Es war ein Stierkampf ganz nach meinem Geschmack. Nirgendwo gab es bunte Toreros, blutige Lanzen oder sterbenden Tiere. Es war gewissermaßen die vegane Bio-Variante eines Stierkampfs. Durch puren Zufall war ich auf meiner Urlaubsreise durch Südkorea in ein Stadion geraten und blickte aus den mittleren Rängen auf die Arena.
Die Regeln für südkoreanische Stierkämpfe sind recht einfach: Zwei Stiere kommen herein, manchmal langweilen sie sich bloß, dann werden sie wieder hinausgeführt und die Sache ist erledigt. Meistens aber beschließen sie herauszufinden, wer der stärkere ist. Wer sich nun heißblütige Bullen vorstellt, die wild durch den Sand toben und ihrem Gegner die Hörner in den Leib rammen, liegt völlig falsch: Die beiden Stiere stehen einfach nur da, Stirn an Stirn, und drücken gegeneinander. Kaum Bewegung, keine Verletzungen, nur stetiges Drücken. Irgendwann, nach einigen Minuten, hat einer der Stiere keine Lust mehr. Er macht einen Schritt zurück und gesteht damit seine Niederlage ein. Der andere ist der Sieger. Das ist alles.
Gewalt im Kapitol
Daran muss ich denken, während in Washington die Fans von Donald Trump gewaltsam ins Kapitol eindringen. Ihr Kandidat hat die Präsidentschaftswahl verloren, daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt keine rationale Argumentation, mit der man diese Erkenntnis ernsthaft ins Wanken bringen könnte. Aber anstatt einen Schritt zurück zu treten und die Niederlage einzugestehen versuchen sie mit Gewalt, ihr Idol an der Macht zu halten. Trump selbst ruft zwar zu Gewaltverzicht auf, gießt aber gleichzeitig weiter Öl ins Feuer: Ohne Argumente dafür zu haben, betont er, die Wahl sei gestohlen worden. „We love you“ sagt der US-Präsident zu gewalttägigen Demokratiefeinden.
Man kann angesichts dessen den Kopf schütteln, man kann die Sache skurril oder gar lustig finden, aber das wäre falsch. Es handelt sich hier um eine Katastrophe. Man kann dafür kaum ausreichend scharfe Worte finden.
An diesem Punkt hat Demokratie einiges mit Wissenschaft gemeinsam – darauf wies auch der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper hin: Entscheidend ist sowohl in der Demokratie als auch in der Wissenschaft, dass man offen anerkennt, wenn man verloren hat.
Ich kann mir die wildesten, wagemutigsten Theorien ausdenken, mit mysteriösen Zusatzdimensionen, mit neuartigen Teilchen oder fremdartigen Naturkräften. Das ist in Ordnung – nichts daran ist unwissenschaftlich. Aber ich muss, so erklärte uns Popper, meine Theorien immer so formulieren, dass sie prinzipiell falsifizierbar sind. Ich muss klar sagen können, welches experimentelle Ergebnis, welche Beobachtung ich als Widerlegung meiner Theorie akzeptieren würde. Und wenn diese Beobachtung dann tatsächlich gemacht wird, wenn die Experimente andere Ergebnisse liefern, als ich vorhergesagt habe, dann muss ich zugeben, dass ich falsch lag. Kann ich das nicht, ist meine Theorie von vornherein wertlos, dann bin ich kein Wissenschaftler sondern ein Schwurbler.
Und in der Demokratie ist es genauso: Man kann unerhörte Forderungen stellen, völlig neue Gedanken aufbringen, unkonventionelle Lösungsansätze vorschlagen. Aber wenn man abgewählt wird, muss man gehen. Man muss es nicht gut finden, dass man verloren hat, aber man muss es eingestehen. Sonst ist man kein Demokrat, sondern ein Faschist.
Fortschritt als Nebeneffekt
Für Popper ist das Entscheidende an der Demokratie nicht unbedingt, dass der Mehrheitswille durchgesetzt wird, sondern dass man die Herrschenden ohne Blutvergießen austauschen kann. Politik, die für die Gesellschaft gut ist, ergibt sich dann gleichsam als Nebeneffekt. Und das Entscheidende an der Wissenschaft ist nicht unbedingt, neue Wahrheiten zu finden, sondern dass sie uns Möglichkeiten gibt, Falsches zu widerlegen. Die Annäherung an die Wahrheit ergibt sich dann ganz von selbst.
Und daher ist das vielleicht die wichtigste Fähigkeit, die es überhaupt gibt: Seine eigene Niederlage eingestehen zu können. Ohne diese Fähigkeit funktioniert weder Demokratie noch Wissenschaft. Wer das nicht kann, wird sich nie verbessern, wird sich nie mit jemandem einigen, wird nie Großes erreichen. Und wenn die Stiere in einer südkoreanischen Arena das hinbekommen, dann sollte uns das doch auch gelingen.
]]>Bis 10.11.17 werden unter www.goldenesbrett.guru online Nominierungen gesammelt. Aus den eingereichten Vorschlägen wird eine Fachjury anschließend die diesjährigen Preisträger auswählen. Die öffentliche Verleihungsfeier für „Das Goldene Brett vorm Kopf“ findet am 23. November 2017 um 20:15h (Einlass ab 20h) in der Urania in Wien (Uraniastraße 1) und gleichzeitig bei der Parallelveranstaltung in Hamburg im im Schanzenkino73 (Schulterblatt 73) statt.
Die Skeptikervereinigung GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) verleiht diesen Preis seit 2011 jedes Jahr. Im Vorjahr ging das Goldene Brett an Ryke Geerd Hamer, den Erfinder der „Neuen Germanischen Medizin“. Neben dem jährlichen Gewinner gibt es jeweils auch eine Auszeichnung für das Lebenswerk: 2016 ging es an das „Zentrum für Gesundheit“, einer scheinbar neutralen Webplattform, die pseudomedizinische Texte verbreitet.
Nominierungen und Informationen zu den Veranstaltungen unter www.goldenesbrett.guru
]]>Die Volksseele kocht wieder einmal. Wir gönnen uns eine ordentliche Portion Panik, das bringt den Kreislauf in Schwung und erlaubt uns, empörte Beschimpfungen über die Chemie-Lobby, korrupte Politiker über überhaupt „die da oben“ auszustoßen. Doch was bedeutet das ganze wirklich?
Sehen wir uns die Grenzwerte an!
Über Chemikalien in Nahrungsmitteln zu reden ist absolut unsinnig, ohne gleichzeitig über die geltenden Grenzwerte zu sprechen. Was würden wir sagen, wenn ein Sportreporter berichten würde, irgendein Läufer habe den Stadtrundlauf in einer Stunde und dreiundzwanzig Minuten absolviert? Der Bericht wäre völlig nichtssagend – solange wir nicht wissen, wie lang die Strecke war und wie lange die anderen Läufer für die Strecke brauchten, können wir nicht beurteilen, ob die Leistung großartig oder lächerlich schlecht war. Genau derselbe Unsinn wird in der Berichterstattung über Schadstoffe aber akzeptiert ohne mit der Wimper zu zucken.
Es gibt grundsätzlich unterschiedliche Grenzwerte: Die „Akute Referenzdosis“ (ARfD) gibt jene Menge an, die innerhalb kurzer Zeit (etwa an einem Tag) aufgenommen werden kann, ohne dass erkennbarer Schaden entsteht. Unter AOEL („acceptable operator exposure level“) versteht man die zulässige Expositionshöhe, der sich Anwender (z.B. während der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln auf einem Feld) aussetzen können, ohne mit Problemen rechnen zu müssen. Am strengsten ist der ADI-Wert („acceptable daily intake“), der die Stoffmenge angibt, die auch bei lebenslanger täglicher Aufnahme kein Gesundheitsrisiko mit sich bringt.
Betrachten wir also sicherheitshalber den ADI-Wert. Die WHO setzt ihn bei 1mg pro Kilo Körpergewicht an, die EU bei 0,3 mg pro Kilo Körpergewicht. Gehen wir von einem kleinen, schlanken Menschen mit 50kg Körpergewicht aus und nehmen wir den niedrigsten Grenzwert – dann kommen wir auf 15mg Glyphosat, das täglich eingenommen werden müsste. Somit kann man leicht ausrechnen, dass man über 12.000 Liter Ben and Jerry’s Eis essen müsste (und zwar von der am schwersten kontaminierten Sorte) um den Grenzwert zu erreichen. Wer das vorhat, bekommt ganz schnell ganz andere Gesundheitsprobleme, die mit Glyphosat nichts zu tun haben. Angst vor Ben and Jerry’s-Eis ist also völlig irrational und unbegründet.
Nur 0 ist akzeptabel!
„Diese Zahlenspielereien sind mir egal“, schimpfen dann manche Leute, „in meinem Essen soll überhaupt kein Unkrautvernichtungsmittel enthalten sein! Der einzige akzeptable Grenzwert ist null!“ – Wer das sagt, hat ganz grundlegende Fakten der wissenschaftlichen Analytik nicht verstanden. Einen Grenzwert von null kann es nie geben. Alles lässt sich überall finden, dank der unglaublichen Genauigkeit der modernen Analytik.
Alles was wir essen, und auch alles, was unsere Vorfahren in vorindustrieller Zeit jemals gegessen haben, enthält Schadstoffe, das ist nun mal so. Ob wir sie in einer Nahrungsmittelprobe aufspüren oder nicht, ist nur eine Frage der Messgenauigkeit. Wir atmen mit jedem Atemzug Formaldehyd aus – genau wie die Neandertaler vor uns. Und wir nehmen täglich giftiges Arsen auf – in winzigen Spuren.
Jedes einzelne Nahrungsmittel, das je von einem Menschen gegessen wurde, enthielt giftige Stoffe – oder besser gesagt: Spuren von Substanzen, die in hoher Konzentration gefährlich wären. Das sollte uns nicht beunruhigen. Wenn man aus dem Labor ein Null-Ergebnis erhält und sich darüber mächtig freut, dann bedeutet das nur, dass die Konzentration der gesuchten Substanz unter der Nachweisgrenze des Messgeräts lag. Vielleicht kauft dasselbe Labor nächste Woche ein genaueres Gerät und kann die winzige Menge plötzlich nachweisen. Ist die Probe dadurch plötzlich gefährlicher geworden? Natürlich nicht.
Entscheidend ist also, ob bei einer bestimmten Konzentration eines potenziell gefährlichen Stoffes Grenzwerte eingehalten wurden – und natürlich, ob diese Grenzwerte ausreichend vorsichtig angesetzt sind. Ist beides mit ja zu beantworten, besteht kein Anlass zur Sorge. Das sollten auch Journalisten irgendwann verstehen, die solche Ergebnisse trotzdem immer wieder zur Skandal-Story hochkochen.
Gilles-Eric Séralini
Eine besonders bemerkenswerte Peinlichkeit der Pressekonferenz der europäischen Grünen muss allerdings noch erwähnt werden: Der „Experte“ am Podium war ausgerechnet Gilles-Eric Séralini – wer sich öfter mit alarmistischen Studien beschäftigt, kennt den Namen. Séralini war der Autor einer 2012 veröffentlichten Studie über Ratten, die mit gentechnisch verändertem Mais bzw. mit Roundup gefüttert wurden. Damals wurde behauptet, dass bei diesen Ratten eine erhöhte Krebshäufigkeit beobachtet wurde, was unter Gentech- und Glyphosat-Gegnern großes Aufsehen erregte. Allerdings stellte sich später heraus, dass die Studie so schlecht durchgeführt war, dass sie letztlich zurückgezogen werden musste. Das ging natürlich nicht ohne Schmutzkübelkampagne über die Bühne – Séralini versuchte sich mit Verschwörungstheorien zu verteidigen.
Wer einen derart parteiisch agierenden und wissenschaftlich diskreditierten Forscher aufs Podium setzt, wer für die eigenen politischen Ziele keine glaubwürdigeren Quellen findet als einen Mann wie Séralini, der darf sich nicht wundern, nicht ernst genommen zu werden. Liebe europäische Grüne – das sollte euch nicht noch einmal passieren!
]]>Wer über esoterischen Unfug schreibt, muss damit rechnen, heftig kritisiert zu werden. Die Esoterik-Fraktion und die aluhuttragenden Verschwörungstheoretiker sind oft gut vernetzt, in irgendwelchen seltsamen Online-Foren kochen die Emotionen hoch und dann wird gemeinsam attackiert.
Ich muss zugeben: Manchmal freue ich mich richtig darüber. So ärgerlich und schmerzhaft es auch sein kann, von intelligenten Leuten kritisiert zu werden – wenn mich offensichtlich wirrgeistige Esoteriker wüst beschimpfen, dann kann ich meistens kaum anders als mit breitem Grinsen vor dem Bildschirm zu sitzen und in mich hinein zu kichern.
HAARP wird uns alle töten!
So ging es mir auch diese Woche wieder: Ich habe über die HAARP-Verschwörungstheorie geschrieben. HAARP ist – wie die meisten von euch vermutlich wissen – eine Radiowellen-Sendeanlage in Alaska. Seit vielen Jahren wird HAARP von absurden Verschwörungstheorien umrankt: Es sei ein Instrument einer dunklen Weltregierung, die damit Naturkatastrophen auslöst und unsere Gedanken manipuliert.
Inhaltlich war mein Artikel wohl kaum kontrovers – ich habe auf etwas polemische Weise nachgerechnet, wie sich die von HAARP emittierte Energie mit den Energieskalen vergleichen lässt, die in Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Wirbelstürmen stecken. Daran sieht man sofort, dass HAARP ein denkbar unnützes Instrument zum Auslösen von Katastrophen ist. (Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass die Energie an einer tektonischen Grenze schon vorhanden ist und man vielleicht mit HAARP nur noch einen kleinen Schubs anbringen muss, um ein Erdbeben auszulösen – aber wenn man schon von einer bösartigen Erdbebenmaschine phantasiert, dann sollte diese angebliche Erdbebenmaschine schon etwas mehr können. Wenn man nur Katastrophen dort auslösen kann, wo sie sich ohnehin schon fast von alleine ereignen, ist das keine besonders beeindruckende Methode, die Welt zu unterwerfen.)
Troll-Bewertung: ein bis fünf Sterne
Wie auch immer – kaum war der Artikel online, bekam ich auch schon meine erste Fan-Email:
Dieser Artikel besagt , dass sie KEINE Ahnung haben und das als Physiker ! Mein GOTT ! Wahnsinn ! Für wie blöd halten sie eigentlich die Leute !
Man erkennt hier schon einige charakteristische Elemente: Ein merkwürdiger Umgang mit Satz- und Leerzeichen, die Verwendung von GROSSBUCHSTABEN ohne erkennbaren Sinn und einen völligen Verzicht auf Argumentation – ein Klassiker! Dafür vergebe ich fünf von fünf Sternen.
Ein anderer Fan im Online-Forum kommt mit etwas feinerer Klinge:
Selten hat sich jemand deutlicher als nicht ernst zu nehmender, fanatischer und verblendeter Honk ohne jegliche Fähigkeiten zu Physik, Technik oder sozialer, kommunikativer, didaktischer Kompetenz dargestellt. Bildung könnte helfen.
Das ist grammatikalisch beinahe korrekt. (Nur die Präposition „zu“ nach den „Fähigkeiten“ erscheint mir fragwürdig.) Auch inhaltlich kann ich nur zustimmen: Jawohl, Bildung hilft meistens! Das Wort „Honk“ gefällt mir ebenfalls, so hat mich noch niemand genannt. Das ist vier von fünf Sternen wert.
Doch nicht jeder Beitrag liest sich so flüssig:
Davon abgesehen, dass schon allein dank der 5 Sinne und der gelebten Freiheit des DENKENS! der Mensch in der Lage sein sollte schön langsam zu erkennen, dass HAARP, CHEMTRAILS, MIND CONTROL, inszenierte FLÜCHTLINGSINVASIONEN u.v.a. keine Verschwörungstheorien sind, wie selbst und aus rein taktischen Motiven heraus von den Verursachern bezeichnet, sondern real existierende, die Menschheit und unseren Planeten gefährdende Methoden sind, die absolute Kontrolle und macht über die Menschheit und die Erde zu haben.
Das ist inhaltlich und formal eher durchschnittlich: Wir erkennen wieder die GROSSBUCHSTABEN-Begeisterung, diesmal aber ohne besondere Leerzeichen-Freude vor den Satzzeichen. Die Verzweiflung angesichts der übermächtigen Weltverschwörung klingt leise an, aber mir fehlt ein bisschen das Feuer. Drei Sterne.
Sehr schön finde ich es allerdings, wenn Leute Wissen weitergeben wollen. Lesetipps und Quellenverweise sind immer gut:
Hier z.B. ein Beitrag zu HAARP, zwar nicht immer orthografisch fehlerfrei, dafür jedoch mit nachweislichen Beispielen: derhonigmannsagt.org
Den Gegnern wird von vornherein der Wind aus den Segeln genommen: Man steht dazu, die verlinkte Seite wird von Leuten betrieben, die mit der Orthographie noch immer keinen offiziellen Friedensvertrag geschlossen haben. Das wird gleich dazugesagt, also braucht sich darüber nachträglich niemand aufzuregen. Das ist taktisch ein schöner Zug. Noch dazu ist es eine Seite mit nachweislichen Beispielen! Also nicht dass die Beispiele nachweislich richtig wären, aber es sind nachweislich Beispiele da. Perfekt – fünf Sterne!
Dann kommt wieder etwas Politisches:
Es wissen eh alle, nur leider wehren sich die Leute nicht, bei vielen schon das widerliche Konzept der NWO aufgegangen: Abstumpfung, Einlullen, Verdummung. Endziel: totale Versklavung.
Schön daran: Hier wird groß gedacht. Wir sprengen das Thema HAARP und reden gleich über Weltverschwörung. Die NWO (New World Order) soll durchgesetzt werden, von Leuten wie mir. Mit dem Endziel der totalen Versklavung. Das ist ein schöner Ansatz, aber das Statement ist mir zu resignativ und nicht kämpferisch genug. Drei Sterne.
Dann wird’s wieder persönlicher:
Entweder Sie sind in Physik durchgefallen, oder Sie haben NULL Ahnung wissenschaftlich korrekt zu recherchieren, oder Sie haben sich auch – wie viele andere sogenannte „Erklärer“, sprich „Journalisten“, bewusst oder auch unbewusst verkauft an die Individuen, die hinter all den unfassbaren, menschlich unvorstellbaren, aber real existierenden Methoden stehen, die ihnen die absolute Kontrolle und Macht über die Menschheit und deren Planeten Erde ermöglichen sollen.
Moment! Nein! Ich bin nie durchgefallen. (Einmal fast, bei meiner Analysis-1-Prüfung. Aber das war Mathematik.) Ich muss mich also an die Individuen verkauft haben, die hinter diesen Methoden stehen. Nun, das ist etwas schwammig. Zwei Sterne.
Ich finde Ihre „Erklärungen“ nicht nur dumm und absolut falsch, sondern Ihren Mitmenschen und Ihrem Beruf gegenüber verantwortungslos, weil Sie das, was auf unsere Erde geschieht, absolut verharmlosen und darüber hinaus alle die Menschen als Verschwörer und /bzw. Dumme disskreditieren und beleidigen, die im Gegensatz zu Ihnen und Ihresgleichen tatsächlich die vielgerühmte FREIHEIT zum DENKEN nutzen und den Dingen auf den Grund gehen, weil sie sich nicht für dumm verkaufen lassen und wissen, dass viele Dinge nicht so sind, wie sie scheinen bzw. wie sie von den Vasallen der NWO verkauft werden!
Vielleicht denken Sie einmal DARÜBER nach, bevor Sie wieder Ihre mehr als unangenehme „Duftnote“ irgendwo hinterlassen!
Das hätte man prägnanter formulieren können – ich finde es etwas langatmig. Aber die „Duftnote“ am Ende hat irgendwie Kraft. Vier Sterne.
mit solchen Artikeln wird die Theorie der Verschwörung versucht aufrecht zu erhalten und die Wahrhaftigkeit zu untergraben… Recherchen werden dir das Gegenteil beweisen.
Nein, etwas mehr Engagement kann man schon erwarten. Welche Theorie der Verschwörung? Welche Recherchen? Ein Stern.
Der Artikel ist einfach nur Fake… oder der Schreiberlings hat einen auf Mainstream Media begrenzten ^^ Horizont!
Das ist so daneben, dass es mir gefällt. „Der Schreiberlings“ ist ein Ausdruck, der ein bewusst demonstriertes Desinteresse an Grammatik signalisiert. Was für 1 schönes Posting vong Ausdrucks Weise her! Auch der ansatzlose Switch zwischen Englisch und Deutsch ist total hip und modern. Vier Sterne.
Und was wäre das alles ohne den immer wiederkehrenden Vorwurf, fürstlich bezahlt zu werden:
es gibt Schreiber die von der Elite, also auch der Politik, dafür bezahlt werden, all das ins Lächerliche zu ziehen was da passiert. Bester Vertreter auf dem Gebiet ist Dumpfbacke Kachelmann.
Sehr schön! Ich bin also auf der Seite der Elite! Das hatte ich immer schon gehofft. Das bedeutet wohl, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die ersten Überweisungen auf meinem Konto eintreffen. Darüber freue ich mich natürlich sehr – daher fünf Sterne!
Allerdings: Nach meinem Artikel über Chemtrails habe ich nicht nur Postings und Mails bekommen, sondern auch schöne altmodische Papier-Post. Die blieb diesmal aus. Naja, man kann nicht alles haben.
]]>Für Kinder ist die Welt etwas Magisches, und das ist auch gut so. Der Osterhase bringt Schokolade, und auf dem Apfelbaum wachsen Äpfel. Dass das eine erfunden, das andere wissenschaftlich erklärbar ist, müssen sie erst lernen – und das gelingt meistens recht problemlos.
Aber wie reagiert man, wenn das Kind von seiner geliebten Erzieherin mit esoterischen Theorien konfrontiert wird, die man vom Kind lieber ferngehalten hätte? Was macht man, wenn das Kind beim Frühstück begeistert von den magischen Heilkristallen erzählt, die im Kindergarten verwendet werden? Was soll man tun, wenn das Kind in einen Autoritäten-Konflikt gerät und zu heulen beginnt, weil ihm die Eltern eine andere Weltsicht erklären als die, die es aus dem Kindergarten kennt?
Ganz falsch wäre es wohl, das Kind gegen die Erzieherin aufzuwiegeln. Die Sache einfach hinzunehmen, ist aber auch nicht die beste Lösung. Wie man mit solchen Situationen umgehen kann, zeigt dieser Brief einer Mutter an die KiTa, den ich für sehr klug halte. Ich bedanke mich dafür, dass ich ihn hier (anonymisiert) wiedergeben darf und freue mich auf die Diskussion: Wie hättet ihr reagiert?
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Liebes Erzieherteam, lieber Elternbeirat,
wir möchten Ihnen zuerst einmal für ihre tolle und engagierte Arbeit im letzten Jahr und für die schöne und aufwändige einstündige Präsentation über die Erziehungsarbeit in KiTa und Kindergarten bedanken. Wir haben sicher alle gemerkt, dass sehr viel Arbeit darin investiert wurde. Noch gestern hat mein Mann sich sehr darüber gefreut, dass im Kummerkasten noch nie ein negatives Anliegen zu finden war.
Eine Sache bereitet uns dann aber doch etwas „Kummer“. Gestern abend hat xxx xxx in der kleinen Runde kurz von ihrem Projekt mit Edelsteinen berichtet, weil die Kinder sie angesprochen haben, warum sie „Edelsteine in ihrem Wasser“ hätte. Mein Mann hat sich dann kurz Gedanken darüber gemacht und es dann wieder verworfen. Bis heute morgen, als unser Kind mit dem Ernst, der Kindern – glücklicherweise! – zu eigen ist, über „heilende Edelsteine“ gesprochen hat. Er hat von sich aus sehr ernst und detailgenau über Amethyste und Bernsteine gesprochen – Bernsteine (ich erklärte ihm, dass das Baumharze sind, die mit Edelsteinen nichts zu tun haben) könnten heilen, sich als „Sonnensteine“ mit Sonnenlicht aufladen – ein Mädchen habe auch eine Kette, „damit die Zähne besser wachsen“ usw usw.
Wenn man persönlich glaubt, dass einem Edelsteinwasser gut tut oder es gar „heilt“, ist das völlig in Ordnung – nur sollten Dinge, die nicht objektiv verallgemeinerbar sind, weil sie schlichtweg jeder Wissensgrundlage entbehren und im Bereich der Esoterik anzusiedeln sind, Kindern so nicht „beigebracht“ oder vermittelt werden: Kinder können zwischen Glaubens- und Wissensinhalten noch nicht unterscheiden – das ist auch sehr gut so! Mit dem gleichen Ernst, mit dem sie Wissen aufnehmen, nehmen sie aber auch Dinge auf, die im Bereich der Privaterfahrung und des Privatglaubens bleiben sollten. Ginge unser Sohn auf einen kirchlichen Kindergarten, müssten wir damit rechnen, dass Glaubensinhalte vermittelt werden – das wäre uns klar und es wäre auch in Ordnung, weil es eben klar Dinge des Glaubens und der Institution Kirche sind, die wir zutiefst respektieren (mit unserem Sohn bete ich abends zum Beispiel auch, weil es eine wunderbare Form des inneren „Ablegens“ von allem ist, was einen so tagsüber beschäftigt hat – auch wenn wir nicht in die Kirche gehen).
Gerade im Kleinkind- und Kindbereich (das geht ja mit der Geburt schon los) werden aber heute viele Dinge vermittelt, die jenseits allem Faktischen anzusiedeln sind, Einfallstore für Dinge wiederum, die wir für sehr problematisch halten – alle sind ja „irgendwie“ gegen Donald Trump, aber zu seiner Truppe gehören neben Esoterikern, Impfgegnern, Kreationisten und Fundamentalisten, die ohne rot zu werden vom „Postfaktischen“ sprechen und Wissenschaftler, die sich noch um echtes, verallgemeinerbares Wissen bemühen, als „Spaßbremsen“ diffamieren – in der Türkei werden sie nicht ohne Grund weggesperrt, weil Manipulationen der Menge so viel leichter vorgenommen werden können.
Was uns wirklich bestürzt hat, waren die Tränen unseres Kindes, das heute morgen in einen echten Konflikt geriet, ein Konflikt zwischen Autoritäten: der Erzieherin, die er sehr schätzt und der er gern zuhört und uns – er nimmt Wissensinhalte eben auch sehr ernsthaft und begeistert auf, mit der gleichen Begeisterung gibt er sie wieder und brach in Tränen aus, als wir ihm sagten, dass das Ganze so nicht stimme. Wir haben ihm die Dinge in aller Ruhe erklärt, ich habe ihm Edelsteine gezeigt und erzählt, dass ich sie früher gesammelt habe – dass Menschen in der Antike und im Mittelalter diesen Steinen Heilkräfte zugesprochen haben und auch in Dichtung und Märchen Edelsteine eine große Rolle spielen. Edelsteine können auch gerne eine Bedeutung für ihn haben, warum auch nicht – so wie wir einst als Kinder gespielt haben, „Amulette“ würden uns wie die Wikinger vor diesem oder jenem Troll schützen. Ich habe ihm zum Trost auch erzählt, wie die schwarzen Kerzen meiner Tante mich vor Gewittern schützen sollten und ich hingebungsvoll in die Flamme starrte – obwohl ich dann doch lieber dem Hinweis meines Vaters auf den Blitzableiter vertraute….
Wir wollen gewiss unser Kind nicht „entzaubern“, ihm den Glauben an Osterhase, Weihnachtsmann, Elfen und was auch immer nehmen, dazu sind diese Dinge zu schön, zu spannend, zu wertvoll, weil sie unser Leben erst schön machen und bereichern. Fantasie Dichtung, Märchen, Literatur und Glaubensbereiche bieten hier ja wunderbare Möglichkeiten.
Die Verwirrung und Traurigkeit heute morgen hat besonders mir sehr zugesetzt, so dass ich sogar zweifelte, ob es gut war, ihn hier aufzuklären. Man kann Kindern aber ja durchaus , wenn sie neugierig fragen, sagen, „mir hilft das“, „für mich ist das gut“ – dann kennzeichne ich diese Dinge schon sprachlich ganz klar als Privatsache. Das sind aber Gegenstände, die als scheinbare „Wissensinhalte“ und als nachweislich esoterische Inhalte keine Grundlage für einen Morgenkreis oder Unterricht irgendwelcher Art sein sollten – weil sie dafür nicht taugen.
Daher unsere Bitte: bitte versuchen Sie auch in Zukunft (Privat-)Glauben und Wissen zu trennen. Wer seinen Kindern Bernsteinketten umhängen will, soll das tun – eine etwaige „Heilkraft“ aber als verallgemeinerbares Wissen zu deklarieren, überschreitet für uns eine Grenze. Wir nehmen gewiss niemandem seinen Glauben und das hier ist kein „Angriff“ – wir möchten aber erinnern, dass bestimmte Dinge doch einfach in den Privatbereich gehören.
Eine Institution wie ein städtischer Kindergarten wird gerade auch in Zukunft die entscheidend wichtige Aufgabe haben, Kindern alles das mitzugeben, was sie zu Menschen formt, die dem Leben gewachsen sind – einmal, weil sie das kennenlernen, was an Dichtung (dazu gehören auch Märchen), künstlerischer und religiöser Überlieferung und Tradition von hohem Wert ist, weil der Mensch eben nicht nur „vom Brot allein“ lebt und all das unser Leben erst schön und reich macht! Wenn Sie meine Chemie- und Physiknoten sehen, wissen Sie, dass ich gewiss kein Vertreter einer alles „entzaubernden“ Naturwissenschaft bin noch sein kann – anders als mein Mann, der sich da besser auskennt, bin ich ja ganz im Literatur- und Kunstbereich zuhause.
Das Gegengewicht aber, die Fähigkeit, Faktisches von Nicht-Faktischem trennen zu können, wird in Zukunft eine Fähigkeit sein, die unsere Kinder dringend brauchen werden, um zu verhindern, dass unser Urteilsvermögen verwirrt und bereits Erreichtes – z. B. aufgeklärtes Denken als Grundlage der Moderne, der Demokratie – wieder verloren geht. Da kann man auch im Kindergarten schon sehr viel für tun – nicht einfach, aber eine so wichtige Aufgabe!
Anbei ein Einstieg in die Thematik „Edelsteinwasser“ und „Heilsteintherapie“ aus einem Wiki inklusive Quellenangaben.
Herzliche Grüße,
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]]>Genauer erklärt haben wir das bei der SKEPKON in Berlin, und das Video davon ist nun verfügbar:
Wir erklären, warum Skeptiker langfristig aussterben, wie man Indigokinder erkennt, und warum die Esoterik einfach überlegen ist – ein Sketch und ein Lied über die wunderbare Welt des Blödsinns.
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Wie konnte das passieren? Johannes Huber ist zweifellos ein kluger Mann. Er ist ein angesehener Gynäkologe, in den Medien wird er manchmal als „Hormonpapst“ bezeichnet, er ist Professor an der Medizinischen Universität Wien. Dass er vor seiner medizinischen Laufbahn auch Theologie studiert hat und als Sekretär des Wiener Erzbischofs arbeitete, macht ihn eigentlich noch interessanter. Kann man sich von ihm vielleicht spannende Gedanken über weltanschauliche und wissenschaftliche Fragen erhoffen? Wer sein Buch liest muss rasch erkennen: Nein, offenbar nicht.
„Es existiert“
Hubers aktuelles Buch „Es existiert“ ist unwissenschaftlich und anti-aufklärerisch. Statt wissenschaftlicher Fakten präsentiert es haarsträubende Falschaussagen, statt schlüssiger Argumentation beinhaltet es wirre Gedankensprünge, statt interessieren Lesern Wissenschaft näherzubringen, propagiert es eine mystische Weltsicht der esoterischen Beliebigkeit, mit Schutzengeln, magischer Aura und übersinnlicher Informationsübertragung.
„Die Wissenschaft entdeckt das Unsichtbare“, so lautet der Untertitel des Buchs. Nun – Unsichtbares kennt die Wissenschaft schon lange, von Mikrowellenstrahlung bis zu subatomaren Teilchen. Das „Unsichtbare“, das Huber in seinem Buch postuliert, hat die Wissenschaft allerdings mit Sicherheit nicht entdeckt, und das wird auch in Zukunft so bleiben.
Wäre Johannes Huber bloß ein antiwissenschaftlicher Wirrkopf wie viele andere, die in obskuren Verlagen mit Brett vorm Kopp ihre Thesen publizieren, wäre die Sache nicht weiter aufregend. Auf ein zusätzliches Esoterik-Buch auf dem Markt käme es auch nicht mehr an. Doch Huber ist ein anerkannter Wissenschaftler mit Leistungen, die sich sicher nicht leugnen lassen – und genau das verleiht seinen weltanschaulichen Thesen ein Gewicht, das sie nicht verdient haben. Seit Monaten hat das Buch seinen festen Platz auf der österreichischen Bestsellerliste. Das ist ein guter Grund, das Werk nicht seufzend zu ignorieren, sondern doch näher anzusehen.
Das Buch beginnt mit einer These, die absolut richtig ist: Der Mensch verändert sich. Von Generation zu Generation werden die Menschen größer und gesünder, die Lebenserwartung steigt. Johannes Huber erklärt auch woran das liegt: Unsere Ernährung ist heute einfach viel besser als früher – so weit, so korrekt und interessant. Doch dann projiziert er diesen Menschheitsfortschritt auch auf eine psychische und spirituelle Ebene, plötzlich wird der Mensch zur magischen Sendeantenne, die mit anderen Menschen und der gesamten Umwelt in Verbindung steht. Argumente oder gar zitierbare Fakten dazu gibt es nicht. Die Argumentation erschöpft sich in Phrasen wie „es könnte ja sein, dass“, oder „es ist methodisch richtig, daran zu glauben“.
Quantenunfug
Kaum ein esoterisches Schwurbelbuch kommt ohne Quantenphysik aus – und Hubers Buch natürlich auch nicht. Wie nicht anders zu erwarten, finden wir auch hier das alte Missverständnis von der angeblichen Rolle des Bewusstseins in der Quantenphysik. So grausam wie hier wird es allerdings selten dargeboten: „Die Heisenbergsche Unschärferelation besagt sinngemäß, dass sich ein Versuch ändern kann, und zwar nur durch den Umstand, weil jemand auf den Versuch draufschaut.“
Atmen wir tief durch und ignorieren wir die sprachlichen Schwächen dieses Satzes. Nehmen wir zur Kenntnis dass mit „Versuch“ hier wohl „Ergebnis eines Experiments“ gemeint sein muss. Reden wir nicht darüber, dass es „durch den Umstand, dass“ heißen müsste, nicht „durch den Umstand weil“. Ergänzen wir gedanklich, dass „auf den Versuch draufschauen“ in richtigem Deutsch wohl „das Experiment beobachten“ heißen müsste. Dann ist die Aussage inhaltlich leider noch immer völliger Unfug.
