Ich kann zu dem ganzen Fall nicht viel sagen. Bei so was fehlen mir die Worte. Deshalb nur für die, die den Tod von Robert Enke als ein Zeichen dafür betrachten, wie es um das Land steht. Dass der Druck der Leistungsgesellschaft immer größer wird. Dass die Ellbogengesellschaft immer öfter ihre Opfer fordert. Dass immer mehr Menschen keinen Ausweg mehr sehen und sich deshalb selbst töten.

Abgesehen davon, dass man von einem Fall nicht auf’s ganze Land schließen kann, der Blick auf die Zahlen zeigt das jedenfalls nicht – wenn die Daten nur annähernd wiedergeben, wie viele Menschen sich jedes Jahr umbringen.

Hier die Statistik für den Zeitraum 1980 bis 2007. Todesursache: Vorsätzliche Selbstbeschädigung, so heißt das beim Statistischen Bundesamt. Quelle: ebendieses.

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1981 waren es 18.825, 2007 waren es 9.402. Das heißt, außer Robert Enke starben an diesem Tag noch etwa 24 weitere Menschen durch Suizid, und am Tag davor und am Tag danach, und an jedem weiteren Tag des Jahres.

Doch wenn die Zahlen stimmen (und vergleichbar sind), dann waren es 1980 50 Menschen jeden Tag.

Ich weiß nicht, was so ein Selbstmord bedeutet. Aber das ein einzelner Fall für alles möglich herhalten muss inklusive des Zustands der gesamten Gesellschaft, dass finde ich, sollten wir uns schenken.

Ob das Ganze drumherum um den Tod von Robert Enke etwas bedeutet, weiß ich auch nicht. Aber ich finde Harald Martenstein hat viel Richtiges geschrieben. Und Niggemeier sowieso, vorher schon.

Nachtrag: Das Statsitische Bundesamt hat auch eine sog. standardisierte Sterbeziffer bestimmt (S. 964), um Unterschiede im Bevölkerungsaufbau über die Jahre auszugleichen. Danach kamen 1980 auf 100.000 Menschen 24 Selbsttötungen pro Jahr, 2006 waren es elf.

Kommentare (20)

  1. #1 paranoid android
    17. November 2009

    Danke für den Link zu Martenstein. Der erste, der mir zum Thema aus der Seele spricht.
    Als am Sonntag zum mindestens 3. Mal in irgendeiner “Nachrichten”sendung ein Ausschitt der Trauerfeier lief (natürlich immer mit diesem furchtbaren Lied), kam mir wirklich die Galle hoch. Was für eine inszenierte Trauershow für alle, die sonst im Leben nicht genug Gefühls-Kicks bekommen.
    Für das ware Leid der Familie haben sich im Stadion wohl maximal 30 Leute interessiert.

  2. #2 borchert,horst
    17. November 2009

    Für mich war es sehr hilfreich, a.camus beitrag zur problematik des Selbstmordes nochmals zu lesen.Vgl.: a.camus, ” der mythos von sissyphos”
    Ich will hier nicht das absurde Leben in camus abhandlung ausbreiten. Das kann in einem Feuletonbeitrag ihrer zeitung viel besser geschehen. Vielmehr will ich meine schlüsse und meine Lebensart, die ich aus camus erkenntnis gewonnen habe, kurz darstellen. Ich weiß, dass wir menschen nach harmonie, klarheit, einheit, wahrheit streben. Aber ich weiß inzwischen aus eigener Lebenserfahrung-ich bin 73 jahre- auch, dass diese hohen güter in der gesellschaftlichen wirklichkeit nicht erreichbar sind. Und da ich für meine handeln selbst die verantwortung trage, kann ich mich weder davonstehlen, noch meine verantwortung deligieren, also metaphysisch verklären. Mir bleibt nur ein schmaler grad zum weriterleben, aber ich kann ihn gehen. Jedes ausweichen ist ein sichdrücken vor selbstverantwortung.
    “Wenn man dieser Tatsachen sicher ist- was muß man aus ihnen schließen? Wie weit muß man gehen, um nirgends auszuweichen?”(a.camus, in:der mythos…s.23,ro,ro,ro98

