Hinter der “sanften” Medizin steckt auch eine “sanfte” Industrie als Gegenentwurf zu den rücksichtslosen, nur auf den eigenen Umsatz bedachten Pharmakonzernen? Natürlich nicht. Auch die Firmen der “Alternativen Medizin” wollen Geld verdienen und versuchen mit Lobbygruppen ihre Interessen zu vertreten. Wie kommt man nur darauf, dass es anders sein könnte?
Viele Freunde alternativer Medizin nutzen diese, weil sie für sie eine sanfte Medizin im Gegensatz zu den chemischen Keule der Schulmedizin ist. Eigenartigerweise überträgt sich dieses Bild immer wieder auch auf die Industrie, die dahinter steht. Oft ist die Rede von den großen, rücksichtslosen Pharmakonzernen, deren einziges Interesse darin besteht, Geld zu verdienen (Stichwort Big Pharma). Über die Industrie, die hinter dem Milliardengeschäft “Alternative Medizin” steht, hört man das nie. Als ob diese Firmen ihre Mittel aus reiner Nächstenliebe entwickelten. (Das Fass ‘Mit Unwirksamkeit’ Geld verdienen’ will ich jetzt gar nicht erst aufmachen).
Dem ist natürlich ganz und gar nicht so. Die Firmen, die hinter den Säften, Pülverchen und Kügelchen der vermeintlich sanften Medizin stehen, sind sehr wohl eine potente Industrie, die es versteht ihre Interessen auf bewährte Art und Weise an den Mann zu bringen. Das zeigt ein Artikel im EUObserver, auf den mich ein Leser aufmerksam machte (Danke Kai).
Es geht um Lobbyismus der homoöopathischen Industrie. Die wittert nämlich Morgenluft angesichts der Tatsache, dass die neue EU-Kommission in den nächsten vier Jahren die pharmazeutische Gesetzgebung überarbeiten wird.
Am 23. März wird es zum Beispiel einen Homöopathie-Tag im Europäischen Parlament geben. Es gibt eine Industrielobbygruppe in Brüssel namens Echamp, European Coalition on Homeopathic and Anthroposophic Medicinal Products,
Ziel des Drucks, den die Lobbygruppe aufbauen will, ist die Vereinheitlichung in der EU. Denn bisher verhalten sich die Mitgliedsstaaten völlig unterschiedlich im Umgang mit Homöopathie. In einem Land wird ein Mittel bezahlt, in einem anderen nur die Behandlung, in einem Land dürfen Ärzte homöopathische Mittel nicht verschreiben, in einem anderen dürfen es nur die Ärzte verschreiben. Blöd für den Umsatz.
“Mr de Herdt {Präsident von Echamp} complains that the number of homeopathic products on the market as compared to the total number of homeopathic products that could be available is far too low. They exist on the market, often sold by small outfits over the internet, but there is no legal status for these products. Unauthorised, they are tolerated by authorities.
“This is fine for a small internet business, but for serious manufacturers, this is not a good situation.”
Derzeit nehmen laut EUobserver 125 Millionen Europäer homöopathische Mittel und dabei spülen sie 1,05 Milliarden Euro in die Taschen der Hersteller homöopathischer Mittel.
Um mehr Produkte zugelassen zu bekommen, argumentieren die Homöopathen in erstaunlich bekannter Manier: Sie fordern eine Sonderbehandlung.
Wenn es um die Überprüfung der Wirksamkeit homöopathischer Mittel mit evidenzbasierten Methoden geht, hört man von einigen Vertretern das Argument, die könnte man bei Homöopathie gar nicht anwenden, weil jeder Fall einzeln betrachtet werden muss. Die Zunft beansprucht eine Sonderstellung in der Welt des Wissens und der Wirksamkeitsnachweise.
Das gleiche versucht die Lobby jetzt auch für die Zulassung homöopathischer Mittel:
“The problem is with the approving authorities, he says, “because they apply the rules that apply to chemical substances. But these are practices from a very old tradition, and authorities do not have the capacity to manage an appropriate assessment of these products.”
As a result, the major push of the homeopathy lobby is to have a separate stand-alone EU directive that exempts them from regular chemical and other health and safety rules. ” (…)
“The current system is substance-oriented. Our products need a system that is therapeutic-oriented,” he said, explaining that it was not just the medicine itself but the whole process a practitioner applies that produces the result.”
Um mehr Einfluss zu bekommen gründet sich am 16. März die “European Parliament Intergroup on Complimentary and Alternative Medicine”, einer Gruppierung aus Abgeordneten und europäischer Homöopathie-Patienten und Ärzten. Ihr Ziel: Den Zugang, die Verfügbarkeit und die Wahlmöglichkeiten in diesem Bereich zu verbessern.
Und während die Homöopathie-Industrie auf den Einfluss ihrer Lobbygruppen im Europäischen Parlament hofft, bemühen sie zugleich wieder den großen, bösen Wolf “Big Pharma” (im Zitat geht es um die Empfehlung des britischen Scientific Committee, dass Homöopathie nicht durch den National Health Service bezahlt werden sollte).
“Ms Harkin {Vorsitzende der EU-Liberalen und Organisatorin des Homöopathietages am 23. März}) dismisses it as in the service of Big Pharma: “There are those that believe that only those medicines prescribed by doctors and manufactured by Pfizer will make you well, but a lot of ordinary people do not subscribe to that view.”
Das ganze Beitrag hier soll kein Vorwurf sein, dass auch Homöopathen ihre Interessen vertreten. Es soll nur keiner so tun, als ob die Alternative Medizin eine Industrie sei, die aus reiner Menschenliebe agiere.
Edzard Ernst fürchtet um die Finanzierung seiner Forschung
Und vielleicht kommt sogar ein bisschen unsanfte (um nicht zu sagen unchristliche) Häme bei den Fans und Vertretern dieser Industrie auf angesichts der folgenden Meldung, die ich im Guardian fand.
Danach muss Edzard Ernst um die weitere Finanzierung seiner Forschung fürchten.
“While there is plenty of money in alternative therapies, the funding to allow Ernst to test them scientifically is running out.”
Der Kronzeuge gegen die Unwirksamkeit zahlreicher alternativmedizinischer Verfahren und Mittelchen hat sich offenbar unbeliebt bei seiner Uni gemacht. Er hatte wiederholt die Stiftung Prinz Charles’s kritisiert, die er erst kürzlich als “Lobbygruppe für nicht überprüfte Behandlungen” bezeichnete. Daraufhin hatte sich des Prinzen Erster Sekretär bei der Uni beschwert, so der Guardian.
Ernst vermutet, dass es der Uni lieber wäre, er würde sich einen anderen Forschungsort suchen. Die weist das zurück und meint, seine Art von Studien seien einfach schwer zu finanzieren.
Dieses Argument ist natürlich erstaunlich, wo doch solche Studien, die häufig die Unwirksamkeit alternativmedizinischer Therapien haben, eigentlich danach schreien von “Big Pharma” bezahlt zu werden, oder? Zumindest in der Denke vieler Fans Alternativer Medizin.
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