Zunächst: Nein, die Heisenbergsche Unschärferelation besagt etwas ganz anderes. Bei der Unschärferelation geht es darum, dass man gewisse Eigenschaften eines Quantenobjekts nicht gleichzeitig messen kann. Huber versucht hier allerdings darüber zu reden, dass die Messung den Zustand verändert – das hat mit der Unschärferelation allenfalls indirekt zu tun. Will man dieser Sache unbedingt einen gebildet klingenden Namen geben, hätte man vielleicht von der „Kopenhagener Deutung“ schreiben können.
Und selbst dann wäre die Sache noch immer falsch. Denn ob ein Beobachter „draufschaut“ oder nicht, spielt für eine quantenphysikalische Messung nicht die geringste Rolle. Entscheidend ist, ob eine Messung stattfindet – das heißt: ob das Quantenobjekt auf geeignete Weise in Kontakt mit seiner Umwelt gerät. Ob diese Umwelt ein größeres Molekül, eine Röhre mit Argon oder ein Mensch ist, das kann der Quantenphysik vollkommen gleichgültig sein.
Der Irrglaube, das Ergebnis einer Quantenmessung habe irgendetwas damit zu tun, ob ein bewusstes, denkendes Wesen die Messung beobachtet oder nicht, ist leider nicht totzukriegen. Trotzdem ist er völlig sinnlos und wissenschaftlich absolut nicht zu rechtfertigen.
Landkarte im Gehirn: Das Missverständnis mit den Place Cells
Ganz besonders fasziniert scheint Huber von den „Place Cells“ zu sein – das ist auch tatsächlich ein spannendes Gebiet, es handelt sich um Neuronen in unserem Gehirn, die eine entscheidende Rolle bei unserem räumlichen Orientierungsvermögen spielen. Bestimmte Zellen im Hippocampus, einer Hirnstruktur an der Schläfe, sind offenbar mit bestimmten Bereichen des Raums assoziiert: Bei Tests mit Ratten konnte man zeigen, dass einzelne Hirnzellen genau dann aktiv werden, wenn sich die Ratte an einem ganz bestimmten Punkt im Raum befindet.
Bewegt sich die Ratte durch den Raum, ergibt sich somit ein Muster nacheinander aktivierter Neuronen, in gewissem Sinn bilden die Neuronen eine Repräsentation des Raums, eine Art „Landkarte“ im Gehirn. Begibt sich das Tier dann in einen anderen Raum, dienen dieselben Zellen als „Landkarte“ für die neue Umgebung. Wie diese beiden Landkarten zusammenhängen, ist Gegenstand spannender Forschungsarbeiten – man spricht von „remapping“.
Johannes Huber scheint allerdings zu glauben, dass das Gehirn für jeden Ort, an dem man sich je befunden hat, eine neue „Place Cell“ anlegt: „Von jedem Ort, an dem ein Mensch ist, macht der Körper sozusagen ein Bild. Ein Foto in Form eines Neurons. Erstes Mal in Lignano, neues Neuron. Erstes Mal am Meer, neues Neuron.“ (S40). Ernsthaft?
Mit offenem Mund bestaune ich diese Zeilen – kann tatsächlich ein professioneller Mediziner ein derart naives, unlogisches Bild von der Funktionsweise unseres Gehirns haben? Offenbar schon: „Das heißt: Das Gehirn ist durch die Ortsveränderung entstanden, weil für jeden Ort ein neues Neuron angelegt wird.“ Huber scheint der Meinung zu sein, unser Gehirn sei gewachsen, indem wir uns von Ort zu Ort bewegen, weil dabei jeder Ort eine neue Gehirnzelle bekommt. Dann müssten also Flugzeugpiloten die größten, leistungsfähigsten Gehirne überhaupt haben, während einsame Forscher, die ihre Zeit an einem Schreibtisch verbringen, kleinhirnige Idioten sein müssten?
Schweißantennen und Blutmagnete
Auch an vielen anderen Stellen des Buches wird der wissenschaftlich interessierte Leser von einem unangenehmen Schauer durchzuckt – etwa wenn es heißt „Die Schweißdrüsen der Haut wirken wie kleine Antennen. (…) Das ermöglicht eine nicht sensorische Kommunikation“ (S9). Nein, die Schweißdrüsen haben mit Antennen nichts zu tun. Wenn Huber tatsächlich glaubt, dass wir über unsere Schweißdrüsen elektromagnetisch miteinander kommunizieren können, dann sollte er das schnellstens mit wissenschaftlichen Belegen untermauern – der Medizinnobelpreis wäre ihm sicher. Der Physiknobelpreis wohl obendrein auch noch.
Schmerzhaft sind auch Aussagen wie „Das Herz ist ein ‚Eisenmagnet‘, der Blutkreislauf verursacht ein magnetisches Feld, das mehrere Meter aus dem Körper hinausreicht (S8). Huber dürfte diesen Gedanken vom „HeartMath Institute“ übernommen haben, ein NGO, die sich mit merkwürdig esoterisch anmutenden Psycho-Techniken beschäftigt. Tatsächlich enthält das Hämoglobin im Blut Eisen – doch der Ferromagnetismus, wie wir ihn von Eisen kennen, beruht auf dem Zusammenspiel vieler Atome, das hat mit einzelnen Eisen-Atomen, wie sie im Hämoglobin eingebaut sind, nichts zu tun.
Merkwürdig ist auch, wie sich Huber die Epigenetik vorstellt. Er scheint der Meinung zu sein, dass alles, was wir erleben, epigenetisch abgespeichert wird – „Jeder Eindruck verändert und beeinflusst unser Genom“ (S31). „Jedes einzelne Ereignis schlägt sich in unseren Genen nieder.“ (S 134) Unsere Gene sind durch mystische Wunder der Epigenetik also so etwas wie ein zuverlässiger Videomitschnitt unseres gesamten Lebens? Das ist natürlich Unfug, wie im sicher einige Kollegen von der Medizinischen Universität genau erklären können.
Bei all diesen schweren wissenschaftlichen Schnitzern fallen dann Ungenauigkeiten, wie man sie bei anderen Büchern vielleicht heftig kritisieren würde, gar nicht mehr ins Gewicht – etwa, wenn Huber das Gehirn als „Muskel“ bezeichnet (S 40), wenn er schreibt, eine Bienenkönigin gehöre zu einer „anderen Spezies“ als die anderen Bienen (S 131), oder wenn er kühn behauptet, dass sich unser Leben „in den vergangenen Jahrzehnten um das 39-Fache beschleunigt“ habe (S 36). Was hat sich in Bezug worauf um das 39-Fache beschleunigt? Ach, egal. Wozu noch aufregen? In der Kabinentoilette eines gesunkenen Schiffes muss man nicht mehr über tropfende Wasserhähne streiten.
Propaganda für ein vor-aufklärerisches Weltbild
Fehler machen darf jeder. Das ist auch verzeihbar. Wirklich gefährlich wird Johannes Hubers Buch aber dort, wo er auf bewusste und kalkulierte Weise das naturwissenschaftliche Weltbild angreift – etwa wenn er durch irrwitzige Scheinargumentation Photonen zu Engeln umdeutet: „Photonen machen uns sehend. Engel erleuchten unseren Weg. Damit sind beide Vermittler der Transzendenz.“ (S 180) „Photonen sind reine Energie. Engel sind reiner Inhalt. Beide haben keine Ruhemasse“ (S 181). Und daraus folgert Huber dann messerscharf: „Die Quantenphysik kann uns die Existenz von Engeln nicht belegen. Aber sie für möglich zu halten, ist methodisch richtig.“ – Nein, das ist ganz und gar nicht methodisch richtig, das ist genau der Punkt. Sonst wäre es auch methodisch richtig, die Existenz von regenbogenspeienden Einhörnern an der Nordseeküste, von grüngeflügelten Kaffeetassen auf den Jupitermonden oder von eingeschlossenen Babyeichhörnchen in Johannes Hubers Gehirn für möglich zu halten. Man darf sich nicht einfach irgendetwas ausdenken, das Wort „Quantenphysik“ in der Luft herumschwingen und es dann für plausibel erklären. So funktioniert Wissenschaft nicht.
Aber wenn er solchen Unfug zwischen zwei Buchdeckel füllt, bleibt sicher bei vielen Lesern eine staunende Unsicherheit übrig: Na wenn der große Herr Professor das sagt, dann wird das schon seine Richtigkeit haben. „Manche Menschen können schon jetzt ihre elektromagnetische Kraft so bündeln, dass sie damit eine Gabel verbiegen“, schreibt der Herr Professor (S 129). Na wer hätte das gedacht! Es gibt offenbar also wirklich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit … oder so.
Es ist wirklich traurig: Viele seriöse Wissenschaftler versuchen heute mit großer Mühe, naturwissenschaftliches Denken stärker in der Gesellschaft zu verankern. Es gibt kluge populärwissenschaftliche Vorträge, Fernsehsendungen und Bücher, in denen vermittelt wird, was wissenschaftliches Denken ist und warum es für uns alle so eine große Rolle spielen sollte. Das ist wichtig. Seit dem Zeitalter der Aufklärung basieren die großen intellektuellen Leistungen unserer Gesellschaft in ganz entscheidendem Ausmaß auf rationalem Gedankenaustausch, auf falsifizierbaren Theorien, auf Experiment und Überprüfung. Huber zerstört wohl mit einem einzigen Buch mehr, als eine ganze Reihe solcher Wissenschaftler aufbauen kann. Unzählige Arbeitsstunden kluger Leute, die etwas Verstand in die Bevölkerung bringen wollten, werden durch Johannes Huber zunichte gemacht. Leute, die vielleicht schon ein einigermaßen aufgeklärtes Weltbild hatten, werden zurückgestoßen in ein Fantasieland mit Schutzengeln, geheimnisvoller Gedankenübertragung und mysteriösen Fernwirkungen. Das ist das eigentliche Problem eines solchen Buchs.
Dem Verlag darf das nicht passieren
Doch vielleicht sollte man das alles nicht Johannes Huber persönlich vorwerfen. Vielleicht ist er hier selbst der Überrumpelte? Eines fällt nämlich beim Lesen des Buchs, ganz abgesehen von seinem seltsamen Inhalt, ganz eindeutig auf: Es ist stilistisch grottenschlecht geschrieben. Es liest sich wie eine niedergeschriebene Wirtshaustischplauderei, mit unvollständigen Satzfetzen und flapsigen Formulierungen, wie man sie normalerweise niemals stehenlassen würde. Und so kommt der Verdacht auf, das Buch ist in Wahrheit genau das – eine niedergeschriebene Wirtshaustischplauderei. „Aufgezeichnet von Andrea Fehringer und Thomas Köpf“ steht da auf der ersten Seite – Johannes Huber hat das Buch also gar nicht selbst geschrieben. Vermutlich wurden Interviews mit ihm geführt und dann zu Papier gebracht.
Und wenn das wahr ist, dann hat der Verlag, die „edition a“, Johannes Huber keinen guten Dienst erwiesen. Einen bekannten Wissenschaftler, der zweifellos tolle Leistungen erbracht hat, muss man nicht aus Profitgier so aufs Glatteis führen. Natürlich – Huber hätte letztlich selbst wissen müssen, worauf er sich einlässt. Aber der Verlag hätte das Buch ordentlich schreiben und lektorieren lassen können und hätte irgendwelche sachverständigen Leute engagieren müssen, die alles noch einmal durchsehen und dann schüchtern fragen: Herr Doktor, wie ist das mit den Engeln? Sind Sie sicher, dass Sie das schreiben wollen? Möchten Sie darüber nicht vielleicht noch einmal nachdenken?
]]>Der Weltuntergang ist gerade in Mode. Pessimismus bricht über uns herein wie eine Welle bösartig mutierter Grippeviren. Die Gesellschaft ist tief gespalten und kann sich auf nichts mehr einigen –darüber sind sich alle einig.
Wir leben in einer Zeit von „fake News“. Journalisten füttern uns „alternative facts“, Ärzte füttern uns alternative Medizin, dumpfgeistige Politiker füttern uns mit Angstparolen. Stürzt die Welt aus dem Zeitalter von Rationalität, Wissenschaft und Aufklärung nun unaufhaltsam in das dunkle Loch der Idiotie?
Nein. Das wird nicht geschehen. Nur keine Panik! Die Angst vor dem bevorstehenden Endsieg der postfaktischen Dummheiten ist selbst eine postfaktische Dummheit.
Wahrheitsverbieger gab es schon immer
Wenn wir heute voller Entsetzen über eine neue Welle der Faktenuntreue vom postfaktischen Zeitalter sprechen, dann begehen wir genau denselben Fehler, für den wir unsere Großeltern kritisieren, wenn sie sich die gute alte Zeit zurückwünschen: Es gab nie eine gute alte Zeit. Wir sollten die Vergangenheit nicht verklären.
Man kann sich ziemlich willkürlich Epochen und Ereignisse der Weltgeschichte herauspflücken – gelogen wurde immer.
2003 griffen die USA den Irak an, angeblich weil der Irak Massenvernichtungswaffen produzierte. Mit der Wahrheit hatte diese Behauptung nichts zu tun, aber einmarschiert wurde trotzdem. Richard Nixon und seine Gefolgsleute produzierten in der „Watergate-Affäre“ ein ganzes Bündel an Skandalen. Damals wurde eingebrochen, abgehört, die Justiz behindert und schmutziges Geld herumgeschoben. Das war dramatisch und untragbar – doch weder die USA noch die Welt sind daran zugrunde gegangen.
„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, erklärte Walter Ulbricht 1961 – zwei Monate später wurde die Berliner Mauer gebaut. Die Sowjetunion wiederum inszenierte sich gerne als siegreiche antifaschistische Macht, die Hitler in die Knie gezwungen hatte. In Wahrheit war 1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen worden, mit einem geheimen Zusatzprotokoll, das den Nazis legitime Einflussgebiete im Osten zusprach und somit ihren Überfall auf Polen vorbereitete.
„Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen“ erklärte Adolf Hitler vor dem Reichstag am 1. September 1939. An dieser Aussage war nicht nur die Uhrzeit falsch (geschossen wurde seit 4:45), sondern vor allem die Behauptung, dass die Gewalt von Polen ausgegangen war – man hatte polnische Angriffe fingiert, um einen Grund für die deutsche Attacke zu haben.
Die Nationalsozialisten waren wohl radikaler im Verbreiten von Fake News und Alternative Facts als je ein anderes Regime der Weltgeschichte – nicht zuletzt deshalb, weil man es verstand, neue Massenmedien zu Propagandazwecken zu nutzen. Anders wäre der Holocaust wohl nicht möglich gewesen. Mit der sogenannten „Dolchstoßlegende“ wurden die Massen verhetzt: Schuld an der deutschen Niederlage im ersten Weltkrieg, so wurde behauptet, seien die Sozialisten und die Juden. Die deutsche Armee sei „im Felde unbesiegt“ geblieben, nur die treulosen Feinde im eigenen Land hätten die Niederlage herbeigeführt, und den tapferen deutschen Soldaten an der Front gleichsam von hinten einen Dolch in den Rücken gerammt. Mit der Wahrheit hat diese Verschwörungstheorie nichts zu tun, für letztlich verheerende politische Propaganda war sie aber bestens zu gebrauchen.
Juden wurden in der Geschichte immer wieder Opfer glatter politischer Lügen: So wurden etwa bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts die „Protokolle der Weisen von Zion“ verbreitet – ein Text, in dem das „Weltjudentum“ angeblich erklärt, die Weltherrschaft an sich reißen zu wollen. Diese Protokolle sind eine Fälschung, aber sie bildeten eine Basis für antisemitische Verschwörungstheorien, deren Nachwirkungen heute noch spürbar sind.
Auch kriminelle Straftaten wurden Juden immer wieder angedichtet, um gezielt Antisemitismus zu schüren: Behauptungen über angebliche „Brunnenvergiftungen“ ziehen sich durch die Geschichte, genau wie Ritualmordlegenden an Kindern. So wurden etwa im Dorf Rinn in Tirol jahrhundertelang die Gebeine des „Anderl von Rinn“ in der Kirche aufbewahrt, einem angeblich rituell von Juden ermordeten Kind. Diese Lügengeschichte ist historisch völlig unhaltbar – in wie vielen Köpfen sie in all der Zeit bösartigen Judenhass geschürt haben muss, kann man sich vorstellen.
Man kann auf der Suche nach dreisten politischen Lügen freilich noch weiter zurückgehen: Die Bedeutung von Österreichs prägender Herrscherdynastie, den Habsburgern, geht maßgeblich auf eine eindeutige Lüge zurück: Rudolf IV ließ 1358 das „Privilegium Maius“ fälschen, eine Reihe von Urkunden, die ihm und seiner Familie weitreichende Rechte zuerkennen sollten. So wurde aus dem Herzogtum Österreich durch die Hand geschickter Fälscher ein Erzherzogtum, und Rudolf IV konnte sich zu den bedeutendsten deutschen Herrschern zählen, auf Augenhöhe mit den Kurfürsten.
Das Fälschen von Urkunden wurde im Mittelalter nicht wirklich als unmoralische Straftat empfunden. Solche Fälschungen kamen so oft vor, dass man sie fast schon als gewöhnliches Instrument der mittelalterlichen Politik betrachten kann. Nicht nur weltliche, auch kirchliche Herrscher bedienten sich dieses Mittels ganz ohne Skrupel. So wurde um das Jahr 800 eine Urkunde fabriziert, die angeblich aus dem vierten Jahrhundert stammen sollte: Eine Schenkungsurkunde, in der Kaiser Konstantin dem Papst die Oberherrschaft über Rom, Italien und in weiterer Folge auch die Westhälfte des Römischen Reichs gewährte. Die Idee der „Konstantinischen Schenkung“, die es in Wahrheit nie gegeben hatte, beeinflusste die europäische Politik für Jahrhunderte.
Vieles wird besser
„Fake News“ für politische Zwecke gab es also schon immer. (Für unpolitische wohl auch – etwa der „Great Moon Hoax“ von 1835, als in der New York Sun behauptet wurde, man habe fledermausartige Mond-Menschen entdeckt.) Dass Lügen heute mit modernen Medien rascher verbreitet werden können als je zuvor ist wahr, aber das bedeutet nicht, dass frühere Generationen ehrlicher und wahrheitsliebender waren. Das Entsetzen über „Fake News“, das wir derzeit spüren, ist eigentlich ein gutes Zeichen: Lügen rufen heute wenigstens massive Ablehnung hervor.
Wenn wir besorgniserregende Entwicklungen beobachten, etwas die Tendenz mancher Politiker, wissenschaftliche Erkenntnisse wie Klimawandel oder Evolution abzulehnen, dann sollten wir laut dagegen protestieren. Aber wir sollten es nicht als Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung verstehen, die langfristig in den Abgrund führt, sondern vielleicht eher als ärgerliche Rückschläge auf einem historischen Weg der Aufklärung, der insgesamt doch in die richtige Richtung weist.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war es in Mitteleuropa noch völlig selbstverständlich, Frauen mit biologistischen Argumenten zu minderwertigen Wesen zu erklären, die sich lieber auf die Kinder als auf den Beruf zu konzentrieren hatten. Bis in die Siebzigerjahre durften Frauen in Österreich und Deutschland nur dann arbeiten, wenn der Ehemann es erlaubte. Homosexualität wurde als widernatürlich abgelehnt und bestraft.
Selbst abartig grauenhafte Entgleisungen wie die Hexenverfolgungen liegen historisch betrachtet nicht weit zurück: Die gefürchteten Scheiterhaufen, an denen man bedauernswerte Frauen (und manchmal auch Männer) ohne jede Faktenbasis ermordete, loderten nicht etwa im Mittelalter, sondern in der Neuzeit. Noch 1782 wurde in der Schweiz eine Frau als Hexe hingerichtet.
Wer sich die Vergangenheit schönredet, verklärt eine Zeit, in der Kinder geschlagen wurden, in der Rassismus ganz normal war, in der Demokratie als schwache, wenig zukunftstaugliche Regierungsform belächelt wurde.
Es geht voran, wenn auch mit Mühe
Ich bin überzeugt davon, dass die Welt in den letzten Jahrzehnten aufgeschlossener, toleranter, faktentreuer und rationaler geworden ist. Damit will ich unsere heutigen Probleme nicht verharmlosen: Wenn politische Wirrköpfe gegen Religionsgruppen hetzen, Frauenrechte beschneiden oder sich über Behinderte lustig machen, dann ist das inakzeptabel. Aber es ist keine Rückkehr in ein finsteres Mittelalter. Manches, was uns heute schockiert, wäre vor nicht allzu langer Zeit noch ziemlich normal gewesen. Das heißt keineswegs, dass wir aufhören sollten, darüber schockiert zu sein. Aber den Untergang der Menschheit sollten wir deswegen nicht hereinbrechen sehen.
Wir müssen nur gemeinsam dafür sorgen, dass solche Entgleisungen in Zukunft tatsächlich als anachronistische Dummheiten gesehen werden, nicht als Vorboten einer echten politischen Zeitenwende. Am Ende müssen Fakten, rationales Denken und aufgeklärter Humanismus gewinnen. Immer. Das wird nicht leicht, das war aber auch in der Vergangenheit nie leicht. Ich bin zuversichtlich, dass uns das immer wieder gelingen wird. Wir schaffen das.
]]>Die Welt ist gar nicht so übel. Das war eine der zentralen Aussagen, die man aus vielen von Roslings Vorträgen mitnehmen konnte. In einer Zeit, in der Weltuntergangsstimmung schon zum Alltag gehört, erklärte er, warum vieles auf der Welt in Wahrheit immer besser wird – und er konnte es mit eindeutigen, wissenschaftlich erhobenen Zahlen belegen.
So hielt Rosling etwa Vorträge über die Bevölkerungszunahme. Seine These war, dass die Zahl der Menschen auf diesem Planeten keinesfalls exponentiell weiterwächst wie in vergangenen Zeiten, sondern dass wir einer Phase mit stabiler Bevölkerungszahl zustreben.
Auch über Verteilungsgerechtigkeit machte sich Hans Rosling Gedanken und demonstrierte mit exzellent visualisierten Statistiken, dass das Leben in vielen Ländern der Welt in den letzten Jahrzehnten deutlich besser geworden ist. Der Anteil der Menschen, die Hunger leiden sinkt, immer mehr Kinder erhalten eine ordentliche Schulausbildung. Die medizinische Versorgung wird besser, die Lebenserwartung steigt. Technische Geräte, die das Leben wirklich besser und einfacher machen, zum Beispiel Waschmaschinen, werden weltweit für immer mehr Menschen erschwinglich. Das alles sind Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken, davon war Rosling überzeugt.
Es tut aus zwei Gründen gut, Roslings Vorträge anzusehen: Erstens war er ein begnadeter Wissenschaftsvermittler und fesselnder Vortragender. Und zweitens verknüpfen wir Wissenschaft viel zu oft mit Hiobsbotschaften: Dokumentationen über den verheerenden Klimawandel, über das Aussterben knuddeliger Tierarten und über explodierende Kernreaktoren gibt es schon genug. Rosling bewies, dass viele Entwicklungen auf der Welt durchaus in die richtige Richtung gehen.
Am 7. Februar 2017 ist er gestorben. Das ist ein guter Grund, sich einige seiner Vorträge noch einmal anzusehen. Aber es ist kein Grund, einen tiefen, grundlegenden Optimismus zu verlieren. Das hätte Rosling nicht gewollt.
]]>In den letzten Jahren habe ich ganz verschiedene Texte geschrieben: Zeitungsartikel, Magazinbeiträge, Glossen, Pressemeldungen. Ein wichtiges Format hat bisher allerdings gefehlt – das Buch. Dieses Versäumnis habe ich nun behoben und offiziell mein erstes Buch vorgestellt: „Der Zufall, das Universum und du“
Ergeben hat sich die Sache eher zufällig: Ich wurde vom Brandstätter Verlag angesprochen, ob ich ein Wissenschaftsbuch schreiben möchte – es war nicht der erste Verlag, der mit einer solchen Idee auf mich zukam, aber der erste, mit dem die ersten unverbindlichen Vorgespräche dann rasch in konkrete Pläne mündeten.
Es sollte kein Buch über eine bestimmte Fachdisziplin werden, darüber waren wir uns rasch einig. Bücher über Quantenphysik oder andere, eng definierte Disziplinen gibt es schon genug. Viel interessanter fand ich es, einen Streifzug durch verschiedene Wissenschaften zu wagen, der ein wichtiges Thema von ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Und dieses Thema war rasch gefunden: Der Zufall und das Glück.
Der Zufall ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt – und das maßgeblich dafür verantwortlich war, dass ich beim Studium in der Quantenphysik gelandet bin. Aus wissenschaftlicher Sicht ist zunächst gar nicht so klar, ob es den Zufall überhaupt gibt. Wenn die Welt eindeutig definierten Naturgesetzen zu folgen hat, ergibt sich dann nicht ein Augenblick aus dem vorhergehenden, ganz zwingend und ohne Spielraum für Unsicherheiten? Ist das Universum vielleicht so etwas wie ein kompliziertes, riesengroßes Uhrwerk, das nach bestimmten, unveränderlichen Regeln immer weitertickt – ohne Spielraum für Unsicherheiten oder Zufälle?
Alles vorhersehbar? Die Welt als Uhrwerk
So hat man das noch im neunzehnten Jahrhundert gesehen: Im Prinzip, so dachte etwa der französische Mathematiker und Philosoph Pierre-Simon Laplace, steht die Zukunft bereits fest, und müsste grundsätzlich vorherberechenbar sein, wenn man nur gut genug messen und rechnen kann. Ein übermächtiger „Laplace’scher Dämon“, der den Zustand der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt kennt, könnte daraus berechnen, was vorher war und was danach kommen wird.
Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: Chaostheorie und Quantenphysik haben den damaligen Optimismus über die Vorherberechenbarkeit der Welt deutlich gebremst. Heute verstehen wir viel besser, was sich berechnen lässt, und was für uns Menschen selbst bei allergrößter Sorgfalt und Messgenauigkeit bloß Zufall bleiben muss.
Doch noch interessanter als die Frage, ob der Zufall in den Grundgesetzen der Natur fest verankert sein kann, ist die Frage, was der Zufall für uns bedeutet. Ist die Evolution zufällig? Ist es Zufall, dass unser Planet intelligente Wesen hervorgebracht hat? Wie kommt es, dass wir Menschen so oft Zusammenhänge vermuten, wo in Wirklichkeit bloß der Zufall regiert? In welchen Situationen gehen wir mit dem Zufall falsch um und worauf sollten wir achten, um solche Fehler zu vermeiden?
Und schließlich: Ist Erfolg im Leben Glückssache? Sollten wir Leuten vertrauen, die uns einreden wollen, sie hätten verstanden, wie man sich verhalten muss, um reich, berühmt und erfolgreich zu werden?
Fragen zum Buch oder seine Entstehungsgeschichte beantworte ich gerne – am allermeisten freue ich mich natürlich, wenn ihr mein Buch kauft und lest. Auf Feedback bin ich gespannt! Viel Spaß damit!
Der Zufall, das Universum und du
Florian Aigner
Brandstätter Verlag
gebunden, 248 Seiten, €22.90
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Über 200 Personen und Institutionen wurde nominiert, nun hat die Jury drei Top-Kandidaten ausgewählt. Einer von ihnen wird am 11. Oktober mit dem Goldenen Brett ausgezeichnet werden: Roland Düringer, Ryke Geerd Hamer und das Krebszentrum Brüggen stehen auf der Shortlist für das Goldene Brett vorm Kopf. Das „Goldene Brett fürs Lebenswerk“ erhält die Website „Zentrum-der-Gesundheit.de“
Hier die Begründungen aus der GWUP-Pressemeldung:
Begonnen hat Roland Düringer als Kabarettist, dann inszenierte er sich als Anti-Establishment-Guru, nun ist er auch noch Politiker mit seiner neugegründeten Partei „Meine Stimme gilt“, deren Programm einzig „denen was wegnehmenen“ zu sein scheint. Abseits davon gehört ein Arsenal an Verschwörungstheorien, mit denen er kokettiert:
Kondensstreifen am Himmel blieben heute länger als früher, Impfungen könnten gefährlich sein und die Pharmaindustrie sowieso. In seine Puls4 Talkshow „Gültige Stimme“ lud er unter anderem den Verschwörungstheoretiker Rüdiger Dahlke, der Lichtnahrung für möglich hält oder die rechtslastige Autorin Eva Hermann, die den „Zusammenhalt“ und „Werte“ wie Kinder, Mütter und Familien in der NS-Zeit für gut hielt, ein. Genau darin besteht die Gefahr, die von Düringer ausgeht: Ohne auf den ersten Blick als Esoterik-Schwurbler erkennbar zu werden, schürt er Zweifel an wissenschaftlichen Fakten und bereitet den Boden, auf dem dann gefährliche Verschwörungstheorien gedeihen können.
Unter dem Namen „Germanische Neue Medizin“ verbreitet der ehemalige Mediziner Ryke Geerd Hamer seine Thesen. Krebs hält er für eine „Krankheit der Seele“ und ein „sinnvolles biologisches Sonderprogramm“. Behandlungsmethoden wie Chemotherapie oder chirurgische Entfernung von Tumoren lehnt er ab. Weder der Entzug der Approbation als Arzt noch Haftstrafen konnten ihn bisher davon abhalten, seine wissenschaftlich haltlosen Ideen weiter zu verbreiten. Als Basis für seine Behauptungen dient nicht etwa wissenschaftliche Forschung, er beruft sich stattdessen auf angebliche übersinnliche Botschaften, die ihm durch seinen verstorbenen Sohn übermittelt worden sein sollen. Seine gefährlichen medizinischen Ansichten verknüpft Hamer überdies mit antisemitischen Verschwörungstheorien.
Zahlreiche Patienten, die der Germanischen Neuen Medizin vertrauten und wissenschaftlich fundierte Behandlungsmethoden ablehnten, sind bereits verstorben. Besonders bekannt wurde der Fall der fünfjährigen Krebspatientin Olivia (1995), die von Hamer behandelt wurde. Das Kind wurde schließlich gegen den Willen der Eltern operiert und überlebte. Auch 2016 gelangte Hamer wieder in die Schlagzeilen: In Italien verstarb eine 18jährige Krebspatientin, nachdem ihre Eltern gemäß Hamers Thesen eine Chemotherapie ablehnten.
Als „effektiv“ und „100% biologisch“ preist das Krebszentrum Brüggen-Bracht seine alternativen Therapien an. Die Krebstherapie sei „frei von chemischen Giften“. Seine Praxis besteht aus „einem Team von Heilpraktikern und einem Arzt“ und bietet neben der vermeintlichen Krebstherapie kosmetische Behandlungen wie Hyaluronspritzen gegen Falten an.
Im August 2016 erlangte das Zentrum traurige Berühmtheit, weil drei Krebspatienten verstarben – offenbar nach Behandlung mit dem nicht als Krebsmedikament zugelassenen 3-Bromopyruvat. Auf der Internetseite des Krebszentrums wurde dieses Mittel als das „aktuell beste Präparat zur Tumorbehandlung“ beworben.
Gegen den Heilpraktiker Klaus Ross wird wegen fahrlässiger Tötung der drei Patienten und wegen fahrlässiger Körperverletzung in zwei weiteren Fällen ermittelt.
Die Website www.zentrum-der-gesundheit.de stellt sich als neutrale Informationsplattform dar. Tatsächlich werden dort jedoch pseudomedizinische Thesen vertreten, Angst geschürt und Verschwörungstheorien eine Plattform geboten. Im umfangreichen Shop gibt es Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika, und passenderweise tauchen Links zu den einzelnen Produkten direkt neben den entsprechenden pseudo-redaktionellen Beiträgen auf.
Die Verbraucherzentrale Hamburg bescheinigte www.zentrum-der-gesundheit.de ein großes Verkaufsinteresse, eine schlechte Transparenz der Informationen zum Anbieter sowie eine mangelhafte Objektivität der Ernährungsberatung.
Die sechste Verleihungsfeier der Trophäe „Das Goldene Brett vorm Kopf“ findet am 11. Oktober 2016 um 20 Uhr in der Urania Wien statt. Zeitgleich werden die diesjährigen Gewinner auch auf einer Parallelveranstaltung in Hamburg bekanntgegeben.
Was meint ihr – wer hat das Goldene Brett am ehesten verdient? Wer soll es bekommen?
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Auf manche Dinge kann man sich so richtig freuen. Auf einen abendlichen Mojito in der Lieblingsbar zum Beispiel. Auf andere Dinge weniger, etwa auf eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. Fernsehauftritte in Diskussionssendungen sind irgendwo dazwischen. Sie können unterhaltsam und spannend sein, oder auch ziemlich ärgerlich. Mein Auftritt in einer Diskussion über Wunderheiler in „Talk im Hangar 7“ auf Servus TV fiel leider in die zweite Kategorie.
Schon lange vor der Sendung rief mich ein Redakteur an und erzählte von dem Plan, eine Sendung über Wunderheiler zu machen. Ich fand das Thema wichtig und spannend, wir führten ein recht angenehmes Gespräch. Die Teilnehmerliste stand noch nicht fest, die würde ich später noch erfahren, versicherte man mir.
Ein paar Tage vor der Aufzeichnung gab es auf der Homepage von Servus TV bereits die Ankündigung der Sendung zu sehen, der Text machte einen klugen, durchaus kritischen Eindruck. „So mancher Wunderheiler entpuppt sich als Scharlatan“, hieß es dort. „Was bleibt ist die Belastung für den Geldbeutel.“ Ja, das gefiel mir, bei so einer Sendung ist man als Eso-skeptischer Physiker doch gerne dabei.
Bald darauf erfuhr ich auch von den ersten Mitdiskutanten, nur einen von ihnen kannte ich: Christian Fiala, ein Gynäkologe aus Wien. Der Name überraschte mich. Als Wunderheiler war mir Fiala nämlich bisher eigentlich nicht aufgefallen, als Verfechter der wissenschaftlichen Medizin allerdings auch nicht. Fiala gilt als bekannter Vertreter der AIDS-Denialism-Szene, und leugnet den wissenschaftlich etablierten und wohlbegründeten Zusammenhang zwischen HIV und AIDS. Das wirklich Tragische daran ist, dass Fiala auch zu den Leuten gehört, von denen die südafrikanische Regierung unter Thabo Mbeki beraten wurde – und zwar auf eine Weise, die dazu führte, dass dort Vitamine statt wirkungsvoller Medikamente propagiert wurden. Einer Studie aus Harvard zufolge kostete das etwa 330.000 Menschen das Leben.
