Ende 2021 hat die Bundesregierung ein Corona-Expertengremium im Bundeskanzleramt eingerichtet. Es hat inzwischen neun Stellungnahmen veröffentlicht. Mit dem Gremium soll auch für „mehr Akzeptanz und Transparenz“ gesorgt werden, wird Bundeskanzler Scholz auf der Interseitseite der Bundesregierung zum Expertengremium zitiert.

Die Sitzungen des Expertengremiums sind nicht öffentlich, das ist verständlich, der Meinungsaustausch würde sonst erheblich erschwert. Allerdings erfährt man auch sonst nicht viel über dieses Gremium, etwa was die Anfragen der Bundesregierung an das Gremium angeht oder die Unterstützung durch die Geschäftsstelle im Bundeskanzleramt. Mich hätte beispielsweise interessiert, ob die Geschäftsstelle auch fachliche Unterstützung leisten kann oder ob sie nur organisatorische Funktionen hat. Das habe ich gefragt:

“Von: Joseph Kuhn
Gesendet: Mittwoch, 18. Mai 2022 08:04
An: gs-expertengremium
Betreff: Ressourcen der Geschäftsstelle
Sehr geehrte Damen und Herren,
könnten Sie mir mitteilen,
1. wie viele Personen in der Geschäftsstelle tätig sind
2. welchen fachlichen Hintergrund der nach § 4 der Geschäftsordnung dort tätige wissenschaftliche Mitarbeiter/die wiss. Mitarbeiterin hat und
3. ob die Geschäftsstelle eigene wissenschaftliche Recherchen im Vorfeld der Expertenstatements vornimmt.
Vielen Dank,
mit freundlichen Grüßen,
Joseph Kuhn
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Dr. Joseph Kuhn
[xxx]
http://scienceblogs.de/gesundheits-check”

Die Antwort fiel etwas seltsam aus. Man könne aus „Gründen des Persönlichkeitsschutzes“ nicht sagen, welchen wissenschaftlichen Hintergrund der wissenschaftliche Mitarbeiter/die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Geschäftsstelle hat und ob dort auch fachliche Recherchen für das Expertengremium vorgenommen werden, darüber könne ebenfalls keine Auskunft gegeben werden, weil über „die genauen Aufträge an die Geschäftsstelle“ Verschwiegenheit zu wahren sei:

“Von: gs-expertengremium
Datum: 24. Mai 2022 um 17:02:50 MESZ
Kopie: gs-expertengremium
Betreff: AW: Ressourcen der Geschäftsstelle
Sehr geehrter Herr Dr. Kuhn,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Geschäftsstelle ist mit zwei Stellen (Referent/in, Sachbearbeiter/in) besetzt. Weitere Details zum fachlichen Hintergrund können wir aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weitergeben. Hierfür bitte ich um Ihr Verständnis. Da über den Inhalt der Beratungen des ExpertInnenrats und damit auch über die genauen Aufträge an die Geschäftsstelle Verschwiegenheit zu wahren ist, kann zu Ihrer Frage hierzu leider keine Auskunft gegeben werden.
Mit freundlichen Grüßen
[xxx]
Geschäftsstelle des ExpertInnenrats im Bundeskanzleramt
Hinweis:
Bei der Bearbeitung Ihres Anliegens wurden bzw. werden von Ihnen personenbezogene Daten verarbeitet. Welche Daten zu welchem Zweck und auf welcher Grundlage verarbeitet werden, ist abhängig von Ihrem Anliegen und den konkreten Umständen. Weitere Informationen hierzu und über Ihre Betroffenenrechte finden Sie in den Datenschutzhinweisen auf der Internetseite des Bundeskanzleramtes unter www.bundesregierung.de/bundeskanzleramt-DSH .”

Ob man die Geschäftsstelle mit einem Landschaftsgärtner besetzt hat und das nicht sagen will, oder ob dort eine Germanistin ihre Kompetenzen zur gefälligen Formulierung der Stellungnahmen einbringt, darüber darf man also spekulieren. Vielleicht stehen in den Stellungnahmen aus ähnlichen Gründen auch keine Literaturreferenzen, weil über die Quellen der Weisheit des Gremiums ebenfalls „Verschwiegenheit“ zu wahren ist? Ob man so, wie Bundeskanzler Scholz meint, für „Akzeptanz und Transparenz“ sorgt?

