Todarodes sagittatus (Benard Chazal, Antoine – Histoire naturelle : générale et particulière des céphalopodes acétabuifères viants, et fossiles .. Férussac, André-Etienne-Just-Pascal-Joseph-François d’Audebard baron de (1786-1836 Impr. de A. Lacour, 1835-48)

Tintenfische können fliegen!
Mindestens sechs Arten von Kalmaren fliegen im Atlantik und Pazifik mehrere Meter oberhalb der Meeresoberfläche dahin, oft in ganzen Schwärmen. In Strandnähe klatschen die über 20 Zentimeter großen Weichtiere dann gelegentlich Schwimmern und Badenden ins Gesicht und führen zu Irritationen – viele Menschen mögen einen Kalmar gern frittiert auf dem Teller, aber nicht das lebendige Tier. Da solche Treffen von Menschen mit den silbrig-glitzernden Tentakeltieren recht selten sind, können viele Menschen sie nicht zuordnen.

Überwasserflug mit Jet-Antrieb

Viele Kalmare haben torpedoförmige Körper mit großen Flossen und sind schnelle Schwimmer. Ihre Aerodynamik ist auch hydrodynamisch wirksam: Gleich mehrere Arten aus verschiedenen Familien versuchen, mit Überwasser-Flügen ihre Freßfeinden zu entkommen, genau wie Fliegende Fische.

Allerdings setzen Tintenfische dazu ihren Düsenantrieb ein: Zuerst dehnt der Kalmar seinen muskulösen Mantel aus, der sich mit Wasser füllt. Dann zieht sich der Kalmar sich schnell zusammen und drückt dadurch das eingeschlossene Wasser durch den schmalen Trichter. Dadurch entsteht ein kraftvoller Schub, der den Tintenfisch nach vorn katapultiert. Den flexiblen Trichter kann er nach Bedarf positionieren und so in fast jede Richtung davonschießen.

Der Mantel verbreitert sich an den Seiten zu Flossen, die beim Flug als Tragflächen wirken. zusätzlich bringen sie noch die Tentakel in die beste Flugposition. Durch Schlagen mit den Flügeln und einer besonders günstigen Stellung der Tentakel fliegen die Meerestiere aktiv, sie gleiten also nicht nur passiv dahin.

Wer fliegt denn da?

Zwei Todarodes-Arten fliegen im Atlantik und Pazifik: Der Europäische Fliegende Kalmar (Todarodes sagittatus) lebt vor allem im östlichen Atlantik und Mittelmeer. Der Japanese flying squid (Todarodes pacificus) kommt im Nordpazifik vor und fliegt manchmal sogar kalifornischen Badenden um die Ohren.

Sie gehören, wie auch der berüchtigte Humboldt-Kalmar, zur Kalmar-Familie der Ommastrephidae (wie auch der berüchtigte Humboldt-Kalmar) und werden befischt. Sollte man sie auf dem Deck seiner Yacht finden oder schnell genug zubeißen, wenn sie einem ins Gesicht fliegen, kann man sie lecker zubereiten. Oder noch lebende Tiere wieder ins Meer zurücksetzen.

Neben den aerodynamischen Ommastrephidae heben auch Arten der Gattung Onychoteuthidae gern ab: Zwischen sieben Zentimetern und zwei Metern lang, haben sie Haken an den Saugnäpfen zum Festhalten ihrer Beute. Gegen ihre Freßfeinde hilft ihnen das nichts, auch sie stehen auf der Speisekarte großer Fische und Wale.

Daneben gibt es noch mehr fliegende Arten, wie etwa den im Scientific American beschriebenen Karibischen Riffkalmar (Sepioteuthis sepioidea), der zwei Meter hoch und 10 Meter weit flog.
Diese Sonderanpassung ist also weniger systematisch begründet, sondern steht im Kontext mit der Ökologie und dem Verhalten. Allerdings haben alle pelagisch lebenden Kalmare aufgrund ihrer Stromlinien-Form gute Voraussetzungen zum Flug, sie haben also eine Prädisposition (Präadaption) dafür.

