Mikroskopische Aufnahme einer jungen Idotea-Meeresassel. Algen-Spermatien sind als grüne Punkte markiert.

Mikroskopische Aufnahme einer jungen Idotea-Meeresassel. Algen-Spermatien sind als grüne Punkte markiert. (Young idotea viewed through confocal microscope. Spermatia (particles shown in green) are stuck to its cuticle. The close-up shows them clumped on the ends of its legs.) © Sebastien COLIN / Max Planck Institute For Biology / Station biologique de Roscoff / CNRS / SU / CC BY-NC-SA

Dass Insekten Blütenpflanzen bestäuben, weiß jedes Kind. Dass im Meer Mini-Krebse Algen befruchten, ist allerdings eine neue Entdeckung. Ein französisch-chilenisches Forscher-Team um Myriam Valero hat jetzt beschrieben, wie kleine Meeresasseln der Gattung Idotea Rotalgen bei der Fortpflanzung helfen.
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die tierische Hilfe bei der Pflanzen- und Algen-Befruchtung viel älter ist, als bisher angenommen..

Algen sind keine Pflanzen, sondern photosynthetisch aktive, pflanzenähnliche Lebewesen. Sie sind evolutiv wesentlich älter als Pflanzen. Darum ist auch ihre Sexualität viel ursprünglicher: Rotalgen sind zweigeschlechtlich. Ihre Fortpflanzung erfolgt im Generationswechsel, also abwechselnd sexuell und asexuell. Geht es um Sex, müssen die männlichen Geschlechtsprodukte (Gameten oder Spermatien) die weiblichen Geschlechtsorgane erreichen. Bis jetzt dachten BiologInnen, dass die männlichen Spermatien von Rotalgen durch Wasserbewegung, also Strömungen, ihr Meeres“blümchen“ erreichen. Ein Trugschluß!

Für die Rotalge Gracilaria gracilis übernehmen Meeresasseln der Gattung Idotea die Rolle von „Meeresbienen“ und verteilen die Spermatien zwischen den Rotalgen. Ganz ähnlich wie Bienen, nur ohne Flügel und mit viel mehr Beinen. Die kleinen Asseln leben in den Rotalgenbeständen und wuseln schwimmend und laufend zwischen den einzelnen Rotalgen-Exemplaren umher.
Die Oberflächen der männlichen Algen sind mit Fortpflanzungsstrukturen übersät, die Spermatien produzieren, also spermienähnliche Geschlechtsprodukte. Jede Spermatie ist mit einem klebrigen Schleim überzogen. Kommt eine Idotea vorbei, kleben die Spermatien am Asselpanzer fest und lassen sich huckepack bis zu einer weiblichen Alge transportieren. Dort trifft es auf weibliche Fortpflanzungsprodukte und es kann zur Befruchtung kommen.

Auch die Asseln profitieren von diesem Arrangement. Die Algen geben ihnen Unterkunft und Verpflegung: Idoteas klammern sich an die Algen, so sind sie vor starken Strömungen geschützt und sie können die kleinen Lebewesen fressen, die auf den Algen wachsen. Dies ist ein Beispiel für eine wechselseitige Interaktion – eine Win-Win-Situation für Pflanze und Tier – und das erste Mal, dass eine Interaktion dieser Art zwischen einer Alge und einem Tier beobachtet wurde.