Meine erste Vermutung war, dass Fiala nun unter die Wunderheiler gegangen sei, um AIDS zu kurieren, aber meine Nachfrage bei Servus TV ergab Überraschendes: Fiala war nicht als Schwurbler, sondern als Skeptiker und kritischer Geist eingeladen, um gemeinsam mit mir den Gegenpol zu den anwesenden Wunderheilern zu bilden. Wie schön. Spätestens an diesem Punkt hätte mir klar sein müssen, dass die Sache nicht gut enden kann, aber mittlerweile war meine Neugier groß, ich fuhr nach Salzburg zum Servus TV-Studio im Hangar 7.
Freund und Feind
Ich komme an, die anderen sind schon dort. Ich versuche, alle mit demonstrativer Freundlichkeit zu begrüßen. „Schön, Sie kennenzulernen – noch“, sagt Fiala. Eine interessante Eröffnung. Ich verkneife mir einen Kommentar.
Ich soll keine AIDS-Debatte beginnen, sagt man mir hinter den Kulissen. Das sehe ich ein, schließlich ist das nicht das Thema der Sendung, und außerdem habe ich nichts davon, den einzigen anwesenden Mediziner zu attackieren, bei dem ich zumindest die Möglichkeit kritischer Gedanken orte. Man kann schließlich auf einem bestimmten Gebiet Unsinn sagen und auf einem anderen Gebiet trotzdem Recht haben. Ich verspreche, freundlich zu sein.
Die Sendung beginnt, wir sind insgesamt sieben Leute, inklusive Moderator. Mit wachsendem Entsetzen stelle ich fest, in was für eine Runde ich hier geraten bin: Neben mir sitzt der Mann mit dem Röntgenblick, ein Geistheiler, der in Menschen hineinschauen und mit bloßen Augen ihre Organe Schicht für Schicht durchscannen kann. Die Krankheiten, die er auf diese Weise zielsicher erkennt, kann er meistens auch gleich heilen. Auf der anderen Seite sitzt ein Theologe, der Leute mit schamanischen Trommelritualen gesundzaubert. Die homöopathische Ärztin mit äußerst bizarren Ansichten wirkt in dieser Konstellation schon fast als Lichtblick, neben ihr sitzt ein Musiker, der einen Tumor hatte, von dem er durch die Wunder der Alternativmedizin geheilt wurde.
Wäre der Plan der Redaktion aufgegangen und hätte der Schulmediziner Fiala eine kritische Sichtweise vertreten, wäre es im Kampf Eso-Schwurbler gegen Wissenschaft also vier zu zwei gestanden. Auch das wäre nicht besonders ausgewogen. Doch von Anfang an schlägt sich der Gynäkologe auf die Seite der Wunderheiler – ganz klar: Es ist ein Match fünf gegen einen. Alle gegen mich.
Das alleine wäre noch keine Katastrophe. Es ist auch nicht die erste Fernsehsendung, bei der ich mich gegen eine derartige Übermacht seltsamer Mitdiskutanten behaupten muss. Das Problem ist nur, dass der Grad der Schwurbelei diesmal ungeahnte Ausmaße annimmt. Der Moderator, Michael Fleischhacker – zweifellos ein kluger Mann – gewährt mir zwar recht viel Redezeit, aber es ist vollkommen unmöglich, gegen alle haarsträubenden Irrsinnigkeiten Einspruch zu erheben.
Ich versuche zu erklären, dass Menschen eben manchmal gesund werden, egal was man tut. Als Wunderheiler muss man eben nur darauf warten, dass manche Patienten eine gewisse Besserung erfahren und kann sich das dann selbst zuschreiben – ob sich dieselbe Besserung auch ohne Wunderheiler ergeben hätte, kann schließlich niemand nachprüfen. Ich sage etwas über verblindete Placebostudien, aber es fühlt sich ein bisschen an, als würde ich im Kindergarten über Atomphysik reden. Der wundergeheilte Musiker gesteht mir zu, dass Heilung Zufall sein kann – aber warum dann gerade bei ihm? Erklären Sie das mal! An diesem Punkt bleibt mir nur noch, laut zu lachen. Was soll man dem entgegenhalten? Für einen Anfängerkurs in Statistik bleibt keine Zeit.
Als das Gespräch dann auf Ryke Geerd Hamer kommt, verliere ich die Beherrschung. Hamer ist nicht nur ein Wunderheiler, dessen absurde Theorien Menschenleben gekostet haben und dem völlig zu Recht seine Approbation als Arzt entzogen wurde, er ist auch noch ein Antisemit und Vater der „Germanischen Neuen Medizin“. Er gehört zur bösartigsten Sorte der Schwurbler – nämlich zu jener, die Patienten dazu bringt, echte Medizin abzulehnen und in ihr Verderben zu laufen. Mein emotionales Toben lässt mich vermutlich nicht besonders sympathisch wirken, aber dazu stehe ich. Leute wie Hamer – und Leute die an ihm noch etwas Gutes finden – haben nichts anderes verdient, ihnen kann ich nur wüst schimpfend begegnen. Hier tobe ich, und kann nicht anders.
Good Cop? Bad Cop?
Eigentlich ist das nicht mein Stil: In der Skeptiker-Szene gibt es Good Cops und Bad Cops, wie überall. Es gibt radikalere und gemäßigte, polternde und konsensorientierte Skeptiker. Ich habe mich eigentlich immer in der „Good-Cop-Rolle“ wohlgefühlt. Ich bin gerne der, der anderen Leuten genau erklärt, warum Alternativmedizin nicht wirken kann, dann aber versöhnlich hinzufügt, dass sie trotzdem ihre Wundermittelchen weiter einnehmen können, wenn sie unbedingt wollen und wenn es ihnen damit besser geht, solange sie versprechen, trotzdem zu einem richtigen Arzt zu gehen. Gerne kann ich anerkennen, dass viele alternative Heilmethoden einfach nur dazu da sind Entspannung zu bringen und den Patienten ihre Angst zu nehmen, das alleine kann schon nützlich sein. Wenn jemand irgendwelche Meditationstänze zelebriert und sich danach wohler fühlt – wunderbar! Ich bin da durchaus großzügiger als viele andere Skeptiker.
Doch wenn man der einzige Cop in der Runde ist, dann kann man nicht Good Cop spielen. Mein Geschimpfe während der Sendung lässt mich vermutlich ziemlich radikal erscheinen. Aber wenn neben der geballten Unvernunft eine wissenschaftliche Sichtweise radikal aussieht, kann ich dagegen wenig tun.
Die Aufzeichnung endet, ich bin ziemlich sauer. Ich mache den Redakteuren von Servus TV klar, dass ich die Besetzung der Runde und die Sendung insgesamt für ganz übel halte. Sie sehen das ein, sie versichern mir glaubhaft, dass sie den Gynäkologen anders eingeschätzt hatten. Die Sendung ist nicht so gelaufen wie geplant – darauf einigen wir uns. Ich muss auch zugeben, dass die vorbereiteten Einspielungen während der Sendung durchaus kritischen Ton hatten. Keinesfalls kann ich behaupten, dass Servus TV bewusst Werbung für Esoterik machen wollte. Es war ein Unfall.
Im Taxi: You talking to me?
Der vielleicht schlimmste Teil des Abends kommt allerdings erst: Eine Taxifahrt von Salzburg nach Wien. Von Mitternacht bis drei Uhr früh sitze ich einsam zwischen Eso-Schwurblern und höre mir ihre Gespräche an. Wie sich herausstellt, haben sie im Studio noch ihre rationale Seite präsentiert. Im Taxi wird diskutiert, ob man die Waldgeister wirklich sehen kann oder nur fühlen. Ich erfahre, dass man seine Lebensfragen einem Baum stellen kann, der antwortet dann auch. Mit Pferden klappt das ebenso. Ich packe meinen Laptop aus und arbeite an einem Text über Quantenphysik, das lindert den Schmerz ein bisschen, stillt ihn aber nicht.
Ich lerne eine Heilmethode für ganz schlimme Fälle kennen: Patienten mit psychischen Beschwerden werden gesund, indem sich der Therapeut fesseln und in Decken packen lässt. In dieser äußerst unangenehmen Lage kann er sich dann in Trance begeben, spirituell in den Patienten reisen und dessen Leiden auf sich nehmen. Ich wünschte, jemand würde in dieser Situation meine Leiden auf sich nehmen. Aber selbst mit dem gefesselten Therapeuten würde ich tauschen, wenn ich mir dafür diesen Unfug nicht mehr anhören muss.
Und man stelle sich vor: Manchmal lösen sich bei diesem Fesselritual nach eineinhalb Stunden tranceerfüllten Fesselzerrens dann die Seile – ganz von selbst, ohne dass sie jemand gelöst hätte. Erklärt das doch mal, ihr Schul-Fessler! Ich überlege kurz, ob ich von James Randi und seinen Entfesselungskünsten erzählen soll, aber entscheide mich dagegen. Solche Leute haben es gar nicht verdient, mit dem Namen Randi konfrontiert zu werden. Ich schieße auch nicht mit Goldstücken auf Spatzen.
Und nun?
Was bleibt, ist die Frage, wie man sich bei solchen Fernsehdiskussionen verhalten soll. Ich weiß es nicht. Hätte ich die Teilnehmerliste abwarten und dann absagen sollen? Dann hätte es vielleicht eine Sendung ganz ohne skeptischen Widerstand gegeben, eine einstündige Werbesendung für Esoterik. Das kann auch nicht das Ziel sein.
Hätte ich mich in der Sendung anders verhalten sollen? Vielleicht. Wäre es klüger gewesen, nicht zornig und ablehnend zu reagieren, sondern einfach laut zu lachen? Das hätte möglicherweise sogar noch arroganter gewirkt. Hätte ich während der Sendung laut thematisieren sollen, dass die Zusammensetzung der Diskussionsrunde lächerlich verzerrt ist und die allgemeine Diskussion völlig falsch abbildet? Ja, ich glaube, das würde ich tun, wenn ich noch einmal die Chance dazu hätte. Ob das etwas geändert hätte, kann ich auch nicht sagen.
Über Gedanken dazu und Verhaltenstipps für künftige Sendungen bin ich dankbar. Welchen Stil hätten Sie gewählt? Polternd laut? Zurückhaltend wissenschaftlich? Kompromissbereit? Welche Taktik erleben Sie selbst am ansprechendsten, wenn Sie TV-Diskussionssendungen sehen? Ich bin gespannt!
Falls jemand trotz allem Lust verspüren sollte, sich dieser Sendung auszusetzen: https://www.servustv.com/at/Medien/Talk-im-Hangar-7142
]]>Monsanto ist der Feind. Das als Weltkonzern inkarnierte Böse, Satans Eintrag im Firmenbuch, ein Hybrid aus Darth Vader, Hannibal Lecter und Sauron. In ihrer Firmenzentrale steht ein Schrein mit Hitlers Schnurrbart, regelmäßig beträufelt mit dem frischen Blut flauschiger Katzenbabys, und selbst der hält es dort nur aus, weil er Angst vor den genmanipulierten Frankenstein-Superpflanzen hat, die ihn dort Tag und Nacht bewachen.
So ungefähr ist der Eindruck, der sich aufdrängt, wenn man die Internetberichterstattung über den Biotech-Konzern Monsanto und seine Übernahme durch Bayer mitverfolgt. Das „Monsanto-Tribunal“ soll im Oktober 2016 in Den Haag zusammenkommen und ein Urteil fällen – das klingt nach internationalem Gerichtshof, nach schwerer Schuld und strafrechtlicher Relevanz. Dass es sich in Wahrheit bloß um eine NGO mit frecher PR-Strategie handelt, wird gerne übersehen. Unter dem Hashtag #monsantoevil kann man schockierende Fakten über den Konzern nachlesen, basierend auf bunten handgeschriebenen Postern und ähnlich seriösen Quellen.
Es wird Zeit, tief durchzuatmen und zur Rationalität zurückzukehren: Monsanto ist nicht böse, Monsanto will uns nicht töten, und Monsanto ist auch kein edler Heiland, der aus purer Menschenliebe den Hunger auf der Welt beseitigen wird. Monsanto ist ein Biotechnologiekonzern und macht genau das, was ein Biotechnologiekonzern eben tut: Produkte entwickeln, verkaufen, Geld verdienen. Solche Produkte können positive oder auch negative Auswirkungen haben. Darüber kann man sachlich diskutieren, jede Aufregung ist unnötig.
Gerücht 1: Monsanto vergiftet uns mit Glyphosat
Über den Wirkstoff Glyphosat wird besonders emotional diskutiert. Er ist der wesentliche Bestandteil des Herbizids Roundup, das von Monsanto verkauft wird. Der Wirkmechanismus von Glyphosat ist genau bekannt: Es blockiert ein bestimmtes Enzym, das die Pflanzen zum Überleben brauchen. Wir Menschen haben dieses Enzym nicht, daher bringt Glyphosat das Unkraut um, lässt uns aber weitgehend in Ruhe. In den Frühstückskaffee sollte man sich Glyphosat natürlich trotzdem nicht mischen, das macht man schließlich mit anderen Unkrautvernichtungsmitteln auch nicht. Aber Studien zeigen, dass Glyphosat im Vergleich zu anderen Herbiziden (auch zu solchen, die in der Bio-Landwirtschaft verwendet werden) recht umweltschonend und ungefährlich ist. Seine Giftigkeit für Tier und Mensch ist gering, gefährlich wird es erst in einer Dosis, der realistischerweise niemand ausgesetzt sein wird. Außerdem breitet es sich im Boden nicht besonders gut aus, auch das ist ein Vorteil.
Durch Genmanipulation kann man Pflanzensorten herstellen, die resistent gegen Glyphosat bzw. Roundup sind – man nennt sie „Roundup Ready“. Das macht Monsanto, man verkauft also spezielle Gentech-Sorten und dazu ein Herbizid, das genau diese Sorten verschont, aber das Unkraut tötet.
Das ist grundsätzlich weder gut noch böse, sondern einfach eine moderne Form der Unkrautbekämpfung. Man kann sie mit anderen Methoden vergleichen, etwa mit dem ökologisch recht bedenklichen Kupfersulfat, das in der Biolandwirtschaft eingesetzt wird. Eines sollte man aber nicht machen – nämlich Herbizide insgesamt ablehnen. Wir werden niemals eine Landwirtschaft ohne Herbizide haben, das ist einfach nicht möglich. Wir müssen die Vor- und Nachteile, die jedes Herbizid eben hat, untersuchen und gegeneinander abwägen.
Einiges spricht für Glyphosat – anderes auch dagegen: Es gibt Hinweise darauf, dass es in vielen Fällen auf unkluge Weise eingesetzt wurde. Wenn man Glyphosat in großem Stil verwendet, passiert genau das, was auch bei jedem anderen Herbizid geschieht: Man erzeugt Resistenzen. Irgendwann kommt es bei dem Unkraut, das man vernichten möchte, zu zufälligen Mutationen, das Unkraut wird unempfindlich gegenüber Glyphosat und wächst auf den mit Roundup besprühten Feldern fröhlich weiter. Es gibt Statistiken, die besagen, dass in den USA aus diesem Grund der Herbizidverbrauch durch Glyphosat sogar gestiegen ist. Andere Studien über herbizid-resistente Baumwolle zeigen einen Rückgang des Herbizidverbrauchs.
Dieses uneinheitliche Bild ist für Monsanto etwas peinlich, weil man mit Glyphosat und den speziellen Glyphosat-resistenten Nutzpflanzen den Herbizidverbrauch eigentlich senken wollte. Glyphosat ist in gewissem Sinn ein Opfer seines eigenen Erfolgs geworden: Früher wurden unterschiedliche Herbizide verwendet, durch Pflügen wurde Unkraut in den Boden eingearbeitet. Nun setzt man oft ausschließlich auf Glyphosat – eben weil es so gut funktioniert, vergleichsweise ungiftig ist und gegen viele verschiedene Sorten von Unkraut wirkt. Dass man genau dadurch Resistenzen begünstigt, ist wenig überraschend. Die Lösung wird wohl eine ökologisch kluge Kombination unterschiedliche Unkrautvernichtungsmethoden sein – das propagiert mittlerweile auch Monsanto selbst.
Gerücht 2: Monsanto verklagt Bauern – die Fälle Schmeiser und Bowman
Rechtlich gesehen sind genmanipulierte Pflanzen eine heikle Sache: Der Saatguthändler hat eine Menge Forschungsgeld in die Entwicklung einer neuen Sorte investiert, daher möchte er auch Geld dafür haben. Genau wie es für einen Softwarehersteller problematisch ist, wenn seine Produkte einfach kopiert und gratis weitergegeben werden, möchte der Saatguthersteller verhindern, dass ein Bauer einen Teil der Ernte aufbewahrt und im nächsten Jahr als Saatgut verwendet, ohne noch einmal dafür bezahlen zu müssen. Daher wird das Aussäen der Ernte vertraglich untersagt, wer im nächsten Jahr wieder Monsanto-Pflanzen haben möchte, muss Saatgut bzw. die Lizenz von Monsanto neu erwerben. Das ist eigentlich ein ganz unaufregender, normaler Geschäftsvorgang, wer Monsanto-Produkte haben will, muss sich eben an die Monsanto-Geschäftsbedingungen halten.
Was passiert aber, wenn Samen versehentlich von einem Monsanto-Feld auf das Nachbargrundstück geweht werden, sodass dort im nächsten Jahr Monsanto-Pflanzen sprießen? Seit Jahren kursieren Schauergeschichten über Bauern, deren Felder angeblich auf diese Weise mit gentechnisch veränderten Pflanzen kontaminiert wurden. Es heißt, Monsanto habe solche Bauern verklagt, weil bei ihnen, ohne dass sie es wollten Monsanto-Pflanzen wuchsen, und sie keine Lizenzgebühren bezahlt hatten. Das ist allerdings ein Schauermärchen, das so nicht haltbar ist.
Noch nie hat Monsanto jemanden verklagt, weil sein Feld mit Spuren von Monsanto-Pflanzen verunreinigt war. Monsanto geht allerdings gerichtlich gegen Leute vor, die bewusst Monsanto-Pflanzen züchten, ohne dafür zu bezahlen.
Berühmt wurde der Fall von Percy Schmeiser – er ist inzwischen zu so etwas wie einem Säulenheiligen der Monsanto-Gegner-Bewegung geworden. Schmeiser entdeckte auf seinem Rapsfeld Pflanzen, die gegen Roundup resistent waren. Vermutlich waren sie aus einem benachbarten Feld eingewandert. Indem er die eigenen Pflanzen mit Roundup besprühte, war es nicht schwer für ihn, seine gewöhnlichen Rapspflanzen zu vernichten und die Roundup-verträglichen Monsanto-Pflanzen zu vermehren, die er dann von Neuem aussäen konnte. Es ging also nicht um den Kampf gegen eine gentechnologische Verunreinigung (so wird das manchmal dargestellt), sondern um das gezielte Vermehren von Monsanto-Pflanzen ohne Lizenzgebühren bezahlen zu müssen. Schmeiser hat Gesetze gebrochen, das wurde auch vom Gericht so gesehen. Schadenersatz musste er keinen zahlen, aber es wurde festgehalten, dass er prinzipiell nicht das Recht hatte, wissentlich eine patentierte Sorte anzubauen. Trotzdem wurden Schmeiser und seine Frau mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Ebenfalls bekannt wurde der Fall von Vernon Bowman. Er kaufte Getreide von Monsanto und unterschrieb (wie in diesem Fall allgemein üblich), dass er die Ernte nicht zur Aussaat verwenden würde. Allerdings glaubte Bowman ein Schlupfloch gefunden zu haben: Er wusste, dass in seiner Gegend viele Bauern Monsanto-Getreide anbauten und kaufte im lokalen Lagerhaus eine Getreidemischung, wie sie normalerweise als Tierfutter verwendet wird. Diese Getreide säte er aus und behandelte es anschließend mit Roundup. Wie erwartet war eine große Menge Monsanto-Samen in der Getreidemischung, die daraus hervorgegangenen Pflanzen auf dem Feld blieben stehen, die anderen starben ab. Bowman erntete die verbliebenen Pflanzen und hatte somit gratis Monsanto-Saatgut fürs nächste Jahr – Monsanto klagte und bekam Recht.
Man kann die geltende Gesetzeslage gut oder schlecht finden – aber wie hätte sich Monsanto verhalten sollen? Hätte die Firma über die Rechtsbrüche einfach hinwegsehen sollen? Kann man von einem kommerziell orientierten Konzern verlangen, zum eigenen Schaden geltendes Recht zu ignorieren? Wer von den Leuten, die in dieser Sache lautstark gegen Monsanto protestieren, hätte in einer ähnlichen Situation anders gehandelt?
Gerücht 3: Selbstmordfälle in Indien
Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva hat behauptet, in Indien hätten sich 270.000 Bauern umgebracht, seit Monsanto dort seine Produkte verkauft. Sie bezeichnete das als „Genozid“. Bis heute wird diese Aussage von Anti-Monsanto-Aktivisten verbreitet. Das Problem dabei: Es ist völlig falsch.
Tatsächlich ist die Selbstmordrate unter Indiens Bauern ziemlich hoch. Das ist traurig und liegt natürlich nicht zuletzt an ihrer schwierigen finanziellen und sozialen Situation – aber mit Monsanto hat das nichts zu tun. Statistiken zeigen klar, dass es keinen Zusammenhang zwischen dem Markteintritt von Monsanto in Indien und der Selbstmordrate gibt.
Gerücht 4: Terminator-Technologie
Die Terminator-Samen – wer bekommt bei einem solchen Namen nicht aufgeregtes Bauchkribbeln? Immer wieder wird behauptet, Monsanto habe Pflanzen gentechnisch so manipuliert, dass sie sterile Samen produzieren, die nicht erneut ausgesät werden können. Technisch wäre das durchaus möglich, ob es moralisch problematisch wäre, kann man diskutieren – schließlich ist es aus Lizenzgründen ja schon jetzt nicht erlaubt, die Samen ohne Lizenzgebühren anzubauen. Durch die sogenannte Terminator-Technologie wäre es dann eben nicht mehr bloß verboten, sondern sogar unmöglich. Tatsache ist aber: Terminator-Saatgut ist niemals in den Handel gekommen, es wird auf der ganzen Welt nicht verwendet.
Gerücht 5: Wir werden alle sterben
Der Hass auf Monsanto kommt oft aus einem allgemeinen Unbehagen in Bezug auf alles, was mit Gentechnik zu tun hat. Oft wird dann sehr emotional argumentiert: Wir dürfen nicht Gott spielen, wir dürfen unsere Pflanzen nicht verändern, wir sollen uns doch an das Natürliche halten. Wer weiß, welche bisher unerkannten Gefahren in der Gentechnik stecken! Wir werden alle sterben!
Ja, wir werden alle sterben, das ist wahr. Irgendwann. Aber nicht an der Gentechnik.
Gentechnik gibt es mittlerweile seit vielen Jahren, gesundheitliche Schäden dadurch sind bis heute keine bekannt. Das wäre auch seltsam, denn im Grunde ist Gentechnik nichts fundamental anderes als das, was wir ohnehin schon seit langer Zeit machen: Wir Menschen verändern die Pflanzensorten, die wir nutzen wollen. Am einfachsten gelingt das durch Selektion. Wir warten, bis eine Mutation ganz zufällig auf natürliche Weise eintritt und vermehren diese mutierte Pflanze dann. Genau so haben wir alle unsere Nutzpflanzen genetisch radikal verändert: Vom Apfel bis zum Mais, vom Pfirsich bis zur Melone – alle unsere Kulturpflanzen sind die genetisch mutierten Nachfahren von Wildformen, die mit unseren heutigen Sorten nicht mehr viel zu tun haben. Die Pflanzen, die wir essen, hat der Mensch gemacht. Wenn diese Art von zufälliger Genmanipulation unproblematisch ist, warum ist gezielte, künstliche Genmanipulation dann böse?
Man darf Pflanzen radioaktiv bestrahlen oder mutagenen Chemikalien aussetzen, um die Mutationsrate zu erhöhen. Damit wird die Chance größer, dass sich unter den mutierten Nachfahren dieser Pflanzen irgendeine findet, die bessere Eigenschaften hat als ihrer Vorfahren. Diese Pflanze darf man dann vermehren und im Bioladen verkaufen. Welche Gene sich dabei zufällig verändert haben, weiß kein Mensch – im Gegensatz zur kontrollierten Genmanipulation im Labor, bei der man ganz genau weiß, was man tut. Wir messen hier mit unterschiedlichem Maß, und das ist auf jeden Fall irrational.
Aber ist Gentechnik denn nötig? Wir sind doch früher auch ohne Gentechnik ausgekommen – warum sollten wir sie dann jetzt unbedingt brauchen? Das ist ein sinnvolles Argument, doch wenn man bedenkt, dass die Weltbevölkerung wächst, dann wird man sich ertragreiche Sorten wünschen, mit einer möglichst geringen Gefahr schwerer Ernteausfälle, die Hungersnöte verursachen könnten. Wenn wir sehen, wie viel Fläche wir in Europa für die Landwirtschaft brauchen, dann müssen wir diskutieren, ob es nicht ökologisch sinnvoller wäre, mit gentechnisch optimierten Hochleistungssorten zu arbeiten, um dadurch vielleicht einen Teil der Nutzfläche der Natur zurückgeben zu können. Wenn wir sehen, dass es viele Menschen mit Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeit gibt, dann werden wir uns die Frage stellen, ob man nicht mit Hilfe der Gentechnik die Allergene ausschalten kann – wäre das nicht ein echter Fortschritt?
Natürlich soll man vorsichtig sein – sicherheitshalber. Wir wollen strenge Vorschriften und sorgfältige Kontrollen haben. Aber so lange es nicht zumindest plausible Gefahrenszenarien gibt, gemäß denen Genmanipulation gefährlich sein kann, ist es schwer, für ein konsequentes Gentechnik-Verbot zu argumentieren, ohne dabei in pseudoreligiöse antiwissenschaftliche Schwurbelei zu verfallen.
Fazit: Monsanto – gut oder böse?
Monsanto ist kein Wohltätigkeitsverein. Monsanto hat Produkte hergestellt, die besser niemals produziert worden wären – zum Beispiel war Monsanto einer der wichtigsten Agent Orange-Produzenten für den Vietnam-Krieg. Monsanto wird keinen Friedensnobelpreis gewinnen, und das ist auch gut so. Aber hat Monsanto den überschäumenden Hass verdient, der dieser Firma heute entgegenschlägt? Ist Monsanto zu Recht zum Symbol für fehlgeleiteten Fortschritt, Umweltzerstörung und großkapitalistische Landwirtschaftsindustrie geworden? Nein, sicher nicht.
Viele Monsanto-Gegner sehnen sich offenbar nach einer kleinstrukturierten, lokalen Landwirtschaft, in der man zum regionalen Bauern geht und saisonale Produkte kauft. Das ist in Ordnung, wir können diskutieren, ob das ein erstrebenswertes Ziel ist.
Monsanto ist zum Symbol für das Gegenteil geworden – für eine Agrarindustrie der Großkonzerne mit gutdotierten PR-Abteilungen und gewieften Anwälten. Doch die Struktur der Landwirtschaft ist nicht die Schuld von Monsanto.
Es stimmt: Man kann, soll und muss über das Patentrecht diskutieren. Soll man Bauern verbieten, aus den eigenen Pflanzen Saatgut fürs nächste Jahr zu gewinnen? Brauchen wir bessere gesetzliche Rahmenbedingungen für Saatgut-Lizenzen? Was passiert mit irrtümlich verbreiteten Samen? Das sind schwierige Fragen. Uns muss bei der Diskussion allerdings klar sein: Biotechnologischen Fortschritt wird es nur geben, wenn wir Biotechnologie-Firmen erlauben, mit ihren Erfindungen auch Geld zu machen. Wir haben es hier nun mal mit einem forschungsintensiven Bereich zu tun – diese Forschung wird es nur geben, wenn man die Kosten dafür über Lizenzen wieder erwirtschaften kann.
Natürlich gibt es auch noch andere Schattenseiten der modernen Agrarindustrie: Wir müssen darüber reden, ob Transport von Nahrungsmitteln zu billig ist, ob es ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist, Agrarprodukte über tausende Kilometer zu transportieren, ob wir nicht eine lokalere Nahrungsmittelproduktion haben möchten. Diskutieren müssen wir auch über Monokulturen, die Resistenzen fördern, Schädlinge vermehren und den Boden schädigen.
Reden kann man auch darüber, ob Monsanto – bzw. Bayer, nach der Monsanto-Übernahme – vielleicht zu groß geworden ist und eine marktbeherrschende Position einnimmt. Genau um solche Fragen zu klären, haben wir Kartellbehörden, sie sind ein wichtiger Bestandteil unseres marktwirtschaftlichen Systems. Man kann der Meinung sein, dass hier strengere Regeln nötig werden – aber das hat nichts mit Monsanto zu tun, das muss man allgemein diskutieren. Eine Anlassgesetzgebung nur für die Monsanto-Übernahme wäre rechtsstaatlich bedenklich. Man kann auch diskutieren, ob große Firmen durch ein hohes Maß an Lobbying zu viel Einfluss auf die Politik nehmen – aber das ist wieder kein Monsanto-Spezifikum. Was ist mit Shell? Exxon? Volkswagen? Nestlé? Warum pickt man eine Firma heraus, als könnte man alle Probleme lösen, indem man ihr Schaden zufügt?*
Die moderne Agrarindustrie hat ihre Probleme. Aber der Adressat des Unmutes über diese Probleme darf nicht Monsanto sein, sondern die Politik. Es ist nicht die Aufgabe eines Biotech-Konzerns, sich Regeln für die Landwirtschaft von morgen zu überlegen. Der Biotech-Konzern hat sich an die Regeln zu halten, die Politik hat sie festzulegen. Wenn euch die Regeln nicht gefallen – fein! Dann redet mit Nationalratsabgeordneten und Landwirtschaftsministern. Monsanto ist dafür nicht verantwortlich.
Und eines sollten wir – trotz aller berechtigter Skepsis – schon auch mitbedenken: Die moderne Agrarindustrie liefert für mehr Menschen als je zuvor bessere, frischere, gesündere Nahrung als sie unsere Vorfahren jemals hatten. Die Könige früherer Zeiten waren schlechter mit Nahrung versorgt als die europäische Unterschicht der heutigen Zeit. Ganz so übel kann die moderne Landwirtschaft also nicht sein.
Was wir brauchen ist nicht eine Rückkehr zur Landwirtschaft vergangener Jahrhunderte, sondern eine nachhaltige, umweltbewusste Landwirtschaft. Das sollte unser gemeinsames Ziel sein – und das erreichen wir nicht, indem wir uns unter den Biotech-Konzernen einen herauspicken, den wir dann zur Wurzel allen Übels erklären, sondern indem wie Experten befragen und gemeinsam überlegen, welche Maßnahmen am besten sind. Und dazu – da bin ich ganz sicher – werden auch Maßnahmen gehören, die auf modernen wissenschaftlichen Methoden beruhen, die es vor ein paar Jahrzehnten noch nicht gab. Das ist weder gefährlich noch beunruhigend, das ist Fortschritt.
*) Dieser Absatz wurde am 17.09 um 10:30 nachträglich eingefügt.
]]>Islam Karimov ist tot – zumindest wurde das heute von verschiedenen Medien berichtet. Der Mann, der Usbekistan seit 1991 als ziemlich autoritärer Präsident mit harter Hand geführt hat, soll angeblich einen Gehirnschlag erlitten haben.
Als Mitteleuropäer hatte man mit diesem Herren normalerweise recht wenig zu tun. Mir ist die Führerfigur Karimov im Gedächtnis geblieben, weil ich vor drei Jahren in Usbekistan war, und zufällig gerade Karimovs Heimatstadt Samarkand besuchte, als auch der Präsident mit seiner Gefolgschaft dort eintraf.
Es war ein beeindruckendes Erlebnis: Der Präsident kam, und eine Stadt stand still. Das gesamte historische Stadtzentrum wurde abgesperrt, hunderte Polizeibusse wurden Stoßstange an Stoßstange aneinandergereiht, um den Zutritt zu verwehren. „Warum?“ fragten wir die Polizisten. „Islam Karimov“, erklärten sie. Würde die Stadt morgen wieder zugänglich sein? Vielleicht, hieß es. Das weiß man nicht. Islam Karimov. Deshalb.
Es wurde spät, wir bekamen Hunger. Doch die gesamte Stadt befand sich im Ausnahmezustand. Die Läden wurden geschlossen, die Restaurants ebenfalls. Warum ist das nötig? Ganz klar: “Islam Karimov!”
Zum Glück befand sich unser Hotel nicht in der abgesperrten Zone. Wir fragten dort, wo man noch etwas zu essen bekommen könnte. Der Portier konnte auch nicht helfen. Schulterzuckend erklärte er: „Islam Karimov“.
Ich plünderte im Hotelzimmer meinen Müsliriegel-Vorrat, und am nächsten Tag gelang es uns nach mehreren gescheiterten Versuchen schließlich doch noch, einen Polizisten zu finden, der uns den Zutritt zum weltberühmten Registan, dem Schmuckstück Samarkands, gewährte. Aber zu sehen, wie eine ganze Stadt irrationalerweise den gewohnten Alltag stilllegt, wie bereitwillig und unhinterfragt Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden, wie problemlos man zu akzeptieren bereit ist, dass keine nähere Information zur Verfügung steht – das war für mich ein kulturell interessantes Erlebnis.
Alphamännchen
Daran muss ich immer wieder zurückdenken, wenn ich zu Hause Kontakt zu alternden Alphamännchen habe, zu Patriarchen, die fest der Meinung sind, die Welt habe um sie zu kreisen und um sonst nichts.
In der Wissenschaft gibt es relativ wenige von ihnen. Natürlich kenne ich auch altehrwürdige Professoren und mächtige Institutsvorstände, die ihren Untergebenen klar signalisieren, dass Widerspruch zwecklos ist, die ihren Dissertanten allenfalls gnadenhalber Einlass gewähren, wenn sie mit zittriger Hand an die Bürotür klopfen, die nach Konferenzvorträgen kritische Fragen als impertinente Anmaßung betrachten und auf arrogant-herablassende Weise beantworten – aber sie sind mittlerweile eher die Ausnahme.
Und gerade die erfolgreichsten Wissenschaftler, gerade die intelligentesten Köpfe mit den beeindruckendsten Resultaten sind auffallend oft jene, die es nicht nötig haben, ihre Autorität mit Machtdemonstrationen zu festigen. Sie können eigene Fehler zugeben und installieren oft recht flache Hierarchien.
Natürlich steht der Dissertant nicht auf derselben Stufe wie die Professorin, die seine Arbeit korrigiert. Aber wenn sie klug ist, wird sie nicht über ihn herrschen, sondern ihn als wertvollen Kollegen sehen, der ihren Rat genau deshalb annehmen wird, weil sie fachlich besser ist als er. Hierarchien ergeben sich in der Wissenschaft oft ganz natürlich, weil einer dem anderen etwas beibringen kann, nicht weil irgendjemand vom oberen Management befördert wurde.