Kommentare (16)

  1. #1 rolak
    21. Januar 2022

    ins Gesicht

    Kann ich mir zwar nicht (realistisch) vorstellen, schätze allerdings, daß das intensive Priming durchs Kino automagisch den Blutdruck weit genug ansteigen läßt, um BarbKalmarella zuverlässig wegzusprengen…

    ins Meer zurücksetzen

    ^^aber die haben doch gar keinen Hintern…

    Auch wenn mir der Düsenantrieb durchaus bekannt war, die Nutzung für überwässrige Ausflüge war es keineswegs – schöner Artikel!
    Und schönes Wochenende!

  2. #2 tomtoo
    21. Januar 2022

    Wie praktisch, grill an den Strand, leckerlie kommt von selbst geflogen. 😉

  3. #3 RPGNo1
    21. Januar 2022

    @tomtoo

    Klingt wie eine Story aus dem Schlaraffenland. 😀

  4. #4 Bettina Wurche
    21. Januar 2022

    @RPGNo1, @tomtoo: Ihr denkt aber auch nur mit dem Bauch! ; )

  5. #5 Joachim
    22. Januar 2022

    Wow, dat is ja ‘n Ding. Wie Scientific American titelt: Fact or Fiction? Normalerweise würde ich das zwar für vielleicht möglich halten, doch erst einmal ohne weitere Belege nicht einfach so „glauben“.

    Nun, die Quelle hier halte ich für nachweislich vertrauenswürdig, zumal Referenzen angegeben wurden.

    Die (meine) Konsequenz: Das ist absolut erstaunlich. Die Natur ist weitaus faszinierender, als ich mir es in den kühnsten Träumen vorstellen kann. Wieder einmal was gelernt.

    Wieder ein starkes Argument diese Natur, unseren Lebensraum zu achten und zu schützen.

    Anmerkung: bei solchen Artikeln geht es mir, wie als Kind beim Lesen eines “Was ist Was” Buchs… Die Augen werden im Sekundentakt immer größer…

  6. #6 Joachim
    22. Januar 2022

    Beim nochmal lesen ist mir besonders auch der letzte Absatz aufgefallen. Da sehe ich den (oder auch einen) wissenschaftlichen Ansatz.

    Ich bin mal ein wenig “ketzerisch” (um eine Frage aufzuwerfen): Wenn die Sonderanpassung im Kontext mit der Ökologie und dem Verhalten steht, wieso ist sie dann nicht “systematisch”? Offenbar fehlt mir hier eine Definition von systematisch.

  7. #7 rolak
    22. Januar 2022

    immer größer

    nanana, nicht schummeln: dabei erklingt irgendwann so ein kratzend-bumperndes Geräusch. Kommt daher, daß die Lider am Hinterkopf wieder zusammenstoßen und danach ist Schluss mit ‘größer’.

    Ansonsten: So isses.

  8. #8 tomtoo
    22. Januar 2022

    @Bettina
    Der Bürokratie Offizier @RPGNo1 und ich sind selten einer Meinung was praktisch ist. Aber wenn wir es sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß das es wirklich so ist. 😉

