“Hauptsache Gesund” ist eine Lebensweisheit, die in den nächsten Tagen in Ulm keine Bedeutung findet. Denn wenn der Ärztetag seine Pforten öffnet, geht es nicht um Gesundheit, sondern um persönliche Forderungen, die man am besten in möglichst viele Mikrofon gleichzeitig schreit.

Das Wohl der Allgemeinheit ist dabei Nebensache – in erster Linie geht es um die eigene Versorgung.


4,5 zusätzliche Milliarden fordert die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Unsere Gesundheitsministerin Ullala Schmidt signalisiert ihrerseits entgegenkommen. Sie bietet 2,5 Milliarden, was immerhin einer Einkommenssteigerung von 10 Prozent entspricht (jaja, geht ja eh alles für die Nebenkosten drauf …).

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Doch natürlich ist das nur einer der vielen Schauplätze auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Inoffiziell geht es auch um den Titel des Ärztekönigs: Wer die meisten Mikrofone um sich versammelt, besetzt den Thron.
Derzeit tobt noch der ewige Streit zwischen Jörg-Dietrich Hoppe (immerhin Präsident der Bundesärztekammer) und Frank Ullrich Montgomery (nein, der macht nicht mehr den Hartmannbund, hat aber trotzdem die besseren Medienkontakte)- gewaltig aufgeholt hat allerdings Andreas Köhler, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Kassenärzte.
Seine Forderung, die freie Arztwahl für Kassenpatienten abzuschaffen, ist eine ganz schön unpopuläre Forderung und verdient in dieser unverblümt geäußerten Form besondere Beachtung.

Wer sich etwas ernsthafter mit den Perspektiven und Problemen der Mediziner beschäftigen möchte, dem empfehlen wir an dieser Stelle das Ulmer Papier (.pdf-Download insgesamt 35 Seiten – vorrangig geht es allerdings um Finanzierung und Vergütung).

Neben lustiger Allgemeinplätze wie “in der Individualität der Patient-Arzt-Beziehung liegt das Wesen der ärztlichen Kunst” steht dort auch die Forderung nach einem Verzicht auf staatliche Regulierung: „Der Arzt fühlt sich seiner Freiheit beraubt, der Patient zweifelt an der Unabhängigkeit seines Arztes”.
Das gefällt uns ausgesprochen gut, da hier das Lobbyistendenken der Ärzte am deutlichsten zum Vorschein tritt. Schließlich zweifeln vor allem Pharmavertreter an der “Unabhängigkeit” der Mediziner (“Werden sie unser Medikament auch wirklich häufiger verschreiben?”).

Die Patienten beklagen eher das Desinteresse der Ärzte an persönlichen Problemen sowie die Abfertigung im Minutentakt während der Sprechstunde. Beides am deutlichsten im Phänomen Wartezeit zusammengefasst.
Denn wer einen Partner oder Vertrauten trotz vereinbarten Termins mehrere Stunden warten lässt, drückt nichts anderes aus als seine Geringschätzung aus – was man sich jederzeit von Diplomaten bestätigen lassen kann.

Viele Patienten, die hingegen erfahren haben, dass die innere Zugewandtheit eines Therapeuten mitentscheidend für den Gesundungsprozess ist, gehen ohnehin lieber zum Heilpraktiker und verzichtet auf den teuren Diagnosezirkus.

Ärztepräsident Hoppe sieht das natürlich ganz anders und erklärt im Welt Interview: Es ist inzwischen so, dass wegen der strikten Ausgabenbegrenzung nicht mehr alles für alle bezahlbar ist. Das heißt, eine Form von Rationierung medizinischer Leistung ist unumgänglich.

Angesichts der weit verbreiteten Polypharmazie (vor allem bei alten Leuten) dürfte man diese Erkenntnis begrüßen.

Schließlich sind Diagnosezirkus und Verschreibungsmedizin die deutlichsten Anzeichen für den verbreiteten Glauben, dass Medikamente von alleine gesund machen können.

Doch kommen wir zurück nach Ulm: Wir raten allen Ulmern in den nächsten Tagen ihre Wohnung nicht zu verlassen, denn unter den Gästen des Ärztetags befinden sich auch viele hochmotivierte Chirurgen.
Einigen von ihnen trauen wir ohne weiteres zu, dass sie lediglich mit einem Taschenmesser bewaffnet – die nächste OP direkt an der Straßenkreuzung vorzunehmen. (Symptom: Unverhältnismäßig hohes Schwitzen).

