Der Fall Chuck Morgan: Ein Mordopfer und seine verschlüsselten (?) Notizen

Der US-Geschäftsmann Charles “Chuck” Morgan wurde 1977 tot auf gefunden. Er trug unverständliche Notizen bei sich, bei denen es sich um eine verschlüsselte Nachricht handeln könnte.

English version (translated with DeepL)

Seit ich diesen Blog schreibe, bin ich stets auf der Suche nach interessanten Geschichten rund um die Verschlüsselung. Besonders interessiert bin ich an verschlüsselten Informationen, die etwas mit einem Kriminalfall zu tun haben. Dieses Thema (also “True Crime” in Verbindung mit Kryptologie) kommt bei meinen Lesern besonders gut an.

Um so erstaunlicher ist es, dass ein Fall aus den siebziger Jahren, der in diese Rubrik passt, in all der Zeit komplett an mir vorbeigegangen ist. Es geht um den rätselhaften Tod des US-Geschäftsmannes Charles “Chuck” Morgan, bei dessen Leiche man verschlüsselte (?) Aufzeichnungen fand. Dieser Fall wird in der Krypto-Literatur meines Wissens nicht erwähnt und ist mir bei meinen zahlreichen Google-Suchen nie untergekommen.

Letzten Sonntag, als  ich einen Webinar-Vortrag hielt, in dem auch der Fall Paul Rubin zur Sprache kam, machte mich ein Zuhörer namens “porpen petfukfiri” dankenswerterweise auf die ähnlich gelagerte Chuck-Morgan-Geschichte aufmerksam. Heute will ich sie erstmals auf Cipherbrain präsentieren.

Der Fall Chuck Morgan

Chuck Morgan war ein durchaus erfolgreicher Geschäftsmann, der mit seiner Familie in Tucson (US-Bundesstaat Arizona) lebte. Er betrieb eine Treuhand-Firma.

Quelle/Source: Reddit

Am 22. März 1977 war Morgan plötzlich verschwunden, tauchte aber nach drei Tagen wieder auf. Er gab an, entführt, misshandelt und unter Drogen gesetzt worden zu sein. Er weigerte sich jedoch, die Polizei einzuschalten. Laut seiner Frau wirkte er in der Folgezeit angespannt und verängstigt.

Im Mai 1977 verschwand Morgan erneut. 11 Tage später fand man seine Leiche außerhalb von Tucson in der Wüste. Er war erschossen worden. Die Polizei stufte den Todesfall als Selbsttötung ein. Glaubt man den im Internet auffindbaren Berichten zu diesem Thema, dann war dies eine mehr als fragwürdige Einschätzung. Viel wahrscheinlicher erscheint es den Berichterstattern, dass Morgan ermordet wurde.

Meine Beschreibung ist lediglich eine Kurzversion. Wer mehr über diese Geschichte wissen will, findet auf der Webseite der Fernsehsendung “Unsolved Mysteries” einen ausführlichen Beitrag.

Die Kryptogramme

Für den Cipherbrain-Blog ist der Fall Chuck Morgan interessant, weil mehre unverständiche (möglicherweise verschlüsselte) Notizen eine Rolle spielen.

Zunächst erhielt Morgans Ehefrau zwei Tage vor dem Fund der Leiche einen anonymen Anruf von einer Dame. Diese sagten nur einen Satz:

Chuck is alright, Ecclesiastics 12: 1-8.

