Es wurde im letzten Jahr eine Menge “geschimpft” über den Medizinjournalismus. Das neue Jahr möchte ich deshalb mal proaktiv angehen und uns Journalisten ein paar Tipps für bessere Artikel an die Hand geben (wie immer mit der Gefahr, dass sie mir eines Tages selbst um die Ohren gehauen werden).

Natürlich habe ich die Tipps nicht gerade erst erarbeitet. Im Gegenteil. Voll geklaut. Ich greife auf eine Liste zurück, die ich im November von Gary Schwitzer in Form eines Mousepads überreicht bekam. Mit ihm saß ich auf der Wissenswerte-Konferenz in Bremen auf einem Panel zum Thema “Peer Review im Wissenschaftsjournalismus” (ein zugegeben etwas akademisch daher kommendes Thema, auf das wahrscheinlich nur Wissenschaftsjournalisten kommen können).

Schwitzer hat 15 Jahre als Journalist gearbeitet. Dann wechselte er ins akademische Lager an der University of Minnesota, an die School of Journalism and Mass Communication, um sich der Verbesserung des Medizinjournalismus zu widmen.

Ganz in diesem Sinne leitet er HealthnewsReview.org. Das ist eine bemerkenswerte Seite, auf der Schwitzer und sein Team professionell Medizin- und Gesundheitsartikel in den Medien beurteilen (schon beim Lesen der Reviews lernt man eine Menge oder wird mal wieder daran erinnert, was einen guten Artikel ausmacht. Hilfreich ist auch das Toolkit für Journalisten.).

Am Ende eines Reviews vergeben die Gutachter (es sind immer Zwei plus Schwitzer) Sterne wie Noten von 1 bis 5. Um in die ganze Begutachtung System hineinzubekommen (und auswert- und vergleichbare Daten zu erhalten), arbeitet jeder Reviewer einen zehn Punkte-Katalog ab. Und genau diese zehn Punkte hat Schwitzer auf einen Mousepad gepackt (und es uns, den Panelteilnehmern, als kleines Willkommensgeschenk überreicht).

Das Moussepad sieht so aus:

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Das lass ich jetzt erst einmal so stehen und wirken.

Natürlich erklären Schwitzer und sein Team, was sie genau damit meinen. Einfach auf die Homepage von HNR.org und dort rechts unter “Our Criteria For What Consumers Need In Stories” nachschauen, dort gibt’s auch gute und schlechte Beispiele. Etwas ausführlichere Erklärungen gibt es hier.

Wer will kann dazu ja mal Anmerkungen machen. Fehlen Punkte? Sind welche fehl am Platz? Gibt’s einen Punkt, der unverständlich ist? Nur zu … Lasst uns an unserer Zunft arbeiten.

Zusatz:
Neben der Reviewseite betreibt Gary auch noch einen ebenso lesenwerten Blog, auf dem er immer wieder auf gute und schlechte medizinjournalistische Beispiele in den Medien aufmerksam macht. Vor allem widmet er sich dort auch immer wieder TV-Beiträgen. Die sind nämlich nach drei Jahren aus den Reviews seiner Organisation rausgeflogen. Sie seien in der Mehrheit einfach so schlecht, dass es einfach Zweitverschwendung ist, dies immer wieder fest zu stellen, erzählte er uns auf der Konferenz.

Kommentare (7)

  1. #1 Michael
    1. Januar 2010

    Wie wär’s mit folgendem:

    – Sorge dafür, dass die Schlagzeile den Inhalt der Veröffentlichung korrekt zusammenfasst.

    Wie oft hat man schon Schlagzeilen gelesen, und nach dem Lesen des Artikels stellt sich heraus, dass dieser entweder viel vorsichtigere Aussagen trifft oder sogar gegenteilige. Die Schlagzeile wird vom Leser als Erstes gelesen, und oft auch als Einziges. Wenn sie dann nicht stimmt, kann dieser erste falsche Eindruck nicht mehr korrigiert werden.

  2. #2 Marcus Anhäuser
    1. Januar 2010

    Guter Punkt. Aus zeitungstechnischer Sicht (und auch magazin- und vor allem onlinetechnischer Sicht) ist eine Überschrift extrem wichtig. Sie zieht den Leser in den Artikel. Eine starke, griffige Überschrift kann mit darüber entscheiden, ob ein Beitrag wahrgenommen wird. Leider führt diese starke Stellung immer wieder dazu, dass man da schon mal 5 gerade sein lässt (mit der inneren Entschuldigung: “Im Artikel wird es ja erklärt. Hauptsache, der Leser fängt überhaupt mal an, den Text zu lesen.”). Im Medizinjournalismus ist das besonders fatal, weil es vielleicht um Therapien geht, von denen sich ein Leser vielleicht Heilung erhofft.

    Vielleicht auch wichtig: Die Überschriften kommen nicht unbedingt vom Autor selbst (wenn es ein freier Autor ist). Es gibt sogar extra Titelkonferenzen bei einigen Medien, in denen nur über die Überschriften nachgedacht und diskutiert wird (weil sie eben so wichtig sind). Und nicht immer haben alle den Artikel (komplett) gelesen oder verstanden.

