. 95%” nicht direkt auf die Toten, sondern die Wahrscheinlichkeit bezieht, ist angekommen.)

    @ Herr Joseph: 160.000 sind 20% der jährlichen Toten in der Gesamtbevölkerung (1%, laut Google, 800.000) nicht 10%, da hatte ich mich doch glatt verschrieben. Das tut mir von Herzen leid.
    —————

    Die Massnahmen haben gewirkt – und die “Risikogruppen” sind wegen ihres Risikos schon daran gewohnt gewesen, in “Krisenzeiten” besser Zuhause zu bleiben.
    Natürlich sieht man bei 80.000.000 Menschen nicht viel, wenn man von der jährlichen Sterbestatistik ausgeht und einem knapp 4 monatigem Geschehen mit 2 Monaten Lockdown.

    Die Gefahr des Virus besteht, in meinen Augen, nicht nur im “Quantitativem”: Die Tatsache, dass man ihn nicht immer bemerkt, quantitativ eben nicht gut erfassen kann, zusammen mit der Eigenschaft (“Qualität”), Vorerkrankungen “ausnutzen” zu können, macht ihn so link.
    Und ich staune, wie andere Menschen diese Tatsachen “interpretieren”.

    • #23 Joseph Kuhn
      24. Mai 2020

      @ Viktualia:

      “Immer wenn ein zukünftiges Experiment einen Wert zwischen 8 und 12 findet …”

      Naja, so ähnlich. Nicht “ein zukünftiges Experiment”, sondern das gleiche, aber egal. Ich habe gerade im Regal noch eine Buchempfehlung gefunden: Walter Krämers “Statistik für die Westentasche”. Es bespricht die wichtigsten Grundbegriffe in ganz kurzen Portionen, ohne Formeln (das Konfidenzintervall ist zwar nicht dabei, aber die Signifikanz). Gibt es leider nicht mehr neu, aber gebraucht beim Buchsklavenhändler für 1,57 Euro, oder bei ZVAB für 4,68 €.

      Der Beitrag zu “Stichprobe” fängt mit dem Satz an: “Stichproben sind ein Notbehelf”. Wie wahr. Der letzte Eintrag ist das “Zipfsche Gesetz”, das vermutlich die meisten hier nicht kennen. Ein empirisches “Gesetz”, eine Regelmäßigkeit, über die Verteilungshäufigkeit z.B. von Wörtern in Texten oder Einkommenssummen in der Bevölkerung. Man kann sich überlegen, ob es auch mit der Infektiosität von Infizierten in Verbindung zu bringen ist und was das bedeuten könnte. Aber man muss aufpassen, da ist man vermutlich schnell bei wilden Spekulationen ohne virologische Basis.


      Nachtrag 26.25.2020:

      Eine mögliche virlogische Basis wäre, wenn Superspreader den Beginn einer Epidemie dominieren, siehe z.B. https://wwwnc.cdc.gov/eid/article/26/6/20-0495_article: “SSEs highlight a major limitation of the concept of R0. The basic reproductive number R0, when presented as a mean or median value, does not capture the heterogeneity of transmission among infected persons”.

  21. #24 Viktualia
    24. Mai 2020

    @Josef – “so ähnlich” – der erste Satz war das Zitat von nouse´ Erläuterung (dass man unterschiedliche Experimente nicht vergleichen sollte ist mir auch ohne Statistikkenntnisse klar). Netterweise ist nouse wohl davon ausgegangen, dass mir das klar ist.

    Bitte legen sie es mir nicht als Unhöflichkeit aus, wenn ich nicht umgehend meine Lücken im Verständnis der nötigen Mathematik ausgleiche, aber die sind schlicht zu groß, um bald was davon zu merken. (Ich könnte mich zurückhalten, das werde ich auch, aber Fragen stellen dürfen wär mir lieber.)

    Das Dumme ist, dass meine “virologische Basis” tragfähiger ist als meine Kenntnis der statistischen Begrifflichkeiten. Und mein gesunder Menschenverstand zwar ausgesprochen gern spekuliert, ich für den Hausgebrauch aber einfach generell an meinem Wissen zweifle und somit kaum Zugang zu diesen abstrakten “Verhütungsmethoden” habe.

    Grundsätzlich bin ich schon fasziniert von dieser Möglichkeit, große Datenmengen zu verwalten.
    Aber für mein (nicht lineares) “systemisches Hirn” ist ein Krankheitsbild keine “große Datenmenge”, es ist ein vorhersehbarer Vorgang, da mir die Parameter geläufig sind.
    Der Krankheit, nicht des Individuums; dessen Umstände und Gewohnheiten hab ich zu verändern/gestalten, damit ein Optimum erreicht werden kann.

    Ich müsste also zuerst wirklich begreifen können, wo die Unterschiede in der Anwendung sind, bislang kann ich nur sehen, dass meine Art, “Korrekturen vorzunehmen”, sich mehr an der Realität orientieren – und das ist für den Einstieg in die Statistik eher suboptimal.

    (Das ist nicht so unhöflich/abwertend gemeint, wie es klingt, es ist nur mein Status quo. Ich hab von da, wo ich stehe, noch keinen “Anpack”, dem versuche ich Achtung zu zollen. Ich muss erst einen anderen Zugang finden, bevor ich überhaupt “Daten” (oder Begrifflichkeiten) ordnen kann.)
    Dies bitte auch in Bezug auf die “Erklärbärfunktion” und den latenten Trollverdacht verstehen – und nicht als indirekte Bitte um weitere Erläuterungen. O.K.?

