Nicht erschrecken. Ist nur wieder eine dieser Überschriften/Aussagen, die mit Prozentzahlen versuchen, eine Wahrheit zu erzeugen, die bei genauer Betrachtung zum Schrumpfgermanen verkommt. Erfahrene Leser wissen schon, was folgt. Aber weil es so schön ist, gerne noch einmal
Über diese Überschrift stolperte ich zuletzt – ich weiß gar nicht mehr warum – als ich ein wenig ziellos durchs Internet surfte. Ein alter Bekannter der Scienceblogs (Herr Fritzsche vom H.Blog) verwies auf einen Artikel in den Homöopathischen Nachrichten (pdf) dem Zenralorgan des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Dort wurde von einer Umfrage des DZVhÄ unter den Bundestagsabgeordneten berichtet.
Ergebnis (das sich bei den HN nicht wie bei Herrn Fritzsche in der Überschrift, sondern nur im Artikel findet):
58 Prozent, das sind mehr Personen mit positiven homöopathischen Erfahrungen unter der politischen Vertretung dieser Bevölkerung als in der Bevölkerung selbst, denn da sind es 50 Prozent, so der Artikel.
In absoluten Zahlen ausgedrückt, bedeutet das: Von 622 Bundestagsabgeordneten haben 360 Personen auf die Frage: „Haben Sie eigene positive Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung?” mit Ja geantwortet.
Aber: Nichts ist bei solchen Nachrichten so wie es scheint, wenn sie nur mit Prozentzahlen jonglieren. Aber zum Glück gilt auch: Nichts ist so schlecht, als dass es nicht doch noch als “gutes Beispiel” herhalten kann. In diesem Fall eben ein weiteres Beispiel für den verschleiernden Charakter von Prozentzahlen.
Wer die Nachricht in den HN aufmerksam liest, hat am Anfang des Textes einen kleinen Zusatz mitbekommen, der notwendig ist, damit man einem solchen Text nicht die völlige Irreführung der Leser vorwerfen kann:
” (…) 58 Prozent auch für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die auf eine vom DZVhÄ durchgeführte Umfrage zur Homöopathie vom November 2009 geantwortet haben.
(Hervorhebung durch mich)
Damit sagt der Autor, dass er nicht alle Bundestagsabgeordneten meint, sondern eben nur die, die auf die Umfrage geantwortet haben. Wie viele das sind, das lässt er und auch Herr Fritzsche geflissentlich unter den Tisch fallen. Vielleicht will man damit nicht von dieser – aus Sicht der Homöopathen – erfreulichen Meldung ablenken? Wer weiß …
Aber anders kann ich das gar nicht erklären, denn die Zahl der Bundestagsabgeordneten, die tatsächlich geantwortet haben, ist wirklich deprimierend.
Ich habe kurz per E-Mail bei der Pressestelle des DZhÄ nachgefragt. Die Antwort auf die Frage: “Wie viele Bundestagsabgeordnete haben die Unfrage, die per Brief verschickt wurde, beantwortet.” lautet, so die Pressestelle:
” (…) stabile 10 Prozent (…) “
Zehn Prozent. Ein Zehntel.
Es ist zwar wieder eine Prozentzahl, aber sie vermittelt schon, wie deprimierend das Ganz ist und wie absurd die Überschrift im H-Blog. Da hilft auch das unterstützend eingesetzte “stabile” nichts. Es macht eigentlich alles nur schlimmer.
In realen Zahlen ausgedrückt: Von 622 Bundestagsabgeordneten haben laut Pressestelle 61 Personen geantwortet. Das sind nicht stabile zehn Prozent sondern knapp zehn Prozent. Aber wer will sich um Zahlen hinter dem Komma streiten. Der Einfachheit halber sagen wir einfach mal: zehn Prozent haben geantwortet.
Von diesen 61 Abgeordneten – und nicht von 622 Abgeordneten – haben 58 Prozent positive Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung gemacht.
Das sind gerade mal: 35 Abgeordnete.
Streng genommen könnte die Überschrift also heißen:
35 Abgeordnete des deutschen Bundestages haben positive Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung
Oder auch, wenn man unbedingt mit Prozenten arbeiten will wie Herr Fritzsche in seiner Überschrift (und großzügig rundet):
6 Prozent der Bundestagsabgeordneten haben positive Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung
Aber da würde der DZhÄ und der Autor des H-Blog sicher protestieren und mir eine völlig abwegige Darstellung der Realitäten unterstellen. Indes: Ob das Ergebnis der “Umfrage” irgendetwas mit der Realität zu tun hat, können auch der DZhÄ und Herr Fritzsche nicht sagen.
Die ganze Meldung ist eine Luftnummer.
Gespannt bin ich trotzdem, ob und wo das Ergebnis mit den “58 Prozent” auftaucht, in welchen Diskussionen und Thesenpapieren.
Zusatz 1:
Dass die “Umfrage” nicht so ganz ernst gemeint sein kann, erkennt man vielleicht daran, dass drei von sechs Fragen lediglich abfragen, ob man Interesse an Werbemitteln der DZVhÄ hat (Infos über homöopathische Ärzte, Newsletter, Veranstaltungen). Und auch die Pressestelle gibt zu: “Die Umfrage erfüllt gewiss (…) keine sozialwissenschaftlichen Standards.”
Zusatz 2:
Der Fairness halber sei darauf verwiesen, dass im HN-Artikel und in der E-Mail der Pressestelle darauf verwiesen wird, dass Umfrage und Ergebnis nicht repräsentativ seien. Wenn man das zu Ende denkt bedeutet das u.a. aber auch: Es könnte sein, dass unter den “stabilen 10%”, die geantwortet haben, bereits alle Bundestagsabgeordneten sind, die positive Erfahrungen mit der Homöopathie gemacht haben.
Dann entsprächen meine beiden Alternativüberschriften tatsächlich der Realität. Aber das ist natürlich alles nur spekulativer Unsinn.
Zusatz 3:
In einem Abwasch erklärt der Herr von der Pressestelle übrigens, was es mit dem Wörtchen ‘stabil’ auf sich hat, und für wie aussagekräftig er (und die DZVhÄ) die “Umfrage” hält:
“Mit “stabil” ist gemeint, dass 10 Prozent (61 Abgeordnete) Rücklaufquote bei einer solchen Umfrage eine recht gute Basis ist, um auf ein Meinungsbild zur Homöopathie im Bundestag zu schließen.”
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