Man wird sich noch an den Jubel erinnern, als die Genetiker im Jahre 2003, als die Doppelhelix 50 Jahre alt wurde, verkündeten, sie hätten das menschliche Genom mit seinen rund drei Milliarden Buchstaben in Form von Basenpaaren komplett entziffert, was die populären Medien gleich zu der Übertreibung steigerten, man habe das menschliche Erbgut entschlüsselt. Beide Auskünfte sind falsch. Das mit dem Entschlüsseln ist schlicht Unsinn, und das mit der Vollständigkeit beim Entziffern war eine glatter Fake, wie man in den Tagen mit dem notorischen Lügner Trump sagt. Das heißt, viele hundert Millionen Buchstaben der genetischen Schrift des Menschen waren den damaligen Methoden nicht zugänglich, weil sie lange identische Folgen wie cacacacacacacacacacacacacaca enthielten, denen sich kein Ort im Genom zuweisen ließ. In diesen Tagen verkündet ein Team von 70 (!) Wissenschaftlern, die bestehenden Lücken durch Einzelsequenzierung aller Chromosomen geschlossen zu haben, fast jedenfalls. Das Team konnte 135 Millionen fehlende Buchstaben nachliefern, dass bekannte Genom umfasst nun 3.057 Milliarden Buchstaben – aber es fehlt immer noch etwas. Es fehlt zum Verständnis zum Beispiel ein Hinweis darauf, was für eine Aufgabe die bislang fehlenden Abschnitte übernehmen, und es fehlen zu einem kompletten Genom noch die DNA Bereiche, die für die RNA stehen, die sich in den Ribosomen findet, mit denen die Proteine hergestellt werden, ohne die jedes Leben stirbt oder gar nicht erst in Gang kommt. Mit anderen Worten, auch Jahrzehnte nach dem Blasen der Fanfaren über das Öffnen der Sequenzen bleibt das Geheimnis des Lebens verschlossen. Was kann den Menschen Besseres passieren?

Kommentare (2)

  1. #1 DH
    Oktober 20, 2020

    “Was kann den Menschen Besseres passieren?”
    Der Moment der finalen Erkenntnis als Moment der finalen Selbstabwicklung?

  2. #2 Angelika Wittig
    Berlin
    Oktober 30, 2020

    Das größte Problem der Forscher ist der Mangel an Verständnis für die natürlichen Prozesse des Gebens und Nehmens.
    Was bedeuten eigentlich Aktion und Reaktion?
    Der Physiker Richard Feynman hat es einmal sehr treffend beschrieben: hier sinngemäß wiedergegeben)
    Wenn du einen Vogel detailliert beschreiben kannst, weißt, welche Nahrungsmittel er zu sich nimmt, wie seine Flügel funktionieren und woraus seine Federn bestehen, weißt du noch nichts Wesentliches über ihn.
    Genauso ergeht es Forschern, die, erbsenzählerisch und detailverliebt, bis zum Sankt Nimmerleinstag zählen und beschreiben, ohne das Wunderbare im Gesamtbild zu erkennen.
    Dabei ist es so einfach:
    Sie sollten ein berühmtes Zitat einfach umdrehen:
    Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.
    Aus Vertrauen wächst der Mut, anzuzweifeln was man vor sich sieht, also der Mut zur Unordnung und die Liebe zur Erkenntnis.