Journalisten berichten von den Orten der Katastrophen und des Horrors und graben sich dabei oft bis in die letzten Details eines Ereignisses. Ihr Job ist es aber auch zu versuchen, ein Ereignis wie den Amoklauf von Newtown, Conneticut, in ein Gesamtbild einzuordnen, Abstand zu gewinnen und das große Ganze sichtbar zu machen. Hierfür eignen sich – wie ich finde – Methoden des Datenjournalismus’ , den ich seit einiger Zeit versuche (mehr verzweifelt als erhellt) zu erlernen (oder zumindest ein Gefühl dafür zu entwickeln, was möglich ist).
Eines der Tools, mit dem man sich und seinen Lesern einen Überblick verschaffen kann, nennt sich Google Fusion Tables. Damit lassen sich Punkte auf einer Karte lokalisieren und darstellen. Um den Amoklauf von Newtown in ein Gesamtbild einzuordnen, habe ich mir eine Liste der Amokläufe an Schulen aus der englischen Wikipedia heruntergeladen (mittels eines Tools namens Outwit Hub Pro, mit dem man Daten von Webseiten scrapen kann). Diese Liste habe ich ein wenig bereinigt und umgestellt, mit deutschen Titeln versehen, und dann per Google Docs und Fusion Tables die Orte der Google Map zugeordnet (macht Fusion Tables ganz von allein, wenn es weiß, in welcher Spalte es suchen muss). Um ein wenig mehr Informationen in die Karte zu bringen, habe ich die Marker mit der Anzahl der Todesfälle verbunden (die Legende unten erklärt die Marker).
Am Ende erhält man einen Einbettungscode, den man in die Seite einbauen kann. Man kann – wie von Google Maps gewöhnt – in die Karte rein- und rauszoomen. Wenn man auf einen der Marker klickt, geht ein Infokasten auf, der Angaben zu jedem einzelnen Amoklauf liefert, die in der Wikipedia-Liste enthalten sind, z.B. genaue Zahl der Getöteten, der Verletzten oder die Waffenart.
In den Infoboxen finden sich Angaben zu den Waffenarten, die die Täter verwendeten. Folge Abkürzungen stehen für folgende Waffenarten:
F = Feuerwaffen
M = Blankwaffen (wie Messer, Schwerter, Äxte etc.)
O = jede andere Waffe (wie Bomben, Molotov Cocktails, Autos, Giftgas u.a.) dabei bedeuten andere Buchstaben, dass diese Waffenart alleine verwendet wurde (A=Arsen Brandstiftung; V=Vehikel; E=Explosivstoff; P=giftige, anästhesierende oder tödliche Substanz)
Die vollständige Tabelle, die hinter dieser Weltkarte liegt, findet sich hier.
Die ideal Kombination für eine Darstellung wäre meiner Meinung nach ein Kombination aus Weltkarte und Zeitleiste, auf der man sieht, wann sich welche Amokläufe ereignet haben.
Es gibt dazu Tools (ich glaube Tableau Public könnte das), die ich aber nicht beherrsche. Um dem aber annähernd gerecht zu werden, habe ich in Excel eine Zeitleiste gebastelt, die zwei Informationen liefert:
- eine zeitliche Verteilung der Amokläufe an Schulen weltweit
- das Alter der Attentäter zum Zeitpunkt der Tat (allerdings mit zwei Vereinfachungen: in zwei Fällen mit zwei Tätern habe ich das jüngere Alter genommen, der Unterschied betrug ein bzw. zwei Jahre; in sechs Fällen war das Alter nicht bekannt, diese Fälle fehlen)
Um den gesamten Zeitverlauf ab 1900 zu überblicken (und die Altersachse links) das Bild bitte anklicken:
Wobei können diese Grafiken helfen? Sie zeigen zum einen, dass die Tat in Newton, Conneticut, gemessen an den Todesfällen, eine der drei Amokläufe an Schulen war, mit den meisten Toten. Die Weltkarte zeigt mir aber auch, dass in China offenbar vergleichsweise häufig Amokläufe in Schulen vorkommen, diese aber nicht so blutig ablaufen wie etwa in den USA. Ein möglicher Grund: Betrachtet man die Waffenart, kommen in China häufiger Blankwaffen zum Einsatz. Die Weltkarte offenbart auch, dass es insgesamt nur wenige Länder mit Amokläufen an Schulen gibt. In Europa ist Deutschland leider ein Brennpunkt diesbezüglich, während es in Frankreich und (siehe Nachtrag 16.12.) Spanien offenbar niemals solche Attentate in Schulen gab.
