“Fläche mit einem dünnen Elektrizität leitenden Material bedeckt. Stationärer Strom auf der Fläche durch Verbindung zweier mit beliebigen Punkten der Fläche verbundenen Pole elektrischer Batterien. Das Potential des Stroms ist die Lösung eines Randwertproblems, das man aus einem Variationsproblem erhält. Suche unter allen möglichen Flüssen den mit der geringsten Wärme. Aus der Existenz der minimalen Funktion folgen die Existenzsätze der Funktionentheorie.”

So begründete Felix Klein in einem seiner Lehrbücher physikalisch die Existenz von Lösungen der Gleichung \frac{\partial^2f}{\partial x^2}+\frac{\partial^2 f}{\partial y^2}=0 auf einem Gebiet D, mit vorgegebenen Randwerten der Funktion f auf dem Rand des Gebietes D. Wenn man den Rand als eine Spule auffaßt, durch den ein Strom fließt, dessen Stromstärke den gegebenen Randwerten entspricht, dann bildet sich ein elektrisches Potential aus, das gerade eine Lösung dieser Gleichung ist.

Mathematiker (einschließlich Klein selbst) waren mit solchen physikalischen Argumenten nicht zufrieden. Explizite Lösung für die Kreisscheibe und andere Gebiete mit glattem Rand gehen auf George Green zurück. Bernhard Riemann hatte das Problem umformuliert, indem er zeigte, dass die Lösungen der Gleichung sich als Minima eines bestimmten Funktionals ergeben. Weil das Funktional nur positive Werte annimmt, bewies das für ihn die Existenz einer Lösung, was er für den Beweis des Riemannschen Abbildungssatzes benutzte. Karl Weierstraß fand dann aber Beispiele (anderer) Funktionale, die nur positive Werte annehmen und trotzdem kein Minimum haben. David Hilbert bewies schließlich am Ende des 19. Jahrhunderts, dass (unter milden Voraussetzungen an den Rand) dieses spezielle Funktional immer ein Minimum und die Gleichung \frac{\partial^2f}{\partial x^2}+\frac{\partial^2f}{\partial y^2}=0 zu vorgegebenen Randwerten immer eine Lösung hat.

Beispiele harmonischer Funktionen sind natürlich lineare Funktionen ax+by+c und viel allgemeiner Real- und Imaginärteile holomorpher Funktionen. So sind excos(y) und exsin(y) als Real- und Imaginärteil der holomorphen Funktion ez jeweils harmonische Funktionen.

Das Maximumprinzip (Satz von Liouville) besagt, dass harmonische Funktionen auf kompakten Gebieten ihr Maximum auf dem Rand annehmen. Insbesondere gibt es keine nicht-konstanten, beschränkten, harmonischen Funktionen auf der Ebene.

Harmonische Funktionen auf Riemannschen Mannigfaltigkeiten

Den Operator \Delta f= \frac{\partial^2f}{\partial x^2}+\frac{\partial^2f}{\partial y^2} kann man auch interpretieren als \Delta f= - div(grad f) und diese Definition läßt sich verallgemeinern auf Riemannsche Mannigfaltigkeiten.

Beispielsweise kann man für die hyperbolische Ebene dann zu jeder vorgegebenen Funktion auf dem Rand im Unendlichen eine harmonische Funktion finden, deren Grenzwerte im Unendlichen gerade die vorgegebene Funktion sind. Insbesondere findet man auf der hyperbolischen Ebene viele beschränkte, harmonische Funktionen.

Dieser Unterschied zwischen euklidischer und hyperbolischer Ebene manifestiert sich auch im Allgemeinen: auf einfach zusammenhängenden Mannigfaltigkeiten negativer Krümmung gibt es nicht-konstante, beschränkte, harmonische Funktionen, während es auf einfach zusammenhängenden Mannigfaltigkeiten nichtnegativer Krümmung solche Funktionen nicht gibt.

Wachstum der Fundamentalgruppe und harmonische Funktionen

Seit den 70er Jahren betrachtet man in der Geometrie Eigenschaften, die nur von der “Grob-Geometrie” eines Raumes abhängen, die aber doch oft zumindest qualitativ Einfluß auf die Analysis auf dem Raum haben. So ist die universelle Überlagerung einer kompakten Mannigfaltigkeit quasi-isometrisch zur Fundamentalgruppe, womit qualitative Eigenschaften oft nur von der Fundamentalgruppe abhängen. Beispielsweise ist das Volumenwachstum in der universellen Überlagerung asymptotisch dasselbe wie das Wachstum der Fundamentalgruppe.

Für eine negativ gekrümmte (einfach zusammenhängende) Mannigfaltigkeit ist das Volumenwachstum exponentiell, während für eine flache oder nichtnegativ gekrümmte Mannigfaltigkeit das Volumenwachstum polynomiell ist.

