Vor zwei Jahren war hier ein Projekt des European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) zur Analyse von Abwässern auf Drogenrückstände Thema. „Sewage Epidemiology“ oder „Wastewater-based Epidemiology“ kommt zuweilen auch bei der Suche nach Viren zum Einsatz, aktuell natürlich auch mit Blick auf Coronaviren.

Die Methode könnte hilfreich bei der Suche nach Anzeichen einer zweiten Welle sein, ergänzend zu repräsentativen Tests in der Bevölkerung. Ähnlich wie bei der Untersuchung auf Drogenrückstände könnte die „Sewage Epidemiology“, wenn die Verfahren validiert sind, eine besondere Rolle beim Aufspüren regionaler Cluster spielen. Bei Corona gehen viele Fachleute ja davon aus, dass auch künftig erhebliche Risiken von plötzlich auftretenden regionalen Hotspots ausgehen. Um diese frühzeitig zu erkennen, sind die Fallzahlen repräsentativer Tests in der Bevölkerung tendenziell zu klein. Auch in armen Ländern mit begrenzten Testkapazitäten könnte „Sewage Epidemiology“ beim Monitoring der Infektionslage helfen.

Wenn jetzt über eine mittel- bis langfristige Teststrategie für Deutschland nachgedacht wird, sollten dabei auch Möglichkeiten des systematischen Zusammenspiels von individuellen Tests und kollektiven Alternativen, z.B. dem Testen von Abwässern, einbezogen werden. Das würde dazu beitragen, den Nutzen des Testens insgesamt zu verbessern.

Kommentare (13)

  1. #1 Herr Senf
    6. Juni 2020

    Was haltet ihr von dieser “Testmathematik”
    https://www.rubikon.news/artikel/die-endlose-pandemie
    Entschuldigung für den link!

    • #2 Joseph Kuhn
      6. Juni 2020

      @ Herr Senf:

      Dass die Tests ein Hintergrundrauschen produzieren, war hier in den letzten Tagen ja mehrfach Thema. Dass allerdings nur noch dieses Hintergrundrauschen zu sehen ist, dagegen sprechen die typischen Verläufe der ernsteren Fälle, die es ja immer noch gibt. Wir sehen Corona also nicht nur durch die Tests, sondern auch in der medizinischen Versorgung. Aber richtig ist, trotz der schrägen Quelle Rubikon, dass flächendeckende Tests in Niedrigprävalenzpopulationen problematisch sind.

  2. #3 Herr Senf
    6. Juni 2020

    Danke, wollte für meine gleiche Meinung eine zweite sichere 😉 haben, um
    woanders “richtig” weiter machen zu können beim Zerlegen der Verharmloser.

  3. #4 Thilo
    6. Juni 2020

    Verstehe ich richtig, dass man Viren effektiv in Abwässern nachweisen kann?

    • #5 Joseph Kuhn
      6. Juni 2020

      @ Thilo:

      Manche Viren, z.B. Polio, Noro oder eben Corona – sie werden auch fäkal ausgeschieden.

  4. #6 Bbr
    Niedersachsen
    6. Juni 2020

    Insbesondere sprechen die gefundenen Cluster wie in Göttingen dagegen, dass falsch positive Ergebnisse zur Zeit ein großes Problem sind. Falsch Positive würde verteilt und nicht in Clustern auftreten.

    • #7 Joseph Kuhn
      6. Juni 2020

      @ Bbr:

      Die Cluster sprechen dagegen, dass in den Clustern falsch positive Ergebnisse ein großes Problem sind, weil viele positive Ergebnisse anzeigen, dass man nicht in einer Niedrigprävalenzgruppe getestet hat. Daraus folgt aber nichts, was das Testen in der breiten Bevölkerung angeht, falls Sie das mit “zur Zeit” gemeint haben sollten.

  5. #8 Schneeweiß
    7. Juni 2020

    Scheint effektiver und effizienter zu funktionieren als die herkömmlichen Tests.

