Kann man den verloren gegangen Werkzeugkasten der ISS tatsächlich mit dem Fernglas von der Erde aus beobachten? Wir haben mal beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) angefragt und prompt detailiert Antwort bekommen. Fazit: (sehr) zweifelhaft.


Ali Arbia von zoon politikon hatte die Geschichte aufgegriffen, dass der Astronautin Heidemarie Stefanyshyn-Piper der Werkzeugkasten entglitten war (Video hier bei Jürgen auf Geograffitico) und der nun genau wie die ISS um die Erde kreist. Laut Medienberichten sollte man den Kasten sogar mit einem Feldstecher erkennen können.

Unser angeborener journalistischer Skeptizismus ließ uns natürlich daran zweifeln, dass man so einen kleinen Kasten tatsächlich mit dem Fernglas von der Erde aus erkennen könnte.

Also haben wir gestern beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) angefragt, ob das denn realistisch sei.

Prompt kam eben eine detaillierte Antwort per E-Mail, die wir hier gerne veröffentlichen.

Herr Wilfrid Tost, Diplom Mathematiker und IT-Manager vom DLR am Berliner Institut für Planetenforschung hält das alles für (sehr) zweifelhaft.

Aber lest selbst.

Sehr geehrter Herr Anhäuser,

ich bezweifle, das man die Tasche mit einem Feldstecher finden kann, schon

die generelle Sichtbarkeit unter idealen Bedingungen ist schwer zu

begründen.

Ein Zahlenbeispiel: Die Werkzeugtasche ist ca. 40 cm lang und befindet sich

in 400 km Entfernung. Mit Faktor 1000 skaliert wäre dies eine 400 m große

Tasche in 400.000 km Entfernung. Einen 400 m großen Asteroiden in

Mondentfernung kann man sehr wohl sehen, vor allem, wenn er aus dem hellen

Material der Werkzeugtasche besteht, andererseits entdecken wir solche

Asteroiden aber nicht mehr mit einem Feldstecher, sondern benötigen dafür

schon ein gutes Teleskop.

Selbst günstige Bedingungen vorausgesetzt (wie gut reflektiert die Tasche

wirklich, gibt es Verschlüsse aus reflektierendem Metall etc.) sollte der

Lichtfleck eher klein und unauffällig sein. Hier kommt das zweite Problem

hinzu: Während die ISS groß, hell und unübersehbar ist, muss man ohne

Anhaltspunkte den Ort der lichtschwachen Tasche am Himmel erahnen, finden

und als solches identifizieren. Das allein halte ich für das eigentliche

Problem, selbst wenn die Tasche unerwartet hell sein sollte. Würde die

Tasche der ISS unmittelbar folgen, so hätte man wenigsten einen schwachen

Anhaltspunkt über die Bahn und könnte auf den Lichtfleck warten, aber mit

dem Feldstecher in der freien Hand auf ein lichtschwaches Objekt zu warten,

von dem man nicht genau weiß, von wo es kommt und wohin es sich bewegt ???

Mit der Kenntnis der veröffentlichten Bahndaten kann man ggf. ein Teleskop

mit programmierbarer Nachführung auf die richtigen Positionen einstellen und

damit die prinzipielle Sichtbarkeit nachweisen. Durch eine Aufnahme des

Lichtfleckes kann man dann ggf. Abschätzen, wie klein das Teleskop sein

darf, damit die Tasche gerade eben noch erkannt wird.

Mir ist bekannt, das es eine Sichtungsmeldung gibt; bleibt aber zu fragen,

ob es wirklich die Tasche war. Der kleine Movie, den ich gesehen habe, hat

leider keine Information über räumliche und zeitliche Auflösung. Aus der

kurzen Zeitdauer vor einer Sekunde, in der der Lichtfleck durch das

Videobild huscht, schließe ich auf eine erhebliche Vergrößerung, denn der

normale Überflug würde um zwei Minuten betragen. Je nach Randbedingung komme

ich da auf eine Brennweite von 1000 mm, das ist deutlich besser als ein

Feldstecher.

Zusammengefasst:

Sichtbarkeit im Feldstecher: zweifelhaft.

Finden mit dem Feldstecher: sehr zweifelhaft.

Test: Programmierbare Nachführung und Teleskop verwenden.

Bei Erfolg nach unten abschätzen, ob auch ein Feldstecher in der Lage wäre,

die Tasche zu sehen.

Freundliche Grüße

Wilfried Tost

Danke Herr Tost.

