Ob man voraussagen kann, wer eine Falschmeldung bringt? Über Blondinen? Angeblich basierend auf einem wissenschaftlichen Fachartikel? Die übliche Verdächtige ist natürlich dabei …

Lars Fischer twittert gestern Abend: “Ein Wissenschaftler mehr, der in Zukunft wohl nicht mehr mit Journalisten sprechen wird… https://tinyurl.com/yezg9lz”. Der Link führt zur Website des Wissenschaftlers Aaron Sell. Dort veröffentlicht er einen Brief an den Redakteur der Sunday Times of London. Er fordert die Zeitung auf, einen Artikel über Blondinen sofort aus dem Netz zu nehmen. Dieser Artikel bezieht sich auf einen Fachartikel Sells im Fachmagazin PNAS (pdf), der kürzlich veröffentlicht wurde.

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Das Problem:

“The article in the Proceedings of the National Academy of Sciences that he cites as establishing these claims has no data whatsoever about women with blonde versus non-blonde hair. You can confirm this in 15 seconds by searching on the word “blonde” in the .pdfs I have attached”

“Der Artikel in den Protokollen der Nationalen Wissenschaftsakademie {Der Name des Fachmagazins}, den er zitiert, als er diese Aussagen begründet, enthält überhaupt keine Daten über Frauen mit blonden Haaren im Vergleich zu Nicht-Blonden. Sie können das innerhalb von 15 Sekunden bestätigen, indem Sie die pdfs, die ich beigefügt habe, nach dem Wort “blond” durchsuchen.”

Ich dachte kurz: “Ob das wohl auch eine deutsche Zeitung übernommen hat? Mal raten: Wer könnte ein Geschichte über Blondinen und ihre besonderen Qualitäten bringen. Mein Tipp: BILD.

Kurze Google-News-Suche. Ergebnis:

Blondinen bei Bild.png

Wenn man ‘Blonde’ durch ‘Blondine’ ersetzt, landet man bei: Welt Online

Erstaunlich, wie vorhersagbar das inzwischen ist.

Beide Artikel ähneln sich:

Bild.de schreibt:

“Aaron Sell von der University of California, der die Untersuchung leitete: „Wir erwarteten, dass Blondinen ein größeres Selbstverständnis empfinden als andere junge Frauen – immerhin fand die Studie in Süd-Kalifornien statt, dem natürlichen Lebensraum von Blondinen. Was wir nicht erwarteten, wie viel kämpferischer sie als ihre Geschlechtsgenossinnen sind.””

Welt Online schreibt:

“Der Leiter der Studie, Aaron Sell sagt: „Wir erwarteten, dass Blondinen ein größeres Selbstverständnis empfinden als andere junge Frauen – immerhin fand die Studie in Süd-Kalifornien statt, dem natürlichen Lebensraum von Blondinen. Was wir nicht erwartet haben, war, wie viel kämpferischer sie als ihre Geschlechtsgenossinnen sind.”

Ist ja logisch: Beide zitieren nicht den PNAS-Fachartikel, sondern die Daily Mail:

“Aaron Sell, of the University of California, who led the research, said: ‘We expected blondes to feel more entitled than other young women – this is southern California, the natural habitat of the privileged blonde.
‘What we did not expect to find was how much more warlike they are than their peers on campus.'”

(Nachtrag: Dies hat Sell nie gesagt, wie er in seinem Brief schreibt.)

Aaron Sell fordert den Redakteur der Sunday Times of London deshalb auf:

“Since most of his article consists of false statements attributed to me, or false claims about our research, very little remains.

I request that you please remedy the situation immediately by doing the following:

1. At a minimum, immediately remove all references to me from this article; and
2. immediately remove every claim about blonde women attributed to me and my colleagues in this article; all of them are false.
3. A better remedy would be to immediately remove the article from your website.
4. After you have investigated, please retract the article, and issue a correction.

You can see for yourselves what the original research article (appended) says. And as for the quotations, really, how likely is it that scientists would assert things that their own research shows to be false?