    Bei Abstrichen von Oberflächen aus den Haushalten fand sich der Erreger demnach nur in 4 von 119 Proben. Streeck betonte allerdings, die Aussagekraft werde dadurch eingeschränkt, dass Menschen in Quarantäne häufig viel putzten.

    Leichter werde das Virus anscheinend über Schmutzwasser-Rückstände im Waschbecken, in der Dusche oder in der Toilette verbreitet. „Dort hinterlässt man ja eher Spucke, Rachenwasser oder andere Ausscheidungen, in denen das Virus in größerer Konzentration sein kann.“

    Dies könnte gegebenenfalls genutzt werden, um das Infektionsgeschehen über Abwasser-Analysen zu beobachten. 10 der 66 ausgewerteten Schmutzwasser-Proben aus Gangelt seien positiv gewesen, sagte Streeck. In der Luft fand sich der Erreger dagegen in keiner von 15 Proben.

  6. #9 Joseph Kuhn
    19. Juni 2020

    Update:

    SPIEGEL-Bericht über Funde des Virus in Abwasserproben aus Mailand und Turin vom 18. Dezember 2019: https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-schon-im-dezember-in-abwaessern-von-turin-und-mailand-gefunden-a-56c600b2-1802-4d68-9197-3901e13694c7

  7. #10 UMa
    19. Juni 2020

    @Joseph Kuhn: Wenn das Virus schon so früh in Europa aufgetreten ist, kann die mittlere Wachstumsrate in den Monaten Januar und Februar nicht so sehr hoch gewesen sein. Das lässt ein R0 von 3 oder größer unwahrscheinlich erscheinen. Vermutlich lag daher R0 eher bei 2,0 bis 2,5.

    Das liegt deutlich unter den anfänglich beobachteten Wachstumsraten, die daher vermutlich teilweise auch durch die Zuname der Anzahl der Tests bedingt sind.

    Könnte das Virus noch eher als im Dezember schon in Europa aufgetreten sein?

    • #11 Joseph Kuhn
      20. Juni 2020

      @ UMa:

      Ob man das schlussfolgern kann? R(o) wurde zunähst nicht anhand der Daten aus Europa berechnet. Bei den R-Zahlen scheint mir eher die Homogenitätsannahme problematisch (u.a. wegen Superspreading …). Dass die gemeldeten Fallzahlen ein Hybrid aus Infektions- und Testgeschehen sind, stimmt natürlich trotzdem, wenngleich gesteuert durch die Symptomabhängigkeit des Testens.

      Ob das Virus noch früher da war, dem wird man bestimmt nachgehen. Ich kenne mich aber mit Abwasserfragen gar nicht aus, keine Ahnung, wie lange Proben in den einzelnen Ländern aufbewahrt werden.

  8. #12 UMa
    20. Juni 2020

    Selbst wenn es am 18. Dezember nur einen einzigen Fall in Europa gegeben hätte und keine weiteren Fälle unbemerkt eingeschleppt wurden, wäre es bei einer Verdreifachung aller 4 Tage schon im Februar zu einer unübersehbaren Anzahl von Infektionen und Todesfällen gekommen.

    Ein Faktor 2 alle 4 Tage ist zumindest in Mittel mit den Beobachtungen verträglich. Vielleicht ist die Wachstumsrate im Februar erst durch Feiern usw. angestiegen?

    Jetzt steigt die Anzahl von Neuinfektion wieder an. So viele hatten wir schon seit Wochen nicht mehr. So ein Mist!

    Dabei ist das ja kein äußeres unabwendbares Ergebnis, sondern wurde durch das Verhalten der Menschen selbst ausgelöst.

    • #13 Joseph Kuhn
      20. Juni 2020

      @ UMa:

      “Selbst wenn … nur einen einzigen Fall … wäre es …”

      Das ist ja die Homogenitätsannahme: Jeder verbreitet das Virus so, wie sich R(o) als statistische Zahl für ein Durchschnittsgeschehen nach hinreichend vielen Fällen errechnet. Mich würde es aber nicht verwundern, wenn das Virus eine Weile da war, bevor es den Weg in “verbreitungsgünstige” Gruppen bzw. Situationen fand.