Bitte beachten, wichtig:

Verwandte Artikel:

Der Mann, der die Werkzeugtasche sah …

Kommentare (17)

  1. #1 ali
    27. November 2008

    Danke für die Nachforschungen!

  2. #2 Chris
    27. November 2008

    Ich habe kurz überlegt, auch noch einen Beitrag dazu beizusteuern ;-)
    Aber der Link sollte reichen. In Bochum kann man die Werkzeugtasche verfolgen.
    https://www.ruhrnachrichten.de/lokales/bolo/Bochum;art932,418757

  3. #3 Marcus
    27. November 2008

    @Chris
    aber auch nur mit Teleskop.

  4. #4 Ludmila
    27. November 2008

    @Chris: Aber das ist doch mal eine ziemliche witzige Aktion, um mal die Leute in die Sternwarte zu holen, die sonst einen Riesenbogen um das Ding machen. Vielleicht bringen sie sogar ihre Kinder mit?

    Wer weiß? Vielleicht ist das die Initialzündung für die eine oder andere wissenschaftliche Karriere?

  5. #5 Astrotux
    27. November 2008

    Wie wäre es mit einem NETT-Programm ?
    Ähnlich dem NEAT vom JPL. Wäre bestimmt der Renner in den Sternwarten.

    Ach ja, NETT = Near Earth Toolbox Tracking ;-)

  6. #6 Chris
    27. November 2008

    @Ludmila
    Natürlich ist das die Superaktion! Habe ja gar nichts anderes gesagt. So viel Spontanität und Flexibilität ist vorbildhaft! So müßte Wissenschaftskommunikation öfter aussehen!

  7. #7 Daniel Fischer
    28. November 2008

    Nachforschen schön und gut – aber bitte bei denen, die sich auskennen: den erfahrenen Satellitenbeobachtern, die auf der SeeSat-Liste berichten. Nicht nur sind hier die detaillierten Aufnahmeumstände des fraglos echten Videos zu finden sondern auch visuelle Sichtungen der Tasche. Darunter eine mit einem Feldstecher, denn das Ding hatte 6.4 mag. Auch wie man sich ausreichend genaue Überflugprognosen beschafft, wird in Postings beschrieben.

  8. #8 wilfried tost
    28. November 2008

    Wer wird denn so garstig sein. Das Video zeigt vier Dinge: Der Bildausschnitt beträgt etwa ein Bogengrad, die vier schwachen Sterne haben 8te und 9te Größenklasse, es wurde ein Stativ verwendet und es wurde was besseres benutzt als ein Feldstecher. Immerhin: 8-te Größenklasse für die Tasche ist doch ganz gut. Dennoch: Ohne eine genaue Prognose, die von mir aus auch “in Postings beschrieben wird”, wird man den Punkt schwer aus der freien Hand finden. Die übliche Beschreibung für die ISS “…von SW nach SO…” reicht da eben nicht aus. Der “erfahrene Satellitenbeobachter” mag da ja Vorteile haben, aber der Rest der Welt? Was spricht denn gegen ein nachgeführtes Teleskop mit Videomonitor für die Besucher?

  9. #9 Marcus
    28. November 2008

    @Daniel
    danke für den Link. Ich habe jetzt mal eine E-Mail-Anfrage an Edward Light geschickt, der erklärte, er habe die Tasche mit einem 10×50 Fernglas gesehen.

    Mal sehen , was er dazu meint.

  10. #10 Marcus
    28. November 2008

    @Wilfried Tost
    Hallo Herr Tost, herzlich willkommen hier auf unserem Blog. Schön dass Sie sich beteiligen.

    Wahrscheinlich muss man das ganze präzisieren: Bei der Aussage: “Kann man sogar mit dem Fernglas sehen”, stellen sich Laien vor mal gerade eben mit dem Fernglas auf dem Balkon den vorbei fliegenden Tool Bag zu beobachten, so wie den Mond.

    Tatsächlich könnte es aber wohl eher so sein, dass der Werzeugkasten vielleicht mit einem Fernglas auf einem Stativ sichtbar ist, wenn man die Bahn genau kennt und geübt ist in solchen Dingen.

    Ich habe Edward Light gefragt wie er es gemacht hat.

    Mal sehen, ob was kommt.

  11. #11 Marcus
    28. November 2008

    @Daniel Fischer
    übrigens. Das ist ein klassischer Fall für ein journalistisches Problem, mit dem wir täglich zu kämpfen haben: Wo bekomme ich schnell einen Experten zum Thema?

