Bemerkenswerte Entdeckung hier in Dresden, einer der Städte mit einer Exzellenz-Uni und einem „March for Science“ für Wissenschaft und rationales Denken, gegen Pseudowissenschaft und Scharlatane. Wie schon 2016 geben sich hier auch in diesem Jahr vier NobelpreisträgerInnen die Klinke in die Hand („Einen Hauch von Nobelpreisluft schnuppern“, so der Titel einer Pressemitteilung im April), und erklären Wissenschaft und Forschung in ausführlichen Vorträgen im größten Hörsaal der TU Dresden, im Audimax.
Eine wunderbare Idee, ausgerichtet vom Bereich Naturwissenschaft und Mathematik. Solche Koryphäen und Speerspitzen des wissenschaftlichen Denkens bekommt man ja nicht alle Tage zu sehen (blöderweise hat es bei mir aber bisher nur leider nie geklappt. Nächste Chance, morgen, Mittwoch, 7. Juni, wenn Christiane Nüsslein-Volhard ihren Vortrag hält).
Um so überraschter war ich, als ich auf dem Ankündigungsplakat (siehe hier auf der Webseite) bzw. dem Flyer einen Firmennamen erblickte, den ich an dieser Stelle nun gar nicht erwartete hatte: HEEL. Der Slogan der Firma lautet eher unverdächtig: Healthcare designed by Nature. Der Claim lenkt indes ab (wie auch der Marketingtext auf der Webseite), denn es fehlt der entscheidende Begriff: Homöopathie.
Wikipedia beschreibt es hingegen ganz einfach:
„Die Biologische Heilmittel Heel GmbH ist einer der weltweit größten Hersteller von Homöopathika (…).“
Spezialität der Firma sind so genannte homöopathische Komplexmittel bzw. Kombinationsmittel.
Ins Gerede kam Heel zuletzt durch die Finanzierung „der Stiftungsprofessur des Leiters des wissenschaftlich umstrittenen Institutes für transkulturelle Gesundheitswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder Harald Walach.“ Dazu hat Joseph Kuhn hier auf den Scienceblogs ein Menge geschrieben. Auch bei diesem traurigen Kapitel spielte die Firma eine Rolle …
Wie aber wird eine solche Firma Sponsor einer solchen Vortragsreihe mit Nobelpreisträgern, und sonnt sich damit in deren Glanz? Wer jetzt eine neue Strategie dahinter vermutet, so wie einst der Tabakkonzern Philip Morris Forschung unterstützte oder Coca Cola Sportevents, liegt leider daneben, so wie ich auch.
Ich fragte beim verantwortlichen Wissenschaftler nach, dem Dekan der Fakultät Naturwissenschaft und Mathematik, Clemens Kirschbaum, Inhaber des Lehrstuhls für Biopsychologie, der auch Ansprechpartner für die Presse ist: Wie es denn dazu kommen könne usw.?
Seine offene und ausführliche Antwort überrascht, denn es war gar nicht die Firma, die die Nähe zur Forschungsweltspitze suchte:
„(…) Ich wurde von der Fa. Heel gebeten, ihnen als Berater für die Planung einer naturwissenschaftlich-experimentellen (Placebo-kontrollierte und angemeldete) Studie zur Wirksamkeit eines ihrer Präparate zur Verfügung zu stehen – was ich auch gerne getan habe. Auf das von der Fa. Heel angebotene Honorar für diese Beratungsleistung habe ich verzichtet. Statt dessen habe ich die zuständigen wissenschaftlichen Mitarbeiter der Firma gebeten zu diskutieren, ob sie sich nicht eine finanzielle Unterstützung der Vortragsreihe vorstellen können. Das wurde offenbar positiv beschieden.“
Die Homöopathie-Firma wurde eingeladen – von einem Naturwissenschaftler. Einen Widerspruch – hier Homöopathie, dort Nobelpreisträger der Naturwissenschaften – kann Kirschbaum nicht erkennen:
„Ganz und gar nicht! Mich als Naturwissenschaftler interessiert es brennend zu erfahren, über welche (zentralnervösen und biochemischen) Mechanismen/Wege Placebos oder Nocebos wirken. Dass sie einen starken Einfluss auf die Linderung von Schmerzen etc. haben können, ist unzweifelhaft bewiesen. Dass homöopathische Mittel keine darüber hinaus gehenden spezifischen Effekte im Körper/ZNS generieren, haben zahlreiche Studien (u.a. auch durch die Bosch-Stiftung finanzierte) ebenfalls gezeigt.