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7a/Gracilaria2.JPG/1280px-Gracilaria2.JPG

Rotalge Gracilaria (Photographed by Eric Moody; Wikipedia)

Während diese ersten Ergebnisse nicht das Ausmaß angeben, in dem der Tiertransport von Gameten zur Algenbefruchtung im Verhältnis zur Rolle der Wasserbewegung beiträgt – früher wurde angenommen, dass dies das einzige Mittel zur Verbreitung von Gameten ist – bieten sie überraschende Einblicke in den Ursprung der Hilfe von Tieren bei der Befruchtung von Pflanzen und Algen. Vor dieser Entdeckung wurde angenommen, dass letztere vor 140 Millionen Jahren unter Landpflanzen entstanden sind. Rotalgen hingegen entwickelten sich schon vor über 800 Millionen Jahren, und ihre Befruchtung durch tierische Vermittler kann lange vor dem Ursprung der Bestäubung an Land liegen. Zusätzlich sind Krebse wie die Meeresasseln auch wesentlich älter als ihre Landverwandten, die Insekten.
Jetzt haben die ForscherInnen der Arbeitsgruppe für Evolutionsbiologie und Ökologie der Algen an der berühmten meeresbiologischen Station Roscoff eine Menge weiterer Fragen: Lösen die Asseln die Freisetzung von Spermatien aus? Können die Asseln männliche G. gracilis-Algen von weiblichen unterscheiden? Und vor allem: Welche anderen Arten von Algen und Mini-Krebsen haben noch ähnliche Interaktionen zur Befruchtung?

Roscoff liegt in der Bretagne, wo Algen-Anbau längst ein Wirtschaftsfaktor ist, genauso wie vor der chilenischen Küste. Da Algen als Nahrung für Menschen und Tiere sowie viele andere Anwendungen eine wachsende Bedeutung haben, sind die „Bienchen des Meeres“ also auch wirtschaftlich bedeutsam.

Quelle:
E. Lavaut, M.-L. Guillemin, S. Colin, A. Faure, J. Coudret, C. Destombe, M. Valero. Pollinators of the sea: A discovery of animal-mediated fertilization in seaweed. Science, 2022; 377 (6605): 528 DOI: 10.1126/science.abo6661

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Kommentare (13)

  1. #1 Spritkopf
    16. August 2022

    Algen sind keine Pflanzen, sondern photosynthetisch aktive, pflanzenähnliche Lebewesen. Sie sind evolutiv wesentlich älter als Pflanzen.

    Soweit ich weiß, hat man Rotalgen eine ganze Zeit für die ersten Mehrzeller auf der Erde überhaupt gehalten. Ob das jetzt noch der Fall ist, insbesondere nach den Funden aus Gabun (über die man sich anscheinend noch nicht einig ist), han’ isch aber keene Ahnung.

  2. #2 Aginor
    16. August 2022

    Spannend!

    Sogar die Größe der Asseln scheint ein bisschen mit Bienen vergleichbar zu sein, ich hab mal auf Wiki nachgeschaut und zumindest Idotea balthica (die Dreispitzige Meerassel, cooler Name) scheint üblicherweise zwischen ca 2 und 3cm lang zu sein, also ein klein wenig größer als eine Honigbiene.

    Gruß
    Aginor

  3. #3 RPGNo1
    16. August 2022

    Die Neuigkeit hat es sogar in die Medien geschafft.

    https://www.swr.de/wissen/biene-des-meeres-befruchtung-von-rotalgen-100.html

    Auch die Max-Plack-Gesellschaft hat eine Mitteilung herausgebracht.
    https://www.mpg.de/19004298/0725-entw-die-bienen-der-ozeane-sind-krustentiere-151730-x

  4. #4 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    16. August 2022

    Rotalgen sind zweigeschlechtlich.

    Buuuuh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

    Ihre Fortpflanzung erfolgt im Generationswechsel, also abwechselnd sexuell und asexuell.

    Ah! Sie wechseln doch ihr Gender! So alt und schon so modern.

  5. #5 Bettina Wurche
    16. August 2022

    @RPGNo1: Ja, das ist auch wirklich eine bahnbrechende Entdeckung, sowohl für die Evolution als auch die Ökologie von Algenbeständen. Die sind wiederum grünblaue Schlüsseltechnologie zur Abmilderung der KLimakrise. Ich habe aber dne Eindruck, dass das an den meisten Leuten vorbeigegangen ist.