    Der mensch Ehmke ist offensichtlich diesen tatsachen ausgewichen, oder er hat sich nicht konsequent diesen gestellt. Absurd, meine gedanken? Leben wir nicht in absurden gesellschaftlichen verhältnissen, die dies Absurdität täglich produziert und gleichzeitig alles tut, um diese absurdität zu leugnen?

  3. #3 knorke
    17. November 2009

    Habe grade beim Stefan Niggemeier etwas dazu aus anderer Perspektive und mit ganz anderem Hitnergrund gelesen.
    Demnach wird wohl zu erwarten sein, dass die Selbstmordrate in den nächsten Tagen / Wochen durch die Medienpräsenz bei diesem Thema erhöhen wird.

  4. #4 Marcus Anhäuser
    17. November 2009

    @knorke
    ja, darauf verlinke ich oben. Da gehts um den Werther-Effekt. Ich habe gerade beim Statistischen Bundesamt eine Anfrage laufen, ob man das aus den Daten für Deutschland für diesen Fall ersehen kann Und wann das verfügbar sein würde) Das nachzuweisen ist nicht ganz trivial. Ich habe gestern gelernt (Anglizismus?), dass eine zeitliche Zuordnung eines Selbstmordes in Deutschland erst seit 2006 möglich ist. Das heißt, es könnte vielleicht Probleme mit der Datenmenge geben, wenn man nur drei Jahre verwenden kann.
    Niggemeier verweist zwar auf Artikel zur “Werther-Effekt”-Forschung, aber ich habe nicht den Überblick wie valide das ist.

  5. #5 knorke
    17. November 2009

    Den Link hab ich übersehen. Dann füttert euch doch mal gegenseitig mit Insights in zwei meiner drei Lieblingsblogs (das war ein Lob, Herr Anhäuser, stellvertretend für mehrere Blogs hier in den ScienceBlogs!)

  6. #6 Marcus Anhäuser
    17. November 2009

    @knorke
    besten Dank, auch im Namen der anderen. :-)

  7. #7 Marcus Anhäuser
    17. November 2009

    Das mit der Auswertung zum Fall Enke dürfte noch etwas dauern. Hier die Antwort zu meiner Anfrage beim Statistischen Bundesamt:

    vielen Dank für Ihre Anfrage. Generell lassen sich unsere Suiziddaten nach Monaten auswerten, allerdings verfügen wir noch nicht über Daten zum Jahr 2009. Im Januar 2010 werden die Daten für das Jahr 2008 veröffentlicht, in etwa ein Jahr später dann die Daten für 2009.

    Das heißt, offiziell wird es mit diesen Daten erst 2011 möglich werden, nachzuprüfen, ob die Berichterstattung einen “Werther-Effekt” ausgelöst hat. Und richtig fein auflösen kann man das bei monatlicher Statistik auch nicht richtig.

    Gibts vielleicht noch andere, schnellere Quellen? Weiß da jemand was?

  8. #8 Krakonos
    17. November 2009

    Was mich bei den Daten wundert, ist, dass man zwischen 1990 und 1991 keinen Sprung sieht. Sind denn für die Jahre davor die Daten für die DDR mit enthalten oder fehlen die Daten für Ostdeutschland nach 1990? Oder wieso macht die Wiedervereinigung keinen Unterschied? Das kommt mir ein wenig merkwürdig vor. Davon abgesehen, volle Zustimmung.