Diese so rationale Art von Hierarchien finde ich in der Wissenschaft äußerst schön und wertvoll. Ich würde mir wünschen, dass es sie auch anderswo gäbe. Vielleicht auch in der Politik – dann müssten die armen Polizisten in Usbekistan nicht herumstehen, ohne zu wissen, wie lange sie den Platz noch absperren müssen, und die Touristen müssten nicht hungrig ins Bett.
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Angenommen, ich möchte die heilende Kraft der Gedankenübertragung erforschen. Aus einer Gruppe von hundert Personen wähle ich fünfzig aus, denen ich dann einmal täglich, in einem Zustand tiefspiritueller Konzentration, positive Geistesenergie sende. Und nehmen wir an, nach vier Monaten stellt sich heraus, dass diese fünfzig Leute signifikant gesünder sind als die anderen fünfzig, denen ich keine Gedankenenergie gesendet habe. Beweist das dann die Wirksamkeit meiner Methode?
Nein, natürlich nicht: „Correlation does not imply causation.” Aber leider kommt es ziemlich oft vor, dass genau diese Herangehensweise, das bloße Suchen nach statistischen Zusammenhängen, ohne erkennbaren kausalen Zusammenhang, als Wissenschaft präsentiert wird.
Bei der Theorie über die heilende Gedankenübertragung ist die Sache ziemlich klar: Es gibt keinen bekannten Mechanismus, über den meine Gedanken den Gesundheitszustand anderer Leute beeinflussen könnten. Würde man solche Effekte finden, würde das wohl mehr Fragen aufwerfen als beantworten: Man müsste untersuchen, welche Eigenschaften diese mysteriöse geistige Energie hat, wie sie zum Energieerhaltungssatz passt, ob im Sinn der Informationstheorie Information übertragen wird, ob es sich um eine neuartige Strahlung handelt, die einem Abstandsgesetz gehorcht.
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie eine bisher unentdeckte Gedankenkraft beschaffen sein könnte, ohne in sich unlogisch und widersprüchlich zu sein, oder gegen die bekannten Naturgesetze zu verstoßen. Wenn wir einen statistisch signifikanten Effekt des Gedankenheilens finden, würden wir daher zunächst wohl vermuten, dass dieser Effekt durch bloßen Zufall zustande gekommen ist.
Szientabilität
Das erinnert an das Konzept der „Scientabilität“, das der Biologe und Wissenschaftsjournalist Christian Weymayr verwendet, um seine Bedenken gegenüber der Homöopathie zu erklären: Wissenschaftliche Untersuchungen homöopathischer Präparate, etwa Doppelblindstudien, sind nur bedingt sinnvoll, meint Weymayr. Die Aussagen der Homöopathie passen nicht zu den anerkannten Naturgesetzen, sie sind teilweise sogar in sich widersprüchlich, daher ist die Homöopathie nicht „scientabel“ – sie kann sich nicht in den großen Rest der Naturwissenschaft einfügen, von dem wir sehr genau wissen, dass er stimmt.
Ob man das Konzept der Homöopathie damit vom Tisch fegen kann, ob es sinnvoll ist, mit diesem Argument künftige wissenschaftliche Untersuchungen für sinnlos zu erklären, ist Geschmacksfrage. Aber die Grundidee dahinter ist wichtig: In der Wissenschaft genügt es nicht, irgendwelche Zusammenhänge zu suchen und „Heureka“ zu schreien, wenn man etwas statistisch Signifikantes gefunden hat. Man muss immer auch überlegen, wie die neue Erkenntnis – falls es denn wirklich eine ist – auf rational-wissenschaftliche Weise erklärt werden kann.
Bad Science: Signifikante Ergebnisse – für den Papierkorb
Wenn skeptische, wissenschaftlich denkende Menschen dieses Argument verwenden, um esoterischen Unfug zu entlarven, dann muss man allerdings ähnlich restriktive Maßstäbe auch an die echte Wissenschaft anlegen. Und da müssen wir ganz offen zugeben: Auch das, was von echten Wissenschaftlern mit ordentlichem Diplom an richtigen Universitäten produziert wird, wird solchen hohen Ansprüchen nicht immer gerecht. Das ist schade. Viel zu oft liest man von angeblich aufgedeckten Zusammenhängen, ohne dass ein kausaler Grund dafür erkennbar wäre.
So gibt es etwa eine ständig wachsende Zahl von Studien, die Lebensmittel mit Krebs in Verbindung bringen. Rotwein, Tomaten, Kaffee, rotes Fleisch – man findet Studien, die mit statistisch signifikanten Daten belegen, dass all diese Nahrungsmittel das Krebsrisiko fördern. Und dann findet man andere Studien, die von denselben Nahrungsmitteln behaupten, das Krebsrisiko zu mindern. Das bedeutet nicht, dass irgendjemand Daten manipuliert oder erfunden hat, das passiert nun einmal, wenn man nicht nach klaren Kausalketten sucht, sondern sich mit statistischen Korrelationen zufriedengibt.
Einen ähnlichen Fehler begeht man, wenn man nach Korrelationen zwischen Genen und menschlichem Verhalten sucht: Ein kausaler Zusammenhang ist kaum zu finden, dafür ist das System einfach zu komplex. Aber wenn man irgendwelche statistischen Korrelationen findet, kann man ein Paper darüber schreiben, und die Boulevardpresse verkündet dann begeistert die Entdeckung des „Mörder-Gens“, oder ähnlichen Unfug.
Auch wenn Psychologen Fragebögen austeilen und dann nach Korrelationen suchen, passiert oft Ähnliches: Wahlweise wird eine Affinität zu Videospielen mit mehr Gewaltbereitschaft, bösartigerem Verhalten im Straßenverkehr oder auch mit höherer Intelligenz in Verbindung gebracht. Man kann eine Studie über Religiosität und Empathie austeilen und dann behaupten, Ähnlichkeiten zwischen Psychopathen und Atheisten gefunden zu haben. Schön. Und was sagt uns das jetzt?
Erst die Theorie, dann das Datamining
Der Fehler ist immer derselbe: Es geht hier nicht um ein Modell, das einen Aspekt der Welt wirklich erklärt – zumindest nicht um ein ernstzunehmendes Modell, das zum Rest unseres Wissens passt. Die Frage nach Ursache und Wirkung, nach verständlichen Kausalketten, die ein entscheidendes Element der Wissenschaft ist, wird ausgeklammert, zufällig aufgetretene oder durch passende Auswahl der Fragen mutwillig provozierte Zusammenhänge werden aber trotzdem als Erkenntnisgewinn verkauft.
Die Wissenschaft muss kausale Zusammenhänge suchen und echte Erklärungen finden. Eine statistische Korrelation ohne darunterliegende solide Theorie ist noch keine Wissenschaft. Das bedeutet nicht, dass bloßes Sammeln und Auswerten von Daten nicht als erster Schritt eine gute Sache sein kann. Aber wir sollten solche Ergebnisse mit Vorsicht betrachten. Und keinesfalls sollten wir sie zum Anlass für großes Mediengeschrei verwenden. Es gibt ausreichend viel gute, saubere, verlässliche Wissenschaft, die sich für Schlagzeilen eignet.
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Doch vielleicht ist das gar keine Katastrophe? Immer, wenn eine Zeitung verschwindet, rufen manche Kommentatoren dazu auf, die Sache positiv zu sehen: Der Markt will es eben nicht anders. Wenn die Zahl der Zeitungen zurückgeht, dann hat es vorher eben zu viele gegeben. Ein Schrebergarten bietet schließlich auch keinen Platz für eine Rotwildherde. Und Städte wie Wien, München oder Hamburg haben eben auch nur eine Leserkapazität für eine Hand voll Tageszeitungen, nicht mehr.
Das ist nicht ganz falsch, die Gesetze des freien Marktes kann man tatsächlich nicht so einfach überlisten. Es ist aber auch nicht ganz richtig, man kann nämlich schon darüber reden, ob wir die Gesetze des freien Marktes unbeaufsichtigt mit unseren Medien herumspielen lassen sollten.
Der freie Markt ist eine großartige Sache – ein Werkzeug für viele verschiedene Aufgaben. Er ist beispielsweise ziemlich gut darin, den passenden Preis für Zahnbürsten zu bestimmen. Er kann auch recht gut entscheiden, ob es im Raum Wien eine angemessene Anzahl von Freibädern mit Wasserrutsche gibt. Aber dort, wo es um öffentliche Güter und um externe Effekte geht, etwa um versteckte Kosten, die nicht vom Käufer, sondern von der Gesellschaft getragen werden, stößt der freie Markt genauso an seine Grenzen wie eine Edelstahlfüllfeder bei einer Blinddarmoperation.
Wir brauchen Zeitungen, und wir brauchen sie nicht aus demselben Grund, aus dem wir Marktgüter wie Bananen, Fahrräder oder Blumentöpfe brauchen. Wir brauchen sie, weil unsere Gesellschaft ohne eine lebendige, vielfältige Medienlandschaft nicht funktioniert. Für eine Demokratie sind beobachtende, recherchierende, kontrollierende Journalisten genauso wichtig wie Politiker. Wenn die Gesellschaft gemeinsam wichtige Entscheidungen treffen soll, muss sie ausreichend mit zuverlässiger Information versorgt werden.
Es kommt vor, dass ich ihr Endprodukt – die gedruckte Zeitung, den online erschienenen Artikel – niemals konsumiere, aber trotzdem massiv davon profitiere. Wenn wegen einer Enthüllungsstory ein korrupter Politiker entfernt wird, dann schafft das für mich einen Wert, für den ich nicht bezahle. Ich kaufe auch keine Literaturzeitschriften – und doch ohne sie hätte die deutschsprachige Literatur, die mir sehr wohl wichtig ist, ein niedrigeres Niveau. Es gibt hochspezialisierte Computerfachzeitschriften, bei denen ich schändlicherweise nicht einmal die Überschriften verstehe. Ich bezahle nicht für sie, aber sie sind wichtig für die IT-Community, ohne die mein Leben völlig anders aussehen würde.
Der freie Markt ist nicht dafür geeignet, die passende, gesellschaftlich nötige Zahl von Zeitungen und Magazinen zu ermitteln – auch die Zahl der politischen Parteien, der juristischen Instanzen oder der Staatsgewalten hat sich nicht durch ein freies Spiel von Marktkräften ergeben. Wir brauchen daher dringend Ideen, wie wir den Journalismus im Zeitalter gratis kopierbarer Information fördern können. Auf die Selbstreinigungskräfte des Wettbewerbs zu hoffen, ist zu wenig. Das Röcheln des Printjournalismus dürfen wir nicht mit dem effizienten Rattern der freien Marktmaschine verwechseln.
]]>Österreich hat also gewählt – es ging um das Amt des Bundespräsidenten. Norbert Hofer, der Vertreter der rechten FPÖ, kann sich über einen triumphalen Wahlerfolg freuen. Mehr als 35% der Stimmen gingen an ihn, die Vertreter der beiden Regierungsparteien mussten sich mit jeweils ungefähr 11% begnügen. Das ist eine Situation, die Österreichs politische Machtverhältnisse radikal durchschüttelt.
Im zweiten Wahlgang tritt Hofer nun gegen den grünen Alexander Van der Bellen an, der knapp vor der unabhängigen Kandidatin Irmgard Griss Zweiter wurde – mit etwas mehr als 21%.
Norbert Hofer ist der Kandidat einer Partei, die dem europäischen Einigungsprozess extrem kritisch gegenübersteht, die sehr scharfe Töne gegenüber Asylwerbern anschlägt und enge Verbindungen zu teilweise weit rechts stehenden studentischen Burschenschaften pflegt. Wie er es mit kritischem, evidenzbasierten, wissenschaftlichem Denken hält, hat Norbert Hofer mit seinen parlamentarischen Anfragen zum Thema Chemtrails bewiesen – Berührungsängste mit der verschwörungstheoretischen Aluhut-Szene hat er offensichtlich keine.
Erste Befragungen zeigen, dass der Zuspruch zu Norbert Hofer extrem bildungsabhängig ist: In Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Bildungsstandard liegt er weit vorne, in höher gebildeten Kreisen liegt er hinten. Das führt natürlich sofort zu lautem, überheblichem Geschrei: Die Leute sind einfach zu dumm. Sie wählen das Falsche. So können einander die Regierungsparteien und alle anderen, die mit der rechten FPÖ nichts anfangen können, mitleidsvoll auf die Schulter klopfen und so tun, als hätten sie gar nichts falsch gemacht. Das Volk hat einfach nicht verstanden, was gut ist. Da kann man wohl nichts machen.
Diese Haltung ist arrogant, falsch und gefährlich.
Recht zu haben genügt nicht. Wenn man der Meinung ist, dass eine Rückkehr zum Nationalismus, eine Abkehr von der EU und eine Entsolidarisierung mit den Schwächsten keine gute Idee ist, dann muss man auch fähig sein, das auf überzeugende Weise zu erklären. Wer das nicht schafft, mag noch so schöne, demokratische, zukunftsweisende Grundsätze haben – in der Politik ist er nicht richtig.
Was in der Wissenschaft gelingt, muss auch in der Politik möglich sein
Ich sehe jeden Tag, wie viele Naturwissenschaftler es gibt, die es schaffen, hochkomplexe, abstrakte Forschungsinhalte allgemeinverständlich zu erklären. Natürlich kann man dabei nicht immer jedes Detail präsentieren, natürlich muss man je nach Zielpublikum unterschiedliche Vereinfachungen finden. Aber es funktioniert.
Und wenn man, liebe Politiker, die Stringtheorie, die analytische Chemie oder die Photonik so präsentieren kann, dass man die Grundideen auch als Laie kapiert, dann wird euch das doch mit politischen Themen auch gelingen, oder? Ist Europapolitik wirklich komplizierter als Quantenphysik? Ist das Flüchtlingsthema wirklich schwerer zu erklären als ein Quark-Gluon-Plasma?
Wenn man überzeugt ist, Recht zu haben, dann muss man auch in der Lage sein, seine Ideen einfach, verständlich und treffend zu präsentieren. Das hat nichts mit Populismus zu tun, das ist eine Frage des Anstandes.
Beim Kampf gegen esoterischen Aberglauben ist es genauso: Es genügt nicht zu wissen, dass es keine Chemtrails gibt, dass Astrologie nutzlos ist und Wünschelruten nichts bringen. Man muss all diese Dinge, auch wenn es mühsam ist, immer und immer wieder erklären – und zwar so, dass es auch verstanden wird.
Wer das nicht schafft, war nicht gut genug. Es genügt nicht, die richtigen Fakten zusammenzutragen. Wenn man damit nicht überzeugen kann, dann muss man den Fehler zuallererst mal bei sich selbst suchen, nicht bei einer Bevölkerung, die angeblich einfach nicht schlau genug ist.
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Das ist sicher ein guter Anlass, um über sein Vermächtnis, die Dichtefunktionaltheorie nachzudenken: Sie ist eine wichtige Rechenmethode, die in der modernen Materialwissenschaft eine entscheidende Rolle spielt. Quantenphysikalisch betrachtet befindet sich ein Elektron nicht an einem fest definierten Punkt, es ist ähnlich wie eine Wolke im ganzen Raum verteilt. An manchen Orten ist die Elektronendichte höher, an manchen Orten ist das Elektron praktisch nicht vorhanden – und genau diese Elektronendichte ist die entscheidende Größe, mit der man in der Dichtefunktionaltheorie wichtige Materialeigenschaften ausrechnen kann. Kohn war zwar Physiker, für die Dichtefunktionaltheorie erhielt er allerdings nicht den Physik-, sondern den Chemienobelpreis.
Kohns Tod ist aber auch ein guter Anlass, über ganz andere Dinge nachzudenken: Walter Kohn war ein Flüchtlingskind. Er wuchs in Wien auf, als Sohn jüdischer Eltern, in einer Zeit, in der der Antisemitismus immer grauenhaftere Ausmaße annahm. Kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkriegs konnte er noch durch einen Kindertransport nach England fliehen, seine Eltern wurden von den Nazis ermordet. Walter Kohn ging 1940 nach Kanada, später in die USA. Walter Kohn ist nicht emigriert, er wurde vertrieben – auf diesen Unterschied legte er Wert. Sein Verhältnis zu Österreich und zu seiner Heimatstadt Wien war bis zum Schluss kompliziert. Das ist verständlich: Auch späte Auszeichnungen, Ehrendoktorwürden und Ehrenzeichen der Republik können alte Wunden nicht völlig heilen.
Ich durfte Walter Kohn im Jahr 2013 kennenlernen – und das eher zufällig. Ich war damals mit einem Architekten-Team der TU Wien unterwegs, das ein innovatives Solar-Haus konstruiert und gebaut hatte. Beim Solar Decathlon, einem großen internationalen Wettbewerb für Solar-Gebäude, er damals in Kalifornien stattfand, wurde das österreichische Sonnenhaus aufgestellt. (Das Team konnte diesen Wettbewerb sogar gewinnen.) Walter Kohn hatte davon gehört und kam vorbei, um sich das Haus der TU Wien anzusehen – auch das zeigte seine noch immer deutlich spürbare Verbindung zu seiner Heimatstadt. Als einziger Physiker unter lauter Architekten nutzte ich die Gelegenheit, mit ihm über Physik zu plaudern, er ließ sich von mir meine Dissertation erklären und wollte wissen, was sie mit Dichtefunktionaltheorie zu tun hatte. (Antwort: Nicht sehr viel.) Spürbar wurde aber auch, dass er sich mittlerweile sehr für andere Themen interessierte – für Energiefragen und Umwelt.
Walter Kohn war auch in hohem Alter noch ein vorausschauender Mensch. Einer, der viel erreicht hat, einer, der viel erlebt hat – Grauenvolles und Schönes. Danke, Walter Kohn, für die Dichtefunktionaltheorie!
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Originelle neue Ideen sind in der Wissenschaft gefragt. Man muss weiter denken als die anderen, ausprobieren, was sonst noch niemand gewagt hat und spektakulär neue Daten erheben, über die alle Kollegen staunen. Diesen Drang zum Neuen schätze ich sehr, er hat uns in der Wissenschaft weit gebracht. Aber haben wir es damit vielleicht übertrieben?
Wenn man immer versucht, etwas Neues auszuprobieren, vergisst man nämlich eine ganz wesentliche Säule der Wissenschaft: Die Reproduzierbarkeit. Ein Ergebnis ist wissenschaftlich nur dann ernst zu nehmen, wenn sich das Experiment unter ähnlichen Bedingungen wiederholen lässt und dabei ähnliche Ergebnisse herauskommen. Wenn sich aber niemand mehr die Mühe macht, alte Ergebnisse zu reproduzieren, weil man unbedingt brandneue Ergebnisse haben will, dann hat man ein Problem.
Beispiel Attosekundenphysik
Gerade boomende Forschungsbereiche, die sich gerade rasant verändern, sind dafür anfällig, aufs Reproduzieren zu vergessen. Ein Beispiel dafür ist die Attosekundenphysik: In diesem faszinierenden Forschungsbereich versucht man mit extrem kurzen Laserpulsen, das Verhalten von Elektronen zu untersuchen. Mit Verfahren, die ständig weiterentwickelt werden, und die teilweise einen atemberaubenden Grad an Komplexität erreicht haben, kann man heute den Ablauf quantenphysikalischer Phänomene auf winzigen Zeitskalen untersuchen – bis zur Größenordnung von Attosekunden (10^-18 Sekunden).
Damit kann man zum Beispiel die Bewegung eines Elektrons im Atom analysieren, man kann einem Elektron dabei zusehen, wie es von einem elektrischen Puls aus dem Atom herausgerissen wird. Man kann das Zerbrechen eines Moleküls ansehen – aber das ist für die Verhältnisse der Attosekundenphysik schon beinahe ein langweilig langsamer Vorgang.
Die Konkurrenz zwischen den Forschungsgruppen, die solche Dinge messen können, ist enorm. Alle wollen in den besten Journalen publizieren, alle wollen bahnbrechend neue Ergebnisse vorzeigen um die Chance zu erhöhen, die nächste hochdotierte Forschungsförderung einzustreifen. Doch wer kontrolliert eigentlich die Ergebnisse, die vor zwei Jahren publiziert wurden? Wer stellt sein teures Laborequipment für eine Messung zur Verfügung, die gar nicht den Anspruch erhebt, neues Wissen zu generieren, sondern bloß alte Ergebnisse zu verifizieren? Das lässt sich in unserem hektischen Wissenschaftsbetrieb kaum machen.
Das mag verständlich sein, aber langfristig ist das gefährlich. Wenn sich in einem Forschungsgebiet wackelige Ergebnisse anreichern, wenn niemand mehr weiß, auf welche Daten man sich verlassen kann und auf welche nicht, dann wird irgendwann auch der Fortschritt stagnieren. Natürlich ist es spannend, im obersten Stockwerk eines Wolkenkratzers noch einen Sendemasten anzubringen und höher zu klettern als alle anderen. Aber wenn man nicht gleichzeitig ständig überprüft, ob das Fundament überhaupt ausreichend belastbar ist, dann stürzt irgendwann mal etwas zusammen.
Jedes Forschungsgebiet hat seine eigenen Traditionen, Sitten und Bräuche. Und auch das Problem der Reproduzierbarkeit ist in unterschiedlichen Forschungs-Communities ganz unterschiedlich ausgeprägt. In der Präzisions-Spektroskopie versuchen Leute, dieselben Atom- oder Molekülspektren immer genauer zu messen. Das ist ein Forschungsziel, in dem die Reproduktion bestehender Daten unvermeidlich ist. In Sozial- und Geisteswissenschaften hat man es mit der Reproduzierbarkeit natürlich schwerer – wie die Diskussion über Reproduzierbarkeit psychologischer Studien zeigt.
Alles bloß nachgemacht, und trotzdem ein Science-Paper
Dass es auch anders geht, zeigt ein Paper, das im Magazin Science erschienen ist. In einem riesengroßen Gemeinschaftsprojekt stellten sich zahlreiche Forschungsgruppen aus der ganzen Welt die Aufgabe, ihre Programmcodes zu vergleichen.
Es ging dabei um Dichtefunktionaltheorie – das ist eine äußerst mächtige Methode, mit der man quantenphysikalische Eigenschaften von Materialien berechnen kann. 1998 wurde der Physiker Walter Kohn für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie mit dem Chemie-Noblepreis ausgezeichnet. Kohns Gleichungen fanden ihren Weg in Computerprogramme auf der ganzen Welt, überall werden die Formeln ein bisschen anders umgesetzt, manchmal baut man zusätzliche Vereinfachungen und Näherungen ein. Wenn am Ende zwei Programme unterschiedliche Ergebnisse liefern, obwohl sie beide auf der Dichtefunktionaltheorie beruhen, ist es oft gar nicht so einfach zu sagen, woran das liegt.
Daher versuchte man nun, ganz systematisch identische Ergebnisse mit unterschiedlichen Dichtefunktionaltheorie-Codes auszurechnen. Die beteiligten Forschungsgruppen verglichen ihre Ergebnisse, manchmal korrigierten sie Fehler oder verbesserten ihre Programme. Das Ergebnis war insgesamt sehr erfreulich: Zwar gibt es natürlich kleine Abweichungen zwischen den Ergebnissen unterschiedlicher Dichtefunktionaltheorie-Rechenprogramme, aber im Großen und Ganzen stimmen die Ergebnisse sehr gut miteinander überein. Sie sind reproduzierbar, man kann sich auf sie verlassen.
Nobelpreis wird es für diese Art von Forschung keinen geben. Das ist auch in Ordnung so. Aber es ist ein schönes, erfreuliches Signal, dass Science – eines der angesehensten Wissenschaftsjournale der Welt – so eine Arbeit veröffentlicht, auch wenn sie keine wirklich neuen wissenschaftlichen Ergebnisse gebracht hat. Das zeigt, dass auch die Editoren von Science wissen, dass saubere Reproduzierbarkeit eine wichtige Voraussetzung für gute Wissenschaft ist.
Wir stehen auf den Schultern von Riesen. Das macht nur dann Spaß, wenn den Riesen nicht die Knie zittern.
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Welche Reflexe das auslöst, hätte man sich eigentlich denken können: In Online-Foren wird nun geschimpft und gezetert: Die bösen orthodoxen Ökonomen wollen einen unbequemen Querdenker aus einem Schulbuch verbannen, aus politischen Gründen, natürlich.
Diese Diskussion zielt natürlich völlig am Kern der Sache vorbei. Es geht hier überhaupt nicht um Politik, es geht nicht darum, zu entscheiden, welche Wirtschaftstheorien in einem Schulbuch präsentiert werden sollen. Im offenen Brief, den die Ökonomen an die Unterrichtsministerin geschrieben haben, wird auch keineswegs gefordert, Gemeinwohlökonomie aus dem Lehrplan zu streichen. Im Gegenteil: Man schlägt in diesem Brief sogar vor, wen man (statt Felber) als würdige Vertreter dieser Disziplin erwähnen hätte können.
Der entscheidende Punkt ist ein ganz anderer: Die Autoren dieses Schulbuchs demonstrieren mit ihrer Auswahl, dass sie keinerlei Verständnis für wissenschaftlich geführte Ökonomie haben, dass sie forschende Fachexperten nicht von kommentierenden Publizisten unterscheiden können – und das ist ein ernstes Problem. Man muss Christian Felber nicht schlecht, böse und gefährlich finden, um es für Unfug zu halten, wenn er als Geistesgröße der Ökonomiegeschichte präsentiert wird. Diese Einordnung ist einfach falsch. Genauso falsch, als würde man einen bekannten Sportkommentator zum Fußballer des Jahres wählen.
Und das ist keine harmlose Nachlässigkeit, sondern ein ernstes Problem. Man bringt damit den Kindern nämlich ein falsches Verständnis für Medien, Wissenschaft und fachliche Expertise bei: Es wird vermittelt, dass der am wichtigsten ist, der am lautesten und buntesten in den Medien vorkommt, dass akribisches wissenschaftliches Arbeiten im Vergleich dazu minderwertig ist. Wir erziehen die kommende Generation auf diese Weise zu einer Medienlogik, in dem Susan Boyle zu den besten Sängerinnen der Welt gehört und Donald Trump ein Politiker ist.
Das Gegenteil wäre nötig: Ich halte es für einen ganz wichtigen Teil der Bildung, zu erkennen, dass manche Leute bessere Argumente haben als andere, dass es Menschen mit fachlicher Autorität gibt, denen man im Zweifelsfall eher glauben kann als anderen.
Es gibt heute zum Glück in vielen verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen gute Kommunikatoren mit entsprechender Medienpräsenz. Christian Felber ist einer von ihnen, und das ist gut so. Solchen begabten Wissensvermittlern soll man gratulieren und man soll sie wertschätzen. Aber sie sind deshalb noch lange nicht die besten Wissenschaftler. Harald Lesch ist toll. Er war öfter im Fernsehen als Heisenberg, Einstein und Pauli zusammen. Das ist schön, aber er ist deshalb nicht der bessere Physiker.
Wer ein Schulbuch schreibt, müsste diesen Unterschied verstanden haben. Wenn nicht, dann ist das ein ernstes Problem, und man wird sich sehr genau ansehen müssen, ob in einem solchen Schulbuch dann nicht auch noch allerlei anderer Unfug enthalten ist.
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Seit 2013 habe ich hier nichts mehr gebloggt – dann kam recht unvermittelt letzte Woche ein neuer Artikel von mir, ohne dass ich die lange Pause erklärt hätte. Das gehört sich nicht. Darum hole ich die Erklärung jetzt ein bisschen nach.
Es gab viele Gründe für meine Pause – einer davon war zweifellos, dass ich damals ein sehr reizvolles Angebot von futurezone.at bekommen habe, für die ich jetzt seit über zwei Jahren regelmäßig meine Kolumne “Wissenschaft und Blödsinn” schreibe. Das mache ich mit großer Freude – nicht nur, weil man so viele Leute erreicht, die sich nicht unbedingt auf klassische Wissenschafts-Blog-Seiten herumtreiben, sondern ein bisschen auch deshalb, weil der Umgangston dort in den Kommentaren deutlich freundlicher ist als hier.
Blogs sind super
Allerdings: Auch Online-Kolumnen sind eine andere Textsorte als Blogs. Blogs sind schneller, tagesaktueller, ungeschliffener, sie dürfen unausgegorener sein, stellen nie einen pseudoliterarischen Anspruch wie ihn das Feuilleton gerne erhebt. Das ist manchmal schade, aber manchmal auch wieder ein großer Vorteil. Darum habe ich beschlossen, gewisse Themen nun auch wieder zu bloggen. Wie ausführlich und regelmäßig ich das machen werde, weiß ich noch nicht. Ich habe jedenfalls vor, nicht in erster Linie über wissenschaftliche Erkenntnisse zu schreiben (das mache ich ohnehin in meinem Brotberuf für die TU Wien), ich werde wohl eher versuchen, hier Meinungen über Wissenschaft, und Wissenschaftskommunikation loszuwerden. Mal sehen!
Außerdem habe ich noch jede Menge andere Dinge gemacht. Ich treibe mich bekanntermaßen bei den Skeptikern in der GWUP bzw. der Wiener Gesellschaft für kritisches Denken herum, ich habe Vorträge gehalten, und ich habe ziemlich viel geschrieben – für ganz unterschiedliche Auftraggeber, von der Mitarbeiterzeitung bis zum Nachrichtenmagazin. So hatte ich etwa im Sommer die schöne Aufgabe, für das Profil Wissen mehr als 30 Seiten über Albert Einstein und die Relativitätstheorie zu gestalten.
Dann gab es noch andere Projekte, die ich an dieser Stelle noch vorstellen werde – und ein ganz großes Projekt, über das ich sicher noch ganz viel erzählen werde, wenn es konkretere Formen annimmt. Es gibt so viel zu tun!
Die Webseite naklar.at, die damals mein erster Schritt in die Wissenschaftskommunikation war, schläft nun allerdings. Die Zeiten, in denen eine eigene, private Webseite ein guter Kommunikationskanal für solche Dinge war, sind lange vorbei.
Ach ja – und einen viel zu großen Teil meiner spärlichen Freizeit verbringe ich auf Twitter unter dem wenig originellen Namen @florianaigner. Wenn ihr mir dort folgt und damit meinen Prokrastinationsdran noch weiter anfeuert, gebührt euch meine immerwährende Dankbarkeit. Bis bald!
]]>Tschernobyltote in Mitteleuropa?
Tausend bis zweitausend zusätzliche Krebstote soll es alleine in Österreich geben, sagen Ian Fairlie und Global 2000. (Dass sich Fairlie als “independent Consultant” bezeichnet und nicht etwa als Wissenschaftler an einer anerkannten Universität tätig ist, sei nur nebenbei erwähnt – das heißt schließlich noch lange nicht, dass er falsch liegt.) Insgesamt spricht Fairlie von 40.000 Krebstoten durch die Tschernobyl-Katastrophe.
Wie werden solche Zahlen erhoben? Natürlich gibt es keine wissenschaftliche Möglichkeit, bei einzelnen Krebserkrankungen herauszufinden, ob sie von der Tschernobyl-Katastrophe ausgelöst wurden oder auch ohne die Katastrophe ausgebrochen wären. Man könnte epidemiologisch untersuchen, wie stark nach der Tschernobyl-Katastrophe die Häufigkeit bestimmter Krankheiten angestiegen ist. Daraus könnte man dann statistisch hochrechnen, wie viele dieser Krankheitsfälle durch die Tschernobyl-Katastrophe ausgelöst worden sind. Das klingt sinnvoll – hat aber nichts damit zu tun, wie Fairlie und Global 2000 an ihre Abschätzungen kommen.
Würde man die Daten auf diese epidemiologische Weise ermitteln, käme man nämlich bei der Anzahl der österreichsichen Tschernobyltoten auf eine langweilige Null. Selbst in den am schwersten betroffenen Gebieten in Belarus und der Ukraine sind keine erhöhten Krebsraten nachgewiesen – mit Ausnahme von Schilddrüsenkrebs, insbesondere bei Kindern. Es gibt einzelne Publikationen, die auch bei anderen Krebsarten leichte Steigerungen zu finden behaupten (zum Beispiel unter den sogenannten “Liquidatoren”, den Aufräumarbeitern nach der Katastrophe), aber das ist umstritten. In Mitteleuropa kursierende Panikmeldungen (alle Liquidatoren tot, Missbildungen bei Kindern) sind nicht haltbar.
Doch darum geht es hier gar nicht – in den Panikmeldungen von heute steht die Frage im Mittelpunkt, wie viele Menschen hier bei uns in Mitteleuropa an der Tschernobyl-Katastrophe gestorben sind. Hier aus epidemiologischen Daten irgendwelche Effekte herauszufiltern, ist hoffnungslos, das wissen auch Ian Fairlie und Konsorten.
Das LNT-Modell
Daher wenden sie gerne eine andere Taktik an: Sie erheben, wie viel radioaktives Material frei wurde und versuchen daraus zu berechnen, wie viel Menschen dadurch geschädigt wurden. Dabei wird ein sogenanntes “Linear-No-Threshold”-Modell (LNT) angewandt: Man geht davon aus, dass es einen linearen Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Todesrate gibt. Angenommen, man weiß, dass bei einer bestimmten Dosis 50% der betroffenen Menschen sterben. Dann geht man nach dem linearen Modell davon aus, dass bei einer hundertfach kleineren Dosis auch die Todesrate hundertmal kleiner ist – also 0.5%. Wenn man das zu winzigen Dosen fortsetzt, wird die Todesrate zwar winzig, aber wenn gleichzeitig eine gewaltige Anzahl von Menschen von dieser Mini-Dosis betroffen sind, kann sich das trotzdem noch zu einer stattlichen Anzahl von Opfern hochmultiplizieren. Genau das hat Ian Fairlie gemacht. Weite Teile Europas waren nach Tschernobyl von geringen Menden radioaktiver Strahlung betroffen, man kann daher viele Millionen Menschen in die Rechnung einbeziehen. Selbst wenn die Belastung winzig war, kommt man nach diesem Modell auf tausende Opfer.
Doch ist das wissenschaftlich redlich? In hohen Dosis-Bereichen gibt es tatsächlich einen annähernd linearen Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung. Man hat vor allem anhand der Atombomben-Opfer in Japan viel darüber gelernt. Doch dort war die Radioaktivität natürlich um Größenordnungen höher. Anzunehmen, dass die lineare Beziehung zwischen Dosis und Wirkung auch bei minimalen Belastungen gilt, ist reine Mutmaßung. Wenn eine bestimmte Menge Kochsalz einen Menschen umbringt, töte ich dann statistisch auch einen Menschen, wenn ich mit derselben Menge an Salz tausenden Leuten eine Suppe koche?