“Da der größte Teil des Artikels aus mir zugeschriebenen falschen Aussagen oder falsche Behauptungen über unsere Forschung besteht, bleibt nur wenig zu tun:

Ich fordere Sie auf, diesen Zustand sofort zu beheben, indem Sie folgendes tun:

1. Zumindest sollten alle Hinweise auf meine Person aus diesem Artikel entfernt werden; und
2. entfernen Sie jede Behauptung über blonde Frauen, die Sie mir und meinem Kollegen in diesem Artikel zuschreiben; sie sind alle falsch.
3. Am besten wäre es, Sie entfernen den Artikel von ihrer Website.
4. Nach einer Untersuchung ziehen Sie den Artikel zurück und veröffentlichen eine korrigierte Fassung.

Sie können selbst überprüfen, was der Forschungsartikel (angehängt) aussagt. Und was die Zitate angeht: Wie wahrscheinlich ist es, dass Wissenschaftler Dinge behaupten, die ihren eigenen Forschungsergebnissen widersprechen?”

Ja, warum sollten sie das tun? Ihren eigenen Ergebnissen widersprechen.

Eines will Sell tun:

“I will be making sure that newspapers, news services, and blogs that are picking up Mr Harlow’s article know that its claims are false.”

“Ich werde dafür sorgen, dass Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Blogs, die Herrn Harlows Artikel aufgegriffen haben, erfahren, dass dessen Behauptungen falsch sind.”

Da hat er einiges zu tun, scheint mir.

Aber es gibt auch erste Erfolge

Aber das alles haben die Redakteure von Bild.de und Welt Online wohl übersehen.

Nachtrag 8.2.:
Auf Gary Schwitzers Blog kann man nachlesen, wie die ganze Story entstanden ist.

Foto: Wikipedia.org

Kommentare (29)

  1. #1 Lars Fischer
    29. Januar 2010

    Was mich an der Sache am meisten ärgert ist diese leidige Abschreiberei bei sowas. Wenn man wirklich naiv ist kann man ja noch glauben, dass die Journalisten der Sunday Times sowas checken. Aber abschreiben bleibt abschreiben, auch wenn ein Übersetzungsvorgang involviert ist.

  2. #2 Jörg
    29. Januar 2010

    Na klar, Bild übernimmt den Schrott auch…

    Rebecca Watson hat das für das UK zusammengefasst

    Der BBC hat nämlich auch kräftig mitgemischt und die Story dann noch verfehlbessert..

  3. #3 Marcus Anhäuser
    29. Januar 2010

    bei englischen Quellen abschreiben, da merkts eben keiner ;-)

    Das sind eben diese bequemen, schnellen Meldungen, mit denen man den BILD.de-Chef auf einfache Art und Weise zufriedenstellen kann.

    Ja, die BBC, manchmal … Und wenn die sowas bringen, ist das für viele andere ein Freifahrtschein (wenn’s die BBC bringt …)

  4. #4 miesepeter3
    29. Januar 2010

    War die Klum eigentlich je in Kalifornien?

  5. #5 Marcus Anhäuser
    29. Januar 2010

    die Frage ist eher: Ist sie eigentlich blond?

  6. #6 Brett
    29. Januar 2010

    Die Frage, von wie vielen solcher Wahrheiten das Netz und daher auch die Köpfe der Menschen inzwischen durchsetzt sind? Die besonders populären Gebiete vermutlich am meisten … Ferner werden alle möglichen falschen Zahlen herumgereicht. Dem ganzen Internet fehlt da irgendwie der Korrekturmodus.

  7. #7 miesepeter3
    29. Januar 2010

    @Marcus Anhäuser

    manchmal schon.

    @Brett

    die Frage ist doch, werden die richtigen Sachen falsch dargestellt oder den falschen ein Anstrich von Richtigkeit gegeben?
    Das würde doch einen Korrekturmodus völlig verwirren. Wer will das schon?

  8. #8 Frank Quednau
    29. Januar 2010

    Wie um Himmels Willen kommt sowas zustande? Darüber könnte man auch noch ‘ne Studie veröffentlichen.
    Das, was im Originaltext jenen Aussagen von der Sun, sorry, Sunday Times noch am nächsten kommt ist:
    “Attractiveness in Women. As predicted, a woman’s perception of her own attractiveness was correlated with her proneness to anger, feelings of entitlement, and success in conflict, in a way parallel to that found for strength in men…”.