  9. #9 Andrea N.D.
    17. November 2009

    Den Hinweis auf die maßlosen Übertreibungen und die Lage der Nation finde ich sehr gut.
    Wenn die Statistik stimmt, sagt sie dennoch in dieser Form kaum etwas aus, da wir nichts über die Hintergründe erfahren. Robert Enke war körperlich (andere nennen es seelisch, aber es ist eine materielle Störung im Gehirn) schwer krank und ließ sich vermutlich aus Angst vor der Gesellschaft, den Folgen, v.a. dem Umfeld Fußball oder aber aus Gründen, die in seiner Krankheit anzusiedeln sind, nicht adäquat behandeln. Der Suizid war das konsequente Ende seines Krankheitsverlaufes.
    Als wesentlich sehe ich es jetzt an, diesen prominenten Fall zu nehmen und diese Krankheit wirklich öffentlich und auch anerkannt zu machen. Das könnte weitere Suizide verhindern.

  10. #10 Marcus Anhäuser
    17. November 2009

    @Krakonos und Andrea N.D.
    ich sage auch gar nicht, dass das wirklich zusammenhängt, sondern weise nur darauf hin, dass der Fall Enke nicht nicht geeignet ist, und wenn die Zahl der Selbsttötungen überhaupt dafür herangezogen werden kann, dann stützen die die These ganz bestimmt nicht.

    Die Frage mit Ost und West habe ich mir auch gestellt, leider noch keine Antwort gefunden. Ausführlicher wird das Thema vom Stat Bundesamt in diesem Artikel bearbeitet.

    Aber auch da habe ich (auf die Schnelle) nichts zum Thema gefunden.

  11. #11 Marcus Anhäuser
    17. November 2009

    Zur Ursache für die Suizide schreibt der Autor: “Insbesondere Depressionen sind häufig ursächlich für Suizide und Schätzungen zufolge bei 65 bis 95 % aller Suizide die psychiatrische Pathologie.”

    Er schränkt aber auch ein: “ist sie dennoch nicht in der Lage, Informationen zu gesell- schaftlichen Wertvorstellungen und den psychischen und psychiatrischen Krankheitsformen von Menschen, die den Freitod wählen, zu liefern.”

    Lässt viel Spielraum. Es ist wie so oft nicht so ganz so einfach mit der Statistik.

  12. #12 Arnd
    18. November 2009

    Die Einstellung dass “immer alles schlechter wird” ist glaube ich typisch deutsch. Als Optimist steht man in fast jeder Diskussion alleine da. Schade eigentlich.

  13. #13 orang
    19. November 2009

    Martensteins Artikel finde ich einfach nur blöd. Zynisch gegenüber allen, die tatsächlich geschockt und fassungslos sind, auch wegen der unerwarteten und brutalen Plötzlichkeit des Ereignisses. Und die auch tatsächlich auf eine gewisse Art trauern.
    Ich bin langjähriger Trainer einer Junioren-Fußballmannschaft, mein Sohn spielt als Torwart (und hat auf brutale Weise ein nicht nur sportlich, sondern auch menschlich wertvolles Vorbild verloren). Damit gehören wir zu den Millionen Deutschen, die zwar nicht professionell aber aktiv mit Fußball zu tun haben. In diesem Umfeld habe ich sehr viel echte Betroffenheit fern aller Maßlosigkeit und Emotionsgier erlebt. Und nicht nur dort.
    Was das TV macht, ist was anderes — aber jeder ist ja frei einfach abzuschalten. Nur, haben das offenbar die wenigsten getan. Und jetzt meckern sie über die Berichterstattung, haben aber über die Einschaltquoten mit dafür gesorgt, dass es nächstes Mal wieder so läuft.

  14. #14 radicchio
    19. November 2009

    “In diesem Umfeld habe ich sehr viel echte Betroffenheit fern aller Maßlosigkeit und Emotionsgier erlebt.”

    wie echt kann denn eine solche betroffenheit sein? und: sind diese leute denn tatsächlich betroffen? betrifft es sie? oder haben sie ihre geborgte betroffenheit aus den medien? (de facto betroffen hat es nur seine familie und das persönliche umfeld!)

    normalerweise ist mensch so gestrickt, dass ihm natürlich seine nächsten am herzen liegen. aber über den – zweifelsohne tragischen und überflüssigen – tod eines menschen, der mir in keinster weise nah ist, kann ich nur formale trauer emfinden. alles andere halte ich für krokodilstränen, eine mediale “infektion” mit der legitimen trauer von tatsächlich nahstehenden.