Also bitte besonders viel Rouge auflegen und Stolpern vermeiden.

Kommentare (4)

  1. #1 Monika Armand
    Mai 21, 2008

    Lieber Peter, da muss ich mich doch ein wenig einmischen, denn mir ist Dein Rundumschlag etwas zu undifferenziert 😉 Denn um hier Ärzten gerecht zu werden, muss man einige Hintergründe benennen. Man kann ja auch nicht die Bevölkerung für die Diätenerhöhungswünsche der Abgeordneten verantwortlich machen 😉

    Um aufzuzeigen, was hier los war bzw. ist, möchte ich das Beispiel einer hausärztlichen Praxis (Doppelpraxis) auf dem Lande aufzeigen:
    Dort haben sich die Ärzte Zeit genommen für ihre Patienten. Hausbesuche waren eine Selbstverständlichkeit. Krankheitsursachen versuchten beide auf den Grund zu gehen. Vielen “multimorbid” Kranken waren die beiden bekannt und oft die letzte Hoffnung. Sie verschrieben, was notwendig war und da ihr Patientenstamm sich aus vielen multimorbid Kranken zusammen setzte, durften sie vor ca. 3-4 Jahren regelmässig wegen ihrer Verschreibungen bei Ihrer Kassenärztlichen Vereinigung vorsprechen und mussten sich dafür rechtfertigen. Man sagte ihnen, dass nicht verschrieben werden dürfte was notwendig ist, sondern das was gerade ausreiche….. Massagen und andere rehabilitative Massnahmen müssten auch eingeschränkt werden.

    Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) hatten begonnen, jene Ärzte, welche ihr Verschreibungsverhalten entsprechend der Vorgaben drastisch eingeschränkt hatten, jenen engagierten Ärzten als Massstab für “angemessene” Verschreibungen vorzuhalten. D.h. nicht-engagierte Ärzte standen bei den KV’en hoch im Kurs, die engagierten wurden gedeckelt. Und ähnlich, wie in der Politik, denken die Ärzte in den KV-Verwaltungen eigentlich gar nicht so recht an ihre Kollegen, sondern an den Job den sie dort machen. Es geht um Lobbygruppen innerhalb der KV’en. So wurde lange Zeit noch zum Beispiel eine psychoanalytische Psychotherapie – trotz wissenschaftlich belegter schlechterer Wirksamkeit im Vergleich zu einer modernen Verhaltenstherapie – besser bezahlt als eine Verhaltenstherapie.Auch lässt sich nicht nachvollziehen, dass bis heute eine psychoanalytische Therapie fast doppelt so lange dauern darf, als eine Verhaltenstherapie. All das wird aus dem Sammelgeldtopf der KV’en von den dort verwaltenden Ärzteseilschaften finanziert und verteilt…..

    Apparateärzte bekommen bis heute noch im Verhältnis mehr Geld für ihre deutlich “bequemere” Tätigkeit als die hausärztlichen Kollegen.

    Zurück zum Hausärztedasein…Da sich jene Praxis oben für zwei Ärzte samt Personal immer stärker herunterwirtschaftete, insbesondere nachdem die Pauschalbezahlung/pro Patient – ohne Rücksicht auf das Ausmaß der Behandlungsbedürftigkeit – eingeführt worden war, musste gespart werden. Personal musste abgebaut werden und oft ist nur noch ein Arzt da…Beide sind sie sehr unglücklich und berichten, dass ihnen noch vor einigen Jahren der Beruf viel Freude gemacht hätte und sie gerne dafür auch viel Freizeit geopfert haben. Seit sie ihr Engagement nicht mehr aufrecht erhalten können, Patienten – weil sie sich die Zuzahlungen nicht mehr leisten konnten – oft unbehandelt bleiben mussten, sie selbst notwendige Behandlungen aus Finanzgründen nicht mehr durchführen konnten…haben sie sowohl ihre Berufsfreude, als auch ihren Mut verloren, sich für ihre Patienten einzusetzen. Denn dies würde vollends ihre Existenz kosten.