    Wie kann man aus dieser (immer noch herausgerissenen) Aussage so ein Schrott fabrizieren?!

    Im Übrigen ist der Text recht interessant. Er beschäftigt sich mit “Anger”, Ärger, und ist auch für unbedarfte noch recht versändlich. In sofern hat das Ganze dann doch sein Gutes. Nur, wer macht sich die Mühe, den Originaltext zu lesen? Wunderbarerweise gibt es ja noch scienceblogs.de..

  9. #9 Christian W
    29. Januar 2010

    Dem ganzen Internet fehlt da irgendwie der Korrekturmodus.

    Selbst wenn es den gäbe, der falsche Eindruck würde dennoch jede Korrektur überlagern. Und zwar weil der falsche “aufsehenerregender” ist. Die legendäre Spinat-Eisen-Entdeckung ist auch viel spannender als die sofortige Korrektur gewesen und hält sich folgerichtig weiterhin hartnäckig.
    You can’t unwrite or unread things. Genau deswegen ist die journalistische Sorgfaltspflicht so wichtig und müsste das oberste Gebot überhaupt sein. Einmal – nicht mal absichtlich – etwas Falsches geschrieben und schon ist es und bleibt in der Welt.

  10. #10 Marcus Anhäuser
    29. Januar 2010

    Eigentlich ist es ja anders. Gerade das Internet bietet diesen Korrekturmodus. Bildblog ist das beste Beispiel. Ohne Internet stände es in all diesen Zeitungen, es gäbe vielleicht ein paar Leserbriefe und das wars. Aber niemand hätte den Brief des Wissenschaftlers wahr genommen, es hätte vielleicht eine Korrektur bei der Times gegeben, fertig. Jetzt gibt es aber die Möglichkeit dem etwas entgegen zu setzen.

  11. #11 Marcus Anhäuser
    29. Januar 2010

    @Frank Quednau
    Wie um Himmels Willen kommt sowas zustande?
    Das ist einfach. Das ist klassischer Schein-Journalismus. Da geht’s nur darum, dass es so aussieht wie richtiger Journalismus. Es reicht, dass es irgendwo anders steht. Dann muss da nur noch Studie und “sagte ein Wissenschaftler von der Uni-Dingsbums” stehn. Das reicht dann. Mit dem Verweis auf das Fachmagazin, den Bild.de ja noch leistet, wird das Trugbild perfekt.

  12. #12 Helmut E.
    29. Januar 2010

    Sehe ich auch so. Bedrucktes Papier ist geduldig, Möglichkeiten zur Korrektur gibts maximal über (zensurierte, sekeltierte) Leserbriefe.
    Im Internet sind die Möglichkeiten, Fehler aufzudecken ungleich größer.

  13. #13 Peter
    29. Januar 2010

    Die Frage ist doch wohl eher: Warum liegt denn hier Stroh rum ?

  14. #14 Peer Spektive
    29. Januar 2010

    Jede neue Kulturtechnik hat so Ihre Tücken. Aber bei BLÖD ist ja sowieso egal. was drin steht…

  15. #15 bildblogleser
    29. Januar 2010
  16. #16 Alexander Stirn
    29. Januar 2010

    Wenn welt.de (wo der Artikel übrigens im Ressort “Vermischtes” erschienen ist) wenigstens die – eigentlich als renommiert geltende – “Sunday Times” zitiert hätte, könne ich das ja noch verstehen, wenn auch nicht gutheißen. Aber dass sie ohne zu Zucken die “Daily Mail online” abschreiben, zeugt von wenig Skrupel und Reflektionsvermögen.

    Bei einem kurzen Blick in die gängigen Pressedatenbanken ist mir übrigens kein größerer deutscher Printtitel aufgefallen, der die Geschichte gebracht hat. Aber das kann in diesem Fall auch Zufall sein.

  17. #17 Marcus Anhäuser
    29. Januar 2010

    das sieht mir schwer nach Springer Online aus, oder? Die B.Z. ist auch dabei.