  3. #3 strappato
    2. Januar 2010

    In Deutschland und alle anderen “sozialistischen” Gesundheitssysteme würde man zu der Verfügbarkeit und Kosten noch die Frage der Erstattung durch die Krankenkassen berücksichtigen.

    Es würde schon helfen, wenn z.B. beim Bericht über eine neue Therapie oder Diagnostik, die ambulant eingesetzt werden soll, die wenigen Studien in Hinblick auf die Kriterien des G-BA bei der Prüfung auf Erstattungsfähigkeit bewertet werden und berücksichtigte würde, dass der Prozess 2 Jahre und länger dauern kann. Oder bei neuen stationären Behandlungen, die noch nicht in den Fallpauschalen berücksichtigt sind, einfach mal ein Blick in die NUB-Antragsliste geworfen wird, ob Zusatzentgelte für diese neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) erfolgreich vereinbart wurden und von wievielen Krankenhäusern.

    Es bleibt natürlich ein Problem. Der Leser hat möglicherweise ein reales Interesse an dem neuen vorgestellten Verfahren. Wenn klar wird, dass das ganze noch experimentell ist, oder eine Erstattung durch die Krankenkassen in weiter Ferne, dann verliert der Artikel schnell das was die Leser ansprechen soll und wird uninteressant.

  4. #4 Marcus Anhäuser
    2. Januar 2010

    Vom Punkt “Kosten” dachte ich immer, dass er bei uns eigentlich keine so wichtige Rolle spielt wie in den USA. Angesichts unseres “Kassensystems” bei dem der Patient gar nicht mitbekommt, was es kostet, ist diese Info scheinbar nicht wirklich interessant.

    Aber dann kam die Kostenfrage irgendwie durch die Hintertür herein: Nämlich in der Diskussion mit der HPV- und der Schweinegrippenimpfung. Im Vergleich nämlich, was sie in Deutschland kostet und was sie in anderen Ländern kostet.

    Bei experimentellen Sachen ist es natürlich schwierig, schätze ich, aussagekräftige Zahlen zu bekommen, zumal man noch nicht mal weiß, ob es überhaupt was wird. ich glaube, das berücksichtigen Schwitzer und seine Kollegen auch.

    Was anderes wird es bei Phase 3-Studien. Da sollte man vielleicht schon eine Ahnung davon bekommen, wie teuer das wird (vor allem im Vergleich zu etablierten Therapien), um dann eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufzumachen.

  5. #5 Alexander Stirn
    2. Januar 2010

    Eine Frage, die bei der Recherche zumindest immer im Hinterkopf sein sollte, ist: Who benefits? Also warum erzählt mir der Gesprächspartner genau das? Warum geht ein Forscher jetzt mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit? Was ist die Motivation? etc.

    Davon abgesehen sind die zehn Punkte sicherlich eine notwendige Voraussetzung für guten Medizinjournalismus, aber noch keine hinreichende. Ein Artikel muss auch (und jetzt wird es zwangläufig vage) gut geschrieben sein. Er muss die Forschung in die Sprache und die Welt der Leser übersetzen. Er muss im Idealfall eine packende Geschichte erzählen. Also alles Punkte, die sich nicht so einfach in eine Checkliste packen lassen.

  6. #6 Marcus Anhäuser
    2. Januar 2010

    Klar, das ist natürlich ein Aspekt, der ganz schwierig zu begutachten ist (“gut geschrieben sein”). Aber das sind rein journalistische Aspekte, die Schwitzer und seine Kollegen aussparen, weil es einfach schwierig fassbar ist. Die meisten der Reviewer sind Mediziner, es gibt nur ein paar Journalisten als Reviewer (inkl. Schwitzer selbst).

    Das mit dem guten Schreiben usw. da finde ich fängt dann die Kunst an. Das machte den vollständigen Journalisten aus. Da gibt es die handwerklichen Punkte, zu denen Schwitzers zehn Punkte zählen, wenn die schon alle hätten, wäre schon viel erreicht. Aber dann kommen noch diese Aspekte, die wirklich tolle Geschichten ausmachen. Sprachgefühl, Stil, Metaebene usw. die hohe Kunst eben. Aber das ist eben schwer messbar, zumal in der Menge und Schnelligkeit, mit der Schwitzer und sein Team die Sachen wegreviewen. Er meinte, wichtig sei ihnen auch möglichst zeitnah zu begutachten, am besten einen Tag, vielleicht zwei Tage später, da sind die Artikel noch frisch.

    Interessant finde ich auch, dass jeder Autor mitgeteilt bekommt, dass sein Artikel begutachtet wird. Eigenartige Vorstellung.

  7. #7 Adromir
    3. Januar 2010

    Gerade Punkt 8 wird sowas von oft ignoriert. Da wird irgendein Ergebnis hochgejubelt, als hätte man den heiligen Gral der Medizin gefunden und wenn man genau hinschaut, dann muss man sich wundern, wie jemand eine solche Schundstudie überhaupt finanzieren konnte..
    50 Patienten, unverblindet.. ja ne ist klar..