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Zum Weiterlesen:

Evidenzbasierte und einheitliche Risikokommunikation

Kommentare (15)

  1. #1 Staphylococcus rex
    25. Mai 2022

    Die Antwort der Geschäftsstelle würde ich dahingehend interpretieren, dass zwar 2 Referenten beschäftigt sind, die Stelle des wiss. MA aber nicht besetzt ist. Ich kann nur vermuten, dass dieser Widerspruch zur Geschäftsordnung in der Antwort bewußt verschleiert wurde, weil das Expertengremium ehrenamtlich arbeitet und sich nun selbst um die fachlichen Zuarbeiten kümmern muss.

    • #2 Joseph Kuhn
      25. Mai 2022

      @ S.rex:

      Nicht besetzt wäre natürlich auch eine Erklärung. Wie gesagt, man darf spekulieren.

  2. #3 RPGNo1
    25. Mai 2022

    Der Datenschutz treibt seltsame Blüten.

    Wenn wir einen Firmen Site Master File (SMF) an einen Kunden weitergeben, damit er das Dokument zur Unterstützung einer Registrierung bei einer ausländischen Gesundheitsbehörde verwenden kann, müssen wir im Organigramm die Namen der verantwortlichen Personen schwärzen und ebenso in den Lebensläufen die Namen der Schlüsselpersonen. Die Expertisen der Leute stehen also im luftleeren Raum.

    Wenn das SMF aber direkt an die Behörde geht, können die genannten Daten ungeschwärzt bleiben.

    • #4 Joseph Kuhn
      25. Mai 2022

      @ RPGNo1:

      “Der Datenschutz treibt seltsame Blüten.”

      Das ist sicher richtig. Aber im Fall der Geschäftsstelle des Expertengremiums treibt etwas anderes seltsame Blüten. Da dürfte eher das überkommene Arkanprinzip der Verwaltung umgehen. Wenn es nicht so albern wäre, könnte man jetzt einen Antrag nach § 7 Informationsfreiheitsgesetz stellen, ggf. unter Hinweis auf § 5(3). Aber wir leben in Zeiten, in denen zumindest mir der Spaß an solchen Sachen abgeht.

  3. #5 RPGNo1
    25. Mai 2022

    Ich musste mich erstmal über den Begriff Arkanprinzip schlau machen. Jetzt bin ich es. 🙂

  4. #6 uwe hauptschueler
    25. Mai 2022

    Es gibt ein Organigramm des BKA mit Namen + Titeln. Die Geschäftsstelle finde ich aber nicht.
    https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/773044/d31524b73a0e0e04a5d59e37e40d1b56/druckversion-organigramm-bkamt-data.pdf?download=1

    • #7 Joseph Kuhn
      25. Mai 2022

      @ uwe hauptschueler:

      Empfehle eine Anfrage an die Geschäftsstelle. 😉

  5. #8 PDP10
    26. Mai 2022

    Ich glaube, es ist relativ simpel:

    Das ist die typische Antwort einer Bürokratie. Und ich schreibe bewusst nicht “Beamter” oder “Angestellter im öffentlichen Dienst” denn das ist in der Privatwirtschaft genau so.

    Bürokratien neigen zwar einerseits dazu immer mehr Zuständigkeiten an sich zu ziehen um ihre Existenz zu rechtfertigen. Fragt man sie andererseits nach was konkretem wie Zuständigkeit oder (Gott bewahre!) sogar konkretem Handeln oder – fast genauso schlimm – nach konkreten Informationen, neigen sie dazu eine verklausulierte Erklärung der Nichtzuständigkeit oder des Nichtwissens abzugeben. Denn Zuständigkeit und Wissen bedeutet Verantwortung und diese könnte in der Notwendigkeit konkreter, valider Auskünfte mit Hand und Fuss oder gar noch schlimmer: konkreten Handelns gipfeln.

    Die zwei apokalyptischen Reiter jeder Bürokratie: Konkretes sagen und konkretes tun. Denn wenn handeln oder Information auch nur ein Jota falsch sind könnte es diese Bürokratie in ihrer Allmacht (wir erinnern uns: Bürokratien neigen immer dazu Zuständigkeiten an sich zu ziehen) oder gar einzelne Personen in dieser Bürokratie in ihrer Karriere schaden.