    Bp.:(Ich weiß von Ärzten, welche wegen ihrer sinnvollen, fairen Verschreibungsweise ihre Praxis schließen mussten – die Ärzteseilschaften (keine speziellen Fachärzte aus dem Gebiet des betroffenen Arztes!) in der KV hatten hier entschieden, dass er in Regress genommen wird. Das bedeutet für einen Arzt: Vom Honorar wird sofort das Regressgeld abgezogen. Da hilft nachher auch kein Erfolg vor Gericht…die Praxis ist ruiniert….)

    So haben sie sich mit der Situation arrangieren müssen: Die Praxis ist des Öfteren geschlossen, das Personal abgebaut, die Sprechzeiten verringert und viele Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten werden – dank der 3 Jahre währenden Vorladungen und Regressansprüche bei der KV – unterlassen . Schon jetzt geht es ihnen nur noch darum zu überleben…..das kann ich gut verstehen….

    Jetzt – nachdem es fast zu spät ist – und die KV’en erst einmal über Jahre hinweg ihre eigene Ärzteschaft gedeckelt und gegeneinander ausgespielt haben, “wachen” sie auf und merken, dass so das Gesundheitssystem den Bach runter geht…..

    Warum? Weil viele Ärzte sich gegen die KV’en ausgesprochen hatten und die KV’en nun selbst um ihr Überleben kämpfen….

    Das war nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was hier sonst alles hinter den Kulissen stattfindet…. Deshalb müssen wir klar zwischen “Ärzten” und “fremdbestimmten Ärzten” unterscheiden…..

    Denn die ärztliche Unabhänigkeit ist schon immer eine Scheinbare….

  2. #2 Peter Artmann
    Mai 21, 2008

    Liebe Monika,
    nicht alle Schafe sind schwarz. Aber angesichts der jährlich explodierenden Kosten für Medikamente und vor allem der Reha-Ausgaben für Massagen usw. musste dringend etwas passieren – und das ist ja auch schon vor einigen Jahren geschehen.
    Mag sein, dass das viele Leute mit Rückenschmerzen gestört hat.

    Aber was manche Leute von ihren Ärzten fordern geht mir persönlich auch zu weit, da nehm ich dann auch gerne die Ärzte in Schutz und wende mich gegen Patienten, die ihren Arztbesuch immer zum Quartalsbeginn einplanen und dann eine furchtbar dreiste Mitnehmattitüde an den Tag legen.

    Genauso wie ich jeden Patienten der explizit verlangt wegen des Verdachts auf Bandscheibenvorfall in den MRT gesteckt zu werden … aber lassen wir das lieber.

    Medizinische Versorgung ist dringend notwendig wenn man krank ist. Aber nicht alle Menschen in einem Wartezimmer benötigen eine medizinische Versorgung.

  3. #3 Monika
    Mai 22, 2008

    Lieber Peter,
    da geb ich Dir Recht – ich weiß ja, was Du im Prinzip mit Deinem Beitrag gemeint hattest…aber manche Leser bekommen das dann gerne in den “falschen” Hals….und weil ich nu gerade bei diesem Thema an der Quelle sitze, ist ja ein Blick hinter die Kulissen vielleicht ganz hilfreich ;-)))…

    Und jene fleißigen Arztbesucher, welche glauben, weil sie 10 Euro bezahlt haben, alle 14 Tage bei ihrem Arzt vorsprechen zu müssen und ihre Miniaturwehwechen mit einem Rezept behandelt haben wollen, sind vermutlich gar nicht so sehr unterrepräsentiert……wie auch jene, welche die gesamte Apparatemedizin als kostenlose Vorsorge beanspruchen möchten……oder jene, welche wegen eines Hustenanfalls einen nächtlichen Hausbesuch erbitten…..(all diese Klagen habe ich auch schon von Ärzten gehört)

    Man wollte die Rezeptjäger und gesunden Kranken ausrotten und hat am Schluss auch noch andere damit erwischt…..

  4. #4 Peter Artmann
    Mai 22, 2008

    Klar Monika,
    ich freu mich ja auch immer über Beiträge von Dir – das gilt explizit für solche, in denen wir nicht einer Meinung sind – schließlich leben Blogs davon.
    Dir Alles Gute Peter