“Ecclesiastics” ist ein Buch des alten Testaments, das man auf Deutsch als “Kohelet” oder “Prediger” bezeichnet. In Kapitel 12: 1-8 dieses Buchs liest man folgendes:

Koh 12,1: Denk an deinen Schöpfer in deinen frühen Jahren, / ehe die Tage der Krankheit kommen und die Jahre dich erreichen, / von denen du sagen wirst: Ich mag sie nicht!,
 
Koh 12,2: ehe Sonne und Licht und Mond und Sterne erlöschen / und auch nach dem Regen wieder Wolken aufziehen:
 
Koh 12,3: am Tag, da die Wächter des Hauses zittern, / die starken Männer sich krümmen, / die Müllerinnen ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind, / es dunkel wird bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken,
 
Koh 12,4: und das Tor zur Straße verschlossen wird; / wenn das Geräusch der Mühle verstummt, / steht man auf beim Zwitschern der Vögel, / doch die Töne des Lieds verklingen;

Koh 12,5: selbst vor der Anhöhe fürchtet man sich und vor den Schrecken am Weg; / der Mandelbaum blüht, / die Heuschrecke schleppt sich dahin, / die Frucht der Kaper platzt, / doch ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus / und die Klagenden ziehen durch die Straßen –

Koh 12,6: ja, ehe die silberne Schnur zerreißt, / die goldene Schale bricht, / der Krug an der Quelle zerschmettert wird, / das Rad zerbrochen in die Grube fällt,

Koh 12,7: der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war, / und der Atem zu Gott zurückkehrt, / der ihn gegeben hat.

Koh 12,8: Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.

Es geht also um Vergänglichkeit und um bevorstehende schlechte Zeiten. Da Morgan kurz zuvor gestorben war und der Fund der Leiche für die nahe Zukunft erwartet werden konnte, passte dies durchaus. Doch was sollte der Anruf bezwecken?

Als man Morgan’s Leiche untersuchte, fand man einen Zwei-Dollar-Schein, der in seiner Unterwäsche befestigt war. Darauf fanden sich mehrere Notizen:

• “ECCLESTIATES 12” war auf den Schein geschrieben (siehe Bild unten). Die Zahlen 1 und 8 in der Seriennummer waren mit Pfeilen markiert. Dies passte zum erwähnten Telefonanruf.
• Unter “ECCCLESTIASTES” waren sieben spanische Namen notiert, die mit dem Buchstaben A bis G begannen. Von dieser Notiz habe ich im Internet zwei unterschiedliche Bilder gefunden. Ich vermute, das obere ist das Original, das untere eine Nachbildung:

Quelle/Source: Unsolved Mysteries

Transkritption:

ACEVEDO

BEJARANO

CAJERO

DUARTE

ENCINAS

FUENTE

GRADILLA

• Auf der Rückseite waren die Unterzeichner der US-Unahängigkeitserkärung von 1 bis 7 nummeriert. Davon habe ich kein Bild gefunden. Die Rückseite des Zwei-Dollar-Scheins sieht jedenfalls wie folgt aus:

Quelle/Source: Public Domain

• Auf der Rückseite der Banknote fand man außerdem eine Zeichnung, die man als Landkarte interpretieren kann. Sie zeigt eine Gegend bei Tucson:

Quelle/Source: Unsolved Mysteries

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Steckt Kryptologie dahinter?

Getreu dem Motto “wer einen Hammer hat, betrachtet jedes Problem als Nagel” frage ich mich natürlich zunächst, ob diese Notizen einen kryptologischen Hintergrund haben. Das ist zumindest nicht auszuschließen. So könnte es sich hierbei um eine oder mehrere verschlüsselte Nachrichten handeln.

Deutlich wahrscheinlicher erscheint mir jedoch, dass wir es mit einem kryptografischen Schlüssel zu tun haben. Die fragliche Bibelstelle könnte beispielsweise als Schlüssel für ein Running-Key-Verfahren genutzt worden sein.

Die sechs spanischen Namen könnte man, ähnlich wie die RAF dies getan hat, als Schlüssel für ein homophones Verfahren nutzen (also als Buchchiffre, wobei das “Buch” hier nur aus sechs Wörtern besteht). Allerdings kommen nur 17 unterschiedliche Buchstaben in diesen Namen vor, was die Sache etwas erschweren würde.

Die Nummerierung der Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung könnte einen ähnlichen Zweck haben und als Schlüssel dienen.

Kann ein Leser mehr dazu sagen?
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Further reading: Der Fall Rey Rivera

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