In TvF 87 hatten wir mal über den Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Fundamentalgruppe und der Rückkehrwahrscheinlichkeit von Irrfahrten geschrieben. Und auch die Existenz beschränkter harmonischer Funktionen hängt eng mit den Eigenschaften der Fundamentalgruppe zusammen. Mitte der 80er Jahre bewiesen zunächst Lyons und Sullivan, dass es bei polynomiellem Wachstum der Fundamentalgruppe keine nicht-konstanten, beschränkten, harmonischen Funktionen geben kann. Kaimanowitsch verbesserte das dann noch auf subexponentielles Wachstum. (Damit bekommt man zum Beispiel universelle Überlagerungen von Mannigfaltigkeiten nichtnegativer Krümmung.)
Umgekehrt wußte man bisher (aus der Arbeit von Lyons und Sullivan), dass es bei nicht-mittelbaren Fundamentalgruppen stets nicht-konstante, beschränkte, harmonische Funktionen gibt. (Damit bekommt man zum Beispiel universelle Überlagerungen von Mannigfaltigkeiten negativer Krümmung.)
Dieses Resultat wird nun in einem letzte Woche erschienenen Preprint von P. Polymerakis (MPI Bonn) verbessert: bei exponentiellem Wachstum der Fundamentalgruppe gibt es stets nicht-konstante, positive, harmonische Funktionen. Das bestätigt die entsprechende 1984 von Lyons und Sullivan aufgestellte Vermutung.

1 / 2 / Auf einer Seite lesen

Kommentare (4)

  1. #1 schlappohr
    4. Juli 2019

    Was meinte er mit Potential des Stroms? Den Absolutwert des Stroms an einem Punkt der Fläche? Das elektrische Potential ist ja eigentlich nicht durch einen Strom definiert. Vielmehr ist die elektrische Spannung die Differenz zwischen zwei Potentialen, und die existieren auch dann, wenn kein Strom fließt, z.B. zwischen den offenen (also nicht durch einen Widerstand verbundenen) Polen einer Spannungsquelle. Oder ist hier etwas anderes gemeint?

  2. #2 Thilo
    4. Juli 2019

    Es ist schon das elektrische Potential gemeint. Die Ladungen sind auf dem Rand des Gebiets. https://en.wikipedia.org/wiki/Boundary_value_problem#Applications

  3. #3 1
    1
    9. Juli 2019

    1

  4. #4 Bruno der Lehrer
    14. Juli 2019

    Das Laplace-Fundamentalgruppen-Programm

    Hey Leute, Polymerakis Sätze sind großartig! Hyperbolische Geometrien lassen sich durch nichtkonstante positive harmonische Funktionen charakterisieren!

    Ich habe versucht, den Beweis zu verstehen, doch Polymerakis schreibt ziemlich knapp. All diese Begriffe wie universal covering space, volume growth rate, Liouville und strenge Liouville-Eigenschaft, deck transformation group, Diskretisierung der Brownschen Bewegung usw. wie auch die Historie der Zusammenhänge hat Polymerakis nur angedeutet. So muss ich da wohl mehr lesen, am besten fange ich mit PDEs an, dann Algebra, Darstellungstheorie und Geometrie, doch das reicht noch lange nicht. Alle zitierten Arbeiten sind Vorarbeiten, die muss ich verstehen, die haben natürlich auch Vorarbeiten, na gut, aber es in denen darum, wie die einst getrennten Fachgebiete zusammenkommen, Analysis, Algebra und Geometrie eben. Das ist schon eine Herausforderung.

    Bloß gut, dass die PDE-Bücher mit dem Laplacian anfangen! Doch um das zu verstehen, da reicht nicht die klassische Herangehensweise wie zu Zeiten von Felix Klein, nein, ich brauche Kenntnisse von linearen Operatoren, Spektren, lineare Räume, schwache Lösungen, die ganze Funktionalanalysis eben. Da habe ich ein Laplace-Fundamentalgruppen-Programm (LFP) aufgestellt. Ich habe mir gedacht: Das sollten doch alle Schüler verstehen, so etwas Wichtiges! Wir müssten früh anfangen und können uns nicht mit der ganzen Schulmathematik aufhalten, wir lassen die idiotischen Textaufgaben, d.h. fast alle Textaufgaben, diese blöden Dreiecke mit ihren Mittelsenkrechten und Winkelhalbierenden, die ewige Wiederholung von Dreisatz und Bruchrechnung weg! Stattdessen bearbeiten wir das LFP! Wir müssten in der 1. Klasse die natürlichen Zahlen einführen, aber dann recht schnell zu Körpern und Abbildungen kommen … in der 10. Klasse könnten wir dann den Beweis von Polymerakis durchgehen. Bis dahin habe ich ja noch ein bisschen Zeit, zum Beispiel, um zu verstehen, warum die Wirkung der Gruppe auf M unstetig ist und wo in der letzten Ungleichung der Logarithmus herkommt. Ja, ich freue mich wirklich.