Dass mich hier keiner falsch versteht: Das ist jetzt kein Ball, den ich den Homöopathen zuspiele (er wird wahrscheinlich trotzdem aufgenommen werden), sondern eine Frage an meine Zunft, den Medizinjournalismus: Wie kommt es eigentlich, dass in Beiträgen zur Homöopathie eine Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Position des Kritikers der Homöopathie einnimmt? Das müssen wir klären, Leute. Und das geht auch die Medizinforscher an.
Im Aufsehen erregende Artikel des Spiegel über Homöopathie tritt er erst ganz am Ende auf: Edzard Ernst, Professor des weltweit ersten Lehrstuhls für Komplementärmedizin an der Peninsula Medical School im südenglischen Exeter. Er erklärt ganz genau und mit klaren Worten, was an der Homöopathie Quatsch ist, was von den positiven Studien, die von H-Fans angeführt werden zu halten ist, und wie sich sein Verhältnis zu den Homöopathen verändert hat im Laufe der Zeit. (natürlich auch hier im Interview auf SpOn)
Ich hätte drauf wetten können, dass er im Artikel vorkommt.
Als er auftrat, war ich dann prompt ein bisschen enttäuscht. Auch/Selbst Grill und Hackenbroich haben IHN befragt. Wieder Edzard Ernst.
Natürlich haben Sie ihn gefragt. Der Artikel wäre unvollständig, hätten Sie ihn nicht befragt (siehe unten).
Bei mir ist es inzwischen so, dass ich kritische Artikel über Homöopathie zuerst überfliege, um zu schauen, wann er denn auftritt, zitiert wird usw., weil ich so sicher bin, dass Edzard Ernst erscheint.
Er ist wahrscheinlich in jedem kritischen Artikel (in Deutschland?) der Kronzeuge gegen Homöopathie.
Das ist nicht gut.
Und ich bin jetzt nur nicht sicher, ob das an uns Journalisten liegt oder an den medizinischen Forschern.
Es liegt natürlich auch an Edzard Ernst, allerdings im besten Sinne.
Er ist einfach eine ausgewiesen Kapazität, wenn es um die Erforschung und Beurteilung der Forschung über Homöopathie geht (muss ich das jetzt alles verlinken?). Er kennt beide Seiten, die Alternative Medizin genau so wie die nicht-alternative Medizin, die wissenschaftliche Medizin, die richtige Medizin, also die “Schulmedizin”. Auch wenn er sich nicht für eine Saulus-Paulus-Stilisierung eignet (was leider zu oft passiert, Journalistenproblem)
Neben seiner Kompetenz gibt es auch ein paar praktisch/journalistische Vorteile: Er ist sehr freundlich. Er ist unkompliziert. Er antwortet schnell, wenn man ihn kontaktiert. Er redet nicht um den heißen Brei herum und scheut auch keine Konfrontation. Er spricht Deutsch (kann für manchen Kollegen, der es nicht gewohnt ist in Englisch zu fragen, hilfreich sein).
Das alles macht ihn zum idealen Experten für Journalisten.
Trotzdem: Es ist ist nicht gut, wenn es zu einem Thema immer nur einen einzigen Experten gibt. Wenn wir Journalisten reflexartig an eben diesen einen Experten denken, um die Gegenposition in unseren Artikeln und Beiträgen zu besetzen.
Es ist nicht gut, weil wir uns zum Sprachrohr eines Experten machen (so sehr er auch Recht haben mag); weil auch ein Experte irren kann; weil wir am Ende unkritisch gegenüber unseren kritischen Experten werden (“Na, wenn DER das sagt …”); weil wir nur seine Sichtweise widergeben (vielleicht gibt es noch andere, ebenfalls kritische Sichtweisen); weil wir ihn durch den häufigen Gebrauch stumpf machen, wie einen Speer, den wir zu oft benutzen; weil seine Argumente irgendwann vorhersehbar sind, ihn angreifbarerer machen.
Eine Quelle ist keine Quelle.
Ich weiß natürlich, wie so etwas passieren kann. Journalisten sind manchmal/immer mal wieder faule Säcke. “Warum soll ich mir lange einen Experten suchen, wenn das die Kollegen schon x-fach getan haben.” “Was einmal gut war, wird es auch bei mir sein.” Das ist effizient, schnell – aber immer wieder auch zu einfach.
Das “Abschreiben/Ausleihen” bei Kollegen ist ein Teil der Erklärung, warum immer nur Edzard Ernst als Kritiker der H. auftritt. Es würde mich ein wenig beruhigen, wenn ich wüsste, dass es nur das ist. Dann würde dieser Post vielleicht etwas ändern können. “Stimmt, was der Anhäuser da schreibt. Für meinen Artikel suche ich mir einen anderen Experten.”
Wenn es nur das wäre, wäre es okay. (Sagt mir, dass es nur das ist, bitte, oder dass ich vielleicht völlig falsch liege mit meinem Eindruck)
Aber vielleicht ist es auch so, dass es einfach nur ihn gibt. Kann das sein? Gibt es sonst niemanden, der kritisch die Forschung der Homöopathen beurteilen kann? Oder traut sich sonst keiner? Oder interessiert das niemanden der forschenden Mediziner? Oder hält es sonst niemand für nötig, sich zu Wort zu melden? Das wäre schlimm.
Wenn das so wäre, dann verläuft die Auseinandersetzung über die Homöopathie irgendwann im Sande. Das Publikum langweilt sich, die Fronten bleiben wie und wo sie sind “Ach, der Prof. Ernst wieder. Ist ja klar, was jetzt kommt. Nichts Neues.”
Wie gesagt: Edzard Ernst ist kein Vorwurf zu machen, im Gegenteil.
Entweder wir Journalisten stellen uns auf die Hinterbeine und suchen nach anderen kritischen Stimmen, oder wir lassen es zu, dass einer der besten Kritiker der Homöopathie irgendwann sturmreif geschossen wird.
Wer könnte da in Frage kommen? Vorschläge?
Und an die medizinischen Forscher: Meldet Euch zu Wort. Bringt Eure Argumente ins Spiel. Es muss noch mehr geben außer Edzard Ernst.
Nachtrag 15.7.:
Edzard Ernst hat sich in den Kommentare freundlicherweise zu Wort gemeldet und schildert seine Sicht der Dinge, hier und hier.
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