Die Wahrheit ist: Wir wissen nicht, wie sich minimale radioaktive Dosen auswirken. Es gibt Grund zur Annahme, dass unser Körper mit radioaktiver Strahlung unterhalb einer gewissen Grenze gut zurechtkommt – schließlich sind wir ununterbrochen natürlicher Strahlung ausgesetzt. Die kosmische Strahlung, Radon aus der Erde oder auch Radioaktivität des Gesteins unter uns beeinflusst unseren Körper ständig. Die zusätzliche Dosis, die wir in Mitteleuropa durch den Unfall von Tschernobyl abbekommen haben ist viel kleiner, als die Dosis, die wir aus ganz natürlichen Quellen jedes Jahr abbekommen. Mehr noch: Die zusätzliche Tschernobyl-Strahlenbelastung ist sogar geringer als die regionalen Unterschiede in der Strahlenbelastung. Ob in der Ukraine ein Reaktor explodiert oder nicht hat auf die Strahlenbelastung eines Mitteleuropäers mittelfristig einen geringeren Einfluss als sein Wohnort.
Nun kann man sagen: Wenn wir nicht garantieren können, dass minimale Strahlungsdosen harmlos sind, dann sollten wir vom Schlimmsten ausgehen und maximale Vorsicht walten lassen. Man könnte Fairlies Berechnungen als Worst-Case-Szenario betrachten, nachdem man sich aus purer Vorsicht richten kann. Doch dann müssten wir uns konsequenterweise ganz anders verhalten. Wenn wir nämlich so argumentieren, müssten wir sofort alle Erdgeschoß- und Kellerwohnungen räumen, in denen Radon nachweisbar ist, wir müssten das Granithochland evakuieren, in denen die natürliche Strahlenbelastung höher ist als anderswo, wir müssten Transatlantikflüge verbieten. Wir müssten Bananen aus den Supermärkten verbannen, sie enthalten nämlich radioaktives Kalium. Niemand geht davon aus, dass die minimale Belastung durch eine Banane ein Problem sein könnte – aber naiv nach dem Linearen No-Threshold-Modell berechnet, kommt es im Jahr weltweit zu tausenden Bananentoten.
Bleiben wir bei den Tatsachen!
Tatsache ist, dass Tschernobyl eine furchtbare Katastrophe war. Zahlreiche Menschen sind daran gestorben – die WHO und die IAEO haben sehr detaillierte Studien dazu gemacht und kamen zu einer Abschätzung von mehreren tausen Menschen, die direkt oder indirekt durch Tschernobyl zu Tode kamen. Das ist eine gewaltige Zahl. Jeder einzelne Tote ist eine Tragödie. Jedes einzelne Kind mit Schilddrüsenkrebs (auch wenn zum Glück viele geheilt werden konnten) ist eine persönliche Katastrophe.
Umweltschutzorganisationen könnten bei den Fakten bleiben – sie sind schlimm genug und eignen sich zweifellos als Argumente gegen Kernenergie. Ich halte es für eine Beleidigung der Leute, die tatsächlich unter der Reaktorkatastrophe zu leiden hatten, wenn man heute so tut, als müsse man mit zweifelhaften statistischen Methoden die Katastrophe größer aufbauschen als sie tatsächlich war. Wenn Umweltschutzorganisationen dieses schreckliche Unglück auf künstliche Weise statistisch aufbauschen, dann tun sie so, als wäre die offizielle wissenschaftliche Faktenlage noch nicht dramatisch genug. Wieso? Reichen tausende Tote denn nicht? Müssen es wirklich hunderttausende sein?
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Ich habe schon eine ganze Menge Interviews gegeben in diesem Jahr – das muss wohl eine Alterserscheinung sein.
Ich habe im “Standard” über Quantenheilung und über Barcodes erzählt, und vor Kurzem habe ich der Zeitschrift der Österreichischen HochschülerInnenschaft “progress” und auch dem Magazin “Studio!” der Fachhochschule Wien Interviews über Skeptizismus und Rationalität gegeben – das freut mich besonders, denn dort erreicht man junge, kluge Köpfe.
Mein bisher längstes Interview hat allerdings Alexander Hoaxmaster von “Hoaxilla” mit mir gemacht: Auf seinem Podcast “Skeptoskop” plaudert er eine Stunde und zwölf Minuten lang mit mir über Quantenphysik, rationales Denken, die GWUP, Wissenschaftskommunikation und allerlei mehr. Also, ihr Podcast-Fans da draußen: Hört doch da mal rein!
]]>Manche Staaten stehen knapp vor dem finanziellen Kollaps, andere haben mit Naturkatastrophen zu kämpfen. Österreich allerdings wurde von einer ganz besonders tragischen Krise getroffen: Bei den Olympischen Sommerspielen 2012 errang das Land keine einzige Medaille. Nun kündigt Bundeskanzler Faymann endlich Konsequenzen an: In allen Schulklassen soll es in Zukunft täglich eine Turnstunde geben. Zweifellos stehen jetzt blühende Zeiten bevor.
Medaillen-Bilanz
Das schmachvolle Abschneiden Österreichs bei den PISA-Tests hatte zwar keine bildungspolitischen Konsequenzen, doch nach den Olympischen Spielen 2012 ist es nun doch Zeit für eine Schulreform. Analysieren wir die Situation näher: Seit 1945 hat Österreich 1.3% aller olympischen Goldmedaillen gewonnen, und knapp 1.7% der olympischen Medaillen insgesamt. Das bedeutet, dass über 98% der Medaillen von Nicht-Österreichern gewonnen wurden. Dieses Ungleichgewicht ist natürlich auf die Dauer untragbar.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass eine tägliche Turnstunde einen olympischen Medaillenregen zur Folge haben wird. Schließlich erinnere ich mich mit wonnevoller Freude an meinen eigenen Turnunterricht, in dem wir mit individuell abgestimmtem Training grandios gefördert wurden: Der Turnlehrer blickte in die Runde, analysierte mit Kennerblick unsere Trainingsbedürfnisse und sprach: „Burschen: Fußball.“ Diese an vielen Schulen gelebte Tradition erklärt, warum Österreich im Fußball so erfolgreich ist: Seit Jahrzehnten gehört unsere Nationalmannschaft zu den 170 besten der Welt.
Und die Nobelpreise?
Interessant ist es, sich die österreichische Bilanz in der Naturwissenschaft anzusehen: Vergleichbar mit einer olympischen Medaille ist dort natürlich nur der Nobelpreis. Seit 1945 hat Österreich drei Nobelpreise in den naturwissenschafts-Kategorien (Physik, Chemie, Medizin) gewonnen: 1945 ging der Physik-Nobelpreis an Wolfgang Pauli. (Er lebte damals zwar längst nicht mehr in Österreich, hatte aus Angst vor den Nazis erfolglos versucht, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu bekommen und wurde dann 1946 US-Amerikaner – aber sein Nobelpreis zählt für Österreich! Da dulden wir keine Widerrede!) Und 1973 konnten sich gleich zwei Österreicher über den Medizin-Nobelpreis freuen: Konrad Lorenz und Karl von Frisch. In den drei naturwissenschaftlichen Nobelpreis-Disziplinen kommt man damit insgesamt auf eine Österreicher-Quote von 0.7%.
Wenn also eine Olympia-Medaillenquote von 1.7% eine tägliche Turnstunde rechtfertigt, dann wird die Nobelpreis-Quote von bloß 0.7% mit Sicherheit mehrere tägliche Naturwissenschafts-Stunden in allen Schulklassen zur Folge haben. Die Naturwissenschaft des Landes wird aufblühen, junge Genies werden unsere Universitäten überschwemmen. High-Tech-Firmen werden nach Österreich kommen, weil es hier so grandios geschultes Personal gibt – das noch dazu sportlich trainiert und fit ist.
Plan B
Doch was machen wir, wenn der Bundeskanzler diesen logischen Schritt von der täglichen Turnstunde zur täglichen Physik-, Chemie- und Biologiestunde doch nicht gehen will? Dann bleibt uns nur noch eines: Wir müssen das Internationale Olympische Komitee davon überzeugen, die Naturwissenschaften aufzunehmen. Eine Medaille für Physik, die Chemie-Mannschaftswertung, die Physiologie-Staffel in der Klasse bis 75 Kilogramm – irgendetwas würde Österreich schon gewinnen. Sponsoren-Logos auf Labormessgeräten werden künftig die Forschung finanzieren helfen, Wissenschaftler werden bei der Rückkehr von großen Konferenzen am Flughafen von einer fahnenschwenkenden jubelnden Menschenmenge empfangen werden. Wir vergeben den schwarzen Gürtel im Differentialgleichungs-Lösen, und die Jugend wird begeistert sein. Kein Zweifel: Die Wissenschaft ist auf dem Weg in ein goldenes Zeitalter.
]]>Abendnachrichten sind wichtig. Das lernte ich schon, als ich ein kleines Kind war. Meine Eltern bemühten sich immer sehr, um halb acht mit dem Geschirrspülen fertig zu sein, und dann wurden gemeinsam die Abendnachrichten angesehen – die „Zeit im Bild“ im österreichischen Staatsfernsehen. Ich verstand zwar nicht wirklich, was diese wichtig aussehenden Erwachsenen im Fernsehen erzählten, aber es war offenbar wichtig. Ohne jeden Zweifel. Sonst wären diese Leute ja schließlich nicht in den Abendnachrichten. Fernsehen definiert Bedeutung.
Heute besteht mein Job darin, Wissenschaft zu erklären und mit Journalisten zusammenzuarbeiten, die das auch machen wollen. Ich habe dadurch viele großartige Leute kennengelernt – von kleinen Medien, von großen Tageszeitungen, von Onlinejournalen und von Hochglanzmagazinen. Die Erkenntnis bleibt: Abendnachrichten sind wichtig. Was immer schon wichtig war, wird dort präsentiert, und wenn das, was dort präsentiert wird, vorher nicht wichtig war, ist es danach wichtig – es war ja in den Abendnachrichten.
Daher macht es mich ein bisschen traurig, dass Wissenschaft für die Abendnachrichten absolut kein Thema zu sein scheint. Na gut, die Nobelpreise kommen dort vor, einmal im Jahr, und ab und zu wird wieder mal irgendwo Krebs geheilt, dann dürfen würdige Männer in weißen Kitteln zwölf Sekunden lang schwierige Wörter in die Kamera sprechen. Aber sonst stehen dort Murenabgänge, Basketballmeisterschaften oder Koalitionsstreitereien meist viel höher im Kurs als wissenschaftliche Erfolge. Für die Abendnachrichten ist Wissenschaft nicht wichtig.
Heute wurde in Wien der Wittgenstein-Preis vergeben, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Republik Österreich. „Austro-Nobelpreis“ wird die Bezeichnung gerne genannt. (Was zwar ein bisschen lächerlich ist, denn der Wittgenstein-Preis hat für die Forschung eingesetzt zu werden, über Nobelpreis hingegen darf man frei verfügen – aber trotzdem: Ein hochdotierter Wissenschaftspreis mit 1.5 Millionen Preisgeld, das ist schon eine tolle Sache.)
Der Preis geht an Prof. Ulrike Diebold, eine hochangesehene Oberflächenforscherin der TU Wien, eine international anerkannte Metalloxid-Expertin, mit besonders aufsehenerregenden Forschungserfolgen mit Titanoxid. Ich freue mich und schalte die Abendnachrichten ein. Schließlich ist der größte österreichische Forschungspreis doch sicher eine wichtige Angelegenheit.
Die Nachrichten beginnen mit Finanzkrise und tschechischer Innenpolitik. Keine Frage: Das ist wichtig. Ich warte weiter gespannt. Die Türkei ist auch ziemlich wichtig, und der Datenskandal ohnehin, ganz meine Meinung. Aber jetzt langsam wäre es doch auch Zeit für Wissenschaft? Ganz kurz mal? Der Meldungsblock kommt: Rasch hintereinandergeschnittene Kurzmeldungen – ein Format für doch-nicht-ganz-so-weltbewegend-aber-doch-noch-sehr-wichtige Sachen. Aber keine Wissenschaft.
Doch da! Gleich nach dem runden Geburtstag des alternden Schauspielers kommt das Stichwort „Nanotechnologie“! Hurra! Sind wir am Ende doch wichtig? Titanoxid? Höre ich recht? Doch nach wenigen Sekunden ist klar: Es handelt sich nicht um einen Bericht über die tollen zukunftsweisenden Anwendungsmöglichkeiten aus der Metalloxid-Forschung, für die heute vom Wissenschaftsminister 1.5 Millionen an Preisgeld hergegeben wurden, sondern um einen Beitrag über die Gesundheitsgefahren der Nanotechnologie. Zum Glück muss in Zukunft auf den Sonnencremes draufstehen, ob Nano drin ist. Na da haben wir aber noch mal Glück gehabt!
Wissenschaft taugt als Angst-Thema. Irgendwelche feindlichen Forscher denken sich verrückte Sachen aus, das muss doch sicher zumindest umweltschädlich sein, kein Zweifel. Ob es nützlich sein könnte, darüber denken wir eventuell nach, wenn wir es vorher mal verboten haben. Angst vor Wissenschaft ist wichtig – sie schafft es in die Abendnachrichten. Die Wissenschaft selbst ist hingegen weniger wichtig. Die bleibt draußen.
Nun werden Fernsehjournalisten sicher behaupten, sie präsentierten doch nur, was das Volk haben will. Es gibt sicher irgendwelche Umfragen, dass Wissenschaft in den Abendnachrichten nun eben mal nicht gewünscht wird. Doch das ist ein großer Irrtum: Was die Zuseher interessiert, ist kein genetisch festgelegter Parameter. Die Abendnachrichten erzeugen – wie alle Massenmedien – ihre eigene Nachfrage selbst. Sie definieren, was wichtig ist – und damit will man es sehen. Warum kennen wir Paris Hilton? Wofür ist die berühmt? Ach ja, sie war in den Abendnachrichten. Irgendwann mal.
Nun, da kann eine Wittgenstein-Preisträgerin wohl einfach nicht mithalten. Sie ist eben nicht so wichtig.
]]>Haben diese Leute etwas zu verbergen? Bis heute ist nicht restlos geklärt, ob Alexander und Alexa von „Hoaxilla“ in die Anschläge vom 11. September verstrickt sind. Ich will hier gar nicht versuchen, eine abschließende Antwort darauf zu geben – aber einige Fragen müssen schon einmal gestellt werden:
Ist es bloß Zufall, dass die beiden ihren Podcast „Hoaxilla“ zuerst in Münster produzierten, wo die al-Quaeda offenbar lange Zeit eher verborgen agierte, dann allerdings nach Hamburg übersiedelten, wo auch Mohamed Atta und seine Mitstreiter gelebt hatten? Warum tragen die beiden diese dunklen Sonnenbrillen? Hat irgendjemand Alexander Hoaxmaster und Osama bin Laden jemals gemeinsam an einem Ort gesehen – oder könnte es sein, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt? Warum produzieren die beiden 2010 einen Podcast über 9/11, verlieren dort aber keinen einzigen Satz darüber, ob sie selbst das Attentat mitgeplant haben?
Obwohl eine Beteiligung der beiden an 9/11 wissenschaftlich nicht erwiesen ist, und ich dieser Behauptung neutral gegenüber stehe, muss ich doch ganz entschieden zu erhöhter Vorsicht im Umgang mit Hoaxilla aufrufen!
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„Ich habe im Garten vier Einhörner!“
„So ein Blödsinn, Einhörner gibt es nicht!“
„Na gut, einigen wir uns auf zwei.“
Diese Taktik der Schein-Objektivität ist sehr beliebt: Man nehme eine abstruse Meinung, stelle sie neben das, was man mit gesundem Verstand annehmen würde, und suggeriere damit, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen muss. Gerne wird das in Fernsehshows so gemacht: Man lädt einen Wunderheiler und einen Arzt ein, einen Quanten-Quacksalber und einen Physiker, einen Verschwörungstheoretiker und einen Historiker, und alle sehen auf dem Bildschirm gleich groß aus. Dem Zuseher wird Wahrheit und Unfug in derselben Dosis gefüttert, damit er ein wohliges Bauchgefühl eines Kompromisses zwischen Fakt und Fiktion bekommt: Da wird wohl schon etwas dran sein – schließlich gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit … jaja.
Feinstofflich zerstörerische Barcodes
Ein besonders schönes Beispiel für so einen Kompromiss-Fehler findet man bei der Firma „Sonnentor“, die höchst nützliche Dinge wie Tees oder Gewürze verkauft. Irgendjemand hat den netten Leuten von „Sonnentor“ offenbar erklärt, dass die Barcodes auf ihren Verpackungen ganz böse Schwingungen hervorrufen können. Dummerweise haben die Striche des Barcodes nämlich eine Antennenwirkung. Sie wird beim Scannen an der Supermarktkassa aktiviert, wodurch sich das Produkt feinenergetisch verändert. Man muss daher den Barcode entstören, dann ist alles gut. Und genau das macht Sonnentor – mit dem braven Hinweis, dass diese Wirkung „wissenschaftlich nicht erwiesen sei“, man die Entstörung aber trotzdem als „besonderes Kundenservice“ durchführe.
Aufgedruckte Striche einer nicht-leitenden Farbe, die als Antenne funktionieren sollen, gute und böse feinstoffliche Energien durch einen völlig willkürlich erstellten Zahlencode – das klingt ziemlich lustig und absurd. Man ist fast versucht, einfach darüber zu lachen und es als Kuriosität abzutun, ähnlich wie die feinstoffliche Symbol-Antennen-Bettwäsche, über die ich kürzlich befragt wurde.
Doch man darf bei solchen Theorien niemals vergessen: Es gibt Leute, die tatsächlich daran glauben. Es gibt Leute, die unter diesem Glauben leiden, die Barcode-bedruckte Produkte nicht mehr zu kaufen wagen, die durch einen starken Nocebo-Effekt tatsächlich körperliche Schmerzen bekommen. Wer solche abstrusen, wissenschaftlich völlig unhaltbaren Theorien propagiert, indem er sie auch nur als möglich hinstellt, hilft mit, dieses Leiden zu verstärken.
Russell’s Teapot
Und natürlich bleibt auch immer noch das Wissenschaftstheoretische Argument: Zwei Meinungen, die beide nicht bewiesen werden können, sind nicht automatisch gleich gut oder gleich wertvoll. Der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell hat das wunderschön mit einem Beispiel illustriert: Wenn jemand behauptet, zwischen Erde und Mars befinde sich eine Porzellan-Teekanne im Orbit um die Sonne, dann lässt sich weder die Existenz noch die Nicht-Existenz dieser Kanne beweisen – wenn wir davon ausgehen, dass sie zu klein ist, um mit einem Teleskop gefunden zu werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Teekanne bei 50% liegt: Die Beweislast liegt bei dem, der seltsame Dinge behauptet – nicht bei dem, der sie anzweifelt.
Sonnentor sollte also mal einen kräftigen Schluck aus Russell’s Teapot nehmen – das macht munter und stärkt den Verstand.
]]>09.05.2013, 15:45
So viele Skeptiker in einem Saal! In Köln hat heute die 22. GWUP-Konferenz begonnen – traditionsgemäß mit einem Publikumstag. Im Gegensatz zum Rest der Konferenz ist dieser erste Halbtag nicht unbedingt für Leute da, die sich schon länger mit Skeptizismus und Wissenschaft beschäftigen, sondern für alle, die mal sehen wollen, was diese Skeptiker eigentlich so tun.
Einige bekannte Namen findet man auf dem Programm für den Publikumstag: Die Hoaxillas erzählen über moderne Legenden, Sebastian Bartoschek fragt sich, ob es spukt, und Mark Benecke hält mit Bernd Harder eine Mystery-Lehrstunde.
So ein Publikumstag ist natürlich eine tolle Sache, um Leute anzusprechen, die sich irgendwann mal auch intensiver mit Skeptizismus beschäftigen wollen und vielleicht sogar neue GWUP-Mitglieder werden. Doch eines ist klar: Wer hier im Saal sitzt, ist allerhöchstwahrscheinlich weder UFO-Verschwörungstheoretiker noch Quantenheiler oder Wünschelrutengeher. Wir werden hier also vermutlich niemanden bekehren.
Man könnte also fragen: Wozu das alles? Warum, ihr Skeptiker, kommt ihr aus allen Teilen des deutschen Sprachraums in Köln zusammen um euch dann gegenseitig Überzeugungen zu erzählen, die ihr ohnehin schon alle teilt? Teilt doch lieber in der Fußgängerzone Flugblätter aus!
Nun, Soziologen könnten darüber wohl mehr erzählen als ich, doch eines ist klar: Jede Community braucht Austausch – und Skeptiker vielleicht ganz besonders. Einige Formen des Aberglaubens sind heute absolut mehrheitsfähig, oft findet man sich als Skeptiker daher in der Situation, interessierten Nicht-Skeptikern bei einer Party erklären zu müssen, dass Globuli nichts mit Kräuterheilkunde zu tun haben, dass es keine wissenschaftlichen Hinweise auf Unterschiede zwischen Vollmondholz und Neumondholz gibt, dass an Chemtrail-Verschwörungstheorien mit Sicherheit nichts dran ist.
Man befindet sich also als Skeptiker oft in einer Außenseitersituation – und das ist auch wichtig, denn genau darum geht es uns: Wir wollen unsere Ideen und die Ergebnisse unserer Untersuchungen und Überlegungen anderen Leuten zur Verfügung stellen. Aber wenn man gewohnt ist, dagegenzureden – gerade dann braucht man ab und zu auch Bestätigung. Und genau dazu sind solche Skeptiker-Treffen da. Ohne sie wäre eine Skeptiker-Community einfach nicht denkbar – auch wenn wir in diesen Tagen hier in Köln ziemlich sicher keine Hardcore-Esos bekehren werden.
09.05.2013, 16:00
Ein heißer Favorit auf das Zitat der Woche:
“Skeptiker sind die Müllmänner der Wissenschaft – wir kramen dort herum, wo andere die Nase rümpfen.”
Rouven Schäfer
(wie ich eben erfahre: Ausspruch mitgeprägt von Martin Mahner)
Trotzdem kann ich mir heute nicht verkneifen, mich dieser Sünde selbst auch einmal schuldig zu machen: Die Tageszeitung der Standard hat mich für seine Online-Ausgabe über Quantenheilung interviewt – und ich denke, das ist eine ganz gute Zusammenfassung meiner Gedanken zu diesem Thema. Daher möchte ich einfach mal diesen Link hier empfehlen:
DerStandard: “Quantenphysik hat nichts mit Quantenheilung zu tun”
Und beim nächsten Blog-Eintrag bin ich dann wieder kreativer. Versprochen!
]]>Ich bin enttäuscht. Seit Jahren engagiere ich mich nun als Skeptiker. Ich bin also Teil einer internationalen Verschwörung, die – wie viele warnende Stimmen im Internet immer wieder betonen – von mächtigen, dunklen Lobbys finanziert wird. Allerdings habe ich seltsamerweise noch immer kein Geld bekommen. Langsam reicht’s.
Das inhaltliche Programm der Skeptiker ist ja bekannt: Sie erklären beispielsweise alternativmedizinische Methoden für unwirksam, nur weil sie sich nicht durch Zahlen und Fakten belegen lassen. Dabei weiß man doch, dass Zahlen und Fakten mit der Wissenschaft in engem Kontakt stehen und daher in einem Streit zwischen Alternativmedizin und Wissenschaft sicher nicht als unparteiische Schiedsrichter gelten können.
Daraus folgern viele aufmerksame Beobachter: Hinter den Skeptikern steht die mächtige Pharmalobby. Genauso werden die Skeptiker auch von der Chemie- und Waffenlobby bezahlt, um die Chemtrail-Verschwörung unter Verschluss zu halten (die Regierungen vergiften uns mit neuro-manipulativen Substanzen, die von Flugzeugen versprüht werden), sie werden von der Erdöllobby bezahlt, um zu verschleiern, dass das Perpetuum Mobile längst erfunden ist (und uns alle mittels kosmischer Energie eigentlich mit gratis-Strom versorgen könnte). Und die Atomlobby hat genauso wie die Gentechnik-Lobby ohnehin überall ihre Finger mit drin.
An finanzkräftigen Partnern fehlt es also nicht. Nachdem man gegen diese Lobbys ja ohnehin machtlos ist, hielt ich es für sinnvoll, sich ihnen anzuschließen, um wenigstens finanziell zu profitieren, doch das erstaunlich schwierig.
Seit Jahren komme ich im dunklen verschwörerischen Umhang zu den Skeptikertreffen, in der Hoffnung endlich eingeführt zu werden in den Kreis der Weltenherrscher, die Geld und Macht an sich gerissen haben. Doch die anderen kommen in schlichter Straßenkleidung und schütteln nur den Kopf: Offenbar bin ich noch nicht so weit, ich werde hier nicht ernst genommen.
Stunden meiner Freizeit verbringe ich damit, möglichst unauffällig in den Foyers großer Firmenzentralen herumzulungern, in der brennenden Erwartung, endlich mal angesprochen zu werden – vergeblich! Doch wenn ich in irgendwelchen Online-Foren meine Meinung poste, dauert es keine zehn Minuten, bis irgendjemand anderer mir unterstellt, von Lobbys gekauft worden zu sein. Kann sich jemand vorstellen, wie entwürdigend das ist? Fast so als würde man als fundamentalistischer Terrorist beschimpft, obwohl man jedes Mal bei der Terrorcamp-Aufnahmeprüfung durchgefallen ist.
Gestern allerdings hatte ich endlich mal Glück: Spätnachts auf dem Weg nach Hause fiel mir eine dunkle Gestalt auf, die sich offensichtlich für mich interessierte. Ich änderte ganz bewusst meinen Weg, bog von der Hauptstraße in düstere Nebengassen ab und stellte voller Freude fest, dass mir die Person folgte. Pharmalobby? Chemiekonzern? Atomenergie? So aus den Augenwinkeln war es schwer einzuschätzen, mit wem ich hier die Ehre hatte.
Als wir dann in einem Hinterhof sicher sein konnten, nicht beobachtet zu werden, sprach ich meinen neuen Partner schließlich an. Es handelte sich um einen sympathischen jungen Herren in einer Kapuzenjacke. Er zeigte mir zunächst wortlos sein Klappmesser – ich vermute, dabei handelt es sich um ein Erkennungszeichen in der Lobbyismus-Community, leider hatte ich selbst keines dabei. Ich versuchte gleich vorsichtig auszuloten, wie ich denn nun endlich zu meinem Geld kommen könne – doch zu meiner Überraschung machte er mir in recht eindeutigen Worten klar, dass es ihm lieber wäre, zunächst mal mein Geld an sich zu nehmen.
Eigentlich ist das ja verständlich: Schließlich hat so eine Lobby auch große Verwaltungsausgaben, da kann man sich zu Beginn schon mal ein bisschen beteiligen. Ich gab dem Lobby-Vertreter also mal als Vorschuss mein Bargeld – vermutlich bekomme ich dafür demnächst auch Lobbyisten-Equipment zugestellt. Ich selbst bin zwar in nächster Zeit nicht zu Hause, aber ich habe dem netten Kollegen meine Visitenkarte gegeben und ihm angekündigt, meinen Wohnungsschlüssel unter der Fußmatte zu deponieren. Ich bin schon gespannt, was da jetzt alles auf mich zukommt!
]]>Eigentlich wäre so ein Artikel ja keinen Kommentar wert, vor allem nachdem er schon ein paar Tage alt ist. Weil er aber gerade so wunderschön zur derzeit ausgebrochenen Woche der Homöopathie ist, die von der GWUP Wien ja schon mit einem kollektiven homöopathischen Selbstmordversuch eingeläutet wurde, kann ich mir ein paar Zeilen dazu nicht verkneifen.
Schon die Überschrift des Zeitungsartikels sagt uns alles: „Krebs: Homöopathie steigert Lebensqualität“. Aha. Mit Kleinigkeiten geben wir uns diesmal also nicht ab. Keine Tropfen für den Goldfisch mit verstauchter Schwanzflosse, keine Hausmittelchen gegen unspezifische Bauchschmerzen. Es geht um Krebs, die meinen es also ernst. Der Untertitel erklärt: Es handelt sich um eine „unveröffentlichte Studie“. Das spricht erstens für die Zeitung – die ist ganz nah am Puls der Wissenschaft, sodass sie nicht einmal die Veröffentlichung einer Studie abwarten muss, und zweitens ist das vermutlich ein Hinweis auf die Pharma-Mafia, die solche Studien natürlich mit allermächtigster Gewalt unterdrückt und die Publikation mit abartigen Forderungen zu behindern versucht. Mit der Forderung nach Wissenschaftlichkeit etwa, oder ähnlich altmodischen Ideen.
Es ist nämlich so: Wenn Krebspatienten zusätzlich zur Schulmedizin (die ja, wie wir wissen, böse ist, Nebenwirkungen verursacht und oft sogar Chemie enthält) noch homöopathische Zusatzbehandlung bekommen, dann bewerten sie ihr persönliches Wohlbefinden besser. Das hat nicht einfach bloß irgendjemand herausgefunden, sondern Österreichs hochgeschätzter Oberhömopath Prof. Frass vom AKH Wien.
Neben der schulmedizinisch und homöopathisch behandelten Gruppe gab es noch eine Kontrollgruppe, die ausschließlich schulmedizinisch behandelt wurde. Diese Patienten mussten sich ihren Zucker also vom Schokoriegel-Automaten holen und bekamen ihn nicht ans Bett gebracht. Wie gemein!
Von Verblindung, Doppelverblindung oder Randomisierung der Studie, wie man das in spießigen Wissenschafts-Methodik-Büchern liest, kann zwar keine Rede sein, aber wie sagte schon der große Masaru Emoto: Warum sollen wir Doppelblind-Studien machen, wenn uns der liebe Gott zwei Augen geschenkt hat um zu sehen? Wahrlich, ich sage euch: Wer Nasen hat zu fühlen, der höre: Eher geht ein Kamel durchs Nadelör als ein Wirkstoffmolekül in die Globuli … ach nein, das ging im Original irgendwie anders.
Man bekommt also eine homöopathische Zusatzbehandlung und fühlt sich dadurch besser. Die Schmerzen wurden, nach Angaben der Patienten sogar um ein Fünftel geringer! Das ist eine objektive Tatsache, schließlich wurde der Schmerz-Level mit einem innovativen, präzise reproduzierbaren Messverfahren erhoben, das „Fragebogen“ genannt wird. (Ich glaube, das steht für „Fourier-Reihen-Analyse-gestützter, energetischer Bio-Observablen Generator“.)
Diese Wirkung kommt daher, dass, wie berichtet wird, „die Homöopathie dem Körper eine Information gebe, damit er seine frühere, durch die Erkrankung teilweise verloren gegangene Kontrollfunktion wieder übernehmen kann”. Das finde ich besonders faszinierend, weil man genau diesen Wohlfühl-Effekt ja eigentlich auch aus anderen Lebensbereichen kennt: Jemand stellt Blumen auf den Restauranttisch, und die Leute fühlen sich besser, obwohl sie dasselbe essen wie die Kontrollgruppe. Wenn mir der Gebrauchtwagenhändler auf die Schulter klopft und versichert, er habe noch einmal drei Prozent nachgelassen, weil ich ihm so sympathisch bin, dann halte ich meinen Kauf für einen besseren Deal, auch wenn ich genau den Preis bezahle, den jeder andere auch bezahlt. Bisher dachte ich, das habe mit Psychologie zu tun, aber nun weiß ich: Es handelt sich um zugeführte Information, die man in Kügelchen packen kann! Wer sich also ein Auto kaufen möchte, sollte den Händler vorher mit Zucker füttern, ab einer gewissen Hochpotenz ist das Auto dann vermutlich gratis? Oder muss ich selbst Zucker essen, und das Auto fühlt sich subjektiv gratis an?
Dass Frass ein grandioser Wissenschaftler ist, wird dadurch ersichtlich, dass er sich auch mit eventuellen Einwänden gegen seine Theorie eingehend beschäftigt: Wäre es denkbar, dass der Effekt nicht durch die Kügelchen zustande kommt, sondern durch die zusätzliche Zuwendung, die diese Patienten erfahren? „Wir können diesen Faktor nicht ganz ausschließen“, erklärt Frass. „Allerdings haben die behandelnden Homöopathen insgesamt nur eineinhalb Stunden persönlich mit den Patienten verbracht. Diese zusätzliche soziale Zuwendung war also auf die Gesamtdauer der Krebstherapien gesehen nicht sehr intensiv.” Na da haben wir’s! Damit ist das Argument vom Tisch geblasen! Nur ein großer Zeitaufwand könnte nämlich große Wirkungen haben. Die Quantität macht’s aus – das ist schließlich der fundamentale Grundsatz der Homöopathie, nicht wahr?
Der Schlussabsatz konfrontiert uns noch einmal mit der grausamen Realität, in der Homöopathen, nach wie vor ignoriert vom Nobelpreiskomitee, ihr Dasein fristen müssen: „Eine Placebo-Gruppe hat es aus finanziellen Gründen nicht gegeben.“ Das ist natürlich bitter. Es würde mich nicht überraschen, wenn daran mindestens die Freimaurer oder die Illuminaten ihre Finger mit im Spiel hätten. Ein Tipp für die Homöopathie-Forschung: Wenn man ein Konto, auf dem nur ein Cent eingezahlt ist, auf viele Konten aufteilt, den Bankangestellten kräftig schüttelt, ihn auffordert, eines dieser Konten wieder auf viele Leute aufzuteilen und diesen Vorgang mindestens dreiundzwanzig mal wiederholt, dann bekommt man irgendwann von einem in Tränen aufgelösten Bankbeamten ganz viel Geld. Oder aber die Polizei kommt. Die hat für solche finanzhomöopathischen Potenzierungen nämlich rein gar nichts übrig, dieser Skeptiker-Verein der natürlichen Hochpotenz-Finanz-Verfahren. Ärgerlich!
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]]>Wirksam oder bloß teuer?
Besonders deutlich wird das im Gesundheitsbereich: Ein einigermaßen naturwissenschaftlich gefestigtes Weltbild ist eine Menge Geld wert, wenn man zwischen sinnvollen Therapievorschlägen und überteuerten Eso-Heilversprechen unterscheiden muss. Wer sich vom persönlichen Wunderheiler mal ein paar Monate lang die Aura massieren lässt, bevor er bemerkt, dass an der vom Arzt empfohlenen Operation doch kein Weg vorbeiführt, der hat schnell mal tausende Euro verspielt. Wer im Wellness-Hotel die ganz gewöhnliche Massage bucht und auf die Quanten-Duft-Klangschalen-Therapie verzichtet, hat mehr davon und zahlt weniger.
Aber den rational-sinnvollen Grundsatz „zahle nicht für Dinge, die dir nichts bringen“ kann man auch auf ganz alltägliche Einkäufe anwenden. Würde ich im Blindtest wirklich den Unterschied zwischen dem billigeren und dem teureren Wein schmecken? Und wenn ja: ist dieser Unterschied im Geschmackserlebnis wirklich so groß, dass ich dafür sieben Euro Differenz zu zahlen bereit bin (die ich sonst höchst gewinnbringend in Schokolade investieren könnte)? Klingt die tolle Stereoanlage mit den Goldsteckern wirklich besser als die billigere – oder bilde ich mir den Unterschied in Wirklichkeit nur ein? Ist das teurere Handy tatsächlich nötig, oder bietet es bloß Zusatzfunktionen, die ich gar nicht verwenden werde?