  18. #18 Ewald Müller
    30. Januar 2010

    Jetzt weiß ich immer noch nicht, was dieser Aaron Sell gesagt hat. Die Anordnung der Buchstaben ist so verwirrend. Hierzulande ist das völlig anders…

  19. #19 Marcus Anhäuser
    30. Januar 2010

    @Ewald Müller
    Du meinst wegen des Englischs. Übersetzung kann ich noch nachliefern.

  20. #20 Marcus Anhäuser
    30. Januar 2010

    Jetzt mit Übersetzung.

  21. #21 tatjana
    30. Januar 2010

    Ich glaube man ist naiv, wenn man glaubt, dass die Menschen, welche die “Bild” lesen an wissenschaftlich recherchierten Informationen interessiert sind. Besser gesagt, sie stellen sich ÜBERHAUPT nie die Frage:”…stimmt das eigentlich, was sie da schreiben?”. Ich finde, das sehr rührend, dass man hier so liebevoll aufklärt. Nur liest hier sicher keiner die “Bild” und die die “Bild” lesen, lesen sicher nicht in diesem Blog. Hinzufügen möchte ich noch, dass ich einen Redekteur der Bild kenne…die wissen ganz genau, was sie da schreiben;) Diese Zeitung ist für die Menschen, welche sie lesen konzepiert. “Bild” gibt ihnen GENAU was sie wollen. Es ist traurig, aber wahr.

  22. #22 tatjana
    30. Januar 2010

    Ergänzung – was das Verfälschen von Studienergebnissen angeht…das ist bitter. Gut, dass es scienceblogs gibt. Merci

  23. #23 Marcus Anhäuser
    30. Januar 2010

    @tatjana
    erstmal danke für das Lob. Bei Bild gebe ich dir nur teilweise Recht. Denn die Leserschaft ist ja durchaus gemischt. Außerdem: Welt.de-Leser sind vielleicht nochmal eine andere Klientel.

  24. #24 rolak
    30. Januar 2010

    Eins gäbe es bei Tatjanas Argumentation zu bedenken: Gerade wenn zu vermuten ist, daß die bzw ein Teil der Leserschaft eben nicht recherchiert, ist meiner Meinung nach besondere Sorgfalt bei der inhaltlichen Gestaltung angesagt (Design ist bei BILD noch ein ganz anderes Thema ;-).

  25. #25 Thorsten
    31. Januar 2010

    @tatjana Diskutier mit Bildlesern und Du wirst feststellen, dass sich diese auf Bild berufen.

  26. #26 scientist
    1. Februar 2010

    Ich denke schon, dass es die Aufgabe dieses und ähnlicher Blogs ist kritisch über das zu berichten, was in anderen Medien geschrieben wird. Nur dadurch, dass hier kein einziges mal das Wort “aggressiv” auftaucht findet man bei der Google-Suche nach “Blondine aggressiv” diesen Blog leider nicht. Womit dieser Eintrag relativ nutzlos ist.

  27. #27 Marcus Anhäuser
    1. Februar 2010

    @scientist
    ja, so ganz Suchmaschinen optimiert ist das nicht. Das ist mir auch nach fast fünf Jahren noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Das passiert immer, wenn mich eine Geschichte so erstaunt wie diese. Aber danke, für den Hinweis.

  28. #28 W Baumann
    2. Februar 2010

    Journalisten und Zeitungen die sowas fabrizieren sollten Strafe zahlen müssen.

  29. #29 Marcel
    11. Februar 2010

    Das Problem ist doch folgendes der normale Mensch der seinen eigenen Blog hat der schreibt nicht komplett ab oder denkt zumindest noch einmal darüber nach und bewertet das ganze, die großen sind es: Welt.de, Bild.de, Focus.de, Spiegel.de übernehmen oft die kompletten Texte aus den Presse-Mitteilungen, da hat man das Gefühl das der Redakteur nicht einmal mal drüber gelesen hat. Und dies fällt insbesondere auf durch Wortwiederholungen die bei Welt.de an der Tagesordnung sind.

    Wollte ich mal so loswerden, dadurch bin ich zu Scienceblogs gekommen ;-)