  6. #6 Bettina Wurche
    16. August 2022

    @Omnivor: Nein, sie wechsel nicht das Geschlecht. Sondern sie wechseln generationsweise zwischen sexueller Fortpflanzung (zwei Sexes) und ungeschlechtlicher Fortpflanzung (ein sex). Von Gender würde ich hier gar nicht sprechen, das ist eher ein kulturelles Konstrukt.
    Wenn man sich ein bißchen in Biologie auskennt ist das Geschrei um zwei ode rmehr sexes und gender aber wirklich lächerlich. In der Natur sind die Grenzen weniger deutlich, als die ganzen biologistischen Schreihälse sich auch nur vorstellen können.

  7. #7 Joseph Kuhn
    16. August 2022

    @ Bettina Wurche:

    An Land ist der Einsatz von Tieren als Befruchtungshelfer für Pflanzen ja weit verbreitet. Gibt es das unter Wasser bei “normalen” Pflanzen sonst auch, oder nur bei den Algen?

  8. #8 Bettina Wurche
    17. August 2022

    @Joseph Kuhn: Das würden nun alle gern wissen : ) Es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn auch Seegräser solche Helferlein hätten. Ich bin ganz sicher, dass bereits fleißig danach gesucht wird. Damit ist ein neues Kapitel in der Ökologie aufgeschlagen worden.

  9. #9 Aginor
    18. August 2022

    Apropos Algen:

    @Bettina, es gibt im Moment die These dass das Fischsterben in der Oder auf bestimmte Algen zurückzuführen sein könnte (hab ich gestern beim NDR gesehen).

    Mit welcher Wirkung auf das Meer rechnest Du da? Klar, das Wasser aus dem Fluss wird schnell verdünnt und so weiter, aber könnte es da Effekte auf Meereslebewesen nahe der Mündung geben, oder ist es vielleicht sogar möglich dass diese Algen im Süß- und im Salzwasser gedeihen und sich ausbreiten?

    Gab es so etwas schonmal oder gibt es da eher eine klare Trennung zwischen dem was sich als Algen in Flüssen findet, und dem Meer?

    Also will jetzt nicht irgendwie Panik verbreiten, finde es nur sehr interessant. Katastrophal für die Oder natürlich (und hoffentlich bleibt es lokal).

    Gruß
    Aginor

  10. #10 Muddi
    zmitts im Chäsefondue
    21. August 2022

    Hmmm, vielleicht Quallen als Bestäuber?
    SCNR als Spongebob Fan…ich find allein raus….

  11. #11 Bettina Wurche
    23. August 2022

    @Aginor: Sorry für die späte Antwort, ich war offline unterwegs.
    Ja, der Verdacht mit der Alge als Auslöser des Fischsterbens hat sich mitterweile erhärtet. Ich habe auf Twitter viele Infos bekommen, die suche ich nachher mal zusammen. Die ganze Sache ist nicht nur eine ökologische KAtastrophe sondern auch politisch brisant.

  12. #12 Bettina Wurche
    23. August 2022

    @Muddi: Eher nicht. Quallen sind Plankton und treiben mit den Strömungen dahin, ihre Nahrung fischen sie im freien Wasser. Sie können nicht gezielt zwischen einzelnen Algen oder Seegräsern hin- und herschwimmen, sondern würden höchstens mal zufällig verdriftet. Außerdem haften an ihrer Oberfläche kaum Sporen oder andere Geschlechtsprodukte anderer Tiere. Sie wären also keine zuverlässigen Partner für die Algen.
    Krebschen hingegen leben fest ganzjährig in den Algenbeständen, haben vollen Körperkontakt mit den Gewächsen und können auf ihren segmentierten Panzern deren Geschlechtsprodukte mitnehmen. Darum sind sie – wie auf dem Land die nahe verwandten Insekten – perfekte Bestäuber.

  13. #13 Delbert Kilgo
    24. August 2022

    You have mentioned very interesting details! ps nice web site.