Heute ist der letzte Tag, an dem ich einen solchen Blogpost noch irgendwie begründen kann. 10 Jahre Plazeboalarm, 2005 bis 2015. Eigentlich sollte der Text schon im April online gehen. Hab’s irgendwie nicht geschafft. So ist das mit dem Bloggen. Hier also der Text mit ausgiebiger Selbstbeweihräuscherung.
Ben Goldacre und seine Bad Science-Kolumne im Guardian war das Vorbild.
Martin, danke, dass Du das damals mit mir angefangen hast. Ohne Dich wär das nicht entstanden. Wenn jemand mal Argumente für die Wissenswerte (die jährliche Konferenz für Wissenschaftsjournalisten) sammelt, hier gibts eines. Wir haben uns damals zum ersten Mal auf der Wissenswerte 2 (2004) getroffen, und über das Blogformat gesprochen, denn Du hattest schon einen, und ich wusste noch nicht mal, wie man so was aufsetzt. Wie man sieht, haben wir das damals bei Antville installiert, einem der ersten freien europäischen Webhosting-Systeme für Weblogs. Wir hatten uns ein ausgeklügeltes System von Alarmstufen überlegt, bei dem LeserInnen sehen konnten, was von der Wissenschaft in einem Produkt/Werbespot usw. zu halten ist oder wo wir uns in der Recherche befinden.
Ich finde heute noch, Martin, dein Post zur FAZ und dem Paul Scherrer Institut und der angeblichn “Entdeckung” der Elemente 113 und 115 (Teil 2 hier), war damals eine der besten Storys aufm Blog. “Die” machen also auch Fehler, schau an. Die Recherche war sogar Thema eines Artikels an der Uni Hamburg (pdf: Die Entdeckung, die keine war. Wie die Inhalte einer inkorrekten Pressemitteilung ihren Weg in die Printmedien fanden). Martin war bis Anfang 2010 mehr oder weniger dabei.
Zumindest einmal kann ich behaupten, ich war meiner Zeit meilenweit voraus: Einen „Wissenschaft in Werbung-Check“ (einer der Gründe für die Gründung des Blogs und hier in einem Artikel auf stern.de beleuchtet) gibt es heute an einigen Ecken.
Apropos wissenschaftliche Werbeversprechen: Ich hab’ doch tatsächlich mal eine Actimel-Studie gemacht, also alleine, hahaha.
Die meist gelesenen Posts sind der Beweis für die These, dass sich im Internet die Information ihre Leser sucht, in Print ist das eher Zufall, dass es die richtigen erreicht. Beleg: Die Artikel über ein Saftkonzentrat namens Cellagon aurum sind seit Jahren meine meistgelesenen Artikel. Weil sie auch heute noch einige der ganz wenigen kritischen Texte dazu sind, die daher gerne verlinkt werden, und bei Google ganz oben landen.
Dann kam Esowatch (heute Psiram), Leberreinigung und Herr F.
Und wenn jemals das abgegriffene Bild vom Flügelschlag, der einen Orkan auslöst, gepasst hat, dann war das aus meiner Sicht die ganze Bankhofer-Geschichte. Es begann bei Stationäre Aufnahme in den Kommentaren, dann kamen an einem Montag Stationäre Aufnahme und Boocompany mit ihrem Video (Video nicht mehr online, boocompany auch nicht, hockeystick, strappato, lanu, wo seid ihr eigentlich abgeblieben?). Dann kam Niggemeier, Knüwer, ich auch, dann musste Bankhofer am Donnerstag gehen (zuvor hatte schon Antes mehrfach (2004 und 2006) beim WDR interveniert), ich setzte noch einen drauf, (der WDR entlastete später Bankhofer, wollte aber trotzdem nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten), ich erklärte die Masche ein Jahr später an einem anderen Beispiel nochmal ausführlich in zwei großen Artikeln in der SZ (eine ganze Seite hatte ich dafür), und 2010 wurde es dann in einem anderen Fall nochmal offiziell erklärt. Was für Bankhofer wie eine große Verschwörung aussah (oder aussehen sollte), war am Ende nur ein Beispiel für die Dynamik, die auch die Blogwelt entfalten kann.