Die Selbstbetrugs-Falle
Klar: Niemand wird sich die Mühe machen, ganze Supermarkt-Sortimente im Blindtest zu untersuchen um dann wissenschaftlich exakt einkaufen zu können. Aber wenn man ehrlich zu sich selbst ist, kann man schon ganz gut erkennen, in welchen Punkten das eigene Verhalten irrational wird.
Ich selbst tendiere dazu, für Nahrungsmittel viel Geld auszugeben. Aber würde ich beim Lasagne-Blindverkosten erkennen, ob die teurere Parmesansorte und die tollen frischen Bio-Tomaten verwendet wurden? Bei anderen Ausgaben tappe ich noch leichter in die Selbstbetrugs-Falle: Ich lese das Preisschild auf einem Klavier, und je teurer es ist umso überzeugter bin ich vom Klang der Bässe. Ich suche nach einer neuen Kaffeemaschine – sollte ich nicht doch die mit der tollen Aroma-Porentechnologie nehmen, auch wenn ich keine Ahnung habe, was das eigentlich bedeutet? Und von Kopfhörern habe ich überhaupt keine Ahnung – also greife ich sicherheitshalber nach einem etwas teureren Modell, man will ja Qualität kaufen. Dass ich aber nur den Preis als Indiz für die Qualität verwende, ohne über die Qualität in Wirklichkeit irgendetwas Verlässliches zu wissen, übersehe ich dabei leicht.
Dann lieber GWUP-Mitglied werden!
Das eigene Einkaufsverhalten mit skeptischem Blick zu verfolgen lehrt jedenfalls zwei Dinge. Erstens: Wir handeln oft weit nicht so rational, wie wir uns das selbst gern einreden. Zweitens: Wenn wir versuchen, das zu ändern, können wir eine Menge Geld sparen. Und dieses Geld kann man dann in andere tolle Dinge investieren: Etwa in schlaue Bücher oder in eine GWUP-Mitgliedschaft. Die kostet 90 Euro pro Jahr (für Studierende €40) – zwei Stunden kosmische Lichtmassage, sechs Liter belebtes Wasser oder ein paar Fläschchen Bachblütenessenz kosten mehr – sind aber gesellschaftlich bedeutend weniger nützlich.
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]]>Hier der Link zur Sendung – leider nur wenige Tage lang abrufbar
Nachdem das Fernsehprogramm glücklicherweise fast immer ohne schädliche Interaktion an mir vorübergeht, habe ich in diesem Bereich ernste Bildungslücken. Ziemlich unbekannt war mir bisher etwa die bedeutende kulturhistorische Errungenschaft der täglichen Talkshows: Mehreren seltsamen Leuten werden eigenartig pudrige Substanzen aufs Gesicht aufgetragen, damit sie unter den Studioscheinwerfern nicht glänzen, dann sagen sie vor laufender Kamera Dinge, über die man sich als Zuseher meist mächtig schämen muss, obwohl man selbst überhaupt nichts dafür kann.
Wie auch immer: Ganz ohne jeden Zweifel ist es selbstverständlich eine der weltallerhöchsten Ehrungen, für würdig befunden zu werden, in einer solchen Sendung auftreten zu dürfen. Und so begab es sich im November, dass eine Abgesandte des ORF, des allerhöchstbeliebtesten Fernsehsenders der Alpenrepublik an mich herantrat und mich fragte, ob ich nicht bei Barbara Karlich erscheinen würde, bei der Talk-Königin Wiens, bei der Oprah von Liesing.
In der Sendung, so wurde mir verkündet, werde es um Quantenheilungs-Zauberei gehen, um Astrologie, Hellsehen und ähnliche schöne Sachen. Als Quantenphysiker und Skeptiker bin ich da quasi der natürliche Feind. Der Wolf in der Schafherde. Oder das Schaf im Wolfsrudel? Das lässt sich nur experimentell überprüfen, so entschloss ich mich also, das Angebot anzunehmen und mich auf eine Talkshow-Bühne zu begeben.
Sterne, Wunder, Quantenzauber
Sechs Talkshowgäste waren wir, die nacheinander auf die Bühne geholt wurden. Den Beginn machte eine freundliche Dame, die keine Entscheidung trifft, ohne ihre Astrologin zu konsultieren. Die nächste Teilnehmerin war eigentlich als kritische Stimme angekündigt, die von Astrologie nichts hält. Ich stehe hinter der Bühne, verfolge das Gespräch und muss zu meinem Erstaunen miterleben, wie sich diese Stimme der Vernunft als praktizierende Energethikerin entpuppt. Und auch das ist noch nicht genug: Es folgt eine weitere freundliche Dame, diesmal wird für Kartenlegen geworben.
Jetzt, nach den ersten drei Studiogästen, ist der Geschwurbelfaktor schon bedenklich auf gut dreihundert Milli-Däniken angestiegen, und ich muss die Bühne betreten. Wie verhält man sich da? Good cop oder bad cop? Mein Vorsatz für diesen Auftritt: So freundlich wie möglich. Fernsehzuseher, die verärgert das Gerät abschalten, kann man nicht überzeugen. Also lächle ich höflich, sage fast keine gemeinen Dinge, hebe den Nutzen des gesprächstherapeutischen Teils der Esoterikschwurbler hervor und greife sie nur dort an, wo sie dem wissenschaftlichen Verstand tatsächlich im Weg stehen.
Hurra, ich werde Quanten-energetisiert
Nach mir kommt der Star des Tages: Ein Quanten-Heiler. Mit Quanten-Matrix. Zwar habe ich meine Dissertations-Forschungsjahre damit verbracht, quantenphysikalische Hamilton-Matrizen zu diagonalisieren, doch was dieser nette Herr mit „Quanten-Matrix“ meint, will sich mir trotzdem nicht ganz erschließen. Durch hochquantenenergetisches Händeherumwedeln kann er einerseits sämtliche elektrischen Geräte reparieren, und zwar immer, ausnahmslos, und andererseits alle Krankheiten heilen. Ehrlich jetzt! Ganz wirklich. In Russland kann man damit sogar schon Zähne nachwachsen lassen. Dummerweise wird die Quantenmatrixtechnologie in den westlichen Ländern unterdrückt. Das ist jammerschade, denn ich habe gerade eine kaputte Leuchtstoffröhre in der Küche, und hätte sie gerne fernreparieren lassen.
Ich atme tief durch und erzähle von James Randis Million-Dollar Challenge. Ich erkläre dem Herren, wenn er seine Aussagen tatsächlich unter kontrollierten Bedingungen demonstrieren kann, bekommt er sofort die Million. Ich versuche, die Unwissenschaftlichkeit der Sache klarzumachen, es gelingt mir nicht wirklich. Schließlich werde ich aufgefordert, mich auf der Bühne quantenenergetisieren zu lassen. Plötzlich stehe ich zwischen einem ganzen Rudel von Fernsehkameras, mit geschlossenen Augen, und werde von Quantenmatrixheilerhänden umwedelt. Die Absurdität dieser Aktion ist im Studio deutlich beeindruckender als in der gekürzten Aufzeichnung – mit minutenlangem stillen Händeherumwedeln ist schließlich nicht einmal im Nachmittagsprogramm Quote zu erzielen. Der Quantenheilungsversuch wird also beendet – auch wenn von vornherein nie klar war, wer jetzt eigentlich wovon hätte geheilt werden sollen.
Nach der Quantenheilung folgt noch eine Hellseherin, und am Ende kommt noch ein im Publikum sitzender Skeptiker und Psychologe zu Wort, der unbehelligt von den seltsamen Menschen rund um mich ziemlich viele ziemlich kluge Sachen sagt. Ich könnte ihn umarmen, aber das würde vor der Kamera kein gutes Bild machen.
Würde ich’s wieder tun? Aber sicher.
Bin ich mit der Sendung zufrieden? Naja, ich habe das zum ersten Mal gemacht, es hätte besser klappen können. Ich war vielleicht etwas zu weich und unangriffig. Soll man als Skeptiker bei solchen Sendungen mitmachen? Ich denke schon. Natürlich ist es immer ein Gratwanderung: Wenn man als Stimme der Wissenschaft an solchen Diskussionen teilnimmt, wertet man die Gesprächspartner in gewissem Sinn auf. Wenn diese Eso-Schwurbeleien im Fernsehen diskutiert werden, in Anwesenheit eines Quanten-Physikers, dann können sie doch nicht so ganz falsch sein, oder? – Das ist das klassische Massenmedien-Problem der Wissenschaftskommunikation. Andererseits: Wäre ich nicht hingegangen, hätte es vielleicht nicht einmal eindeutigen Widerspruch zu den Eso-Wunderbehauptungen gegeben. So haben ein oder zweihunderttausend österreichische Nachmittagsfernsehseher zumindest mal den Namen James Randi gehört. Das ist doch immerhin schon mal etwas.
PS: Um den großen Cliffhanger der Fernsehsendung aufzulösen:
Nein, die Leuchstoffröhre in meiner Küche ging nach der Sendung noch immer nicht. Trotz aller positiven Quantenschwingungen. Jammerschade!
Die Weihnachtswunschlisten sind geschrieben, die Weihnachtsbäume eingekauft, die Weihnachtspunsch-Stände haben Hochsaison. Wir feiern in wenigen Tagen das zweifellos populärste Fest in unserem Kulturkreis, und das ist gut so.
Manchmal habe ich den Eindruck, in manchen Kreisen gehört es fast zum guten Ton, Weihnachten doof zu finden. Klar – Jammern über den verfrühten Start der Weihnachtssaison in den Supermärkten, Spott über Kommerz und Ärger über Kitsch gehören wohl mittlerweile genauso zum Weihnachtsfest wie Zimtsterne und Tannenzweige. Darf jemand, der naturwissenschaftlich denkt, der sein Leben rational und frei von Aberglauben lebt, der vielleicht mit Religionen nicht wirklich etwas anfangen kann, Weihnachten überhaupt aus tiefstem Herzen feiern? Aber sicher! Vielleicht muss er sogar.
Wir Menschen sind einfach so gebaut, dass wir Rituale und Traditionen brauchen. Sie gehören zu unserem Leben wie atmen, essen und schlafen. Dass wir viele unserer Rituale nach astronomischen Gegebenheiten ausrichten und sie im wiederkehrenden Jahrestakt feiern, ist nicht überraschend, und dass wir im Winter, wenn die Nächte am längsten und die Tage am kältesten sind, das Bedürfnis haben, ein Lichterfest zu feiern, ist weder eine besonders exotische noch eine religiös oder philosophisch besonders tiefsinnige Idee – es ist einfach etwas zutiefst Menschliches. Die Natur macht Pause, und uns tut das auch mal gut, damit der Kopf danach wieder frei für frisches Frühlingsgrün werden kann.
Und was hat das Ganze nun eigentlich mit Religion zu tun? Über Religiöses will ich mich gar nicht zu sehr ausbreiten, das soll jeder halten wie er will. Nur soviel: Das Christentum war eigentlich immer erstaunlich unkreativ im Erfinden neuer Feste. Weihnachten wurde (genau wie Ostern) von anderen Religionen übernommen (man könnte auch sagen: geklaut), es ist viel älter als das Christentum. Sollte das Christentum irgendwann mal an Bedeutung verlieren, wird das Weihnachtsfest (vielleicht unter gewandeltem Namen) nach wie vor weiterbestehen.
Die christlich-traditionelle Weihnachtsgeschichte ist aber sicher mitverantwortlich dafür, dass Weihnachten zum großen Fest der Familie geworden ist: Ein junges Paar, ohne Geld, weit weg von daheim, bekommt das erste Kind. Weit und breit haben sie keine Oma zum babysitten, Kindergeld gibts auch keins, aber trotzdem freuen sie sich so sehr über den Kleinen, dass sie Sterne sehen und die Engel singen hören. Eine lebensbejahendere Familienlegende kann man kaum erfinden.
Eines muss jedenfalls jeder zugeben, auch wenn er mit dem Christentum nichts zu tun hat: Am 25. Dezember wurde vor langer Zeit ein ganz besonderer Mensch geboren, der unsere Sichtweise auf die Welt grundlegend verändert hat, dessen revolutionäre Gedanken noch heute gelehrt, bewundert und weiterverbreitet werden: Der große britische Physiker Isaac Newton. Wer weder für Sonnenwenden noch für Familienfeiern etwas übrig hat, kann ja Newtons Geburtstag zelebrieren. Bratäpfel würden sich anbieten.
Ein warmes, ruhiges Lichterfest mitten im Winter ist mehr als eine religiöse Tradition, es ist fast eine menschliche Notwendigkeit. Weihnachten ist toll. Wer darin eine tiefe religiöse Bedeutung sieht, soll sich darüber freuen. Wer sie nicht sieht, feiert eben auf seine Weise ein wunderschönes Fest der Ruhe, der Kinder, der Familie, ein Fest der Freude darüber, dass die Tage wieder länger werden, ein Fest mit Weihnachtspunsch und Schokokeksen. Und daran kann doch ganz sicher nichts falsch sein.
]]>Meine Wohnung hat eine Heizung, die auf mysteriöse Weise aus längst vergangenen Epochen ins einundzwanzigste Jahrhundert geraten ist. Sie wird zentral für das ganze Haus gesteuert, ich kann nur meine Heizkörper an- und ausschalten und mich so zwischen tropischen und arktischen Temperaturen entscheiden, Kompromisse dazwischen sind ähnlich schwer herzustellen wie Friedensgespräche im nahen Osten.
Damit hängt wohl auch zusammen, dass die Heizung seltsame Geräusche macht, so lange sie an ist. Es ist ein sanftes Rauschen, an das man sich schnell gewöhnt. Wenn sich die zentrale Heizungsanlage ausschaltet, dann verschwindet auch das Geräusch.
Das Interessante daran ist, dass man damit sein eigenes Bewusstsein ein bisschen beobachten kann: Wenn das Geräusch beginnt, fällt das natürlich auf. Nach kurzer Zeit verschwindet es aus dem Bewusstsein – doch wenn es plötzlich endet, bemerken wir das wiederum sofort. Änderungen sind für unser Gehirn wichtig, gleichbleibende Zustände sind egal und können getrost ausgeblendet werden.
Die Wahrnehmung von Abwesenheit und die Abwesenheit von Wahrnehmung
Jedes Mal, wenn das Geräusch verschwindet, habe ich allerdings das ganz eindeutige Gefühl, das Ende hätte sich irgendwie abgezeichnet – nur kann ich nicht genau benennen, wodurch. Wird das Zischen vielleicht ein bisschen leiser, bevor es dann ganz verschwindet? Oder lauter? Ändert sich seine spektrale Zusammensetzung auf eine subtile Weise, die mir verrät, dass es in einigen Sekunden verschwinden wird? Oder ist das alles nur Einbildung?
Nachdem ich mir einige Wochen ehrliche Mühe gegeben hatte, diesem Problem auf die Spur zu kommen, beschloss ich, beim nächsten Mal zu klatschen, wenn ich das Gefühl habe, das Heizungsrauschen werde gleich verschwinden – und zwar bevor es weg ist. Erstaunlicherweise gelang mit das aber kein einziges Mal. Immer habe ich das Gefühl, schon vorher gewusst zu haben, dass das Geräusch verschwinden wird – doch geklatscht habe ich nie. Das ist verwirrend, denn auf ein bestimmtes unvorhergesehenes Signal hin zu klatschen wäre normalerweise kein Problem. Offenbar ist das Wissen über das baldige Ende des Geräuschs eine bloße Einbildung. Es schon vorher gewusst zu haben ist eine Vorstellung, die vermutlich erst mit Ende des Geräuschs entsteht. Ich bemerke, dass das Geräusch verschwunden ist. Mein Gehirn registriert das, weil es den momentanen Lärmpegel mit dem von vor ein paar Sekunden vergleicht, und irgendwie entsteht dabei ein falsches zeitliches Bild der eigenen Wahrnehmung. Das erinnert ein bisschen an optische Täuschungen, bei denen uns auch unser eigenes Hirn einen Streich spielt.
Ich bin ja schlau, aber mein Hirn ist ein Trottel!
Unser Bewusstsein ist die Geschichte, die wir uns selbst über unser eigenes Denken erzählen. Diese Geschichte muss aber nicht wahr sein. Ich finde das äußerst faszinierend – denn woran sollen wir uns denn orientieren, wenn nicht an unseren eigenen Wahrnehmungen? Es ist möglich, unsere Wahrnehmungen systematisch zu testen und zu Ergebnissen zu kommen, die uns an unseren Wahrnehmungen zweifeln lassen. Aber machen wir uns keine Illusionen: In den vielen Fällen werden wir getäuscht ohne es jemals auch nur zu vermuten. Damit müssen wir uns wohl abfinden. Unser Hirn ist ein wirklich tolles Organ, aber es macht manchmal ziemlich seltsame Dinge. Gut so – sonst wär’s ja auch langweilig. Klar ist: Wir sollten nicht alles unhinterfragt glauben – nicht mal unserem eigenen Gehirn.
Wer sich für die Verwunderlichkeiten rund um das menschliche Bewusstsein interessiert und spannende Experimente dazu kennenlernen möchte, dem sei das Buch „Consciousness – A Very Short Introduction“ von Susan Blackmore empfohlen. (Blackmore wurde vor allem auch durch „The Meme Machine“ bekannt, in dem sie die Memetik-Ideen von Dawkins aufgreift, entwickelt und erweitert.) Auch Daniel Dennett (“Consciousness Explained”) schreibt sehr gut und erhellend über dieses Thema. (Danke, Martin, für diesen Zusatz.)
Haben Sie manchmal das Gefühl, Sie hätten Ihre berufliche Position gar nicht wirklich verdient? Denken Sie manchmal, Ihre Erfolge seien eher das Produkt von Glück und Zufall, und nicht von echten eigenen Errungenschaften? Haben Sie insgeheim vielleicht sogar Angst, irgendjemand könnte Sie eines Tages auffliegen lassen, irgendjemand könnte aufdecken, dass Ihre Leistung den hohen Ansprüchen nicht genügt, irgendjemand könnte Sie als Hochstapler entlarven?
Weitverbreitetes Impostor-Syndrom
Wer dieses Gefühl kennt, leidet möglicherweise am sogenannten „Impostor-Syndrom“ – und ist damit nicht alleine. Der Ausdruck bezieht sich auf Personen, die zwar objektiv betrachtet kompetent und erfolgreich sind, die aber trotzdem ihre eigene Leistung als minderwertig betrachten und Angst haben, ihre fachliche Unzulänglichkeit könnte aufgedeckt werden. Eine Studie untersuchte nun das Impostor-Syndrom in der akademischen Welt: Über 600 österreichische Doktorats-Studierende wurden befragt. Das Impostor-Syndrom stellt sich als beängstigend weitverbreitet heraus. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer – das könnte, so meinen die Studienautoren, ein Grund dafür sein, dass Frauen bei akademischen Karrieren noch immer in der Minderheit sind.
In der Studie wurde anhand von Fragebögen zwischen vier Stufen des Impostor-Syndroms unterschieden: Kein Impostor-Syndrom (17.1% der Befragten), geringer Level (49,1%), moderater Level (29,2%) und hoher Level (4,8%) des Impostor-Syndroms. Je höher der Level, umso höher war der Frauenanteil: In der Gruppe mit hohem Impostor-Syndrom-Level waren fast nur noch Frauen vertreten (über 90%).
Je länger ich darüber nachdenke, umso weniger überraschend klingt das für mich. Ich kenne viele Leute, die eine Dissertation geschrieben haben oder gerade daran arbeiten. Ich weiß nicht, wie sie bei diesem Test abgeschnitten hätten, oder in welcher Gruppe ich in meiner Dissertations-Zeit einzuordnen gewesen wäre – aber meine persönliche Erfahrungswelt scheint mit den wissenschaftlichen Erhebungen gut zusammenzupassen: Selbstzweifel-Gefühle, wie sie hier beschrieben werden, dürften wirklich weit verbreitet sein. Warum ist dieses Problem aber gerade an Universitäten, unter Doktoratsstudierenden so schwerwiegend? Ich denke, das liegt an unserer akademischen Kultur.
Forscher als geniale Über-Wesen?
Wissenschaft ist Knochenarbeit, die manchmal Erfolg bringt und manchmal eben nicht. Trotzdem gibt es so etwas die den Mythos des genialen überstrahlenden Gelehrten, der alles weiß und alles kann, der Tag und Nacht arbeitet und weder Pausen braucht noch unkreative Phasen kennt. Solche mythischen Wesen sind ungefähr so real wie das Loch-Ness-Monster oder das grüne Männchen vom Mars – aber solche Bilder setzen sich nun mal in den Köpfen fest. Wenn man sich mit übernatürlichen Phantasiefiguren vergleicht, kann man nur verlieren – und das Selbstvertrauen schwindet.
Versteckte Schattenseiten
Nach außen werden in der Wissenschaft die Erfolge getragen – was nicht geklappt hat, verschwindet in den Schubladen. Bei der wissenschaftlichen Konferenz werden möglichst spektakuläre Messergebnisse präsentiert. Dass das andere Gerät kaputtgegangen ist, und auch nach Monaten des verzweifelten Justierens nicht wieder zum Leben erweckt werden konnte, soll nach Möglichkeit niemand erfahren. Über die Ergebnisse, die nur so halb zur tollen neuen Theorie passen, erzählt man vorerst noch nichts, und von dem Rechenergebnis von letzter Woche, das vollkommen abstruse Ergebnisse geliefert hat, darf sicherheitshalber nicht einmal der eigene Professor hören, vielleicht war es ja nur ein dummer kleiner Fehler. In einem solchen Umfeld ist es ganz logisch, dass man von anderen Leuten immer nur die Glanztaten mitbekommt, bei der eigenen Arbeit aber auch die Fehler, die Misserfolge, die unerledigten Versuche sieht.
Wissenschaft ist Teamsport
Ein Problem ist auch, dass Wissenschaft heute fast zwangsläufig im Team produziert wird. Viele Forschungsgebiete sind einfach zu kompliziert, als dass ein einzelner Mensch alleine maßgebliche Leistungen bringen könnte. In guten Forschungsgruppen arbeiten mehrere Dissertanten gleichzeitig an ähnlichen Themen, liefern sich gegenseitig Daten, entwickeln gemeinsam Theorien. Wer von ihnen darf sich nun den Erfolg auf die Fahnen heften? Wenn man nur ein Mitspieler in einem großen Team ist, dann kann man leicht den Fehler machen, den eigenen Beitrag für nebensächlich zu halten. Klar – man steht als Autor auf wissenschaftlichen Publikationen, hier und dort vielleicht sogar als Erstautor, aber war das denn wirklich der eigene Verdienst? Hätte die Gruppe das nicht ähnlich gut hinbekommen, wenn man nicht selbst daran mitgearbeitet hätte, sondern jemand andere hier am Labortisch sitzen würde?
Die Antwort ist vermutlich: Ja. Vermutlich hätte das auch jemand anderer geschafft. In der Wissenschaft ist niemand unersetzbar. Aber das gilt natürlich für alle anderen genauso – das ist kein Grund, auf gemeinsame Leistungen nicht stolz zu sein. Ein Fußballspieler, der den WM-Pokal in die Höhe stemmt, wird wohl kaum zweifeln, in zu Recht in den Händen zu halten – auch wenn er nicht das entscheidende Final-Tor geschossen hat. Warum soll das in der Wissenschaft anders sein?
Auch über Misserfolge darf man reden
Vielleicht brauchen wir eine gesündere Kultur des Umgangs mit Misserfolgen. Wenn man zu sehen beginnt, dass bei anderen Wissenschaftlern auch nicht immer die Sonne scheint, dann nimmt man vielleicht die eigenen Rückschläge nicht mehr so tragisch. Ich sage nicht, dass Wissenschaftler eine Bande von Jammerern werden sollten, die sich gegenseitig ständig über ihre gescheiterten Versuche erzählen – aber eine gesunde Offenheit bezüglich der ganz normalen eigenen Unsicherheiten wäre vielleicht ein Fortschritt.
Möglicherweise ist die Studie über das Impostor-Phänomen selbst schon ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn man sieht, wie weit verbreitet solche Gedanken in der Wissenschaft sind, könnte das hier und dort vielleicht schon helfen, die eigene Unsicherheit zu besiegen.
Originalpaper: „When Will They Blow My Cover?“
G. Jöstl et. al., Zeitschrift für Psychologie/Journal of Psychology, Vol 220(2), 2012, 109-120. doi: 10.1027/2151-2604/a000102
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]]>Eine Replik auf Bettina Reiters Kommentar in der Tageszeitung “der Standard” vom 27./28. Oktober 2012.
Der diesjährige Preisträger Harald Walach war leider verhindert, schickte allerdings seine Kollegin Bettina Reiter, um das Goldene Brett entgegenzunehmen. Im Standard vom 27. Oktober rechnet sie in scharfen Worten mit ihren Kritikern ab. Leider scheint sie noch immer nicht verstanden zu haben, warum Walach und seine Esoterik-affinen Mitstreiter von wissenschaftlichen denkenden Skeptikern abgelehnt werden.
Hellseherei an einer Universität?
Prof. Harald Walach hält eine Stiftungsprofessur an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Schon 2010 erweckte sein Studiengang „Komplementäre Medizin – Kulturwissenschaften – Heilkunde“ Aufsehen. Durch ihn hielten esoterische Lehren in eine Universität Einzug, die doch eigentlich saubere, evidenzbasierte Wissenschaft vermitteln sollte. Mit einer Masterarbeit über den „Kozyrev-Spiegel“, einem Gerät, das angeblich Hellseherei ermöglichen soll, schaffte Walach es in diesem Jahr erneut in die Medien: Seine Universität wurde als „Hogwarts an der Oder“ belächelt, die Hochschulkommission des Landes Brandenburg empfahl schließlich, das Institut nicht weiter zu finanzieren.
Vom Astrologen bis zum Geistheiler – es gibt heute viele merkwürdige Leute, die mit esoterischen, wissenschaftlich unhaltbaren Praktiken Geld verdienen. Das besondere an Walach ist, dass er esoterischen Theorien zu universitären Ehren verhalf um ihnen gewissermaßen ein akademisches Gütesiegel zu verleihen – und genau deshalb wurde er mit dem „Goldenen Brett vorm Kopf“ ausgezeichnet.
Humor statt Zorn
Vergeben wird das Goldene Brett von der Gesellschaft für kritisches Denken (GkD), der Wiener Lokalgruppe der GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften). Sie ist in der internationalen Skeptikerbewegung vernetzt und versucht, wissenschaftlich-rationales Denken zu fördern. Ganz bewusst lädt die GkD die nominierten Finalisten zur Preisverleihung ein und lässt sie auch gerne bei der Veranstaltung zu Wort kommen. Es geht nicht darum, jemanden anzuprangern – es geht darum, Humor zu benutzen, um sichtbar zu machen, wie tief unwissenschaftlicher Unfug in unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft noch immer verwurzelt ist.
Das hat bisher auch gut geklappt: Der Preisträger des Vorjahres, P.A. Straubinger, kam persönlich, um sich das Goldene Brett abzuholen, Harald Walach schickte Bettina Reiter vorbei. Sowohl Straubinger als auch Reiter wurden mit Applaus begrüßt und hielten bei der Preisübergabe eine Rede. Bettina Reiter bezeichnet in ihrem Zeitungskommentar die Stimmung selbst als „freundlich“ – und das ist gut so. Dass man sich an so einem Abend ideologisch nicht einigen wird, ist von vornherein klar – doch man kann auch jemandem lächelnd die Hand schütteln, dessen Theorien man für Humbug hält.
Verkaufszahlen als Qualitäts-Gütesiegel?
So hoch man Frau Reiter aber ihre Courage anrechnen muss, persönlich zu so einer Preisverleihung zu erscheinen, so befremdlich sind die Aussagen in ihrem Zeitungskommentar. Ihr Argument für unwissenschaftliche Alternativmedizin ist: Die Leute wollen das so. 50% der europäischen Bevölkerung nutzen Komplementärmedizin. Diese Aussage ist ungefähr so solide wie die Behauptung, die klügsten Fernsehsendungen hätten die besten Einschaltquoten, oder die besten Politiker seien die, die sich die größten Zeitungsinserate leisten können.
Probieren wir es aus!
Bettina Reiter behauptet, Walach sei in Kritik geraten, weil er sich mit ungewöhnlichen Fragestellungen beschäftigt. Das stimmt natürlich nicht: Die GWUP beschäftigt sich schließlich – wie ihr Name schon sagt – auch selbst mit Parawissenschaften. Daran gibt es nichts auszusetzen, das ist sogar gesellschaftlich nötig. Behauptungen über übernatürliche Phänomene lassen sich wissenschaftlich sauber untersuchen. Wie bereits in vergangenen Jahren führte die GWUP auch diesen Sommer wieder die sogenannten „Psi-Tests“ durch, vier Kandidaten ließen ihre angeblich übernatürlichen Fähigkeiten untersuchen. Ein erfolgreicher Test würde zehntausend Euro und die Chance auf eine Million Dollar der James-Randi-Foundation in den USA bringen. Freilich gingen auch diesmal alle Tests wieder negativ aus – das Geld ist noch immer da.
“Hey, Sie sind einfach nicht offen genug, auch mal andere Meinungen gelten zu lassen!”
Engstirnige Wissenschaft?
Doch die Tatsache, dass solche Tests überhaupt durchgeführt werden, dass selbst den verrücktesten Behauptungen von wissenschaftlicher Seite eine Chance eingeräumt wird, sich zu bewähren, widerlegt das beliebteste Argument der Esoterik-Anhänger: Die Unterstellung, die Wissenschaft sei engstirnig und nicht offen genug für unorthodoxe Ideen. Das Gegenteil ist wahr.
Die Wissenschaftsgeschichte ist voll von Beispielen für unorthodoxe Gedanken, die sich durchgesetzt haben: Einsteins Idee einer gekrümmten Raumzeit, induzierte pluripotente Stammzellen, das Modell eines beschleunigt expandierenden Universums – all diese Überlegungen waren ursprünglich ungewöhnlich, konnten sich aber durchsetzen. Nicht, weil irgendwelche Verkaufszahlen stimmten, sondern weil es für sie gute, wissenschaftliche Argumente gab.
Auch für Irrtümer ist in der Wissenschaft platz: Als am CERN in Genf verkündet wurde, man habe Neutrinos detektiert, die schneller sind als das Licht, war die Verwunderung groß. Eine solche Beobachtung würde unser Weltbild drastisch ins Wanken bringen – und die meisten Wissenschaftler wollten nicht so recht an die überlichtschnellen Neutrinos glauben. Doch selbst in diesem Fall wurde diese unorthodoxe Theorie nicht ausgelacht und ins Esoterik-Eck geschoben, sondern sachlich diskutiert und genauer untersucht. Warum? Weil es sich um Wissenschaft handelte. Weil Fakten auf den Tisch gelegt wurden, und weil sauber argumentiert wurde. Die Beobachtung stellte sich später als falsch heraus – aber auch das ist eben Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Selbst Aussagen, die der etablierten Wissenschaft drastisch widersprechen, können diskutiert und untersucht werden.
Würde Walach auf ähnliche Weise wissenschaftliche Fakten produzieren, könnte man über ihn genauso ernsthaft diskutieren. Wissenschaftlich abgelehnt wird nicht das Unorthodoxe, sondern das Schwammige, Vage, Unwissenschaftliche. Ganz besonders abzulehnen ist, wer an unwissenschaftlichen Theorien kleben bleibt, obwohl sie durch saubere Argumentation längst widerlegt sind. Dafür braucht man schon ein richtig großes Brett vorm Kopf – manchmal sogar ein goldenes.
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]]>Das Goldene Brett vorm Kopf wird verliehen – eine Auszeichnung für den größten antiwissenschaftlichen Unfug des Jahres. Gekürt wird der Sieger von der Gesellschaft für Kritisches Denken, der Wiener Lokalgruppe der GWUP. Hunderte würdige Kandidaten wurden online nominiert – wer das Rennen macht, kann man am Freitag, dem 19. Oktober live im Naturhistorischen Museum in Wien miterleben.
Natürlich zeichnen sich gewisse Muster ab, wenn man die Liste der Nominierten durchliest oder wenn man die Diskussionen dazu in Internetforen ansieht. Manche Personen oder Institutionen werden immer wieder genannt – sogar die GWUP selbst wurde schon für den Preis vorgeschlagen. Auch wenn es wohl niemanden überraschen wird, dass ich mich diesem Vorschlag nicht anschließe: Damit kann ich gut leben. Es gibt verschiedene Meinungen, und wenn jemand die Aussagen GWUP für Unfug hält, kann er das gerne kundtun.
Ich ärgere mich allerdings über eine andere Aussage, die ich im Zusammenhang mit dem Goldenen Brett immer wieder lese: Die Behauptung nämlich, dass alle großen, revolutionären Wissenschaftler der Geschichte den Preis wohl auch bekommen hätten, weil ihre Aussagen auch nicht mit der gültigen Lehre der Wissenschaft im Einklang stand.
Wer dieses Argument vorbringt, hat ganz grundlegende Dinge nicht verstanden. Astrologie, Wünschelrutengehen oder Homöopathie sind keine Gegenthesen oder Erweiterungen der derzeit gültigen Wissenschaft, so wie Einsteins Relativitätstheorie eine Gegenthese oder eine Erweiterung zu Newtons Gravitationstheorie war. Die esoterischen Behauptungen, die mit einem Goldenen Brett ausgezeichnet werden, sind entweder längst wissenschaftlich untersucht und haben sich als Unfug herausgestellt, oder sie widersprechen der wissenschaftlichen Erfahrung so fundamental, dass eine weitere Überprüfung gar nicht mehr nötig ist.
Eine neue wissenschaftliche Theorie widerspricht zwar an bestimmten Punkten der alten Theorie, doch sie muss trotzdem die alte Theorie bis zu einem gewissen Grad beinhalten: Sie muss nämlich die Experimente, die bisher mit Hilfe der alten Theorie erklärt wurden, ebenfalls erklären. Unsere wohlerprobte Gravitationstheorie sagt, dass Objekte, die ich schräg nach oben schleudere, ziemlich genau in parabolischer Bahn wieder auf den Boden zurückkehren. Wenn nun morgen jemand eine neue Gravitationstheorie aufstellt, sollte auch diese neue Theorie die parabolische (oder zumindest: bis auf winzige Abweichungen parabolische) Flugbahn erklären können. Wenn sie das nicht tut, kann ich sie sofort getrost als falsch entsorgen: Dann widerspricht die Theorie nämlich von vornherein unzähligen Experimenten, die schon bisher durchgeführt wurden, bevor es die neue Theorie überhaupt gab.