Wenn sich nun aber eine Firma, die solche homöopathischen Mittelchen herstellen und erfolgreich am Markt etablieren, auf den steinigen Weg begibt, um herauszufinden, ob sie nicht doch zusätzliche, positive Effekte auf Körper und Geist durch ihre Präparate über den Placebo-Effekt hinaus in einer lege artis durchgeführten Studie dokumentieren können, finde ich im positiven Sinne bemerkenswert.“
Dass man das auch ganz anders sehen kann, erklärt Christian Weymayr, Autor des Buches „Die Homöopathie-Lüge“ (zusammen mit Nicole Heißmann): Er findet es zwar durchaus konsequent, dass Kirschbaum, wenn er es denn für sinnvoll hält, Homöopathie mit guten Studiendesigns zu testen, dann auch den Hersteller als Sponsor der Vortragsreihe gewinnt, “sofern Heel (oder jeder andere Sponsor) weder direkt noch indirekt das Programm beeinflusst”, so Weymayr.
Tatsächlich findet er indes keines von beiden wirklich nachvollziehbar. Ein Sponsoring hält er für nicht angebracht, weil es aus seiner Sicht gar keinen Sinn ergibt, Homöopathie in klinischen Studien zu testen, denn das könnte auch nach hinten los gehen, allerdings nicht, weil Homöopathie plötzlich funktioniert:
„Per se fehleranfällige Studien können unmögliche bzw. maximal umplausible Thesen weder belegen noch widerlegen [Anm. von mir: denn Homöopathie widerspricht den Naturgesetzen]. Klinische Studien können über Placebo hinaus gehende positive Effekte der Homöopathie deshalb nicht dokumentieren. Sie sind also irrelevant. Da sie (…) fehleranfällig sind, werden zwangsläufig falsch-positive Ergebnisse produziert. Sie sind also nicht nur irrelevant, sondern auch kontraproduktiv. Ich würde deshalb solche Thesen völlig aus dem Wissenschaftsbetrieb ausschließen, also weder entsprechende Studien unterstützen noch Heel als Sponsor zulassen. (…) Ich nehme an, der Dekan würde keine Studien zur Überprüfung von Marienerscheinungen unterstützen und folglich die katholische Kirche auch nicht als Sponsor akzeptieren. Wieso Homöopathie für ihn wissenschaftlich etwas anderes ist, kann ich nicht nachvollziehen.“
Ich erwische mich dabei, nicht so konsequent zu sein wie Christian Weymayr (er vermutet übrigens, dass dies vielen so geht): Einen Homöopathie-Hersteller als Sponsor für naturwissenschaftliche Veranstaltungen zu gewinnen, finde ich fahrlässig, unnötig, offensichtlich widersprüchlich. Es schafft Akzeptanz für das Unternehmen, ähnlich wie ein „Philip Morris Forschungspreis“ (In jungen Jahren fand ich den indes auch mal irgendwie gut).
Wenn indes der Hersteller partout noch eine weitere Studien mit homöopathischen Mitteln durchziehen will, soll er halt und wegen mir auch mit der Beratung durch einen Naturwissenschaftler. Auch wenn es inzwischen einige zusammenfassende Übersichtsstudien gibt, die hinreichend zeigen, dass Homöopathie nicht besser wirkt als Placebos.
Andererseits: Wenn ich es zu Ende denke, hat Christian Weymayr natürlich Recht. Wozu soll das gut sein? Wozu noch eine Studie, und noch eine Studie und noch eine Studie, auf die Gefahr hin, dass irgendwas im Sinne des Herstellers “Positives” dabei herauskommt, was dann tatsächlich ein falsch-positives Ergebnis wäre (oder einfach schlecht gemachte Wissenschaft).
Aber was halten die NobelpreisträgerInnen eigentlich davon? Ich habe drei von vier angeschrieben, ob sie etwas davon wussten, und was sie davon hielten. Christiane Nüsslein-Vollhard antwortete freundlicherweise, und ganz pragmatisch:
„Ich wusste nicht dass die Firma Heel die Vortragsreihe unterstützt, auf dem Flyer, der mir vorliegt, ist sie nicht aufgeführt [Anm. von mir: Sie hatte den Flyer von 2016 als Heel noch kein Sponsor war]. Dass sie sich offenbar mit Nobelpreisträgern schmückt, ist zumindest merkwürdig, vielleicht sogar unanständig, denn es täuscht eine wissenschaftliche Basis ihrer Produkte vor, die nicht gegeben ist. Aber immerhin bezahlt sie dafür.“
Zusatz: Christian Weymayrs Begründung, dass man etwas, was offensichtlich allem widerspricht, was Wissenschaft und Forschung über die Welt wissen, nicht noch durch eine wissenschaftliche Studie überprüfen muss und so möglicherweise noch positive Ergebnisse erzielt, die aber schon allein dadurch entstehen können, weil auch in wissenschaftlichen Studien Fehler entstehen und auch gemacht werden („falsch-positive“), das hat er mit dem Begriff der Scientabilität bezeichnet. Dieses Konzept hat er zum Beispiel hier in einem Fachartikel beschrieben, hier gibt es eine verständliche, frei zugängliche Beschreibung, in der auch die Kritik, die von vielen Seiten geäußert wurde, zusammengefasst wird.
Offenlegung: Ich arbeite beim Medien-Doktor Medizin mit Christian zusammen, wir kennen uns schon ein paar Jahre.
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