  22. #25 Vacca
    24. Mai 2020

    @Volker Birk

    Es ist nicht trivial, die genaue Todesursache zu ermitteln. Schwierig ist ferner, die “Restlebenszeit” zu bestimmen. Krankheitsverläufe sind komplex. Es gibt häufig keine Ja/Nein-Antworten. Tipp: “Covid-19: Die schwierige Frage nach der Todesursache” https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-die-schwierige-frage-nach-der-todesursache-a-c42a3111-f8f2-4b87-b0bc-0b3d77af73f1

    Salopp formuliert: Ein Krebspatient, der von einem Auto überfahren wurde, ist nicht an Krebs gestorben.

  23. #26 Boris K.
    Münster
    24. Mai 2020

    Hallo!

    Auf

    https://www.ft.com/content/a26fbf7e-48f8-11ea-aeb3-955839e06441

    gibt es einige Graphen die auf offiziellen Daten beruhen und Deutschland, bezogen auf die “Toten pro Woche” und ohne Differenzierung der Todesursache, sehr wohl eine leichte Übersterblichkeit bescheinigen (7%). In vielen anderen Ländern ist sie weitaus höher.
    Allerdings habe ich mir jetzt nicht die Mühe gemacht, dies bis ins klein-klein Nachzuvollziehen. Ich verfolge diese Zusammenfassung der Financial Times schon seit März und fand sie immer gut gelungen.

    Angenehmen Sonntag!

  24. #27 Schneeweis
    24. Mai 2020

    Lesen sie bitte den Artikel von Gerd Antes der Statistikexperte und Professor an der Medizinischen Universität in Freiburg ist.

    Wir werden daher erst in ungefähr acht Monaten in der jährlichen Todesstatistik sehen, wie viele Menschen durch das Coronavirus in diesem Jahr zusätzlich gestorben sind. Die Zahlen, die es derzeit dazu gibt, sind vollkommen unzuverlässig.

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-die-zahlen-sind-vollkommen-unzuverlaessig-a-7535b78f-ad68-4fa9-9533-06a224cc9250

  25. #29 libertador
    25. Mai 2020

    Meiner Meinung nach tuen sich die Forscher keinen Gefallen damit, davon zu sprechen, dass Zufallsereignisse die Bandbreite erklären würden, ohne darauf einzugehen, welcher Art diese Ereignisse sind.

    „Selbst die im April zu beobachtenden leichten Abweichungen der Sterbefallzahlen nach oben liegen innerhalb der Bandbreite, die sich durch Zufallseinflüsse erklären lässt“

    Der Zufall wird im statistischen Modell angenommen, aber seine Realisierung kann verschiedene Formen annehmen. Hier wäre es auch angebracht gewesen klarzustellen, ob dies bedeuten kann, dass die diesjährigen Abweichungen Zufall sein könnten. Dazu müsste man ggf. untersuchen, welche Faktoren in der Vergangenheit zur Übersterblichkeit geführt haben, z. B. Grippewellen und ob diese eintretenden Ereignisse diese Jahr auch dagewesen sind. Oder sind die Forscher der Meinung, dass die Schwankungen der Sterberate auch in der Vergangenheit ohne festzustellenden begleitende Ereignisse aufgetreten sind, die die Schwankungen erklären und der Zufall damit die einzige zugänglich Erklärung ist.

    Daneben ist natürlich unschön, dass nichtmal angegeben wird, welches Konfidenzintervall hier angenommen wurde. Wenn das Konfidenzintervall 95% ist, dann würde das ja bereits bedeuten, dass diese Jahr zu den 5 Jahren mit den höchsten Sterberaten eines Jahrhunderts gehören müsste, um in dieser Hinsicht auffällig zu sein.

  26. #30 ralph
    29. Mai 2020

    Nur so nebenbei:
    durch die erfolgreichen! Massnahmen gegen das wesentlich ansteckendere Covid- 19 ist selbstverständlich die gerade anlaufende Grippewelle komplett ausgebremst worden, inklusive aller anderen ansteckenden Infekte. Der Shutdown hatte mit Sicherheit noch sehr viele andere Nebeneffekte bezüglich der Sterblichkeitsrate. Wenn man also Aussagen über Übersterblichkeit bezüglich Covid-19 machen möchte, sind Länder mit erfolgreichem Shutdown nur sehr bedingt geeignet.

  27. #31 Joseph Kuhn
    29. Mai 2020

    Update:

    Das Ifo hat jetzt immerhin das Papier mit den Erläuterungen zur Pressemitteilung online gestellt: https://www.ifo.de/sites/default/files/2020-05/Erlaeuterungen_Pressemitteilung_21052020_Sterblichkeit.pdf

  28. #32 Joseph Kuhn
    20. Januar 2023

    IfO 2023:

    “In den Corona-Jahren 2020 bis 2022 sind in Deutschland rund 180.000 Menschen mehr gestorben als zu erwarten gewesen wäre. Das geht aus Berechnungen des ifo Instituts zur Übersterblichkeit hervor.”

    https://www.ifo.de/pressemitteilung/2023-01-20/den-corona-jahren-starben-180000-menschen-mehr-als-unter-normalen

    Berücksichtigt wurde neben der Alterung der Bevölkerung auch die bisher steigende Lebenserwartung – also die beiden wichtigsten demografischen Hintergrundbewegungen. In einer vereinfachten Weise hatten wir das vor anderthalb Jahren auch mal gemacht: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/a-1462-2843