Und in der ganzen Diskussion über Unternehmerjournalismus und „Ein Journalist muss sich zur Marke machen“, da denke ich immer an Bankhofer (wenn das keine Marke ist), im Vergleich zu dem sind alle anderen Waisenkinder. Der hat das schon gemacht, und das multimedial (Zeitschriften, Bücher, TV, Radio, Internet), da haben einige der Verfechter der letzten Jahre noch die Schulbank gedrückt. Und der Fall zeigt – finde ich – wo die Probleme entstehen.
Es gibt ein paar Artikel, die ich immer noch mag, auch wenn manche reichlich bekloppt sind (völlig ohne Ordnung gepostet). Falls Euch andere Texte erwähnenswert sind, einfach in den Kommentaren posten:
Linkliste:
Der Rsnmgnt(o)wdrstnd oder wie heißt der Effekt?
Alpecin 1, Alpecin 2, Alpecin 3,
GMX Gesundheit: Redaktionell oder werblich?
Saftige PR bei den Bürgerjournalisten (aktualisiert)
Formoline und Co.: Bringen die was beim Abnehmen?
Wie Peter Moosleitners interessantes Magazin mein Leben veränderte (Nachtrag 4.11.15)
Auch hinter der sanften Medizin steht eine harte Industrie
Gibt´s immer noch: Sauerstoff zum Trinken
Stammzellen und DNA in der Kosmetik
23andMe: Meine Gene kriegt Ihr nicht
Abnehmprogramme: Der Fettverbrennungsofen zur reinen Unterhaltung (Nachtrag 10.2.10)
Wie Muttern neulich Verschwörungstheoretiker und Impfgegner entsorgte und mich nicht mal fragte
Das müssen wir klären: Warum immer nur Edzard Ernst? (Nachtrag 15.7.)
Selfmade Sprachforschung: Von der DNS zur DNA
Draußen 3: Ich hab’ den Spunk gesehen
Keine Angst: Softdrinks erhöhen Krebs-Risiko um 87%
Apothekennummer, Medizinprodukte, Patente: Scheinbegriffe, die wirken (Nachtrag)
Die ganz eigene Komik der Lebensmittelindustrie (Nachtrag)
Eine Weltkarte der Amokläufe (an Schulen) (ergänzt 18.12.b)
Skype-Interview: Gentechmais, Rattenkrebs und der Wissenschaftsjournalismus
Die Angst der Kommunikatoren vor der PR
Linkliste: Empfehlungen für eine bessere Wissenschafts-PR allerorten (Update 20.11.14)
Linkliste: Empfehlungen für eine bessere Wissenschafts-PR allerorten (Update 20.11.14)
Verbraucherjournalismus, der nervt: Geplantes Kaputtgehen (Nachtrag 4)
Eine anmaßende Gesundheitsministerin und ihr Problem mit der Naturwissenschaft
Das Jugendlager der Verschwörungstheoretiker: Jugend-TV.net (Nachtrag 10.11.)
Es gab ein paar Ansätze Journalismus zu erweitern, mit Extended Versions von Artikeln, Ergänzungen hier im Blog.
Und es gab Serien und vor allem Serienanfänge hier im Blog, die nie weitergeführt wurden.
Manches ist mir heute peinlich: Ich hab doch echt mal geradezu um Bildblog-Links gebettelt (nicht mehr gefunden). Und: Die ersten Jahre habe ich (haben wir) alle Texte in der „wir“-Form geschrieben, „ich“ habe ich mich nicht getraut.
Eines Tages, (an einem Freitag) kam Post vom Anwalt von Adel Massaad. Da habe ich mich erschreckt und danach den Schwanz eingezogen, obwohl es eigentlich Quatsch war. Is’ so. Keine Pointe.