  15. #15 orang
    19. November 2009

    Glaubst du, dass mein 10-jähriger Sohn, der als Torwart zweimal die Woche mit einem Robert-Enke-Nummer-1-Trikot zu seinem Fußballtraining kommt, tatsächlich nur “geborgte Betroffenheit” empfindet? Dem hat die Nachricht alleine gereicht, der hat gar keine Medien zum Thema mitbekommen.
    Ich glaube es ist eher umgekehrt: Viele völlig verkopften Schlauberger können in ihrer intellektual-analytisch reinen Welt gar keine echte Betroffenheit mehr erleben. Und müssen daher alles abqualifizieren, was nur von Ferne danach riecht…

  16. #16 radicchio
    19. November 2009

    “Glaubst du, dass mein 10-jähriger Sohn, der als Torwart zweimal die Woche mit einem Robert-Enke-Nummer-1-Trikot zu seinem Fußballtraining kommt, tatsächlich nur “geborgte Betroffenheit” empfindet?”

    ja, genau das glaube ich.

  17. #17 orang
    19. November 2009

    Woher hat er dann die Betroffenheit “geborgt”. “mediale ‘infektion’ mit der legitimen trauer von tatsächlich nahstehenden”, wie Du schreibst, scheidet aus.
    Abgesehen davon: Auch Vorbilder/Idole können einem auf durchaus reale Weise sehr nahe stehen (inwieweit das gut oder schlecht ist, ist eine andere Frage und absolut Einzelfall-abhängig). Diejenigen aber, für die das definitiv so ist, erfüllen schon mal von Vorneherein nicht die Voraussetzung für Deine These (“aber über den – zweifelsohne tragischen und überflüssigen – tod eines menschen, der mir in keinster weise nah ist, kann ich nur formale trauer emfinden.”)

  18. #18 radicchio
    19. November 2009

    »Woher hat er dann die Betroffenheit “geborgt”«

    das müssen sie selbst wissen. ich kenne ihren sohn und sein umfeld nicht.

    »Idole können einem auf durchaus reale Weise sehr nahe stehen«

    ja, als projektionsfläche. real ist was anderes.
    vermutlich erfuhr enkes funktion als projektionsfläche durch seinen tod einen enormen aufschwung.

  19. #19 orang
    19. November 2009

    “das müssen sie selbst wissen. ich kenne ihren sohn und sein umfeld nicht.”
    Genau, deshalb ist es auch müßig über das Zustandekommen seiner Gefühle zu spekulieren.
    Und es geht nicht um das “Real sein” oder “Nicht real sein” einer Projektionsfläche — real ist das Gefühl des “Nahe stehens”. Ob jemand dieses Gefühl für berechtigt hält oder nicht, ist egal. Es ist da, und ich muss damit umgehen.

  20. #20 radicchio
    19. November 2009

    tja, orang, es geht hier eben nicht um ihren sohn, sondern um ein massenphänomen.
    jeder einzelne aus dieser masse wird für sich eine legitimation gehabt haben. und die kann auch nur der einzelne hinterfragen.

    in den letzten jahren beobachte ich in D eine art betroffenheits-hype, die ich für fragwürdige gefühlsduselei halte, weil sie vermutlich mit den eigentlichen anlässen nicht viel zu tun hat, sondern woanders wurzelt. wo, weiß ich leider auch nicht. vielleicht ist es einfach dieser verdrängende umgang mit dem tod, der dann zur unzeit solche trauer-tsuamis auslöst.