  9. #9 Bettina Wurche
    22. Januar 2022

    @Joachim: Mein “systematisch” bezog sich auf die taxonomische Ordnung, also die verschiedenen Familien, Gattungen und Arten. Da in zwei Familien die Fluganpassung häufiger vorkommt, könnte die spezifische Anatomie und Morphologie dieser Familien eine Präadaptation für die Flugtüchtigkeit sein. Ich bin aber keine Tintenfisch-Expertin, um das abschließend zu beurteilen.
    Die taxonomischen Gruppen wie Familien und Gattungen teilen spezifische Anatomie und Morphologie, sie werden dadurch definiert. In diesem Fall sind die Arten also für das pelagische Leben gut ausgerüstet. Es wäre unwahrscheinlich, wenn eine der Arten jetzt auf einmal Spezialanpassungen für das Leben in der Tiefsee entwickeln würde, allerdings nicht unmöglich. Ein Organismus ist evolutiv nur erfolgreich, wenn er das Beste für sich aus seiner Ausstattung macht. Wenn eine Tiergruppe anatomische u a Merkmale teilt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch Merkmale in Verhalten und Ökologie teilt, groß.
    Allerdings gibt es noch andere Tintenfischgruppen, die den Lebensraum Pelagial bewohnen und offenbar eine ähnliche Entwicklung mit Fluganpassung entwickelt haben. Ob diese unterschiedlcihen Familin jetztaber zuerst die fluggünstigen anatomischen Merkmale hatten, oder erst das Fliegen probierten und dann die Körperform bevorzugt weiterentwickelten, kann ich nicht beurteilen. Da die Fossilien fehlen, könnte man diese evolutionsökologische Frage vielleicht molekular beantworten.
    Ich glaube nicht, dass das schon mal jemand bearbeitet hat, ich habe gerade mal schnell recherchiert. Könnte daran liegen, dass Tintenfische fischereibiologisch interessant sind, darum gibt es genetische Untersuchungen zu Beständen und dem Bestandsmanagement. Aber Evolutionsökologie ist wirtschaftlich leider uninteressant, Forschung bekommt da kaum Finanzierung.

  10. #10 Bettina Wurche
    22. Januar 2022

    @Joachim: Fliegende KAlmare sind kein großes Geheimnis, man kommt bloß bei uns nicht mit ihnen in Kontakt. Das freut mich! Mir geht es auch immer wieder so : )

  11. #11 Joachim
    22. Januar 2022

    @Bettina #8:
    Herzlichen dank für die weitere Nachhilfestunde.

    Du meinst also, die Fähigkeit zu fliegen liegt also an den “Umgebungsbedingungen” oder Möglichkeiten (Düsenantrieb) und weniger an der Familienzugehörigkeit? Auch wenn es sicher einen ersten fliegenden Tintenfisch gab, die Fähigkeit wird also nicht direkt vererbt? Sie ist viel mehr Folge der Möglichkeiten und der Umgebung.

    Muss sie denn erlernt werden? Im Video war etwas mit Fluchtverhalten und großen Tintenfischen, die die Kleinen fressen. Dann sind die “Kleinen” aber echt pfiffig.

    (Rest ausgespart um nicht zu sehr zu nerven. Und sorry für die saloppe unwissenschaftliche Ausdrucksweise. Ich hoffe, es ist gerade so nach dem Motto „keep it super simple“ oder vielleicht trotzdem verständlich).

  12. #12 Bettina Wurche
    22. Januar 2022

    @Joachim: Jein. Die Zugehörigkeit zu den richtigen Familien mit den besten Voraussetzungen dafür dürfte schon etwas ausmachen. Aber es gehören eben nicht alle fliegenden Arten zu EINER Familie. Wie nah die Familien verwandt sind, weiß ich allerdings nicht.
    Naja, irgendein Tintenfisch ist zuerst geflogen : ) Das sind ja immer Übergangsbereiche – ich habe mal in einem Hafenbecken vor Makrelen flüchtende Kalmare gesehen, die nahe unter der Oberfläche dahinschossen. Im offenen Meer kommen hohe Wellen dazu, dann fliegen sie automatisch teils im Wasser, teils in der Luft.
    Aber da kann ich nur spekulieren.
    Nein, die Voraussetzungen dafür müssen ererbt sein, z. B. Anatomie.
    Sowiet ich weiß, ist das Verhalten von Tintenfischen weitgehend vererbt. Sie werden ja nicht alt, da ist nicht so viel Zeit zum lernen.
    Aber auch da bin ich überfragt und kann nur spekulieren. Das Problem ist, dass Kalmare sehr empfindlich sind und einen Fang und Transport selten überleben. Darum sidn sei keien beliebten Aqaurienbewohner, die man einfach erforschen kann.
    “keep it simple” – alles gut : ) Mache ich selbst ja auch. Jeder Evolutions-Profi würde bei meiner Wortwahl Schreikrämpfe bekommen : ))

