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Wer heute in einer deutschen Stadt fast beliebiger Größe eine Wohnung sucht, steht vielfach vor der Notwendigkeit, das nehmen zu müssen, was er bekommen kann – ohne große Auswahlmöglichkeiten. Seit Jahren ist das schon so. Vor allem, was bezahlbaren Wohnraum anbelangt, herrscht ein eklatanter Mangel. Selbst die Bundesstatistiker müssen zugeben, dass mittlerweile mehr als eine Drittelmillion Menschen in überfüllten Verhältnissen wohnen müssen.

Zu wenig Auswahl bei zu großer Nachfrage. Das führt gemäß marktwirtschaftlichen Prinzipien immer zu einer Preiserhöhung – wenngleich der reine Mangel nur ein Teil der hohen Preise ist; der andere besteht in gestiegenen Erwartungen an Fläche und Ausstattung und natürlich zu einem gewissen Teil in Gentrifizierung, Luxussanierungen. Betroffen sind viele Bevölkerungsgruppen, am dramatischsten jedoch die unteren Einkommensschichten. Sie müssen den größten prozentualen Anteil ihres Einkommens für Mieten aufwenden.

Versprechen vonseiten der Politik gibt es viele und das schon seit Jahren. Dennoch fehlen bundesweit fast zwei Millionen Wohnungen und werden knapp 350.000 Stück pro Jahr benötigt. Allerdings kommt dieser Mangel nicht von ungefähr. Dahinter stehen sehr viele Faktoren und einige zentrale Gründe.

  1. Gestiegene Vorschriften

Jeder, der ein Haus errichtet oder kernsaniert, muss dabei eine ganze Reihe gesetzlicher Vorgaben beachten. Sie sind die erste Ursache für den Wohnraummangel. Denn seit einigen Jahren sind sowohl Anzahl wie Umfang der zu erfüllenden Regularien stark gestiegen. Vieles davon hat zwar hehre Ziele, da es sich auf die Themenkomplexe Energetik und Umweltschutz fokussiert, das ändert jedoch nichts daran, dass es jedwede Bautätigkeit verkompliziert und verteuert.

Übrigens gehört zu diesem Punkt auch die Tatsache, dass es heute vielerorts deutlich länger dauert, von der Planungs- in die Durchführungsphase einzutreten. Dafür sorgen unterbesetzte Verwaltungen, wodurch Baugenehmigungsverfahren teils jahrelang andauern. Zwar gibt es in jeder Landesbauordnung festgelegte Fristen; in der Realität werden diese jedoch regelmäßig überschritten – auch deshalb, weil viele Amtsstuben noch ausnehmend analog arbeiten.

Das Baugewerbe wird immer älter. Junge Leute kommen jedoch nicht einmal ansatzweise genug nach.
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  1. Der Fachkräftemangel

1995 arbeiteten in Deutschland 3,23 Millionen Menschen im Baugewerbe. Bis 2006 hatte sich diese Zahl auf nur noch 2,17 Millionen reduziert. Der seitdem eingetretene Aufwärtstrend ist überschaubar: 2,56 Millionen Angestellte in 2020. Damit bestand im gleichen Jahr in nicht weniger als 77 Prozent der Unternehmen ein eklatanter Mangel an Fachleuten.

Hier ist die Sachlage simpel: Deutschlands Tief- und Hochbauer, Dachdecker und alle anderen Bauhandwerker arbeiten seit Jahren am Leistungslimit. Es gibt zu wenige Handwerker, zu wenige Firmen und auch die offenen Grenzen können daran nichts ändern – in den meisten EU-Ländern sieht es nicht besser aus, sodass Auftragsvergabe an ausländische Firmen keine universell wirksame Alternative ist. Hierin besteht eine der größten Gefahren, den Wohnraummangel in absehbarer Zeit abstellen zu können.