Und genau in diese Kategorie gehören die meisten Wunder-Behauptungen: Sie sind schon zum Zeitpunkt ihrer Geburt widerlegt. Sie sind in sich selbst widersprüchlich (wie die Homöopathie) oder sie stehen im Widerspruch zu bestens überprüften Naturgesetzen (wie das belebte Wasser). Manchmal kann es trotzdem nützlich sein, sie noch einmal zu testen – und sei es nur aus pädagogischen Gründen. Doch niemand kann behaupten, solche Theorien hätten den selben Stellenwert wie eine wissenschaftliche Theorie, die sich einfach noch nicht durchgesetzt hat.
Dieser Unterschied ist eigentlich ziemlich offensichtlich. Warum er nach wie vor so oft nicht gesehen wird, ist mir ein großes Rätsel. Für sachdienliche Hinweise bin ich dankbar.
]]>Das ist ziemlich kompliziert, und ich fürchte, manche werden das nicht ganz verstehen, aber mir wurde klar, dass man sich nur auf tief empfundene Bauchgefühle verlassen kann, nicht auf rationale Schlüsse. Wissenschaftliche Fakten sind eine wackelige Angelegenheit: Sie basieren wieder auf anderen wissenschaftlichen Fakten, und die stützen sich wieder auf andere. Niemals kann rationale Wissenschaft beweisen, dass die rationale Wissenschaft richtig ist. Das Bauchgefühl kann hingegen sehr deutlich sagen, dass Bauchgefühle richtig sind. Wir sehen also ganz eindeutig, dass aus wissenschaftstheoretischer Sicht das Bauchgefühl einfach der konsistentere Zugang ist.
Wir konstruieren unsere Wirklichkeit
Eines wird somit offensichtlich: Von einer angeblich objektiven Wirklichkeit müssen wir uns verabschieden. Die Welt ist einfach das, zu dem wir sie in unseren Gedanken machen. Wenn ich ganz fest davon überzeugt bin, etwas zu schaffen, dann schaffe ich das auch. Das hat ganz gewiss mit Quantenphysik zu tun. (Die Kommentatoren meines letzten Blog-Beitrags vor der Sommerpause, durchwegs renommierte Quantentheoretiker, haben mich schließlich darauf hingewiesen, dass aus quantenphysikalischer Sicht der Mond nicht da ist, wenn man nicht hinsieht.) Selbstverständlich kann man das in allen Lebenssituationen anwenden. Was in meinem beobachtenden Geist nicht vorhanden ist, das gibt es nicht.
Einfach visualisieren!
Diese Erkenntnis wird traurigerweise oft ignoriert. Wären beispielsweise bei der Fahrt der Titanic alle beteiligten Personen ganz fest der Überzeugung gewesen, es gäbe keine Eisberge, hätte logischerweise auch niemals etwas geschehen können. Dummerweise gab es damals ein Besatzungsmitglied, das den Eisberg in der Ferne entdeckte und unvorsichtigerweise die Brücke informierte. Nicht zu wenig Wachsamkeit war der Untergang der Titanic sondern zu viel! Hätte man bloß gegen den Eisberg anmeditiert, oder zumindest ganz fest daran geglaubt, dass es sich um Zitronensorbet handelt, wäre die Geschichte anders verlaufen.
Ich selbst machte mich daran, diese Macht des menschlichen Geistes zu testen. Völlig überzeugt von meiner Unverwundbarkeit stellte ich mich probeweise einem fahrenden Lastwagen entgegen. Unglücklicherweise war mein Chi in diesem Augenblick offenbar nicht stark genug, ich wurde ein bisschen zu Boden geschleudert. Im Krankenhaus betonte der Arzt mehrfach, es sei ein Wunder, dass ich noch am Leben bin. Ein Wunder! Eine lupenreine Bestätigung also – aus dem Mund eines Schulmediziners! Wenn das kein Beweis ist!
Und jetzt werde ich reich!
Auch wenn ich natürlich nun weiß, dass weltliche Güter völlig bedeutungslos sind, habe ich jetzt vor, demnächst im Lotto zu gewinnen. Auch hier gilt: Wer bedingungslos daran glaubt, der gewinnt. Mein erster Schritt war also, meinen Lebensstil entsprechend umzustellen – und es hat funktioniert! Ich visualisierte meine Millionen, und wie ein Lottogewinner lebte ich in Luxus, es fühlte sich herrlich an. Zumindest bis dieser unsympathische Mensch im Restaurant meine Kreditkarte zerschnitt. Ich konnte ihm nicht erklären, dass die Sperre meines Kontos nur von seinem Geist konstruiert ist. Seither versuche ich, die beiden Teile meiner Kreditkarte wieder aneinanderzuvisualisieren. Ich glaube, erste Teilerfolge sind bereits zu sehen.
Ihr seht also: Es geht mir prächtig. Darum wird es in Zukunft auch wieder mehr Blogbeiträge geben. Vielleicht nicht ganz in der raschen Folge, die vor der Sommerpause hier üblich war – doch wenn ihr ein paar Tage lang schmerzlich auf einen naklar-Artikel warten müsst, dann visualisiert euch doch einfach zwischendurch ein paar neue.
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Geld machen mit Quanten
Das Zaubergerät, das aus bösen, negativ gepolten Elektronen bioverträglichen positiv-Strom macht, die Wundermaschine, die Wassermoleküle in der feuchten Kellerwand durch magische Kräfte zum Verschwinden bringt, oder auch das Motivations-Buch, das uns einredet, wir können durch positives Bewusstsein die Zukunft gezielt bestimmen – sie alle argumentieren gerne mit der Quantenphysik. Hat schon jemals jemand versucht, Ihnen esoterischen Unfug mit dem Hinweis zu verkaufen, es handle sich um ganz neue Forschung aus der Mechanik oder Thermodynamik? Natürlich nicht! Nur die Quantenphysik wird immer gerne für solchen Unfug missbraucht.
Das ist nicht ganz überraschend: Schließlich liefert die Quantenphysik tatsächlich Vorhersagen, die wir durch unser Alltagsverständnis gerne versehentlich für widersinnig halten. Das liegt aber ausschließlich daran, dass wir nicht daran gewöhnt sind, mit sehr kleinen Objekten umzugehen. Im Grunde ist die Quantenphysik nämlich genauso logisch und solide wie jede andere physikalische Theorie. Leider hat sie den Ruf, etwas Kuschelweiches, Beliebiges, Bauchgefühltes zu sein. Selbstverständlich ist das falsch.
Überlagerungen, Bewusstsein und Verschränkung
Es sind immer wieder dieselben Punkte, an denen die Quantenphysik in den Sumpf der Esoterik gezogen werden soll. Erstens: Die Quantenphysik erlaubt Überlagerungen von Zuständen, obwohl wir aus unserer Erfahrung wissen, dass die Eigenschaften von Objekten (wie Ort, Geschwindigkeit, Farbe oder Gewicht) normalerweise ganz eindeutig festgelegt sind. Zweitens: Die Quantenphysik sagt, dass wir ein quantenmechanisches System durch eine Messung verändern – die Beobachtung hat also einen Einfluss auf das, was beobachtet wird. Dadurch wurden Spekulationen angeregt, das Bewusstsein des beobachtenden Menschen habe eine Auswirkung auf die physische Situation des Messobjektes. Drittens: Die Quantenphysik sagt, dass Teilchen aus sehr subtile Art in Verbindung stehen können, sodass man sie nur gemeinsam mathematisch beschreiben kann – das bezeichnet man als „Quantenverschränkung”. Bei näherer Betrachtung hat natürlich keiner dieser drei Punkte etwas mit Mysterien, Wundern und Zauberei zu tun.
Überlagerungszustände: So und gleichzeitig anders
Das Phänomen der Quanten-Überlagerungen (der sogenannten Superposition von Zuständen) ist tatsächlich faszinierend. Ein Elektron ist nicht links oder rechts vom Atomkern – es ist beides gleichzeitig. Es kann sich gleichzeitig links- und rechtsherum drehen. Ein Molekül kann (für kurze Zeit) sowohl ganz als auch zerbrochen sein. Während in der klassischen Physik Zustände etwas Absolutes, Eindeutiges sind, kennt die Quantenphysik auch Zustände, die einer Überlagerung dieser klassischen, eindeutigen Zustände entsprechen.
Wer an diesem Punkt aber schon rosarote Einhörner herumtraben sieht und schlussfolgert, dass es laut Quantenphysik also gar keine Realität gäbe, der hat die Sache nicht verstanden. Auch Überlagerungszustände sind sauber definiert, können brav mathematisch hingeschrieben und ausgerechnet werden. Dass uns Überlagerungszustände komisch vorkommen liegt an uns – die Quantenphysik kann nichts dafür.
Wenn wir den Zustand eines Quantensystems (etwa eines Elektrons oder eines Atoms) beobachten, dann finden wir es immer in einem klassisch möglichen Zustand – niemals in einer Überlagerung. Wenn wir den Aufenthaltsort eines Teilchens messen, dann messen wir es an einer ganz bestimmten Stelle – auch wenn es nach den Regeln der Quantenphysik vorher in einer Überlagerung aus links, rechts, vorne, hinten oder wo auch sonst immer gewesen sein muss. (Das habe ich schon einmal etwas ausführlicher erklärt.) Das ist natürlich etwas verwirrend: Die Messung beeinflusst das Messobjekt. Durch unser Beobachten verändern wir das, was wir beobachten wollen. Das führt seit der Entdeckung der Quantentheorie immer wieder zu ganz seltsamen Ideen: Immer wieder kann man lesen, das Bewusstsein sei irgendwie dafür verantwortlich. Die Tatsache, dass wir als bewusste Wesen das Quantensystem vermessen zwinge das Quantensystem, sich für eine der verschiedenen möglichen Messwerte zu entscheiden.
Das Bewusstsein in der Physik?
Für die Strömung der konstruktivistischen Philosophie ist das natürlich ein äußerst attraktiver Gedanke: Erst durch die Messung wird etwas festgelegt – erschaffe ich die Wirklichkeit also nur durch mein Denken? Entsteht die äußere Umwelt erst durch mein Bewusstsein? Bevor wir nun mystisches Bauchkribbeln bekommen: Die Antwort ist (nach all unserem Wissen über Physik und die Natur): Nein. Die Wirklichkeit gibt es wirklich, der Mond ist auch da, wenn niemand hinsieht und das Bewusstsein ist dem Quantensystem herzlich egal.
Mittlerweile haben wir sogar recht gut verstanden, wie man sich den Messprozess vorstellen muss, bei dem eine Quanten-Überlagerung zu einem eindeutig festgelegten Zustand wird. Bei diesem Vorgang kommt es nicht auf das Bewusstsein an, sondern schlicht auf die Tatsache, dass ein kleines Quantensystem in Kontakt mit etwas Großem (dem Messgerät) gebracht wird – und große Dinge können sich normalerweise nicht in Überlagerungszuständen befinden. Das Konzept des Bewusstseins taucht dabei gar nicht auf: Ob ein Mensch, ein Grottenolm oder ein seelenloser Roboter die Messung durchführt, spielt überhaupt keine Rolle. Das kleine Quantensystem kommt in Kontakt mit etwas viel Größerem – und dadurch wird eine Überlagerung aus verschiedenen Zuständen extrem unwahrscheinlich.
Doch diese Erkenntnis kommt heute wohl zu spät: Längst sind dicke Bücher mit bunten Umschlägen gedruckt, in denen behauptet wird, die Quantenphysik hätte endlich das Bewusstsein mit in die Physik einbezogen und käme daher zum selben Schluss wie fernöstliche ganzheitliche Philosophien, die immer schon gewusst hätten, dass alles irgendwie zusammengehört. Nichts gegen fernöstliche Traditionen – aber die Quantenphysik damit zu verknoten wird weder der Physik noch der Philosophie gerecht.
Spukhafte Fernwirkung?
Der vielleicht kniffligste Punkt an der Quantentheorie ist die Quanten-Verschränkung: Mehrere Teilchen können quantenphysikalisch so in Verbindung stehen, dass sie nur gemeinsam beschrieben werden können. Sie bilden gewissermaßen ein gemeinsames Quanten-Objekt, auch wenn sie weit voneinander entfernt sind.
Man kann beispielsweise ein Paar von Lichtteilchen erzeugen, die gleichzeitig waagrecht und senkrecht schwingen – und zwar so, dass sie auf jeden Fall unterschiedliche Schwingungsrichtungen haben. Die Schwingungsrichtung jedes der beiden Teilchen ist nicht festgelegt – sie befinden sich in einem Quanten-Überlagerungszustand. Aber die beiden Teilchen sind so verschränkt, dass sie nach einer Messung immer unterschiedliche Zustände einnehmen. Messe ich ein Teilchen, lege ich seinen Zustand damit auf eine der beiden Möglichkeiten fest – waagrecht oder senkrecht. Das Verwirrende daran ist, dass damit im selben Augenblick auch der Zustand des zweiten Teilchens festgelegt wird – denn es muss sich immer genau entgegengesetzt verhalten.
Einstein war damit alles andere als glücklich: Er verwendete diese Überlegung sogar als Argument gegen die Quantenphysik. In der Tat ist es sehr merkwürdig, dass eine Messung an einem bestimmten Ort einen Einfluss auf ein Teilchen an einem anderen Ort haben könnte – doch in Experimenten wurde mittlerweile gezeigt, dass das tatsächlich so ist. Das Problem ist auch hier wieder unsere menschliche Alltagsvorstellung von „Zuständen”, „Beeinflussung” und „Informationsübertragung”.
Gedankenübertragung und Quanten-Telefon
Diese Art von „Fernwirkung” zwischen verschränkten Teilchen wird gerne mit mystischen Dingen wie Gedankenübertragung in Verbindung gebracht. Das ist natürlich völlig falsch. Diese Quanten-Fernwirkung hat nämlich nichts mit Kraftwirkungen zu tun, wie wir sie kennen. Hier beeinflussen sich Teilchen nicht wie zwei Magnete oder wie Hebel, die über Schnüre in Verbindung stehen. Durch die Quanten-Fernwirkung wird keine Information übertragen (das ist eigentlich schade, denn sonst könnte man ein Quanten-Telefon bauen, das Nachrichten ohne Zeitverzögerung übermittelt – Einsteins Relativitätstheorie wäre dann allerdings ziemlich beschädigt). Sie ist einfach eine Konsequenz der seltsamen Tatsache, dass die Quantenphysik Überlagerungszustände erlaubt.
Alles ist mit allem verbunden
Was diese Quanten-Verschränkung tatsächlich mit sich bringt ist die Erkenntnis, dass Teilchen in unserer Welt auf ziemlich komplizierte Weise miteinander in Verbindung stehen können. Das stellt uns tatsächlich vor Probleme: In der Naturwissenschaft beschreiben wir schließlich niemals die ganze Welt auf einmal – wir suchen uns kleine Teile dieser Welt heraus und versuchen sie zu beschreiben. Wenn die Quantenphysik aber sagt, dass sich manche Teilchen nicht wirklich alleine beschreiben lassen, dann ist dieser Versuch doch wohl zwecklos? Wenn die Quantenphysik sagt, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt – hat die Naturwissenschaft dann nicht eigentlich verloren? Müssen wir dann nicht doch zu Pentagramm und Zauberhut greifen und einen holistischen, ganzheitlichen Weg wählen, anstatt auf naturwissenschaftliche Weise einzelne Teilobjekte des Universums zu studieren?
Natürlich nicht! Dass in unserer Welt alles mit allem zusammenhängt ist schließlich nicht neu. Ständig haben wir mit störenden Kräften zu tun, die sich unserem Einfluss entziehen – und die Wissenschaft funktioniert trotzdem. Jeder weit entfernte Stern übt durch seine Gravitation eine Kraft auf uns aus. Würde ich die Bewegung von einzelnen Atomen in einem Gas hier auf der Erde über lange Zeit präzise vorhersagen wollen, müsste ich unermesslich viele störende Einflussgrößen mitberücksichtigen – vom Magnetismus einer Stromleitung in China bis zum Rotation von fernen Monden um ihre Planeten. Natürlich ist das nicht möglich. Und – stört uns das?
Chaos, Chaos überall!
Die Chaostheorie erklärt uns, dass wir mit unserem beschränkten Wissen über die Welt nicht beliebig weit in die Zukunft vorausblicken können. Winzig kleine Einflüsse von außen können dazu führen, dass sich ein kompliziertes System (wie zum Beispiel das Wetter) nach einer gewissen Zeit völlig anders verhält als es sich ohne diese äußeren Einflüsse verhalten hätte. Trotzdem versuchen wir mit großem Erfolg einzelne Objekte zu studieren und dabei äußere Einflüsse zu ignorieren. Wenn ich ausrechnen will, wie lange der Bremsweg eines Autos ist, kümmern mich die Jupitermonde wenig – auch wenn sie einen winzig kleinen Einfluss haben. Ich muss nur wissen, welche Fragen durch Vereinfachungen beantwortet werden können und welche Fragen aufgrund von unvorhersehbaren Störungen unbeantwortet bleiben müssen.
In der Quantenphysik ist es genauso: Verschränkungen zerstören nicht die Vorhersagekraft der Quantentheorie, wir müssen nur etwas vorsichtig sein, wenn wir überlegen, welche Fragen wir beantworten können und welche nicht. Philosophisch betrachtet ist die Quantentheorie aber sicher keine Bedrohung für die wissenschaftliche Methode des Vereinfachens und des isolierten Betrachtens einzelner Objekte.
Die Quantentheorie ist sicher ein ganz besonders faszinierendes Gebiet. Den Ruf, etwas philosophisch ganz grundlegend Neues zu sein, hat sie aus meiner Sicht aber zu unrecht. Sie kommt uns vielleicht seltsamer vor als andere Theorien, doch das liegt nur daran, dass wir nicht durch Alltagserfahrung an sie gewöhnt sind. Keinesfalls möchte ich der Quantentheorie hier ihren Glanz nehmen – im Gegenteil: Eben dadurch, dass man sie verstehen und in Formeln fassen kann, wird sie erst recht faszinierend. Wäre sie bloß eine Sammlung von schwammigen Aussagen über Ganzheitlichkeit, Verbundenheit und Bewusstsein wäre sie vergleichsweise langweilig – und hätte unsere Technologie und unser Leben niemals so verändert wie das in den letzten Jahrzehnten gelungen ist.
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]]>Es ist kein Wunder, dass gerade in der Esoterik oft mit Tradition argumentiert wird: Wünschelruten werden als uralte Weisheit angepriesen, Runen sollen unsere Lebensprobleme lösen, und der Aromatherapeut mit Reiki-Spezialdiplom versichert, dass seine Techniken auf jahrtausendealten fernöstlichen Lehren beruhen. Lauter wohlerprobte Traditionen, die einfach richtig sein müssen – sonst hätten sie sich ja nicht so lange halten können.
Die gute alte Zeit
Dann müssen doch offenbar auch andere Traditionen ihre Richtigkeit haben, die sich besonders lange bewährt haben, oder? In ihrer liebevollen Weisheit behandelten unserer Vorfahren über Jahrtausende Frauen als Menschen zweiter Klasse und hielten sie von Bildung und wichtigen Berufsmöglichkeiten fern. Dass Kinder von Eltern und Lehrern geprügelt werden, ist altherbegrachtes Kulturgut. Der Aderlass wurde über Jahrhunderte als Therapie für viele verschiedene Krankheiten eingesetzt und von vielen Ärztegenerationen für gut befunden. Staatliche Herrschaftsverhältnisse waren jahrtausendelang viel einfacher zu regeln als heute: Wenn einfach der Sohn des Herrschers sein Nachfolger wird, spart man sich mühsame Wahlen.
Tradiert und verordnet – nicht hinterfragt und erprobt
Die Idee, das Altbewährte für wahr und richtig zu halten, hat natürlich einen gewissen Reiz. Leider ist diese Idee aber sehr oft falsch. Traditionen, alte Überlieferungen und Vorschriften überleben nämlich meist nicht deshalb, weil sie auf rationale Weise getestet, überprüft und für gut befunden wurden, sondern weil sie sich für bestehende Machtverhältnisse als nützlich herausstellen, weil es bequem ist, keine eigenen Ideen erarbeiten zu müssen, oder einfach weil es sich um nette, sympathische Gedanken handelt, die sich leicht mit einem wohligen Gefühl im Bauch von Generation zu Generation weiterreichen lassen, ohne dass sie jemals irgendjemand tatsächlich überprüft hat.
Vieles wird besser
Tatsächlich hat aber viel von dem, was uns heute lieb und teuer ist, mit Tradition nichts zu tun. Menschenrechte, Demokratie, Pressefreiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Kampf gegen Rassismus und Homophobie – nichts davon hat eine lange Tradition. Im Gegenteil: all das musste (und muss noch immer) mühsam gegen Leute erkämpft und verteidigt werden, die ihrerseits auf das Hochhalten von Traditionen pochen. Die Wissenschaft, die immer hinterfragt und weiterentwickelt, ist das institutionalisierte Aufweichen von Traditionen. Nichts muss man glauben, nur weil es schon lange da ist.
Auch alter Dreck stinkt
„Aber zumindest lebten die Leute damals im Einklang mit der Natur”, hört man dann oft. „Sie lebten nachhaltig, ohne giftige Chemie und ohne Umweltschäden zu verursachen.” Unfug! Gerade Umweltprobleme haben eine lange Tradition. Im antiken Rom wurde das Trinkwasser durch Bleirohre verseucht, in England brachte schon um 1300 das Verbrennen von Kohle ernste Probleme für die Luftqualität, in Südeuropa holzte man in der frühen Neuzeit Wälder für den Schiffsbau ab und zerstörte dadurch ganze Landstriche. Es stimmt schon: Unsere moderne Technologie hat uns mehr Möglichkeiten in die Hand gegeben, unsere Umwelt zu schädigen, und wir haben solche Fehler schon viel zu oft begangen. Aber die Wissenschaft lässt uns solche Probleme auch verstehen und lösen.
Kurzlebig und jung
Selbst das Positive, das wir ganz intuitiv mit dem Begriff „Tradition” in Verbindung bringen, ist eigentlich erstaunlich neu: Wir feiern Weihnachten auf eine ganz bestimmte Weise, die uns heimelig traditionell erscheint – aber noch vor einigen Generationen wurde Weihnachten völlig anders gefeiert. Wir schwören, dass die Oma den weltbesten Schweinsbraten macht – doch die guten alten Familienrezepte sind historisch betrachtet recht jung: Vor zweihundert Jahren haben sich unsere Vorfahren ganz anders ernährt als wir. (Die so wunderbar traditionsreiche Wiener Küche etwa stammt zu einem großen Teil aus dem neunzehnten Jahrhundert.)
Traditionen sind eine tolle Sache. Wir kommen ohne sie nicht aus – und wir sollten auch gar nicht versuchen, auf sie zu verzichten. Ganz automatisch erfinden wir sogar unsere eigenen Traditionen: Vielleicht ein jährlich wiederkehrendes Nachbarschafts-Grillfest, vielleicht ein tolles Sommer-Erdbeerbowle-Rezept, vielleicht eine hübsche Winterdekoration, die wir jedes Jahr ans Fenster hängen. Menschen brauchen Traditionen, und das ist gut so. Aber ob etwas wahr oder falsch ist, das lässt sich nicht durch Tradition entscheiden.
Wenn uns also jemand erklärt, dass seine jahrtausendealten Chakren-Lehren oder Kristallauflege-Riten uns sicher heilen werden, weil sie eine so alte Tradition haben, wenn uns jemand sagt, dass man in der Landwirtschaft auf mittelalterliche Methoden zurückgreifen soll, weil das besser für die Umwelt ist, wenn uns jemand ermahnt, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht heiraten dürfen, weil das gegen die uralte überlieferte Tradition der Ehe verstoßt, dann sollten wir ihm nicht mit ehrfürchtigem Respekt begegnen, sondern lieber daran denken: Auch Dummheit hat eine lange Tradition. Diese Tradition werden wir nicht ausrotten, aber wir können neue Traditionen begründen. Es wird Zeit.
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]]>Der Zauberkünstler als Aufdecker
In der Welt geht es mit rechten Dingen zu, davon ist Randi überzeugt – gerade deshalb, weil er gelernter Zauberkünstler ist. Er kenn die Tricks, er weiß, wie man andere Leute überlistet. Genau die Tricks, die er auf der Bühne vorführte, wurden auch immer wieder von Scharlatanen präsentiert – allerdings mit der Behauptung, es handle sich tatsächlich um Übernatürliches. Verständlich, dass Randi davon nicht gerade begeistert war – und so machte er sich daran, die Behauptungen solcher Leute zu überprüfen.
Eine Million für den, der zaubern kann
Weltberühmt wurde er spätestens durch seine Million-Dollar-Challenge: Wer ein übernatürliches (bzw. bisher für übernatürlich gehaltenes) Phänomen sauber unter definierten Rahmenbedingungen vorführen kann, bekommt von ihm eine Million Dollar. Viele haben es versucht – geschafft hat es freilich niemand.
James Randi zum Nachlesen
Zweimal hatte persönlich mit James Randi zu tun: Vor vier Jahren durfte ich ein längeres Telefoninterview mit ihm führen, das auszugsweise hier nachzulesen ist, heuer traf ich ihn persönlich beim Welt-Skeptikerkongress in Berlin.
Heute feiert James Randi seinen 84. Geburtstag – ich hoffe, dass es noch recht viele weitere Geburtstage zu feiern gibt!
Ein ausführlicheres Portrait von James Randi kann man auf www.naklar.at nachlesen. Alles Gute, James Randi!
James Randi und ich – er ist der mit dem längeren Bart.
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Mit großen Objekten Quantenexperimente durchführen ist keine gute Idee.
Heute ist Quanten-Dekohärenz ein wichtiges Forschungsgebiet: Viele Experten auf der ganzen Welt versuchen, genauer zu entschlüsseln, woher sie kommt – doch das war nicht immer so. In vielen Quanten-Lehrbüchern oder Grundlagenvorlesungen kommt sie höchstens als Fußnote vor. Das ist seltsam, denn die Dekohärenz bestimmt ganz entscheidend, wie wir die Welt wahrnehmen.
Die Schrödingergleichung
Die wichtigste Gleichung in der klassischen Quantenphysik ist die Schrödingergleichung: Sie gibt an, wie sich die Quantenwellen, mit denen man beispielsweise einzelne Teilchen beschreibt, zeitlich verändern. Die Schrödinger-Gleichung ist eine lineare Gleichung: Das bedeutet, dass man aus zwei Lösungen der Schrödinger-Gleichung eine weitere Lösung zusammenmischen kann, die dann auch dieser Gleichung gehorcht. Wenn ich also mit der Schrödinger-Gleichung berechne, wie sich ein Teilchen nach links oder nach rechts bewegt, dann kann ich diese beiden Bewegungen zu einer Teilchen-Welle zusammensetzen, die sich sowohl nach links als auch nach rechts bewegt.
In unserem Kopf macht das zunächst mal keinen Sinn: Teilchen haben sich gefälligst in eine bestimmte Richtung zu bewegen, denken wir ganz intuitiv. Doch wenn man sich Teilchen eher als Wellen vorstellt, ist das kein großes Problem: Ein ins Wasser geworfener Stein löst kreisrunde Wellen aus – also Wellen, die sich in alle Richtungen gleichzeitig bewegen. Warum sollte das ein Teilchen nicht auch können?
Quanten-Überlagerungen finden wir an allen Ecken und Enden in der Quanten-Forschung: Teilchen drehen sich gleichzeitig links- und rechtsherum, Moleküle sind manchmal gleichzeitig zerbrochen und ganz, Photonen werden von einem halb durchlässigen Spiegel gleichzeitig reflektiert und durchgelassen. Die Schrödinger-Gleichung beschreibt ganz klar und eindeutig, wie das geschieht und welche zeitliche Entwicklung diese Quanten-Systeme nehmen.
Grautöne statt schwarz und weiß
Wichtig ist: Es handelt sich hier nicht um viele Teilchen, von denen zufällig manche in diesem, andere in dem anderen Zustand vorliegen – es handelt sich um Teilchen, die sich tatsächlich in beiden Zuständen gleichzeitig befinden. In der klassischen Physik hat man es oft mit statistischen Überlagerungen verschiedener Möglichkeiten zu tun, etwa mit einer zufälligen Mischung schwarzer und weißer Kugeln: Wenn ich daraus blind eine Kugel wähle, weiß ich nicht, welche Farbe sie hat – aber sie hat mit Sicherheit eine eindeutige Farbe. Eine echte Quanten-Überlagerung ist aber etwas anderes – nicht schwarz oder weiß, sondern immer einheitlich grau.
Und trotzdem: Wenn man die Quanten-Eigenschaften misst, bekommt man immer ein eindeutiges Ergebnis. Wenn ich die Drehrichtung des Teilchens, seine genaue Bahn oder sonst eine Eigenschaft messe, dann zeigt mein Messgerät eine bestimmte Antwort an. Der Zeiger des Messgeräts begibt sich nicht in eine Überlagerung aus verschiedenen Möglichkeiten, er gibt eine klare Antwort. Mein Teilchendetektor leuchtet auf – oder eben nicht. Aber er leuchtet nicht halb auf um ein halbes Teilchen anzuzeigen.
Eine Trennlinie quer durch die Welt
Das ist schwer zu verstehen. Wenn Teilchen Überlagerungszustände einnehmen können – warum ist es damit bei der Messung dann vorbei? Warum bekommen wir eindeutige Messdaten, wenn wir Quantensysteme messen, in denen offenbar überhaupt nichts eindeutig ist? Die Messung selbst macht die Quanten-Überlagerung kaputt – das wurde lange Zeit einfach als Grundannahme betrachtet, die man nicht weiter hinterfragen soll. Damit zog man eine Grenze in der Physik ein: Man trennte die Quanten-Welt der kleinen Dinge, in der Überlagerungen erlaubt sind, von einer klassischen Welt ab, in der sich große Dinge befinden – etwa Messgeräte, Mikroskope und wir selbst. Heute zeigt sich, dass es diese Trennlinie nicht gibt. Der Übergang scheint sich ganz natürlich aus den Gesetzen der Quantenphysik selbst zu ergeben.
Wenn wir ein Quantensystem messen, bringen wir es ganz zwangsläufig in Kontakt mit einem anderen System – mit einem Messgerät, und in weiterer Folge mit dem Rest des Universums. Die Schrödingergleichung beschreibt aber nur das kleine Quantensystem – der Messprozess selbst ist in dem, was die Schrödingergleichung vorhersagen kann, also gar nicht eingebaut. (Man könnte natürlich versuchen, eine Schrödingergleichung für das Gesamtsystem – bestehend aus Teilchen und Messgerät – hinzuschreiben. Doch weil ein Messgerät aus unüberblickbar vielen Teilchen besteht, ist das praktisch nicht möglich.)
Die Messung wählt die Lösung aus
Bei der Messung zeigt sich also, dass die Schrödingergleichung nur eine Näherung für das Verhalten des Quantensystems beschreibt: Sie gibt an, wie sich das System verhalten würde, wenn es sonst nichts auf der Welt gäbe, wenn das Quantensystem niemals in Kontakt mit etwas anderem käme. Bei der Messung freilich lässt sich dieser Kontakt nicht vermeiden. Dabei tauscht das Quantensystem Information mit seiner Umgebung aus. Diese Wechselwirkung mit der Umwelt bewirkt, dass sich das Quantensystem mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr in einem Überlagerungszustand befindet, sondern in einem von mehreren ganz bestimmten Zuständen. Welche Zustände das sind, wird durch die Art der Wechselwirkung mit der Umwelt vorgegeben. Die Art dieser Wechselwirkung – also die Art des Messgerätes, die Auswahl der Messgrößen, die dadurch gemessen werden – bestimmt, welche Zustände des Quantensystems nach der Messung vorliegen können.
Ein Gerät, das misst, ob sich ein Quantenteilchen links- oder rechtsherum dreht, tritt also mit dem Teilchen auf eine solche Art in Wechselwirkung, dass den vielen möglichen Überlagerungszuständen zwischen links- und rechtsdrehend, das dieses Teilchen einnehmen kann, nur zwei bestimmte wahrscheinliche Endergebnisse übrigbleiben: Nämlich linksherum oder rechtsherum. Keine Mischung davon. Entweder schwarz oder weiß, aber niemals grau.
Wie die Art der Wechselwirkung zwischen Messgerät und Quantensystem diese ganz speziellen „klassisch erlaubten” Zustände auswählt, ist mathematisch schwer zu beschreiben. (Der Physiker Wojciech Zurek konnte auf diesem Gebiet schon einige recht schöne Ergebnisse vorzeigen. Er nennt diesen Auswahlprozess „Einselection”.) Zu forschen gibt es hier noch viel – doch erkennbar ist heute schon, dass im quantenphysikalischen Messprozess nichts Mystisches wohnt. Er ist Teil der Quantenphysik – wenn auch ein besonders komplizierter.
Zusatzlektüre für Interessierte: W. Zurek:
Decoherence and the transition from quantum to classical — REVISITED
Zum Quanten-Zufall: mehr auf naklar.at
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Die Wissenschaft und der freie Wille – das ist ein Zweikampf, der seit dem Zeitalter der Aufklärung immer wieder mit feurigem Eifer inszeniert wird. Wenn die Welt völlig deterministisch abläuft, wie ein hochkompliziertes Uhrwerk, wenn sich aus dem Zustand der Welt an einem bestimmten Augenblick durch die Naturgesetze ganz zwangsläufig der Zustand im darauffolgende Augenblick ergibt – kann man dann überhaupt noch von Willensfreiheit reden?
Naturwissenschaft: Jetzt neu – mit freiem Willen!
Hans Briegel, ein Quantenphysiker aus Innsbruck, hat letzte Woche in „Nature Scientific Reports” ein Paper veröffentlicht, in dem er versucht, dem Phänomen des freien Willens näherzukommen – in den Medien hat das für einiges Aufsehen gesorgt. „Naturgesetze lassen freien Willen zu” oder „Der freie Wille hängt vom Zufall ab” titeln Zeitungen. Na wenn das kein Grund ist, sich die Sache mal näher anzusehen!
Briegel stellt darin ein Modell für die Entstehung freier Gedanken vor. So ein Modell muss jedenfalls anders funktionieren als ein simpler Taschenrechner, der auf einen bestimmten Input jedes Mal gleich reagiert. Die Nervensysteme von sehr simplen Organismen, etwa der Meeresschnecke Aplysia, kann man auch dieser Kategorie zuordnen, meint Briegel. Aplysia hat besonders große Neuronen und ihr Nervensystem ist recht einfach, daher ist sie ein beliebtes Untersuchungsobjekt in der Neurobiologie. Auch wenn wir uns nicht zu Diagnosen über das Seelenleben der Aplysia hinreißen lassen wollen – es fällt wohl niemandem schwer, sich das Nervensystem eines einfachen Tieres als rein reflexartig vorzustellen: Elektrische Signale lösen auf deterministische Weise eine Reaktion aus, beispielsweise eine Bewegung. In sich gehen, kontemplieren und sich nach innerem Kampf zu einer Entscheidung durchringen kann Aplysia wohl nicht.
