Wie *** ist eine Zunft, die sich ständig selbst verleugnet?
(*** passenden Begriff bitte einsetzen)
Ich weiß es nicht, ehrlich. Ich weiß nicht, was mit einer Zunft los ist, die ein Problem damit hat, sich beim richtigen Namen zu nennen. Ist es Verunsicherung oder Ignoranz? Chuzpe oder Ängstlichkeit, Schönfärberei oder schlichte Wurschtigkeit? Es gibt so viele tolle Kollegen, die jeden Tag einen guten Job machen, wenn es darum geht, Wissenschaft und Öffentlichkeit zusammenzubringen. Nur wenn es um den Begriff für diese Tätigkeit geht, da sind so viele irgendwie … ich weiß es auch nicht (zugegeben, es ist nicht für alle ein Problem).
Die Frage ist: Warum haben die Vertreter der so genannten “Wissenschaftskommunikation” (und das “so genannte” ist in diesem Fall wirklich mal so was von angebracht) solche Angst davor sich/oder das, was sie tun, als das zu bezeichnen, was es ist: Öffentlichkeitsarbeit für die Wissenschaft, Public Relations, kurz PR.
Es wäre alles so viel einfacher.
- Florian Freistetter, immerhin einer der meistgelesenen Wissenschaftsblogger in deutscher Sprache (und seit gestern auch Pionier ;-), wäre nicht mehr verwirrt, und wüsste, ob er Wissenschaftskommunikation betreibt oder nicht.
- Nachtrag 8.12.14: Auch Andre Lampe wüsste, was er eigentlich ist.
- Eine bedeutende Stiftung wie die Volkswagenstiftung müsste nicht extra erklären, was sie eigentlich meint, wenn sie “Wissenschaftskommunikation” schreibt.
- Niemand müsste sich dafür verteidigen, dass er einen so unglaublich allgemeinen Begriff wie “Kommunikation” für eine Teildisziplin verwendet, weil ihm die tatsächliche, viel präzisere Bezeichnung ein ungutes Gefühl macht.
- Es müsste nicht in jedem Artikel/Aufruf oder was auch immer erst nochmal ellenlang darüber diskutiert werden, was denn jetzt eigentlich gemeint ist oder wo der andere möglicherweise widersprüchlich in der Verwendung der Begriffe ist.
Ein bekannter Mann, Paul Watzlawik glaube ich, hat einmal gesagt, dass man eigentlich nicht nicht kommunizieren kann, was im Umkehrschluss bedeutet: Alles ist Kommunikation.
Wenn das so ist – und es spricht vieles dafür – dann ist “Kommunikation” ein sehr, sehr, sehr allgemeiner Begriff. Setzt man einen zweiten, ebenfalls allgemeinen Begriff wie “Wissenschaft” davor, ist er zwar nicht mehr ganz so allgemein, denn man schränkt ihn auf den Bereich der “Wissenschaften” ein, aber er beschreibt immer noch ein allgemeines Phänomen, das in diesem Fall eben nur mit Wissenschaft zu tun hat; es wäre die Kommunikation in, um und um die Wissenschaft herum: die Wissenschaftskommunikation.
Wenn man jetzt dieses sehr allgemeine Feld differenzieren will, also ihre Teildisziplinen betrachtet, kann man sich sicher sehr viele Möglichkeiten ausdenken, wie man das macht, manche sind sinnvoll, manche weniger sinnvoll.
Diese Teildisziplinen oder Sparten der Kommunikation in, um und um die Wissenschaft herum, bekommen dann wiederum eigene Bezeichnungen, um klar zu machen, was damit gemeint ist; dass damit nicht das Gesamtphänomen, sondern nur ein Teilbereich gemeint ist. Dies hat einen entscheidenden Vorteil: Man weiß, worüber man spricht. Man muss es nicht jedes Mal erklären.
Solche Sparten innerhalb der Kommunikation in, um und um die Wissenschaft herum sind dann zum Beispiel der Wissenschaftsjournalismus, das Wissenschaftsmarketing oder die Wissenschaftskommunikation, äh, Stopp.