    Wüsstest Du auf Anhieb, wen Du zum Thema Stammzellen befragen kannst? Von daher danke für den wertvollen Link (allerdings Rüge wegen garstigen Tonfalls.) :-)

  12. #12 Daniel Fischer
    29. November 2008

    Einer der Veteranen der Satellitenbeobachtung in Deutschland – seit der Stunde Null! – ist Harro Zimmer, der mit Herrn Tost eine langjährige Aktivität an der Wilhelm-Foerster-Sternwarte in Berlin teilt (und überdies einer der profiliertesten deutschen Raumfahrtjournalisten im Lande ist). Da hätte man die Anfrage der ScienceBlogs ja weiter leiten können, wenn man sich nicht so konkret auskennt, und wäre garantiert auch auf SeeSat verwiesen worden. Ist das jetzt ungarstig genug formuliert? :-)

    Übrigens kann die Taschen nach neueren Erkenntnissen sogar 5. Größe erreichen und ist damit bei dunklem Himmel sogar mit dem bloßen Auge zu sehen. Webseiten, die einem die Vorraussagen berechnen, gibt’s auch reichlich. Überdies sagen neue Modelle voraus, dass sie bis Mitte kommenden Jahres im Orbit bleibt – damit dürfte sie noch für eine Weile das sichtbarste Vermächtnis der Mission STS-126 sein …

  13. #13 Jörg B.
    29. November 2008

    Hi, ich habe heute Abend (29.11.) um 17.25 Uhr über Giessen (nördl. Frankfurt) folgende Beobachtung gemacht : Mit meinem Nachbarn habe ich spasseshalber mal geschaut, ob man wirklich was von der Tasche sieht. Wir schauten und prompt kam zur Angegebenen Zeit mit korrekter Höhe und Flugbahn ein Heller Lichtpunkt über uns geflogen. Nun gut, wir dachten, naja die ISS wie wir sie kennen aber ohne Erkennbares Teil was vorrausfliegt aber schon ungefähr die gewohnte Helligkeit. Nachdem das Teil dann am Horizont bzw. Am Erdschatten dunkler wurde, bemerkten wir direkt über uns einen vielhellren Punkt, mit der selben Zugbahn und realisierten, das erst dies wirklich die ISS sein musste. Wie gesagt, viel heller, selbe Zugbahn, selbe Geschwindigkeit. Also muss das vorherige Objekt die Tasche gewesen sein, aber warum so vergleichsweise superhell ?

    Ok, tschö

  14. #14 Daniel Fischer
    29. November 2008

    Hier kann man genau nachlesen, wie das heute abend war: Erst die Tasche (mit dem blossen Auge zu sehen), 10 min. später die Endeavour, weitere 2 min. später die ISS.

  15. #15 Ludmila
    30. November 2008

    @Daniel: Man kann die Tasche mit dem bloßen Auge sehen? Das hätte ich wirklich nicht gedacht. Wahnsinn! Wieder was gelernt.

  16. #16 wilfried tost
    30. November 2008

    Das ist doch eine schöne Nachricht, dass die Tasche so gut sichtbar ist. Nichts ist so gut wie eine gelungene Sichtung zum Nachweis.
    Solange man aber die Gewissheit noch nicht hat, wird man halt schätzen müssen und mein Ansatz widerspricht dem ja gar nicht. Die 400 m große Tasche in Mondentfernung will ja erst mal gesehen werden. Den Unterschied macht eben doch das sehr hohe Rückstrahlverhalten des Taschenmaterials aus. Noch mal zur Versöhnung mein Statement: Die Sichtbarkeit der Tasche war nicht selbstverständlich. Mein Vorschlag, mit einem großen Instrument eine verlässliche Beobachtung zu machen und dann über die gemessene Helligkeit das notwendige Instrumentarium nach unten abzuschätzen ist nüchternste Ingenieurkunst, aber wirksam. Mir war bekannt, das man auch den ersten Sputnik schon sehen konnte, aber der war immerhin aus blankem Metall und es wäre wiederum zweckoptimistische Spekulation gewesen, diesen als Beweis anzuführen.

    Umsomehr freut es mich, das die Tasche bis ins nächste Jahr hinein als Anreiz für einen Besuch auf einer der vielen Volkssternwarten dienen kann. Als Organisator des IYA-2009 kann das dem Daniel doch nur Recht sein :-)

  17. #17 Daniel Fischer
    30. November 2008

    Auch Kevin Fetter – der mit dem berühmten Video – hatte bereits einen Zusammenhang mit dem IYA 2009 hergestellt. Vielleicht kann man das Absinken der Taschen-Bahn (im Vergleich zum Verfall des ISS-Orbits) sogar didaktisch nutzen?