Es gab sogar mal eine Zeit, in der das hier der meistgelesene Wissenschaftsblog der Welt war ;-). Irgendwann kam Florian und sein Astrodicticum simplex und rauschte über uns alle hinweg. Und Lars’ Fischblog, den ich lange nicht mitbekommen hatte. (Mit Florian habe ich dann später sein Buch “2012 – Keine Panik” gemacht.)
Es ist dann ein paar Jahre auch recht ruhig geworden, thematisch ist es völlig entglitten, aber zuletzt kribbelte es wieder in den Fingern. Zwischendurch habe ich dann auch mal versucht, mit Bloggen Geld zu verdienen und hier bei Sb den Corporate-Blog Beauty full Science mitgemacht – dann aber abgebrochen, weil mir klar wurde, dass ich nicht für Firmen, sondern über Firmen schreiben sollte.
Und wenn jemand eine Liste macht mit Bloggern, die erklären können, ob sich das alles gelohnt hat, heb’ ich den Finger. Nicht direkt monetär. Aber, und das war komisch: Da hatte ich schon ein paar Jahre für Spiegel Online und die SZ geschrieben, aber angesprochen wurde ich regelmäßig auf Plazeboalarm. Die Arbeit für den Plazeboalarm (und auch das zeitlich begrenzte Labortagebuch) wurde 2010, 2011, 2012 mal lobend erwähnt. Es gab sogar mal eine Zeit, in der der Blog der meistgelesene Wissenschaftsblog war.
Und: Ich bin heute auch beim Medien-Doktor, weil ich diesen Blog gemacht habe.
Wichtige Erkenntnis zum Blogwesen: Kommentare löschen, hat nichts mit Zensur zu tun. Irgendwie schwebte das in den Anfangsjahren immer so ein bisschen über den Köpfen. Aber: My blog, is my castle. In mein Haus lasse ich rein, wen ich will, und schmeiße auch wieder raus, wen ich will.
Und auf den folgenden Satz freue ich mich schon den ganzen Post lang:
Niggemeier ist der Beste. Punkt.
Übrigens: Es wird was Neues geben, diesmal bin ich zehn Jahre zu spät.
Und zum Schluss noch einmal das vor Kampfgeist und ein wenig Pathos triefende „Über uns“ des ersten Plazeboalarms:
Wir …
… sind Überzeugungstäter
„Wir, das sind Marcus Anhäuser, Wissenschaftsjournalist aus Bonn, und Martin Schäfer, Journalist in Stuttgart.Wir haben diesen Watchblog eingerichtet, um all die anzuschwärzen, die versuchen uns und anderen einen Bären aufzubinden:
Wir regen uns auf über die, die etwas behaupten und den Beleg schuldig bleiben.
Wir fragen denen Löcher in den Bauch, die uns Antworten verweigern.
Wir machen uns lustig über die, die ernsthaft glauben, die Erde sei innen hohl (oder Gott hat die Welt in sechs Tagen erschaffen).
Wir reißen denen die Kleider vom Leib, die sich zu Unrecht mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit bedecken.
Wir zerren die ans Licht, die im Dunkeln ihr Süppchen kochen.
Gleichwohl freuen wir uns über die, die uns und anderen helfen durch ihre Beiträge, die Scharlatane, Tunichtgute, Hinterslichtführer und Blender zu entlarven und vorzuführen.
Unsere Waffen sind die Kenntnis der wissenschaftlichen Methodik, journalistische Hartnäckigkeit und gesunder Menschenverstand.
Auch wir sind nicht vor Fehlern gefeit.
Einschränkend müssen wir ergänzen: Wir verdienen damit kein Geld, vielleicht Ruhm und Ehre. Wir machen das, wenn uns unsere Jobs und Familien die Zeit dazu lassen. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Auswahl der „ans Licht gezerrten“ erfolgt rein nach Lustprinzip, Aktualität, Bedeutungslosigkeit oder Prominenz. Wir wollen schließlich auch unseren Spaß.
Wir hoffen, mit jedem Artikel wird die Welt ein kleines bisschen besser.“
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