Ein Netz aus Erfahrungen
Wenn wir nachdenken und entscheiden, verarbeiten wir Erinnerungen an vergangene Erkenntnisse und Erfahrungen. Unsere Gedanken wandern in Briegels Modell von einem Gedächtnisinhalt zum nächsten. Der Gedanke wird als Zufallswanderer modelliert, der sich in einem Netz von Gedächtnisinhalten bewegt und nach bestimmten Zufallswahrscheinlichkeiten von einem Punkt zu einem der benachbarten Punkte wandert. Das ist unabhängig davon, ob der Gedächtnisinhalt an einem bestimmten Punkt dieses Erinnerungs-Netzes eine tatsächliche vergangene Begebenheit widerspiegelt oder nachträglich verändert worden ist. Das denkende Subjekt kann mit Gedächtnisinhalten „spielen”, wie Briegel sagt, und dadurch in unserer Erinnerung Episoden einspeichern, die nie so geschehen sind, die aber ebenfalls Teil des Gedankennetzes sind, in dem sich unser Denken bewegt.
Das Netz und der Zufall
Zwei Punkte sind wichtig für das Entstehen von freiem Willen, schreibt Briegel: Erstens das Erinnerungs-Netz, das als Simulationsplattform dient, in der über eine Entscheidung nachgedacht werden kann, anstatt einem bloßen Reflex folgen zu müssen. Die Denkprozesse finden in einem Netz statt, dessen Gedächtnisinhalte selbst durch die Denkprozesse überformt und verändert wurden. Zweitens: Der Zufall. Es muss, so meint Briegel, einen Zufalls-Prozess geben, mit der die Gedanken von einem Erinnerungsinhalt auf einen anderen wechseln. Ein Kandidat dafür ist der Quantenzufall, als möglicherweise fundamentalste Version des Zufalls in der Physik.
Das Ende eines historischen Streits?
Ist damit nun der freie Wille mit der deterministischen Physik versöhnt? Wohl kaum. Das Netz, in dem der Denkprozess abläuft und das durch diesen Denkprozess seinerseits ständig verändert wird, erinnert sehr stark an bisher schon bestehende Konzepte von neuronalen Netzen. Mit der Frage nach der Freiheit des Willens hat das noch nicht allzu viel zu tun, denn auch die Modifikation dieses Netzes kann nach völlig deterministischen Regeln vorgeben. Briegel selbst schreibt, dass man ein solches System künstlich nachbauen könnte. Auch in einer Turing-Maschine? Wenn es klare, von Anfang an bekannte Regeln gibt, nach denen sich ein System weiterentwickelt, kann ich dann von freiem Willen sprechen? Briegel selbst äußert sich in seinem Paper darüber auch nur sehr vorsichtig – was freilich viele Medien wieder mal nicht hindert, reißerisch zu formulieren.
Mein Chef, der Zufall
Interssant ist jedenfalls, dass auch hier wieder der Zufall eine entscheidende Rolle spielt. Auf Zufalls-Argumente stößt man nämlich in der Diskussion rund um freien Willen und das Bewusstsein immer wieder. Wir können oder wollen uns nicht vorstellen, dass unser kreatives, freies Denken, auf das wir so stolz sind, klaren naturwissenschaftlichen festgelegten Regeln folgt. Also muss irgendein Zufall her, ein Deus ex Machina, der uns der bedrohlichen deterministischen Kausalkette entreißt (am besten mit Hilfe der Quantenphysik – auch wenn niemand so genau weiß, warum Quantenzufall nun wirklich so grundlegend anders sein soll als eine Lottoziehung). Selbst wenn so etwas funktioniert und wir vom Zufall gesteuert werden: Was haben wir dann gewonnen?
Wenn wir auf dieser Ebene über freien Willen nachdenken, dann kann es ihn schon definitionsgemäß nicht geben. Entweder unser Denken beruht auf naturwissenschaftlichen Gesetzen, dann bestimmen diese Gesetze was ich denke und beschließe. Oder es gibt ein Zufallselement, das den naturwissenschaftlichen Regeln nicht unterworfen ist und quasi dem Universum zusätzliche, neue Information hineinfüttert, ohne irgendeine kausale Ursache – also auch ohne dass ich oder sonstjemand darauf Einfluss nehmen könnte. Das allerdings hat mit Freiheit auch nichts zu tun. Warum soll mich das Diktat eines Zufallsereignisses freier sein lassen als das Diktat eines mechanistischen Prozesses?
Es gibt Leute wie den deutschen Neurophysiologen Wolf Singer, die eine solche Argumentation zum Anlass nehmen, den freien Willen zu leugnen und sogar über die Frage nachzudenken, ob wir für üble Taten überhaupt zur Verantwortung gezogen werden können, wenn wir uns doch gar nicht freiwillig für sie entscheiden. Ich halte das für eine Vermischung von Kategorien.
Reduktionismus: Alles ist Physik?
Der freie Wille ist ein sehr nützliches Gedankenkonzept, wenn wir über Psychologie oder über Soziologie nachdenken. Er ist ein Begriff, der in ganz bestimmten wissenschaftlichen Feldern beheimatet ist. In physikalischen Theorien kommt er nicht vor. Freilich: Man kann Wissenschaften auf andere Wissenschaften zurückführen, damit hatten wir schon große Erfolge. Wir haben heute großes Vertrauen in die Annahme, dass die Chemie prinzipiell auf die Quantenphysik zurückgeführt werden kann – auch wenn es unsere Fähigkeiten heute bei Weitem übersteigt, komplizierte Chemische Reaktionen wirklich exakt Quantenteilchen für Quantenteilchen am Computer nachzuberechnen. Wir haben gelernt, dass sich Eigenschaften von biologischen Zellen sehr gut durch Chemie (und auch Physik) erklären lassen. Wir wissen, dass Gedanken mit der elektrochemischen Aktivität von Nervenzellen zu tun haben. Nirgendwo in dieser Kette gibt es eine deutliche Trennlinie, und ich bin selbst – als Reduktionist – überzeugt, dass wir die Zusammenhänge zwischen diesen Gebieten immer besser verstehen und nie auf eine unüberbrückbare Trennlinie stoßen werden. Trotzdem werden wir niemals menschliche Gedanken mit Formeln der fundamentalen Physik beschreiben. Selbst wenn wir es könnten: Es wäre einfach verdammt unpraktisch.
Menschliche Gedankenkonzepte und sprachliche Begriffe haben sich entwickelt, weil sie nützlich sind. In der Wissenschaft sind sie meist nur in einem überschaubaren wissenschaftlichen Gebiet nützlich. Auch wenn wir an die „Einheit der Wissenschaft” glauben und die Welt als ein deterministisches Uhrwerk betrachten, werden wir doch zugeben, dass wir in unserem täglichen Leben Kategorien wie „Bewusstsein”, „Wille” oder auch „Freundschaft” und „Hass” ganz zweifellos eine sehr bedeutsame Realität zugestehen. Das ist kein Makel, das ist bewährte Taktik.
Emergente Eigenschaften
In der Physik waren Begriffe wie „Temperatur” oder „Druck” bekannt, lange bevor diese Begriffe mit dem Rest der Physik sauber in Verbindung gebracht werden konnten. Ludwig Boltzmann konnte dann durch schöne Formeln zeigen, dass sich diesen Begriffen eine saubere Bedeutung zuordnen lässt, wenn man das mechanische Verhalten von Atomen berechnet. Die Temperatur hat mit der durchschnittlichen Geschwindigkeit der Atome zu tun, der Druck mit dem Impuls, den sie auf einen umgebenden Behälter ausüben, wenn sie an der Wand anstoßen. Boltzmann beschrieb diese Größen statistisch – das ist nur bei einer großen Anzahl von Teilchen wirklich sinnvoll. Den Druck eines einzelnen Atoms angeben zu wollen, ist ein eher nutzloses Unterfangen. Druck und Temperatur sind emergente Eigenschaften eines Gases, die nicht in den einzelnen Gasatomen festgeschrieben sind. Trotzdem käme niemand auf die Idee zu sagen: Druck und Temperatur gibt es nicht! Es gibt nur Geschwindigkeitsvektoren und Massen von Teilchen, sonst nichts! Druck und Temperatur sind eine Illusion!
Nein – Druck und Temperatur haben sich als nützliche Begriffe erwiesen, daher verwenden wir sie. Mit dem freien Willen ist es wohl ähnlich: Auf Ebene der fundamentalen Physik ist er eher nutzlos. Aber er ist ein emergentes Phänomen, das aus dem Zusammenspiel einer großen Anzahl von Nervenzellen entsteht – und als solches emergentes Phänomen ist er sichtbar und erkennbar, auch wenn er auf fundamentaler Ebene genauso verschwindet wie der Druck bei Betrachtung eines einzelnen Atoms. Darüber sollten wir uns nicht wundern, das ist ganz normal.
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]]>Die Wiener Universitäten sind derzeit in Kinderhand: Die Kinderuni ist eine jährlich wiederkehrende Aktion, bei der tausende Kinder Vorträge hören, experimentieren oder basteln können. Ich halte das für eine ganz großartige Idee, inzwischen hat sie sich erfreulicherweise auf viele Universitätsstädte ausgebreitet. Auch heuer helfe ich dabei auch selbst ein bisschen mit.
Die Kinderuni soll Kindern zeigen, wie spannend Wissenschaft ist. Für eine technisch-naturwissenschaftliche Universität ist natürlich besonders erfreulich, dass der Mädchenanteil dort ungefähr bei 50% liegt – das lässt hoffen: Der Frauenanteil bei den Studierenden ist nämlich bei Studienrichtungen wie Physik oder Maschinenbau noch immer peinlich niedrig.
Interessant ist, dass schon bei der Kinderuni zwischen eher frauen- und eher männerdominierten Fachgebieten unterschieden werden kann: Bei Architektur-Themen sieht man viele Mädchen, bei mathematischen ist das Verhältnis recht ausgeglichen, und dort wo es ums Schrauben, Hämmern und Sägen geht sind die Mädchen wieder einmal heftig unterrepräsentiert. Ob die Eltern dafür verantwortlich sind, weil sie ihre Kinder (bewusst oder unbewusst) bei geschlechtsspezifisch ausgewählten Kinderuni-Vorlesungen anmelden, oder ob sich in diesem Alter die Kinder selbst aus eigenem Antrieb in bereits internalisierte Rollenbilder fügen, kann ich nicht überprüfen. Aber wie auch immer: Mich erstaunt wie stabil sich diese Rollenbilder über Jahrzehnte erhalten.
Heute habe ich in einer Bastelgruppe assistiert, in der jedes Kind (und ich auch, so nebenbei) einen kleinen Generator basteln durfte. Ganz klischeegemäß war diese Gruppe sehr männlich dominiert: Nur ein einziges Mädchen saß dabei – das war allerdings unsere Musterschülerin. Schneller als alle anderen verstand sie was zu tun war, souverän wickelte sie die Spule auf.
„Toll, du bist schon fertig!”, sagte ich. „Dann kannst du schon mal zum anderen Tisch gehen, dort zeigt man dir dann, wie man die Drähte zusammenlötet.” Sie blickte mich verständnislos an: „Löten? Das ist doch ureinfach [1]. Das mach ich selbst!” Und als ich sehe, wie professionell sie mit dem Lötkolben umgeht, die Drähte verzinnt und fixiert, lasse ich sie meine Spule auch noch löten. Wer weiß, ob ich das selbst so gut hingebracht hätte.
Diese Chance auf Nachwuchs-Rekrutierung will ich mir natürlich nicht entgehen lassen: „Willst du später auch mal etwas Technisches studieren, wenn du dich da so gut auskennst”, frage ich. „Nein. Ich will später eine Modeschule machen”, antwortet sie.
Naja. Schade. Aber die Welt braucht vermutlich auch gute Modedesignerinnen. Bis sowohl im Modedesign als auch in der Elektrotechnik die Geschlechterverhältnisse ausgeglichen sind, wird wohl noch einige Zeit vergehen.
[1] Sprachwissenschaftliche Anmerkung für alle Nicht-Wiener: “Ur” ist in Ostösterreich eine urpraktische Vorsilbe, mit der man ureinfach Wörter verstärken kann. Sie ist urverbreitet und hat sich sogar schon ur als eigenes Wort etabliert, mit dem man ganze Satzteile ur unterstreichen kann. Urcool, jedenfalls.
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Ich habe nicht – wie mir unterstellt wurde – gesagt, es gebe keinen Unterschied zwischen PR und Journalismus. Das wäre eine dumme Aussage. Auch im Wissenschaftsbereich (und um den ging es mir) sind PR und Journalismus zwei verschiedene Sachen, so wie blau und grün zwei verschiedene Farben sind. Es gibt aber einen Bereich im Farbspektrum, in dem blau in grün übergeht, ohne deutliche Grenze. Muss man deswegen aufhören, die Begriffe „blau” und „grün” zu verwenden? Nein. Aber man soll nicht durch die Welt laufen und schreien: „Ich bin grün, grün ist toll, und alles was blauer ist muss ganz böse sein. Pfui!”
Wichtig war mir, mit etwas Ironie und Polemik eine Geisteshaltung zu kritisieren: Die Geisteshaltung, dass es eine scharfe Trennlinie zwischen dem guten, sauberen Journalismus und einem von Eigeninteressen gelenkten PR-Bereich gebe. Die emotionalen Reaktionen auf meine Aussagen bestärken die Meinung, dass diese Geisteshaltung allzu verbreitet ist.
Normalerweise besteht meine Arbeit in der Wissenschaftskommunikation einer Universität darin, wissenschaftliche Erkenntnisse einfach zu erklären, wissenschaftliche Publikationen in allgemeinverständlich lesbare Texte umzuwandeln. Die primäre Aufgabe der Wissenschaftskommunikation (oder “Wissenschafts-PR”, ein Begriff, den ich nicht so mag) liegt also darin, Wissen verfügbar zu machen. Es gibt andere Bereiche, die auch gerne „PR” genannt werden, deren Hauptaufgabe es oft ist, Fakten zu verbiegen oder zu verschleiern. Damit will ich meine Arbeit nicht in einen Topf geworfen sehen.
Natürlich wähle ich Themen aus, die ich schön, lustig und spannend finde – und dann klingt das Geschriebene oft auch positiv, ganz im Sinne der Institution, die mich bezahlt. Das ist richtig. Ein Journalist stellt wissenschaftliche Erkenntnisse meist auch positiv dar – denn fände er sie nicht faszinierend und spannend würde er wohl nicht darüber schreiben. Zum Glück habe ich, ähnlich wie ein Journalist, genug Freiheit und genug Auswahl an möglichen Themen um über Inhalte, die ich persönlich für unpassend halte, nicht zu schreiben. Ich bekomme keine Anordnungen, von oben, wissenschaftlich Unsauberes PR-technisch hinzubiegen. (Ich verkneife mir hier, über wohlbekannte Sachzwänge zu diskutieren, durch die eine Themenauswahl auch in ganz klassischen seriösen Zeitungen beeinflusst wird.)
Natürlich: Auch eine Uni braucht „klassische PR”, im politischeren Bereich, abseits von der Wissenschaft. Man kämpft um die besten Studierenden, man pflegt Kontakte zu mächtigen Partnern, man versendet politische Presseaussendungen. Das machen normalerweise nicht die Leute, die für Wissenschaftskommunikation zuständig sind, und das ist auch gut so. Ich würde nicht die Journalisten, mit denen in täglich zusammenarbeite, gleichzeitig auch mit Presseaussendungen über die Budgetsituation oder die Gründung einer neuen Fakultät beliefern wollen. Das ist ein anderes Geschäft.
Selbstverständlich gibt es im Wissenschaftsjournalismus Texte, die in dieser Form niemals von einer Universität kommen würden. Manchmal werden Uni-Skandale aufgedeckt, manchmal wird über unsaubere Praktiken berichtet, manchmal werden Plagiate ans Licht gebracht. Für diese Dinge sind natürlich die Journalisten zuständig, das ist nicht mein Revier. Aber mal ehrlich: Aufdeckungen sind kein besonders großer Teil des Wissenschaftsjournalismus. Trotzdem bin ich ganz zweifellos sehr dafür, dass Journalisten solche heiklen Themen anpacken. Das brauchen wir alle dringend. Weiter so!
Ich jedenfalls bleibe dabei: Universitäten müssen informieren. Das ist ihre soziale Pflicht. Eine Waschmittelfirma oder ein Transportunternehmen haben keine solche sozialen Pflichten – das ist der Unterschied. Ich fühle mich zuallererst der Wissenschaft verpflichtet, dann erst meiner Institution. Nun kann man mir gerne vorwerfen, ich hätte die falsche Einstellung zu meinem Berufsbereich, bisher war ich mit dieser Einstellung aber recht gut unterwegs.
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]]>Na gut, es stimmt: Es gibt traurigerweise wirklich Heerscharen von selbsternannten Kommunikations- und Medienexperten, die sich „Public Relations” oder „Unternehmenskommunikation” auf die Visitenkarte schreiben, sich wichtig fühlen und ihre gut bezahlte Arbeitszeit damit verbringen, den Journalisten auf die Nerven zu gehen. Ein ausgeprägtes Unbehagen mit solchen Leuten teile ich. Es ist auch völlig angebracht.
Die dunkle Seite der Macht
Immer wieder beobachte ich aber, dass von Journalisten in diese geistige Schublade alles hineingestopft wird, was nicht in den Bereich des klassischen Journalismus passt: Marketing- oder Werbe-Fuzzis, Blogger oder auch Leute aus der Wissenschaftskommunikation der Universitäten. Alles dasselbe. Die mischen sich da irgendwie in den Wissenschaftsjournalismus mit ein – das ist möglicherweise bedrohlich, auf jeden Fall aber verdächtig.
In diesem simplen Denkschema gibt es bloß das helle Licht des Journalismus – und die dunkle Seite der Macht, von der man sich fernhalten soll. Von Firmen, Unis oder öffentlichen Stellen bezahlt zu werden erscheint offenbar irgendwie eklig. Als ordentlicher Journalist muss man daher vor solchen zwielichtigen Leuten sauber abgrenzen und konsequent darauf hinweisen, dass man einer von den Guten ist!
Unhaltbare Grenzziehungen
Nun, ich bin einer von diesen Uni-bezahlten Schreiberlingen, und ich sehe die Sache etwas anders. Besonders kurios finde ich dieses Kastendenken dann, wenn Journalisten meine Presseaussendungen nehmen, vielleicht zwei Absätze leicht kürzen und sie dann als Artikel verwenden. Als Autor steht darunter dann: „Redaktion”.
Ich freue mich, wenn das geschieht, und ich finde diese Vorgehensweise auch nicht wirklich problematisch – vorausgesetzt, der Journalist hat den Text vorher sorgfältig durchgesehen und für solide befunden. Der Versuch, klare Trennstriche zwischen Wissenschaftskommunikation und Journalismus zu ziehen, ist angesichts solcher Praktiken allerdings eher lächerlich.
In anderen Bereichen sind diese Trennstriche unbedingt notwendig: Die Presseaussendung einer politischen Partei hat selbstverständlich nichts mit dem Zeitungsartikel zu tun, in den sie schließlich mündet. Auch Pharma-PR soll bitteschön möglichst weit von Gesundheitsjournalismus entfernt gehalten werden! Doch wer behauptet, im Wissenschaftsjournalismus seien die selben Trennlinien aufrechtzuerhalten, macht sich etwas vor.
Die Unis gehören zu den Guten!
Universitäten sind keine Privatunternehmen und Wissenschaft ist keine Zahnpastamarke. Wenn wir an den Universitäten Forschungserfolge nach außen tragen wollen, dann produzieren wir Information, keine Werbung. Wir wollen nichts verkaufen. Wir terrorisieren niemanden mit Telefonanrufen und dem eindringlichen Wunsch, doch einen Artikel über unser neues Produkt zu schreiben. Wir ärgern niemanden mit sinnlosen Pressekonferenzen, bei denen es außer aufwändig belegten Brötchen nichts zu holen gibt. Deswegen haben wir weniger Geld als die Werbeabteilungen in der Wirtschaft, aber wir machen uns zu verlässlichen Partnern für die Journalisten. Zumindest versuchen wir das. Ganz ehrlich!
Also, liebe Wissenschaftsjournalisten: Lasst uns Freunde sein! Ihr seid von uns nämlich genauso abhängig wie wir von euch. Ihr habt leider längst schon keine Zeit mehr, wissenschaftliche Originalpublikationen ordentlich durchzulesen. Wir machen das für euch und sagen euch, was wichtig ist. Ihr dürft mich auch anrufen, wenn ihr zu wissenschaftlichen Themen noch Zusatzinformationen sucht oder Interviewpartner vermittelt haben wollt. Und ich rechne auch eure Zahlenbeispiele nach, mit denen ihr den Herrn Professor nach dem Interview nicht mehr belästigen möchtet. Dafür greift ihr einige unserer Themen auf und bringt sie an ein breiteres Leserpublikum – im besten Fall mit ein paar neuen, zusätzlichen Ideen, die in meinem Text nicht vorkamen. Durch diese Form der Zusammenarbeit steigt am Ende die Qualität, und das ist doch unser gemeinsames Ziel.
Auf die Qualität kommt es an.
Auf beiden Seiten – sowohl in den Redaktionsstuben als auch an den Universitäten – gibt es verdammt gute und peinlich unfähige Leute, das wissen wir. Moralische oder fachliche Verfehlungen von unfähigen Leuten sollte man nicht verwenden, um ganze Berufssparten abzuwerten. Freuen wir uns als über die guten Leute auf beiden Seiten und produzieren wir mit ihnen gute Resultate. Die Leser werden sich freuen.
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]]>Von der Entdeckung eines Teilchens spricht man nur dann, wenn man mit sehr hoher Sicherheit sagen kann, dass es sich nicht um bloßen Zufall handelt. Theoretisch wäre es denkbar, dass rein zufällige statistische Schwankungen ein Signal verursachen, das aussieht wie ein Higgs-Teilchen. Man gibt daher die Wahrscheinlichkeit an, mit der das gemessene Signal zu beobachten wäre, unter der Annahme dass es das Teilchen gar nicht gibt.
Wenn wir einen Würfel haben und überprüfen wollen, ob der Würfel gezinkt ist, müssen wir auch statistische Methoden anwenden: Wenn ich zehnmal hintereinander eine Sechs würfle, dann werde ich zwar ziemlich sicher sein, dass es kein gewöhnlicher Würfel ist – doch theoretisch könnte ein solcher Effekt auch rein zufällig zustandekommen. Und genau davor versucht man sich zu schützen, in dem man möglichst viele Daten sammelt.
Gäbe es tatsächlich kein Higgs-Teilchen, wäre die Chance, die gemessenen Signale zu erhalten, extrem gering: Sie läge bei etwa eins zu 3.5 Millionen – bei einem einzelnen Detektor. Das entspricht ungefähr der Wahrscheinlichkeit, bei 22 Münzwürfen hintereinander “Zahl” zu werfen. Durch die Verwendung von zwei Detektoren, die praktisch idente Ergebnisse lieferten, erhöht sich die Sicherheit noch einmal deutlich. (Aus den Einzel-Wahrscheinlichkeiten der beiden Detektoren eine statistische Gesamt-Sicherheit zu berechnen, ist schwierig, weil die beiden Zahlen auf schwer einschätzbare Weise korrelliert sind.)
Fünf Standardabweichungen
Teilchenphysiker sind sehr vorsichtige Menschen. Eingebürgert hat sich die Grenze von fünf Standardabweichungen: Wenn das gemessene Signal so stark ist, dass es um mindestens fünf Standardabweichungen von dem entfernt ist, was man als bloßes Zufallssignal erwarten würde, dann kann man von einer Entdeckung sprechen. Daher war es psychologisch wichtig, diese symbolträchtige Grenze zu überschreiten. Mit den heute gezeigten Daten ist das gelungen: Die Daten des CMS blieben zwar mit 4.9 Standardabweichungen knapp darunter, der ATLAS-Detektor erreichte die magische Grenze von 5.0. Würde man die Daten beider Detektoren kombinieren, läge man sogar sehr deutlich darüber.
Ist es wirklich das Higgs?
Es gibt also keinen rational sinnvollen Zweifel daran, dass ein neues Teilchen entdeckt wurde. (Und das wurde auch von den CERN-Leuten heute klar gesagt.) Doch auch im nächsten Schritt lässt sich die extreme Vorsicht erkennen, die man beim Verkünden sensationeller Ergebnisse am CERN walten lässt: Man ist äußerst zurückhaltend damit, vom „Higgs-Teilchen” zu sprechen. Die Eigenschaften des neuen Teilchens konnten nämlich noch nicht alle im Detail erforscht werden, und so ist es theoretisch möglich, dass es sich um etwas Anderes als das Higgs-Teilchen handeln könnte.
Damit rechnet allerdings niemand wirklich: “Alle bisher gemessenen Charakteristika des Teilchens, etwa die einzelnen Zerfallsraten, mit denen sich das Higgs in andere Teilchen umwandelt, stimmen sehr gut mit den erwarteten Eigenschaften des Higgs überein”, meint Prof. Anton Rebhan vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. Aus seiner Sicht besteht daher kein Zweifel, dass man am CERN nicht bloß irgendein Teilchen entdeckt hat, sondern das langgesuchte Higgs.
Die Vorsicht der Hochenergiephysik-Community ist also sinnvoll und vorbildlich – doch: Wenn etwas aussieht wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es vermutlich eine Ente. Eine Zeitungsente hingegen sieht normalerweise ganz anders aus.
Die Entdeckung des Higgs-Teilchens bedeutet jedenfalls noch lange nicht, dass dieses Thema nun abgehakt ist – im Gegenteil: „Das ist erst der Anfang”, sagt Fabiola Gianotti, Sprecherin des ATLAS-Experiments. „Wir treten nun ein in die Ära der Higgs-Messungen.”
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]]>Im Büro wird diskutiert, wo der Ventilator aufgestellt werden soll. Einen zweiten wird es nicht geben, die Universitäten müssen sparen. Wäre es kühler, könnte man über das interessante strömungsmechanische Phänomen diskutieren, dass ein auf voller Drehzahl laufender, keine zwei Meter entfernter Ventilator auf mich nicht die geringste spürbare Wirkung hat. Aber so eine Diskussion klappt heute nicht. Es ist zu heiß.
Und dann frage ich mich: Warum eigentlich hat niemand Angst vor Hitzewellen? Unter Hitze zu leiden fühlt sich fast an wie krank sein: Die Leistungsfähigkeit sinkt, man schwitzt und fühlt sich schlecht. In einer Studie aus dem Jahr 2010 wurden Hitzewellen aus vierzehn Jahren in neun europäischen Städten untersucht. Die Sterblichkeitsrate steigt – je nach Stadt – während einer Hitzewelle um bis zu ein Drittel. Das klingt ziemlich drastisch. Trotzdem nehmen wir Hitzewellen recht unaufgeregt hin, ohne uns viel dabei zu denken.
Nun könnte man sagen: Bei einer Hitzewelle sterben ohnehin nur geschwächte Menschen, die ohne Hitze eben vielleicht ein paar Tage später gestorben wären. Insofern ist die Hitzewelle kein kalter Killer sondern höchstens ein sanfter Sterbekatalysator. Doch dasselbe lässt sich auch von vielen Krankheiten behaupten.
Stellen wir uns vor, es gäbe eine Krankheit, die im Sommer über uns hereinbricht, ausnahmslos die gesamte Bevölkerung erfasst und leiden lässt, und noch dazu eine beträchtliche Anzahl von Menschen tötet. Panik würde aufkommen, Gesundheitsminister würden mit ernster Mine versprechen, Gegenmaßnahmen zu setzen, die Zeitungen wären voll von Artikeln über neueste Forschungsergebnisse über die bedrohliche Seuchenkrise. Doch angesichts der Hitzewelle denken wir bloß: Es ist zu heiß.
Nein, ich will mich hier nicht über ausbleibende Panik beschweren und ich will hier nicht dazu aufrufen, den warmen Mittelmeerraum aus Gesundheitsgründen unverzüglich Richtung Skandinavien zu evakuieren. Vielleicht sollten wir aber, entlang solcher Überlegungen, auch manche andere medientauglichere Angstszenarien etwas kühler betrachten. Kühler? Ja! Es ist zu heiß.
Jedenfalls aber wünsche ich mir eines: Eine Klimaanlage. Auf Krankenschein. Es ist zu heiß.
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]]>Das Problem wurde freilich schon formuliert, als es noch lange keine Computer gab. Die Mathematik kannte schließlich auch schon vorher komplizierte Algorithmen – Kombinationen von Rechenregeln, die man nach einem festen Schema abarbeitet, um auf ein Ergebnis zu kommen. In der Schule haben wir zum Beispiel Algorithmen gelernt, mit denen wir große Zahlen per Hand multiplizieren konnten. Ziffer für Ziffer haben wir die Zahlen nach bestimmten Regeln bearbeitet, am Ende kam eine Zahl heraus – im optimalen Fall die richtige.
Das Collatz-Problem
Bei so einem Algorithmus ist es recht leicht zu zeigen, dass er ein Ergebnis haben wird. Es gibt aber auch Algorithmen, die möglicherweise nie auf ein Ende führen. Ein schönes Beispiel für so einen Algorithmus mit ungewissem Ausgang ist das Collatz-Problem: Wir beginnen mit einer beliebigen natürlichen Zahl. Wenn sie gerade ist, teilen wir sie durch zwei. Wenn sie ungerade ist, multiplizieren wir sie mit drei und addieren eins. Mit der Zahl, die wir nun bekommen haben, gehen wir genauso vor.
Beispiel: Wir beginnen mit 7 – ungerade, daher: 3×7+1=22. 22 ist gerade, das führt auf 11. Weiter geht’s mit 34, 17, 52, 26, 13, 40, 20, 10, 5, 16, 8, 4, 2, 1.
Die Collatz-Vermutung ist, dass man mit diesen Rechenregeln immer bei der 1 landet, egal mit welcher Zahl man beginnt. Doch lässt sich das beweisen? Gibt es eine Methode, die zuverlässig entscheidet, ob meine Rechenregeln auf ein Ende führen werden, oder ich vielleicht auf Zahlen stoße, die mich unendlich im Kreis schicken?
Im Fall des Collatz-Problems fehlt die Antwort noch immer. Alan Turing hat allerdings ganz allgemein gezeigt, dass es keine Rechenvorschrift (heute sagt man meistens: kein Computerprogramm) geben kann, um von beliebigen Rechenprozeduren zu entscheiden, ob sie zu einem Ende kommen werden. Das gelang ihm, indem er die Frage stellte: Was würde geschehen, wenn es ein solches Programm gäbe, und man dieses Programm sich selbst untersuchen ließe?
Wie sich zeigen lässt, führt dieser Gedanke auf einen logischen Widerspruch.
Mehr dazu hier auf www.naklar.at.
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]]>Turing war ein Problemlöser. Er löste sogar Probleme über das Problemlösen: Noch bevor die ersten Computer gebaut wurden, analysierte er mathematisch, was man mit solchen programmierbaren Maschinen alles machen könnte. Welche logischen Fragestellungen können von Maschinen gelöst werden?
Wird die Maschine zu einem Ergebnis kommen, oder wird ihre Berechnungen in alle Ewigkeit weiterlaufen?
Lässt sich ein Computerprogramm schreiben, das andere Computerprogramme analysiert und feststellt, ob dieses Programm ewig laufen oder zu einem Ergebnis kommen wird? Diese Frage war zu Turings Zeit als „Halteproblem” bekannt und galt als eines der zentralen Probleme der Mathematik. Turing hat es gelöst: Ein solches Programm ist logisch nicht möglich.
Krieg und Kryptographie
Turing half mit, das wohl grässlichste Problem seiner Zeit zu lösen: Die Ausbreitung des Nationalsozialismus während des zweiten Weltkriegs. Turing war kein Soldat auf den Schlachtfeldern, er kämpfte mit den Mitteln der Wissenschaft. Gemeinsam mit vielen anderen Spezialisten arbeitete er daran, die Geheimcodes der Nazis zu knacken um ihre Funksprüche verstehen zu können. Die Arbeit an diesem Problem, die so ganz nebenbei einige der ersten großen Rechenmaschinen hervorbrachte, war erfolgreich: Die Codes wurden geknackt, die Nazis wurden – auch mit Hilfe der so erlangten Daten – geschlagen. Turing wurde zum Kriegshelden, ohne einen einzigen Schuss abgeben zu müssen.
Bewusstsein und Berechenbarkeit
Kein Zweifel: Der Computer, bei dessen Entwicklung Turing eine wichtige Rolle spielte, löst für uns heute viele Probleme. Manche Leute meinen, er hätte in unserem Leben mittlerweile sogar schon eine zu große Rolle eingenommen und werde manchmal selbst zum Problem. Welche Probleme würde man sich einhandeln, wenn die Fähigkeiten von künstlichen Maschinen irgendwann die Fähigkeiten unseres eigenen Gehirns erreichen würden? Müssten wir einem Computer dann Denkfähigkeit und Bewusstsein zugestehen – vielleicht am Ende sogar Kreativität? Für unser menschliches Ego wäre das wohl ein schweres Problem. Turing sah das recht unaufgeregt: Wenn man ein Gespräch mit einer Maschine führt, ohne zu erkennen, dass es sich um eine Maschine und keine menschliche Intellienz handelt, dann müsse man der Maschine wohl Denkfähigkeit attestieren. Dieser „Turing-Test” konnte allerdings bis heute noch von keinem Computerprogramm zufriedenstellend bestanden werden.
Gesellschaft und Gewalt
Das vielleicht einzige Problem, das er nicht lösen konnte, war kein wissenschaftliches – es wurde ihm von der Gesellschaft und der Politik bereitet. Aufgrund seine Homosexualität wurde Alan Turing angeklagt, mit Hormonen behandelt und so in die Depression getrieben. Es ist anzunehmen, dass sein Tod im Alter von nicht einmal zweiundvierzig Jahren ein Selbstmord war. Welche Geistesblitze hätte die Menschheit von diesem Genie vielleicht sonst noch haben können!
Manche Probleme stellt uns die Wissenschaft – sie zu lösen ist eine spannende, großartige Abenteuerreise. Andere Probleme werfen wir uns gegenseitig selbst an die Köpfe – damit sollten wir schleunigst aufhören.
Alles Gute zum Geburtstag, Alan Turing!
Einen ausführlicheren Artikel über Alan Turing gibt es auf naklar.at.
Was ist eine Turing-Maschine? Diese Frage wird hier beantwortet.
Ein Artikel über das Halteproblem wird noch folgen.
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