Denn zum reinen Fachkräftemangel kommt noch Überalterung. 2019 gab es gerade einmal 40.485 Auszubildende im Baugewerbe – in allen Berufen zusammengenommen, wohlgemerkt:

  • 8400 Maurer,
  • 7400 Dachdecker,
  • 850 Gerüstbauer,

um nur drei der typischsten Berufsbilder zu nennen, befanden sich 2019 in Ausbildung. Besser ist es nur bei den Elektrikern sowie Gas-Wasser-Installateuren. Insgesamt leidet das Baugewerbe jedoch unter einer enormen Unterversorgung mit Nachwuchs – die Schere Facharbeiter zu Auszubildende öffnet sich beständig.

  1. Schwierigkeiten der Stadtplanung

Wohnraum lässt sich niemals getrennt von seinem Umfeld betrachten. Hinzu kommen zahllose andere Faktoren:

  • Verkehrsanbindung,
  • Luftdurchmischung,
  • Abschattung,
  • Grünflächenanteil,
  • generelle Größe der zur Verfügung stehenden Bauflächen,
  • Notwendiger und oft gesellschaftlich schwieriger Abriss.

Zu diesen harten Faktoren gesellt sich noch eine ganze Anzahl weicher Faktoren: Wohnraum muss in jedem Fall „menschlich“ sein. Es muss gewährleistet sein, dass eine soziale Durchmischung stattfindet, dass nachbarschaftliche Aspekte erfüllt werden, dass Wohnqualität auch gegenüber multiplen Lebensentwürfen nicht zurücksteht.

Diese interdisziplinäre Stadtplanung, die zahllose Stellen und Verantwortlichkeiten tangiert, macht es ebenfalls enorm schwierig, schnell Wohnraum entstehen zu lassen. Dabei ist es jedoch auch keine Option, Einschnitte zu machen. Was dann geschieht, lehrt die Vergangenheit:

Beinahe jede deutsche Stadt hat Erfahrungen mit vorschnell errichteten Großwohnsiedlungen. Viele davon wurden rasch zu Brennpunkten, da vor allem die weichen Faktoren nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Hier stand der Wunsch, möglichst schnell möglichst viele Wohneinheiten bereitzustellen, über allem anderen. Die Berliner Gropiusstadt ist ein solcher Fall. Sie konnte erst kürzlich, nach umfassenden Eingriffen, von einem jahrzehntelangen Brennpunkt zu einem qualitativen Wohnort gewandelt werden.

Das heißt, urbaner Wohnraum muss es vielen recht machen. Das macht den Bau langwierig, ist aber alternativlos, um für lebenswertes Wohnen zu sorgen, nicht einfach nur Unterbringung.

Wohnraummaximierung um jeden Preis sorgt sehr oft für die Entstehung sozialer Brennpunkte. Die nötige Planungssorgfalt verzögert Projekte jedoch automatisch. (Stock.adobe.com © Tommy)

  1. Sich rasch wandelnde Zielgruppen

Schon aus dem Begriff „Immobilie“ geht hervor, dass Flexibilität nicht zu den Kernkompetenzen gehört. Ansätze, um Wohnraum flexibler nutzen zu können, gibt es zwar reichlich; oft scheitern sie jedoch an Bürokratie, Unwillen der Finanziers, Ansprüchen der Bewohner – teils auch an allem gleichzeitig.

Denn wer in Städten Wohnraum sucht, ist eine äußerst heterogene Gruppe:

  • Sie benötigen niedrigpreisigen Wohnraum in Hochschullage. Wahlweise als Einzelwohnung oder sehr große Wohneinheit für WGs.
  • Sie können sich mehr Wohnraum leisten, wünschen aber häufig mehr Fläche für den Nachwuchs, dazu eher ruhige Wohnquartiere, die dennoch gut angebunden sind.
  • Sie gehören (noch) vielfach zu einer eher zahlungskräftigeren Klientel, hier zeigt sich jedoch immer stärker, dass Jahrgänge verrentet werden, die weniger Bezüge bekommen. Gleichsam haben Senioren hohe Ansprüche an Barrierefreiheit und eine möglichst umfassende Versorgung im engsten Umfeld.
  • Sie werden vom größeren Arbeitsplatzangebot der Städte angelockt, sind aber gleichzeitig eine heterogene Gruppe, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, nur geringe Finanzmittel zu besitzen.
  • Singles und kinderlose Paare. Sie stellen einen immer größeren Anteil an der Gesamtbevölkerung. Vielfach, wenngleich nicht immer sind sie recht zahlungskräftig. Dafür wünschen sie aber auch einen perfekt zu ihren Wünschen passenden Wohnraum, oft auch deutlich mehr, als eigentlich nötig wäre. Für sie ist auch ein möglichst umfangreiches Kulturangebot in der Nähe von Bedeutung.

Hier besteht das Problem darin, dass sich die Zielgruppen des Wohnungsbaus beständig wandeln. Dass beispielsweise verstärkt Rentner in (Groß-) Städte ziehen, ist ein Phänomen, das erst mit den 2010ern Fahrt aufnahm. Auch die Zahlen der Studierenden sind noch nicht lange so hoch – 2008/09 gab es nur zwei Millionen, aktuell sind es knapp drei Millionen.

Es ist enorm schwierig, angesichts von jahrelangen Finanzierungs-, Planungs- und Errichtungsphasen derartige Trends absehen zu können. Vielfach kam es schon vor, dass Wohnraum für Zielgruppen errichtet wurde, die bei Fertigstellung längst andere Optionen wahrgenommen hatten.

Auch aktuell bahnt sich ein derartiger Trendwandel an: Speziell die COVID-Situation hat dafür gesorgt, dass Wohnraum verstärkt auch Arbeitsraum sein muss. Und für zahlreiche Wirtschaftsexperten ist klar, dass dieser massiv gestiegene Trend zum Homeoffice unumkehrbar ist. Entsprechend muss Wohnraum auch verstärkt diese Notwendigkeit ansprechen.

  1. Eine beständig steigende Stadtlust

Über lange Jahre galt zumindest im Westteil des Nachkriegsdeutschlands eine eherne Regel: Wer es sich leisten konnte, zog aufs Land und in die Vorstädte. Das Eigenheim im Grünen wurde zum Idealbild und war dank einer heterogenen Verteilung von Arbeitsplätzen auch realistisch machbar.

Doch viele Faktoren wandelten sich seitdem. Pendeln wurde immer teurer. Firmen jeglicher Couleur wandten sich wieder den urbanen Zentren zu, dank EU-Freizügigkeit kamen viele Menschen aus anderen europäischen Nationen, ließen sich ebenfalls bevorzugt in den Städten nieder.

Jüngst hat die Landflucht in Deutschland sogar Rekordwerte erreicht. Nicht nur polemisch überspitzt gilt „Alle in die Stadt“, ganz besonders für junge Menschen. Dieser beständig steigende Zuzug übertrifft momentan alle potenziellen Entspannungsmomente, die sich durch sinkende Geburtenraten hätten einstellen können. Die Leidtragenden sind sowohl die Städte, deren Wohnungsnot noch drängender wird, wie die Dörfer. Sie erleben eine ungekannte Abwanderung, werden noch unattraktiver – was wiederum die Spirale weiter verstärkt.

Zusammengefasst ergibt das einen toxischen Cocktail, der für die kommenden Jahre eher noch eine Verschärfung verspricht. Und echte Lösungen kann nur eine geeint und stringent vorgehende Politik liefern – just daran fehlt es aber vielerorts.

Cedric Küsters ist freischaffender Stadtplaner sowohl für öffentliche wie private Auftraggeber. In dieser Eigenschaft hat er intime Kenntnisse der Wohnraumproblematik und versucht, bei den Verantwortlichen ein größeres Verständnis für die dahinterstehenden Wirkmechanismen zu schaffen.