    Noch eine Ergänzung: Mittlerweile ist tasächlich nachgewiesen, dass erlerntes Verhalten teilweise vererbt werden kann, das ist die Epigenetik.
    Ich hatte dazu mal eine Biochemikerin interviewt. Dabei geht es um Epigenetik bei Menschen:
    https://scienceblogs.de/meertext/2017/03/03/epigenetische-regulation-its-not-in-your-genes/

    Auch bei Kopffüßern soll es molecular nachweisbar sein:
    https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.11.18.469068v1
    Aber da kenne ich mich zu wenig aus, sorry.

  13. #13 Joachim
    23. Januar 2022

    Super spannend, auch die Links. Muss und will ich aber noch vollständig lesen.

    Zur Vererbung kurz (OT?): Es gibt Anzeichen dafür, dass beim Menschen Kriegstraumata vererbt werden könnten.

    Ich denke, das passt in dein Bild (das ich meine zu teilen).

  14. #14 Folke Kelm
    Schweden, im Klimawandelwinter
    25. Januar 2022

    Och wie süss. Ich mag ja auch gerne Kalmare. Lustigerweise sowohl als auch. Ich finde Cephalopoden einerseits extrem faszinierend als auch extrem lecker. Vor allem Sepien, aber um die gehts hier ja nicht.
    Cephalopoden sind witzigerweise evolutionäre Gewinner, super anpassungsfähig. Und ausserdem sind sie sehr intelligent. Sie haben auch eine bei weitem bessere Nervenleitfähigkeit als der Rest der Tierwelt und die allerbesten Augen. Würden die nicht nach der einmaligen Vermehrungssache nicht allesamt sterben, dann würden die uns locker in die Tasche stecken.
    Das allein ist für mich wieder ein Beweis dafür wie fies der Schöpfer ist. Das macht man ein Geschöpf, welches wirklich die Krone der Schöpfung ist, und gleichzeitig nimmt man ihm die Möglichkeit das wirklich auszunutzen. Ein Grund mehr Atheist zu werden.

  15. #15 Bettina Wurche
    27. Januar 2022

    @Joachim: Sorry, zu spät gesehen. Ja, ich denke auch, dass wir deshalb Werte teilen. Unsere Generation hat da noch die Erzählungen der Kriegsgenerationen im Ohr, die als Kinder oder Erwachsene Hunger, Tod, Kälte, Angst als stetige Begleitung hatte. Wenn ich von Kriegen/Bürgerkriegen/Konflikten in Syrien oder der Ukraine höre und lese, habe ich das sofort vor Augen. In meiner Kindheit gab es viele Männer, denen ein Arm oder Bein fehlte oder die Augenklappen trugen. In den letzten JAhren habe ich das erstmals wieder vermehrt gesehen: Bei jungen Männern offenbar syrischer Herkunft (ich habe nicht nachgefragt).

  16. #16 Joachim
    28. Januar 2022

    @Bettina #14
    Dein Kommentar freut mich. Sehr schön. Sehe ich genau so und da geht es mir genau so.

    Doch eigentlich meinte ich mit “Bild” das was du in dem Artikel und in #12 so (IMHO korrekt) dargestellt hast. Die Geschichte mit den Kriegstraumata oder auch die Vererbung von Verhalten bei Krähen könnte etwas damit zu tun haben, wieso die Tintenfische manchmal fliegen. Jedenfalls könnte das rein “mechanische” Bild der Vererbung, diese Reduktion auf Körpermerkmale und Hirnstrukturen nur ein Teil der Geschichte “Vererbung” sein. Da könnte mehr sein. Es könnte sein, dass z.B. die Neurologie da aktuell ein etwas naives Bild haben könnte. Sicher hat sie ein unvollständiges Bild.

    Doch wenn wir noch nicht alles wissen, genau deshalb betreiben wir doch Wissenschaft.

    Hier brauchst du nicht antworten. Der Block “dreht sich ja weiter 😉