Die Zeitleiste erweckt zumindest den Eindruck, dass Amokläufe an Schulen zwar auch schon vor dem zweiten Weltkrieg auftraten, aber eigentlich erst ab den 60er Jahren und dann vor allem ab Ende der 90er Jahre ein zunehmendes Phänomen zu sein scheint.
Schließlich kommen wir noch zu einem grundsätzlichen Problem des Ganzen hier: Pauschale Aussagen lassen sich eigentlich erst machen, wenn man weiß, wie vollständig die Amokläufe der letzten hundert Jahre bei Wikipedia erfasst sind. Wikipedia selbst schreibt nur, dass die Liste unvollständig ist.
Dies wäre jetzt die Herausforderung an einen Datenjournalisten: Das Checken der Quelle durch Vergleich mit anderen Quellen. Wer mögliche Vergleichsquellen kennt, bitte in den Kommentaren melden.
Mir ging es hier aber erst einmal um den Einsatz von Fusion Tables. Das hat funktioniert. ich könnte jetzt noch sämtliche Wikipedia-Listen zu Amokläufen generell scrapen und zu einer großen Tabelle zusammenfassen, die dann entsprechend mit Fusion Tables oder dann Tableau umsetzen. Dazu fehlt jetzt aber erstmal die Zeit. Wer möchte? Bitte schön.
Nachtrag (16.12.): Nicolas Kayser-Bril und Thomas Seymat verwiesen mich per Twitter darauf, dass es im März einen Amoklauf an einer jüdischen Schule in Toulouse gab. Der fehlt in der Wikipedia-Liste, möglicherweise, weil der Täter an den Tagen zuvor bereits Soldaten umgebracht hatte. Es gibt eine eigene englische Wikipedia-Seite dazu, die die Umstände erklärt. Hier ein ZEIT-Artikel, der noch von einer Mordserie spricht. Ich habe den Vorfall an der jüdischen Schule ergänzt.
Nachtrag (17.12.): Einer der Kommentatoren ist der Meinung, dass die Toulouse-Attentate kein Amoklauf waren, und daher nicht auf die Karte gehören, sondern gezielte Morde waren. Interessante Frage. Ich lasse sie erstmal mal drauf.
Nachtrag (17.12.): Michael Moores Dokumentation über den Amoklauf von Columbine, Colorado, (“Bowling for Columbine”) gibt es bei openculture.com kostenfrei zu sehen. Nicht (wg. GEMA).
Nachtrag (18.12.a): Bei “Mother Jones” gibt es eine datenjournalistische Aufbereitung zum Thema Waffen und Amokläufe: “More Guns, More Mass Shootings—Coincidence?”. Die ZEIT hatte erst Ende November die Zahl der Waffen in einem Land mit der Zahl der Toten/Morde generell in einer Grafik dargestellt: “Der alltägliche Tod”.
Nachtrag (18.12.b): BoingBoing weist auf einen Artikel auf Salon.com hin, der zeigt wie die US-Waffenlobby die missliebige Forschung beeinflusst: “Gun lobby has opposed research on effects of gun ownership/gun laws”. oder direkt bei Salon.com: “The NRA’s war on gun science”.
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