    Ich sage nochmal dazu: Das ist in der Privatwirtschaft auch nicht anders als in Behörden. Ich habe mal in der Privatwirtschaft das genaue Gegenteil erlebt:

    Ich habe mal vor vielen Jahren das Glück gehabt in einem IT-Team in einem großen Unternehmen zu arbeiten das Infrastruktur für andere Teams zur Verfügung gestellt hat und in dem ein ungeschriebenes Gesetz lautete: “Dafür bin ich nicht zuständig gibts nicht!”. Das wurde auch aktiv gefördert indem beispielsweise jeder/jedem die Zeit zur Verfügung gestellt wurde, um sich in Themen ein zu arbeiten die eigentlich nicht seine/ihre waren. Oder in ganz neue Themen.

    Resultat: Das hat sich unter den anderen IT-Teams rumgesprochen und zwar so lange, bis das Team in dem ich gearbeitet habe nur noch an der Grenze zur kompletten Überforderung gearbeitet hat. Jahrelang.

    Was jetzt besser ist, weiß ich auch nicht …

  6. #9 PDP10
    26. Mai 2022

    @RPGNo1:

    Ich musste mich erstmal über den Begriff Arkanprinzip schlau machen. Jetzt bin ich es.

    Das darfst du gar nicht sein, denn das Wissen darüber ist arkanisch!

    😉

  7. #10 Richard
    27. Mai 2022

    Prof. Drosten hat nicht ohne Grund seine Mitwirkung aufgekündigt….

    • #11 Joseph Kuhn
      27. Mai 2022

      @ Richard:

      Drosten hat sich nicht aus diesem Expertengremium zurückgezogen, sondern aus dem Sachverständigenausschuss zur Evaluation der Infektionsschutzmaßnahmen nach Paragraph 5(9) IfSG.

      Dieses Gremium hat übrigens auch eine Geschäftsstelle, angesiedelt am Forschungszentrum Jülich.

  8. #12 Joseph Kuhn
    19. September 2022

    Die Schwierigkeiten mit der Transparenz

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat offensichtlich Talent zum unfreiwilligen Humor. In einem ansonsten ganz vernünftigen Papier steht auf Seite 28:

    “Der ExpertInnenrat der Bundesregierung zu COVID-19 ist mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen besetzt. Das Nominierungsverfahren sowie die Arbeit des Gremiums erfordert dabei größtmögliche Transparenz. Der ExpertInnenrat hat daher seine Aufgaben und Prozesse in einer Geschäftsordnung festgehalten und veröffentlicht”

    http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/corona_infos/stellungnahme_pandemic_preparedness.pdf

    Ob sich da jemand im Überschwang selbst gelobt hat? Es gibt ja diverse personelle Überschneidungen zwischen dem Expertengremium und der DFG-Kommission für Pandemieforschung, die die Stellungnahme verfasst hat.

  9. #13 rolak
    19. September 2022

    Ob sich da jemand..

    ..als gefunden wähnt? DSDC – Deutschland sucht den DFG-Clown.
    Nix für ungut – doch Hidden Agenda ist derart ´88…

  10. #14 Joseph Kuhn
    31. März 2023

    Finish

    Wie dpa heute meldet, wird der Corona-Expertenrat der Bundesregierung in der kommenden Woche seine Arbeit ein stellen. Die 33. Sitzung am 4. April soll die letzte sein. Begründung: Die Pandemie-Lage habe sich normalisiert.

    Ob es zum Abschluss noch eine Empfehlung zur Aufarbeitung der lessons learned gibt, oder nur noch ein Gläschen Sekt?

  11. #15 Beobachter
    31. März 2023

    @ JK, # 14:

    Diese dpa-Meldung habe ich heute auch vernommen, im Radio.

    Ich habe mich gefragt, ob man die derzeitige Pandemie-Lage als normal bezeichnen kann – denn in meinem Umfeld erkranken noch immer recht viele Leute an Corona, trotz Impfungen und z. T. schon das 2. oder 3. Mal.
    Außerdem würde ich eine “Nachbereitung” der bisherigen Pandemie-Erkenntnisse durch den Corona-Expertenrat für notwendig und hilfreich halten, damit man weiß, was man bei der nächsten Pandemie besser machen kann.
    Und: Fühlt sich der Corona-Expertenrat nicht auch für die vielen Long Covid-Betroffenen und die nicht so vielen Betroffenen mit ernsthaften Impfnebenwirkungen zuständig?
    Fühlt sich da überhaupt jemand bzw. ein Gremium, eine Institution der Bundesregierung/des BGM zuständig? Oder ist das eh “Ländersache”?

    Ich vermute, man trinkt überall nur noch und lieber ein Gläschen Sekt …