Die Wissenschaftskommunikation ist ein Teilbereich der Wissenschaftskommunikation? Ergibt das Sinn? Ist das praktisch?
Gemerkt? Irgendwas ist da schief gelaufen. Da klappt was nicht. Eine der Sparten innerhalb der Kommunikation um die Wissenschaft herum, benutzt den Oberbegriff für das Gesamtphänomen, was blöd ist, weil man dann nie weiß, ob jetzt das Gesamtphänomen oder nur die Sparte gemeint ist.
Wenn ich mir ansehe, bei welcher Gelegenheit der Begriff Wissenschaftskommunikation verwendet wird, oder wer ihn nutzt, dann habe ich erhebliche Zweifel, ob damit immer das große Ganze gemeint ist. Meine These: In 97,5 Prozent der Fälle, in denen jemand Wissenschaftskommunikation sagt, ist eigentlich Wissenschafts-PR gemeint.
Beispiel: die schon erwähnte Veranstaltung der Volkswagenstiftung: “Image statt Inhalt? Workshop Wissenschaftskommunikation”, eine der drei wichtigen Termine in diesem Sommer, innerhalb der Kommunikationsszene in, um und um die Wissenschaft herum.
Damit klar war, was mit dem Begriff Wissenschaftskommunikation im Titel gemeint war, gab es extra eine Definition – die man eigentlich nicht bräuchte, wenn klar wäre, was gemeint ist. Oder wenn sie einfach das Kind beim Namen genannt hätten:
“Als “Wissenschaftskommunikation” wird im Kontext dieser Tagung die Kommunikation von Forscher(innen) und Mitarbeiter(innen) in den Pressestellen von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Richtung Medien(öffentlichkeit) verstanden.”
Alle drei großen Veranstaltungen in diesem Sommer hatten vor allem ein zentrales Thema: Die Wissenschafts-PR oder um es noch anders neudeutsch zu beschreiben: Die wissenschaftsinterne Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Ich weiß nicht, wie das passieren konnte, aber irgendwie hat es die Zunft der Öffentlichkeitsarbeiter geschafft, den so allgemeinen Begriff der Wissenschaftskommunikation für ihre Sparte der Public Relations zu vereinnahmen. Böse Zungen würden dies vielleicht als den größten Coup der PR-Branche allgemein bezeichnen: die “PR” aus ihrem Namen zu verbannen und durch die “Kommunikation” zu ersetzen. Es ist ja auch immer die Rede von “Unternehmenskommunikation”, gemeint ist natürlich die Unternehmens-PR, diejenigen, die die Verbindung des Unternehmens in die Öffentlichkeit herstellen – die unternehmensinterne Schnittstelle zur Öffentlichkeit.
Warum nur?
Zusatz: Ich hatte spaßeshalber mal die Tweets zur letztjährigen oder vorletztjährigen Veranstaltung “Forum Wissenschaftskommunikation” verfolgt, und irgendwann war mir aufgefallen: Der Begriff PR kommt da überhaupt nicht vor, also null, nada, gar nicht, njente. Das ist insofern überraschend, da sich eigentlich fast jede der Veranstaltungen um das Thema dreht. Vom 8. bis 10.12. gibt es wieder eins. Mal drauf achten.
Noch ‘n Zusatz: Einfacher Test: Einfach mal beim nächsten Text über “Wissenschaftskommunikation” diesen Begriff durch Wissenschafts-PR oder Public Relations oder Öffentlichkeitsarbeit usw. ersetzen. Man merkt es fast gar nicht. Passt.
Letzter Versuch: Oder ganz blöd gefragt: Wenn Wissenschaftskommunikation der richtige Begriff für das wäre, was eigentlich Wissenschafts-PR ist, was nehmen wir dann eigentlich als Oberbegriff für all die Spielarten der Kommunikation in, um und um die Wissenschaft herum?
Merkste?
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